Ist es denn nicht merkwürdig, dass eine solche Frage gestellt wird? Man lernt doch in der Schule, dass ein Nomen im GenitivSingularMaskulin oder Neutrum normalerweise die Genitivmarkierung (e)s bekommt: der Hut des Vaters/des Mannes; auf der anderen Seite des Flusses/des Bach(e)s/des Bürgersteigs/des Schlosses...
Und doch gibt es nicht wenige Texte, in denen diese Regel nicht angewandt wird:
In der gleichen Zeitung findet man aber auch
aber auch
Man findet in den Zeitungen, auch in denen, aus den die oben zitierten Beispiele stammen, keine Belege für *der Hut des Vater/des Mann; auf der anderen Seite des Fluss/des Bach/des Bürgersteig/des Schloss... Der Gebrauch der (e)s-Endung des Genitivs bei geografischen Namen im Maskulin oder Neutrum Singular hingegen schwankt offensichtlich. Dann liegt es doch nahe, zu denken, dass es hier eine besondere Regel geben muss.
Nachdem eine Recherche in den Korpora des Instituts für Deutsche Sprache (Stand April 2006) ergeben hat, dass der Flussname Tejo mit einer Genitivendung s nicht belegt ist, scheint es angemessen, die deutschen und fremden geografischen Namen getrennt zu untersuchen.
Es handelt sich hier nicht nur um geografische Namen, die historisch deutsch sind, sondern auch um Namen, die im Laufe der Zeit eingedeutscht wurden oder so geläufig sind, dass sie nicht mehr als fremde Namen empfunden werden.
Als Beispiele dienen:
Flussnamen: Rhein, Neckar,
Nil
Gewässernamen: Gardasee, Atlantik,
Mittelmeer
Ländernamen (auch Namen von Kontinenten, Provinzen u.Ä.):
Afrika, Australien, Japan, Deutschland
Städtenamen: Berlin,
Frankfurt
Belegzahlen basierend auf dem Korpus des Instituts für Deutsche Sprache "alle Texte geschriebener Sprache" (Stand April 2006):
im Süden Afrikas: 192 mal belegt
im Süden
Afrika: Ø
im Süden Australiens : 47 mal
belegt
im Süden Australien: Ø
im Süden Japans:
41 mal belegt
im Süden Japan: Ø
im Süden
Deutschlands: 241 mal belegt
im Süden
Deutschland: 3 mal belegt
im Süden
Berlins: 188 mal belegt
im Süden Berlin: Ø
im
Süden Frankfurts: 45 mal belegt
im Süden Frankfurt: Ø
Warum im Süden Deutschland dreimal ohne Genitivendung vorkommt, ist
unklar.
Belege:
Eine (nicht repräsentative) Untersuchung der Verwendung von Atlantik bzw. Atlantiks im Internet hat ergeben, dass die Form des Atlantik nur noch 5 % der Belege ausmacht, aber 95 % der Belege auf die Form des Atlantiks entfallen. In den Korpora des Instituts für Deutsche Sprache (Stand April 2006) gibt es noch in 20 Prozent der Fälle die Form des Atlantik.
Man kann also sagen, dass zwar beide Formen möglich sind, aber dass die Form mit der Genitivendung (e)s bei Weitem überwiegt. Es sind allerdings leichte Unterschiede zu beobachten zwischen den verschiedenen Bereichen. Geografische Namen ohne Genitivendung finden sich am häufigsten im Bereich der Länder- und Städtenamen (s. Belegzahlen 2).
Belegzahlen für geografische Namen im Genitiv mit der Endung (e)s und ohne Genitivendung. Die Zahlen basieren auf den "Korpora mit überwiegend neuer Rechtschreibung" des Instituts für Deutsche Sprache, in denen Texten von 1999 bis 2005 integriert sind (Stand April 2006):
Namen | (e)s | Ø |
Rhein | 910 | 5 |
Neckar | 423 | 14 |
Nil | 55 | 14 |
Atlantik | 774 | 130 |
Gardasee | 162 | 2 |
Mittelmeer | 178 | Ø |
Afrika | 55 | 152 |
Australien | 5 | 3 |
Japan | 14 | 18 |
Deutschland | 221 | 182 |
Berlin | 100 | 92 |
Frankfurt | 2 | 2 |
Der Gebrauch von geografischen Namen - vor allem von Namen von Flüssen - ohne die Genitivendung (e)s wirkt gehobener, auch ein wenig altmodisch - aber Goethe und Thomas Mann z.B. schrieben des Rheins und nicht des Rhein!
Als Beispiele dienen:
Flussnamen: Tejo, Dnjepr, Mississippi und die Zusammensetzungen mit
River (Hudson- River u.Ä.)
Gewässernamen:
Lago Maggiore und die Zusammensetzungen mit Lake (Lake
Michigan u.Ä.)
Länder- und Städtenamen (auch Provinzen, Gegenden u.Ä):
Lake District, Manhattan, Montmartre, Budapest
Name | (e)s | Ø |
Tejo | Ø | 14 |
Dnjepr | Ø | 7 |
Mississippi | 3 | 20 |
River | 15 | 81 |
Lago Maggiore | Ø | 20 |
Lake | 2 | 20 |
Lake District | Ø | 3 |
Manhattan | Ø | 6 |
Montmartre | Ø | 7 |
Budapest | Ø | 4 |
Einem Eigennamen gebührt Respekt. Man verändert ihn nur, wenn es nötig ist. Eine allgemeine Regel zur Beugung von Eigennamen besagt, dass der Eigenname unverändert bleibt, wenn der Kasus der Nominalgruppe (Nomen eventuell begleitet von einem Artikel oder einem Attribut), in der der Eigenname steht, an einem Begleiter des Eigennamens, z.B. am Artikel, erkennbar ist. Prototypische Eigennamen sind Personen- und Familiennamen. Bei den geografischen Namen scheint es eine Unsicherheit zu geben, ob man sie wie Eigennamen oder wie "normale Substantive" (Appellativa) beugen soll. Deutsche, eingedeutschte oder nicht mehr als fremd empfundene geografische Namen werden eher wie Appellativa gebeugt (d.h. mit einer Genitivendung im Maskulin und Neutrum Singular), wobei Ländernamen am häufigsten noch als Eigennamen gebeugt werden können. Fremde geografische Namen werden wie Eigennamen gebeugt (d.h. ohne Genitivendung im Maskulin und Neutrum Singular).
Zu weiteren Besonderheiten der Beugung von Eigennamen siehe folgende Fragen: