Warum gibt es im Deutschen so viele Artikel?

Frage von P. (9 Jahre)

Liebe P.,

das ist eine spannende Frage! Viele Menschen denken, dass es im Deutschen viele Artikel gibt. Aber wie viele sind es wirklich? Lass sie uns doch gemeinsam zählen! Was meinst du, wie oft kommen Artikel in diesem kurzen Text vor?

Wie gut, dass ein Esel nicht lesen kann, dachte der Esel, schmunzelte und öffnete einem Kind die Tür mit der Aufschrift „Betreten verboten!“ Das Kind sah den Esel an und ging durch den verbotenen Raum, während das Lachen des Esels laut durch die Wände hallte...

Tatsächlich ganze elf Mal: ein, der, einem, die, der, das, den, den, das, des und die! Jedenfalls, wenn man jedes Vorkommen einzeln zählt… Oder sind es doch nur noch sieben Artikel??? Schließlich kommt der Artikel der im Text zwei Mal vor – genauso wie den, das und die. So einfach ist deine Frage also wohl doch nicht zu beantworten.

Lass uns doch zunächst überlegen, wofür wir Artikel überhaupt brauchen. Wenn du aufmerksam bist, dann hast du schon längst erkannt, dass ein Artikel häufig vor einem Namenswort steht (wie das Lachen). Er zeigt uns auch an, welche Wörter eine Gruppe mit einem Namenswort bilden (den verbotenen Raum). Das Wort „Esel“ steht im Text zwar mit unterschiedlichen Artikeln, aber irgendwie beziehen sie sich doch alle auf den Esel – ein Esel, der Esel, den Esel, des Esels… Wenn man allgemein über Esel als Tiergattung spricht, verwendet man einen unbestimmten Artikel: Ein Esel kommt nie allein. Ebenso, wenn man auf einen Gegenstand oder eine Person verweist, die man nicht kennt oder zum ersten Mal erwähnt: „…öffnete einem Kind“. Meint man hingegen einen konkreten Esel, dann wird das Wort mit einem bestimmten Artikel verwendet, wie zum Beispiel Der Esel öffnete die Tür. Man kann also alle Formen von Artikeln auf nur zwei Hauptarten reduzieren – so einfach! Man unterscheidet zwischen einem bestimmten Artikel der + alle seine Formen) und einem unbestimmten Artikel (ein + alle seine Formen). Beide Artikel sind aber wahre Verwandlungskünstler, weil sie viele Formen annehmen und gleichzeitig mehrere Aufgaben im Satz und im Text übernehmen können.

So wird mit dem Artikel im Deutschen zum Beispiel das grammatische Geschlecht der Namenswörter angezeigt: Daher verändert sich der Artikel, je nach dem, vor welchem Namenswort er steht. Dadurch macht er das grammatische Geschlecht des Wortes (männlich, weiblich oder sächlich) sichtbar: der/ein Bruder, die/eine Schwester und das/ein Kind. Auch das Englische, eine mit dem Deutschen verwandte germanische Sprache, kennt sowohl den bestimmten (the) als auch den unbestimmten Artikel (a), die nach dem grammatischen Geschlecht des Namenswortes nicht variieren. Daher sagt man auf Englisch „I have a child, a sister and a brother“, was ins Deutsche als „Ich habe ein Kind, eine Schwester und einen Bruder“ übersetzt wird.

Als Begleiter der Namenswörter (auch Nomen genannt) gibt uns der Artikel Auskunft nicht nur über das grammatische Geschlecht des Worts, sondern auch über die Zahl und den Fall des Nomens: Der Esel schmunzelte. Es sah den Esel an. Die Esel können nicht lesen. Es bleibt dennoch ein und derselbe (in diesem Fall „bestimmte“) Artikel, der in verschiedenen Formen auftritt und uns hilft, Wörter im Satz richtig zuzuordnen. Manche Artikelformen verhalten sich wie ein Chamäleon und passen sich ihrer Umgebung an, wie zum Beispiel „der“: der Bruder der Frau mit der Tasche. Hier zeigt sich, wie flexibel diese Form des bestimmten Artikels sein kann. So bezieht sich „der“ nicht nur auf eine männliche Person im Nominativ Singular (der Bruder), sondern auch auf eine weibliche Person im Genitiv Singular (der Frau) und auf einen Gegenstand im Dativ Singular Femininum (der Tasche).

Deine Frage nach den Artikeln im Deutschen ist absolut berechtigt, denn längst nicht jede Sprache verfügt über ein so ausgeklügeltes Artikelsystem. Es gibt Sprachen wie das Lateinische, die ganz ohne Artikel auskommen. Auch lebende Sprachen wie das Ukrainische und Russische brauchen keine Artikel, dafür haben sie fast doppelt so viele Fälle wie das Deutsche. Im Vergleich dazu haben wir im Deutschen zwei Artikelarten. Sie treten lediglich in vielen verschiedenen Formen auf und zeigen dadurch, in welchem Verhältnis das Namenswort, mit dem sie zusammen auftreten, zu den anderen Wörtern im Satz steht. Eigentlich ziemlich praktisch, oder?

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Autor(en)
Anna Volodina
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