In der Liste der unbearbeiteten Themen für die "Grammatik in Fragen und Antworten" fand sich auch das obige – mit dem kleinen Unterschied, dass es dort nicht mit einem Fragezeichen versehen war. Derjenige, der das Thema aufgeworfen hat, geht also wohl davon aus, dass das gemeinhin als subordinierend geltende weil auch als koordinierende Konjunktion fungieren kann und möchte vermutlich eine genauere Beschreibung der Struktur, womöglich auch eine Einschätzung, ob er hier einem Sprachwandel, einem Wechsel des weil in eine andere Klasse auf der Spur ist. Vielleicht zieht er auch eine Parallele zum vieldiskutierten weil mit Verbzweitstellung. Aber darum geht es im Titel gar nicht, weil, nach dem weil kommt ja gar kein Verb.
Da wir den Interessenten nicht befragen können, was ihn (oder sie) zu seiner Fragestellung oder besser Behauptung bewogen hat, müssen wir an dieser Stelle ein wenig spekulieren. Wir wollen zeigen, dass seine Idee auf den ersten Blick gar nicht so abwegig ist, wir werden sie aber trotzdem, so viel sei hier schon verraten, in Bausch und Bogen ablehnen.
Was unseren Fragesteller auf die Idee gebracht haben kann, ist die Ähnlichkeit der Titelformulierung mit Strukturen, die man zweifellos als koordinative Verknüpfungen klassifizieren würde.
(1a) | Er ist sympathisch und menschlich. |
(1b) | Er ist sympathisch weil menschlich. |
Solche Strukturen sind belegt. In den folgenden Beispielen ließe sich das weil ohne Verlust der Akzeptabilität (wenn auch mit einer gewissen Verschiebung der Bedeutung) durch und ersetzen.
(1c) | Im Stein sah er das einzig wahre, weil echte Material des
Bildhauers. [Die Presse, 07.06.1995] |
(1d) | Aber mich interessiert primär der andere – weil unbekannte
– Weg. [http://forum.de.selfhtml.org/archiv/2006/7/t133862/] |
Nun gut, so mag man denken, dann kann weil eben nicht nur Verbzweitsätze anschließen, sondern funktioniert auch in der Hinsicht wie eine koordinierende Konjunktion, dass es neben Sätzen auch andere Einheiten wie z.B. Adjektive oder Partizipien verknüpfen kann. Und tatsächlich führt die Duden-Grammatik unter den "beiordnenden" Konjunktionen, eine Reihe kausaler Konjunktionen an: neben denn erscheinen hier auch weil und da, mit dem Hinweis, sie seien "nur zwischen zwei Adjektiven oder Adverbien/Averbialien" koordinierend, ansonsten aber subordinierend (Duden 2009, S. 624).
Neugierig geworden, basteln wir ein wenig an den obigen Beispielen. Und nun müssen wir feststellen, dass es eine ganze Reihe von subordinierenden Konjunktionen gibt, die sich wie weil scheinbar auf dem Weg zur koordinierenden Konjunktion befinden.
(2a) | Das ist eine wunderbare, {weil/da/sofern/obwohl} wahre Geschichte. |
(2b) | Das ist eine wunderbare, {wenngleich/wenn auch/wiewohl} erfundene Geschichte. |
(2c) | Seit Donnerstag gibt es eine erste, wenn auch nur vage Beschreibung
eines Mitgliedes der gefürchteten Dämmerungsbande. [Neue Kronen-Zeitung, 4.12.1999, S. 19] |
(2d) | Dass die Sinnlichkeit fließende – wiewohl groteske –
Übergänge kennt vom Nachtmahl zum Beilager, hat der Regisseur Ustinov in […] "Hammersmith is
Out" ins Bild gesetzt. [Berliner Zeitung, 14.04.2001, S. 3] |
Nicht genug damit: Auch Einheiten, die wir überhaupt nicht als Konjunktionen, sondern als Adverbien klassifizieren würden, weil sie allein im Vorfeld eines Verbzweitsatzes stehen können – was echte koordinierende Konjunktionen wie und und oder nie können –, treten in der gleichen Umgebung auf.
(3a) | Das ist eine wunderbare, {noch dazu/darüber hinaus/außerdem/obendrein} wahre Geschichte. |
(3b) | Das ist eine wunderbare, {aber/allerdings/jedoch/freilich} erfundene Geschichte. |
(3c) | Das ist eine erfundene, {nichtsdestotrotz/dennoch/dessen ungeachtet} wunderbare Geschichte. |
(3d) | Der zuerst prima aufgegangene, {danach/nachher/später/hinterher/inzwischen} aber im Ofen zusammengefallene Hefeteig macht mir Kummer. |
(3e) | Ein defektes, {folglich/also/daher/darum/infolgedessen/deshalb/insofern} gefährliches Elektrokabel sollte unbedingt entfernt werden. |
(3f) | Sendungen wie Heinz Meynhardt: Mein Leben unter Wildschweinen (DDR 2, 1988)
fesselten allemal mehr als die schnöden und völlig witzlosen, noch dazu von Heinz
Sielmann nasal nuschelnd kommentierten Expeditionen ins Tierreich! [die tageszeitung, 02.01.1991, S. 20] |
(3g) | Das vorliegende Werk, das den österreichischen Juristen zu einer grundsätzlichen
europarechtlichen Besinnung aufruft, stellt eine spannende, daher empfehlenswerte und
anspruchsvolle Lektüre dar. [Vorarlberger Nachrichten, 21.04.1998, S. A8] |
Sollte das Deutsche plötzlich so viele koordinierende Konjunktionen haben? In allen möglichen semantischen Klassen, nämlich additiv (3a), adversativ (3b), konzessiv (3c), temporal (3d), konsekutiv (3e)?
Diese Behauptung finden wir in keiner Grammatik und es würde uns auch verwundern. Eine so inflationäre Zunahme von Polykategorialität wäre denn doch sehr unökonomisch. Und eine Klasse, deren Mitglieder so uneinheitliches Stellungsverhalten zeigen, spräche auch gegen jedes Prinzip wisssenschaftlicher Kategorisierung.
Wir können an dieser Stelle festhalten, dass die Klassifikation von weil als koordinierende Konjunktion auf der Basis der obigen Beispiele aus systemtheoretischen Gründen unerwünscht ist, weil wir uns damit einen Rattenschwanz von Folgen einhandeln, die unser Kategoriensystem schwächen.
Die Ablehnung lässt sich aber auch linguistisch-grammatisch begründen. Die obigen Verknüpfungen sehen nämlich nur an der Oberfläche wie koordinative Verknüpfungen aus. Sie unterscheiden sich von diesen aber in einer ganzen Reihe von Eigenschaften und erfordern deshalb auch eine andere Strukturbeschreibung.
Erstens lassen die mit subordinierenden Konjunktionen gebildeten quasi-koordinativen Verknüpfungen auch eine variable lineare Abfolge der verknüpften Einheiten zu. Das entspricht den normalen Stellungseigenschaften von subordinativen Verknüpfungen, in denen der Nebensatz vorangestellt und nachgestellt sein kann. Und und oder erlauben dies nicht.
(4a) | Der Stein ist das einzig wahre, weil echte Material des Bildhauers. |
(4b) | Der Stein ist, weil das echte, das einzig wahre Material des Bildhauers. |
(4c) | *Der Stein ist und das echte das einzig wahre Material des Bildhauers. |
(5a) | eine schöne, obwohl/wenngleich erfundene Geschichte |
(5b) | eine obwohl/wenngleich erfundene, (so doch) wahre Geschichte |
(5c) | *eine und erfundene, so doch wahre Geschichte |
Zweitens sind die mit subordinierenden Konjunktionen gebildeten Strukturen nicht in der gleichen Weise als Ellipsen rekonstruierbar und ergänzbar wie echte koordinative Strukturen, bei denen regelhaft identisches Material in einem der Konnekte getilgt werden kann ("Koordinationsreduktion").
(6a) | Das ist eine unglaubwürdige oder wahre Geschichte. |
—> Das ist eine unglaubwürdige Geschichte oder das ist eine wahre Geschichte. | |
(6b) | Das ist eine unglaubwürdige, wenngleich wahre Geschichte. |
—> *Das ist eine unglaubwürdige Geschichte, wenngleich das ist eine wahre Geschichte. |
Drittens können solche Strukturen, wenn sie mit satzverknüpfenden Adverbien gebildet sind, in der Regel zu und-Koordinationen ergänzt werden, sofern dadurch kein semantischer Clash entsteht (was bei einigen adversativen Adverbkonnektoren wie in (7e) der Fall ist). Die hier auftretenden satzverknüpfenden Adverbien können also nicht selbst die Funktion einer koordinierenden Konjunktion haben.
(7a) | eine wunderbare und {noch dazu/darüber hinaus/außerdem/obendrein} wahre Geschichte |
(7b) | eine erfundene und {nichtsdestotrotz/dennoch/dessen ungeachtet} wunderbare Geschichte |
(7c) | der zuerst prima aufgegangene und {danach/nachher/später/hinterher/inzwischen} aber im Ofen zusammengefallene Hefeteig … |
(7d) | ein defektes und {folglich/also/daher/darum/infolgedessen/deshalb/insofern} gefährliches Elektrokabel |
(7e) | eine wunderbare {*und aber/?und allerdings/*und jedoch/und freilich} erfundene Geschichte |
Und viertens, und das bringt uns der Natur dieser Konstruktion am ehesten auf die Spur, können diese Konnektoren keineswegs Einheiten von so beliebigem Typ verknüpfen wie und. Dieses kann – als Universalkoordinator – Einheiten jedweder Wortart und jedweden Phrasentyps verknüpfen bis hin zu Einheiten unterhalb der Wortebene (be- und entladen). Auch in Bezug auf den semantischen Typ der Koordinate gibt es keine Beschränkung: Sachverhaltsbeschreibungen (z. B. Der Mensch denkt und Gott lenkt; Konzeption und Ausführung des Projekts), Eigenschaften (z. B. stolz und eingebildet; Stolz und Vorurteil) oder Individuen (z. B. Hunde und Katzen). Die oben angeführten Beispiele sind dagegen auf propositionale Strukturen beschränkt, nämlich Sachverhaltsbeschreibungen und Eigenschaftsaussagen in der Form von attributiv eingebetteten Propositionen. Andere semantische Typen können so nicht verknüpft werden.
(8a) | Menschen und Mäuse sind Säugetiere. |
(8b) | *Menschen {danach/dennoch/infolgedessen/allerdings} Mäuse sind Säugetiere. |
(8c) | *Menschen {obwohl/weil} Mäuse sind Säugetiere. |
(9a) | Morgens und abends macht er Gymnastik. |
(9b) | *Morgens {danach/dennoch/infolgedessen/allerdings} abends macht er Gymnastik. |
(9c) | *Morgens {obwohl/weil} abends macht er Gymnastik. |
(10a) | Kartoffeln geschält und Zwiebeln geschnitten hab’ ich schon. |
(10b) | *Kartoffeln geschält {weil/obwohl/wenn auch} Zwiebeln geschnitten hab’ ich schon. |
(10c) | *Kartoffeln geschält {danach/dennoch/vorher} Zwiebeln geschnitten hab’ ich schon. |
Die subordinierenden Konjunktionen und satzverknüpfenden Adverbien können in diesen quasi-koordinativen Strukturen also nur Ausdrücke für Propositionen (Sachverhaltsbeschreibungen) verknüpfen. Das entspricht genau dem, was sie leisten, wenn sie zwei Sätze zu einer komplexen Satzstruktur verknüpfen. In den obigen Beispielen leisten sie nichts anderes, nur tun sie das auf einer niedrigeren syntaktischen Ebene als der des Satzes, nämlich auf der Ebene der Phrase. Sie verknüpfen attributiv eingebettete Propositionen, die in Bezug auf die durch den Satz gelieferte Proposition sekundäre Propositionen sind.
Das können übrigens nicht alle subordinierenden Konjunktionen und satzverknüpfenden Adverbien. Hier gibt es semantische wie syntaktische Beschränkungen. Zu letzteren zählt die Einschränkung, dass komplexe, mit dass zusammengesetzte Subjunktoren dies nie zulassen.
(11a) | *eine wunderbare, {dadurch dass/ungeachtet dessen dass} wahre Geschichte |
(11b) | *eine schöne, {sodass/weshalb/auf dass} glaubwürdige Geschichte |
Es bleibt festzuhalten: Bei der Verknüpfung von sekundären, eingebetteten Propositionen durch subordinierende Konjunktionen und satzverknüpfende Adverbien können Oberflächenstrukturen entstehen, die koordinativen Verknüpfungen ähneln, die aber in ihrer syntaktischen Struktur nicht anders zu analysieren sind, als es durch die syntaktische Subklasse der sie verknüpfenden Einheit determiniert ist: als subordinative Verknüpfungen, wenn es sich um subordinierende Konjunktionen wie weil, obwohl, wenn auch etc. handelt, als parataktische Verknüpfungen, wenn es sich um satzverknüpfende Adverbien wie allerdings, folglich, daher, noch dazu handelt.
Diese Analyse gilt bis auf weiteres für das Gegenwartsdeutsche. Natürlich sind solche Strukturen Einfallstore für syntaktischen Sprachwandel, da sie aufgrund der Identität der Oberflächenstrukturen zu einer Reanalyse der „Tiefenstruktur“, d.h. der zugrundeliegenden syntaktischen Struktur geradezu einladen – wie das offenkundig auch unserem Fragesteller passiert ist.
Dieser Beitrag findet sich auch in der Festschrift für Bruno Strecker, den Erfinder der "Grammatik in Fragen und Antworten", über den IDS-Buchshop sowie den IDS-Publikationsserver.
Eva Breindl (2012): Er ist sympathisch, weil menschlich — Weil als koordinierende Konjunktion? In: Marek Konopka / Roman Schneider: Grammatische Stolpersteine digital — Festschrift für Bruno Strecker zum 65. Geburtstag. Mannheim: Institut für deutsche Sprache. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:mh39-14618