Im Schwarzwälder Bote oder im Schwarzwälder Boten? — Flexion komplexer Eigennamen nach Präpositionen

Selten scheint die Antwort auf eine Frage zu einem grammatischen Zweifelsfall so leicht wie in diesem Fall, denn mit der Wahl von im ist im Grunde bereits entschieden, dass die gesamte Sequenz als normale Präpositionalphrase zu betrachten ist. Auf die Präposition im folgt üblicherweise eine Phrase im Dativ (wem-Fall) oder Akkusativ (wen-Fall) – jedenfalls bei Sprechern und Schreibern, die sich am Standard orientieren – und Dativ bzw. Akkusativ von Bote lauten nun einmal Boten.

Soweit die grammatische Theorie. Sucht man, deren Geltung durch Recherchen in großen Textkorpora zu bestätigen, dann stellen sich doch unerwartete Beobachtungen ein, die nachvollziehen lassen, wie es hier überhaupt zu Zweifeln kommen konnte. Hier einige Beispiele:

Auf der Internet-Seite des Landes könne man sich über Mountainbikerouten und im hineingestellten "Bote von Tirol" über Ausschreibungen und mehr informieren. (Tiroler Tageszeitung, 25.10.2000)
Die menschliche Energie und das Wissen haben ein neues Glied in die Kette ihrer Triumphe gereiht», steht im Toggenburger Bote vom 6. April 1909 geschrieben. (St. Galler Tagblatt, 02.05.2009, S. 35)
"Ich sehe nur unnötiges Leid durch Gesetze entstehen, die auf der Grundlage der Macht willkürlicher religiöser Eingebungen die Geburt erblich behinderter Kinder erzwingen, obwohl die Eltern es vorziehen würden, solche Schwangerschaften abzubrechen", schrieb Watson in der Frankfurter Allgemeine Zeitung. (die tageszeitung, 27.09.2000, S. 2)
"Es wird erst einmal in ganz Deutschland an allen Ecken und Enden holpern", sagte der CDU-Politiker der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". (Die Welt, 31.01.2023, S. 2)
Der frühere Cheftrainer der DDR-Leichtathleten wird laut "Frankfurter Allgemeine Zeitung" von dem anonymen Briefschreiber, den die Staatsanwaltschaft bislang nicht ermitteln konnte, als Täter bezichtigt. (Rhein Zeitung, 24.02.2000)

Im gesamten Referenzkorpus DeReKo lassen sich im März 2024 neben 702 Belegen für Präpositionalphrasen vom Typ im *** Boten immerhin 109 Belege vom Typ im *** Bote nachweisen. Neben dem "Schwarzwälder" finden sich darunter u.a. der "Bargfelder", "Kronberger", "Märkische" oder "Osttiroler" Bote. Auf die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wurde 7.749 Mal mit der flektierten (gebeugten) Form Frankfurter Allgemeinen Zeitung Bezug genommen, doch auch 311 Mal mit der unflektierten Form Frankfurter Allgemeine Zeitung, wo der Theorie nach eine flektierte Form zu erwarten gewesen wäre. Ähnlich zeigen sich die Verhältnisse bei Referenzen auf den "Trierischen Volksfreund". In allen drei Fällen treten die unflektierten Formen häufig in Verbindung mit Anführungszeichen auf («Frankfurter Allgemeine Zeitung», "Schwarzwälder Bote"). Die Schreiber gingen offenbar davon aus, dass mit der Setzung der Anführungszeichen die Namen der Zeitungen den Charakter wörtlicher Zitate erhalten, die unverändert zu bleiben haben.

im [] Bote109 Belege
im [] Boten702 Belege
in der Frankfurter Allgemeine Zeitung311 Belege
in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung7.749 Belege
im Trierischer Volksfreund8 Belege
im Trierischen Volksfreund202 Belege

Erweiterte Fragestellung

Aber vielleicht zielt die Titelfrage auch auf ein ähnlich gelagertes Problem, das zwar beim Schwarzwälder Boten gar nicht auftreten kann, denn der heißt tatsächlich einfach "Schwarzwälder Bote", jedoch durchaus bei anderen Zeitungen, bei denen zum Namen bereits der definite (bestimmte) Artikel gehört:

  • Das Neue Blatt
  • Die Glocke
  • Die Harke
  • Der neue Tag
  • Der Patriot
  • Die Rheinpfalz
  • Der Spiegel
  • Der Tagesspiegel
  • die tageszeitung
  • Die Welt
  • Die Woche
  • Die Zeit

Hier bestünde grundsätzlich die Option, die gesamte Bezeichnung unflektiert zu lassen, ganz so, wie dies etwa bei Titeln von Filmen und zum Teil auch von Büchern üblich ist:

Der Autor von "Der Mann ohne Eigenschaften", einem Meilenstein der europäischen Literatur, hat ein ganzes Jahr seines Lebens im Fersental, dem Tal hinter Pergine Valsugana, verbracht. (Dolomiten, 30.03.2023, S. 18)
Selbst in "Der mit dem Wolf tanzt" ist die Musik - trotz Überwindung alter Western-Regeln - eher ein sinfonischer Schafspelz. (Süddeutsche Zeitung, 08.06.1995, S. 15)

Stattdessen zu sagen: "vom Mann ohne Eigenschaften" oder "im mit dem Wolf tanzt" dürfte eher irritierend wirken. Bei Namen von Zeitungen ist es allerdings durchaus üblich, den definiten Artikel, der an sich Bestandteil des Namens ist, zu flektieren:

Kürzlich erschien ein Artikel in der Rheinpfalz, der behauptet, die Reaktivierung sei beschlossen und erfolge im Jahr 2021. (Wikipedia-Diskussion, 2017, http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Bahnstrecke_Homburg–Zweibrücken)

Nur selten finden sich auch Belege, in denen die Bezeichnung nicht flektiert wird, wie etwa hier:

So stand es in "Der neue Tag" am 02. Februar 2001. (Protokoll der Sitzung des Parlaments Bayerischer Landtag am 15.02.2001)

Man kann wohl davon ausgehen, dass bei dieser Form, Quellen anzugeben, schriftlich weitgehend durch die Verwendung von Anführungszeichen und/oder Groß- bzw. Kleinbuchstaben (etwa DIE WELT, die tageszeitung) klargestellt wird, dass hier ein Namenszitat vorliegt. Die Ausnahme bestätigt hier vermutlich die Regel:

Das DISS hat, im Auftrag des American Jewish Committee, 427 Texte aus der Frankfurter Allgemeinen, aus Frankfurter Rundschau, Süddeutscher Zeitung, aus der taz, dem Spiegel und dem Tagesspiegel vom September 2000 bis zum August 2001 ausgewertet. (die tageszeitung, 01.06.2002, S. 4)

Doch mit der Feststellung, dass es üblich ist, Bezeichnungen von Zeitungen zu flektieren, ist noch nicht erklärt, wieso sich diese so anders verhalten als Buch- und Filmtitel. Klare Regeln oder allgemein gültige Konventionen gibt es hierfür wohl nicht, nur eine Vermutung: Flektiert werden die bestimmten Artikel dann, wenn von den entsprechenden Zeitungen im Alltag des Landes oder der jeweiligen Region häufig die Rede ist. Eine Irritation, wie sie bei weit seltener genannten Buch- und Filmtiteln eintreten könnte, bleibt aus, weil diese Zeitungen derart bekannt sind, dass jedermann sofort versteht, was mit entsprechenden Phrasen gemeint ist. Zugleich würde ein ständig wiederkehrender Bruch im syntaktischen Aufbau von Phrasen wie "in der Spiegel" wohl als störend empfunden. Aber das ist, wie gesagt, nicht mehr als eine Vermutung.

Fazit

Komplexe Konventionen, denen Sprecher und Schreiber bei der Entscheidung für die eine oder die andere Variante folgen könnten, sind auch bei sorgfältiger Auswertung der verfügbaren Daten nicht auszumachen. Sie orientieren sich offensichtlich einfach an alternativen Mustern.

Wer dies unbefriedigend findet, mag sich an das halten, was sich bei Recherchen in riesigen Textkorpora — siehe oben — als präferiert erweist, und das ist eindeutig die flektierte Form, in normaler Schreibung oder auch in Verbindung mit Anführungszeichen oder Großbuchstaben, also etwa aus dem "Spiegel", in der "WOCHE".

Zum Text

Schlagwörter
Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Roman Schneider
Letzte Änderung
Aktionen
Seite merken
Seite als PDF
Seite drucken
Seite zitieren

Seite teilen