Paragraph 97 der Strafprozessordnung / Paragraph 97 Strafprozessordnung — Wann werden Genitivartikel in Fachtexten weggelassen?

Die Weglassung des Genitivartikels des/der in Kontexten wie

Auch der Versuch ist strafbar (Paragraph 242 Strafgesetzbuch).

kann als eine Form der Ellipse angesehen werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass es sich hier streng genommen um die Unterdrückung aller Genitivmerkmale handelt, denn neben dem Artikel im Genitiv fehlt auch die Genitivendung (-es) am Substantiv.

Das Wort Ellipse kommt von griech. élleipsis und bedeutet 'Auslassung'. Man spricht von einer Ellipse, wenn Satzbestandteile erspart werden. Ellipsen sind also Fälle, in denen – gemessen an einer 'vollständigen' Satzstruktur – eine oder mehrere Strukturpositionen nicht besetzt sind (wie z.B. in unserem Fall die des Genitivartikels).

Ist nun diese elliptische Form oder die vollständige Form häufiger, und wann wird welche Form gebraucht? Kommen sie in unterschiedlichen Textsorten vor? Gibt es regionale Unterschiede?

Allgemeine Häufigkeiten

Bei einer Recherche im Archiv W der Korpora geschriebener Sprache des IDS zeigen sich Unterschiede in der Verwendungshäufigkeit. Wie folgende Zahlen zeigen, kommt die elliptische Form in der gegenwärtigen Presse wesentlich häufiger vor als die vollständige Form:

SuchanfrageBelege
vollständige Form4053
Ellipse5120

Archiv W, Recherche vom 09. Mai 2011

Bei der Suchanfrage für die vollständige Form wurde nach dem Wort Paragraph bzw. Paragraf bzw. dem Zeichen §, gefolgt von einer beliebigen Zahl, gefolgt von der oder des, gefolgt von maximal einem anderen Wort, gefolgt von einem Kompositum mit dem Grundwort-ordnung oder -gesetz/es oder -buch/es gesucht oder aber (anstatt des Kompositums) nach den Abkürzungen BGB oder StGB. Bei der Suchanfrage für die elliptische Form wurde entsprechend der bzw. des weggelassen.

Beispiele für die elliptische Form:

Die Talstation liegt im Überschwemmungsgebiet und dort darf nach Paragraf 88 Landeswassergesetz nicht gebaut werden.
[Rhein-Zeitung, 05.02.2010; "Reale Risiken für Anlieger"]
Da selten eine Wohnung der anderen gleicht und mit einem Verstoß gegen § 5 Wirtschaftsstrafgesetz auch ein Bußgeld gegen den Vermieter verhängt werden kann, sind sorgfältige Berechnungen notwendig.
[Berliner Zeitung, 17.03.2001; RECHT (S. 41)]

Beispiele für die vollständige Form:

Vor allem, wenn es – wie in dieser Saison – mal ein oder zwei Winter nicht geschneit hat, ist der Paragraph 3 der "Verordnung über Art, Maß und räumliche Ausdehnung der Straßenreinigung der Samtgemeinde Isenbüttel" offensichtlich bei manchen Einwohnern etwas verblasst.
[Braunschweiger Zeitung, 20.01.2009; Einen Meter breit soll die Gasse sein]
Im Fall der jüngst abgeholzten Hecke im Lüneburger Ring bahnt sich Ungemach an. Nach dem WN-Exklusivbericht meldete sich Christoph Stein vom BUND zu Wort. Er verwies darauf, dass es laut Paragraph 35 des niedersächsischen Naturschutzgesetzes verboten sei „wildlebende Tiere unnötig zu beunruhigen, zu fangen, zu verletzen oder zu töten“.
[Braunschweiger Zeitung, 24.04.2009; Zoff um abgeholzte Hecke]

Regionale Unterschiede

Ein Blick auf die Verteilung der Formen auf die deutschsprachigen Länder verrät deutliche Unterschiede:

SuchanfrageDeutschlandÖsterreichSchweiz
vollständige Form350151933
Ellipse3776133113

Archiv W, Recherche vom 09. Mai 2011

Ein Chi-Quadrat-Test für den Vergleich aller drei Länder untereinander ergab, dass es sich hierbei nicht um eine zufällige Verteilung handelt, sondern dass die Unterschiede signifikant (p<0,004) sind.

Während in Texten aus Deutschland nur geringfügig mehr elliptische als vollständige Formen verwendet werden, wird die Ellipse in österreichischen Texten wesentlich häufiger verwendet und kommt mehr als doppelt so häufig vor als die Vollform. In den Schweizer Texten hingegen ist die vollständige Form mit Genitivartikel häufiger - hier konnten annähernd dreimal mehr vollständige als elliptische Formen gefunden werden.

Juristische Texte

Das Archiv W der Korpora geschriebener Sprache des IDS enthält hauptsächlich Zeitungstexte, fachsprachliche Texte aus dem juristischen Bereich sind unterrepräsentiert. Daher wurde zur Untersuchung der Textsorte auf online verfügbare Gesetzessammlungen, Verordnungen und Rechtsbelehrungen zurückgegeriffen.

Bei einer Rechereche in der Lexetius-Datenbank für höchstrichterliche Rechtsprechungen zeigten sich vor allem folgende Tendenzen:

  • Zunächst einmal fiel auf, dass das Wort Paragraph/Paragraf insgesamt gesehen kaum ausgeschrieben wird, sondern meist durch das §-Zeichen ersetzt wird.
  • In Rechtsprechungen des Europäischen Gerichtshofs finden sich fast ausschließlich vollständige Formen. Des Weiteren wird hier entgegen der allgemeinen Tendenz überwiegend das Wort Paragraph und nicht das §-Zeichen verwendet. Viele dieser Rechtspruchungen behandeln allerdings auch nicht das deutsche Recht, sondern europäisches Recht oder das Recht eines anderen EU-Mitgliedslandes.
  • In Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichts oder eines anderen hohen deutschen Gerichts (z.B. des Bundesarbeitsgerichts oder Bundesfinanzhofs) wird überwiegend das §-Zeichen verwendet, anschließend wird meist elliptisch weitergeführt.
  • Wenn das jeweilige Gesetz erstmalig genannt wird, wird nach Verwendung des Wortes Paragraph/Paragraf oder des §-Zeichens meist mit der vollständigen Form weitergeführt. Jede weitere Nennung erfolgt dann für gewöhnlich elliptisch.

Ein Beispiel für den letztgenannten Punkt ist z.B.:

"Die Klägerin beantragte u. a. für die im Kalenderjahr 2000 an diesem Gebäude durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen eine Investitionszulage nach § 3 Abs. 1 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1999.
[...]
Der Gesetzgeber habe, wie sich aus der Überschrift des § 3 InvZulG 1999 und den Gesetzesmaterialien ergebe, Mietwohnungen fördern wollen."
[BFH, Urteil vom 15. 12. 2005 - III R 27/ 05; FG des Landes Brandenburg (Lexetius.com/2005,3675)]

Diese Tendenzen scheinen sich durch weitere Recherchen zu bestätigen, wie z.B. in der Datenbank des Rechtsportals juris. Interessant ist hier schon alleine die Suche nach den Wörtern Paragraph bzw. Paragraf bzw. dem §-Zeichen:

SuchwortBelegeProzent
Paragraph/Paragraf14 6830,6%
§ 2 575 953 99,4%

"juris", Recherche vom 26. Mai 2011

http://www.gesetze-im-internet.de/
"Das Bundesministerium der Justiz stellt in einem gemeinsamen Projekt mit der juris GmbH für interessierte Bürgerinnen und Bürger nahezu das gesamte aktuelle Bundesrecht kostenlos im Internet bereit. Die Gesetze und Rechtsverordnungen können in ihrer geltenden Fassung abgerufen werden. Sie werden durch die Dokumentationsstelle im Bundesamt für Justiz fortlaufend konsolidiert." (Stand: 26. Mai 2011).

http://lexetius.com/
"Die Datenbank für höchstrichterliche Rechtsprechungen" enthält Rechtsprechungen des Europäischen Gerichtshofs, des Bundesverfassungsgerichts, des Bundesfinanzhofs oder z.B. des Bundesarbeitsgerichts. (Stand: 26. Mai 2011).

http://www.juris.de/jportal/index.jsp
Das Rechtsportal juris ermöglicht die Suche nach "Entscheidungen, Normen, Kommentaren und Zeitschriften" aus dem juristischen Bereich. (Stand: 26. Mai 2011).

Führt man die gleiche Recherche in den Korpora geschriebener Sprache des IDS durch, stößt man auf deutliche Unterschiede:

SuchwortBelegeProzent
Paragraph/Paragraf22 25042,4%
§30 20257,6%

Archiv W, Recherche vom 31. Mai 2011

Zwar wird auch hier das Wort Paragraph häufig nicht ausgeschrieben, sondern mit dem §-Zeichen dargestellt, allerdings sprechen die mehr als 2,5 Mio. Verwendungen des §-Zeichens in juristischen Texten für sich.

Sonstiges

Die Verwendung des §-Zeichens bzw. des ausgeschriebenen Wortes Paragraph/Paragraf hat Einfluss darauf, wie anschließend weitergeführt wird: Wird das Wort Paragraph ausgeschrieben, folgt deutlich häufiger eine vollständige Version der Konstruktion. Wird dagegen das §-Zeichen verwendet, folgt ebenso deutlich häufiger die elliptische Version, wie die folgende Verteilung zeigt:

SuchanfrageProzent
Paragraph/Paragraf + vollständige Form71,6%
Paragrapf/Paragraf + Ellipse28,4%
§ + vollständige Form24,5%
§ + Ellipse75,5%

Archiv W, Recherche vom 09. Mai 2011

Wegen drohender Zahlungsunfähigkeit werden die Nordhorner nach Paragraf 18 der Insolvenzordnung an diesem Montag beim Amtsgericht Nordhorn Insolvenz anmelden.
[Braunschweiger Zeitung, 16.02.2009]
Aber auch nach §168 Strafgesetzbuch gibt es Unklarheiten: Demnach ist das Veranstalten oder Fördern von Glücksspielen gegen Entgelt untersagt.
[Niederösterreichische Nachrichten, 26.01.2009, S. 14]

Unterschiede finden sich jedoch nicht nur bei der Verwendung des Genitivartikels, sondern auch, bezogen auf die Gesetze, zwischen dem ausgeschriebenen Wort Paragraph/Paragraf und dem §-Zeichen: Wenn der Gesetzesname abgekürzt wird (StVO, BGB, UrhG, etc.), geschieht dies bei Weitem häufiger nach dem §-Zeichen.

Hauseigentümer, die dem Gesetz nicht folgen, droht ein Bußgeld von bis zu 50000 und nach § 823 BGB eine zivilrechtliche Schadenersatzklage.
[Hamburger Morgenpost, 28.01.2009, Beilage S. 6]
Ähnlich wie beim § 167 StGB, sogenannte tätige Reue, wird dabei auf die Freiwilligkeit des Täters abgestellt, dass dieser rechtzeitig den angerichteten Schaden wieder gut macht.
[Niederösterreichische Nachrichten, 18.02.2010; Schwarzgeld ]

Folgen auf das Wort Paragraph/Paragraf oder das §-Zeichen weitere Angaben, z.B. Absatz (Nr.), Satz (Nr.), wird meist (in 89% aller Fälle) elliptisch weitergeführt. Das bedeutet, je genauer die Angaben zum Paragraphen sind, desto häufiger befinden sich in derselben Konstruktion Ellipsen, wie das folgende Beispiel illustriert:

Nach Paragraf 558 Absatz 1 Satz 1 BGB kann der Vermieter lediglich die Zustimmung zur Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen.
[Braunschweiger Zeitung, 24.03.2009; Müssen Mieter für Renovierung zahlen?]

In juristischen Fachtexten zeigen sich ähnliche Tendenzen.

Fazit: Wie sollte man mit dem (fehlenden) Genitivartikel umgehen?

Grundsätzlich deutet die Verwendung des §-Zeichen auf eine allgemein zur Kürzung tendierende Version hin, weswegen hier ohne Bedenken elliptisch fortgesetzt werden kann. Die Tendenz zur Kürzung wird stärker, je genauer die Angaben zum jeweiligen Paragraphen sind (Absatz, Satz). In diesen Fällen werden die Genitivkennzeichen aus Gründen der Sprachökonomie weggelassen.

Schreibt man das Wort Paragraph/Paragraf hingegen aus und folgen keine weiteren Angaben, ist man auf der Seite der Mehrheit, wenn man den Satz in der vollständigen Version mit Genitivartikel und ausgeschriebenem Gesetzesnamen weiterfüht.

In juristischen Texten werden sowohl das §-Zeichen als auch die elliptische Form weitaus häufiger verwendet als in allgemeinsprachlichen Texten. Nur die erste Nennung eines Gesetzes erfolgt dort für gewöhnlich in der vollständigen Form, jede weitere Nennung aus Gründen der Sprachökonomie in Form einer Ellipse.

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Autor(en)
Ulrike Stölzel
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