Manchmal mag man sich nicht damit begnügen, einfach festzustellen, etwas komme nicht in Frage oder träfe nicht zu. Zu abwegig oder zu unverfroren scheint bereits die bloße Anmutung, es könnte doch so sein. Um seiner Entrüstung Ausdruck zu verleihen, kann man dann zu Formulierungen greifen wie gar nicht, überhaupt nicht, nicht im Geringsten, auf keinerlei Weise. Scheint auch dies nicht eindeutig genug, sucht mancher, auch noch den Ausdruck der Negation selbst zu steigern:
Besorgte Zeitgenossen betrachten solche Ausdrucksformen als "Verhunzung" der deutschen Sprache, doch die immerhin 1.170 Belege für derartige Formulierungen, die sich am 02.08.2006 in den IDS-Textkorpora zur geschriebenen Sprache (DeReKo) fanden, sind entschieden zu viele, als dass man sie als einfache Fehler abtun sollte, nicht zu sprechen von den weit über 1,2 Millionen Fundstellen, die Google am selben Tag auswies. Eine Nachuntersuchung im Februar 2024 in einem mittlerweile deutlich umfangreicheren DeReKo fand übrigens bereits 21.469 Korpusbelege (die Zunahme entspricht prozentual in etwa dem Korpuswachstum) und über 3 Millionen Web-Fundstellen (über die Entwicklung der Google-Datenbasis kann bestenfalls gemutmaßt werden; vgl. Wie kommt man zu empirischen Aussagen?).
Für Grammatiker scheint der Fall klar: Kein- erlaubt keinerlei Steigerung, denn kein- ist ein Artikelwort (Quantifikativ-Artikel) und Artikelwörter können im Deutschen prinzipiell nicht gesteigert werden, schließlich sagt man ja auch nicht auf dieseste Weise oder in jenester Form. Aber ganz so einfach lässt sich die ungeliebte Erscheinung nicht als Missgriff abtun. Bei nüchterner Betrachtung der Suchergebnisse zeigt sich vor allem dies:
Ein empirischer Abgleich mit dem Orthografischen Kernkorpus untermauert diese Aussage in zweierlei Hinsicht: Die relativen Frequenzen von keinster (incl. Formen wie keinste oder keinsten) bewegen sich im Zeitraum zwischen 1995 und 2020 auf vergleichsweise niedrigem Niveau ohne bemerkenswerte Schwankungen. Weiterhin wird deutlich, dass sie beinahe ausschließlich in der Redewendung (linguistisch: Phraseolexem) in keinster Weise auftreten. Die spärlichen Ausnahmen finden sich häufig in Online-Diskussionsforen:
Die Korpusabfragen waren:
keinst = [orth="keinste.*"]
in keinster Weise = [orth="(i|I)n"] [orth="keinster"] [orth="Weise"]
Farbig gefüllte Bereiche visualisieren Konfidenzintervalle, in denen die jeweiligen Werte mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% liegen. Konfidenzintervalle sind statistische Maße zur Absicherung des Schließens von einer Stichprobe (hier: Korpuszählung) auf die Grundgesamtheit (hier: allgemeines Sprachverhalten).
So gesehen gehört in keinster Weise in eine Reihe mit Ausdrücken wie nicht die Bohne, überhaupt nicht, nicht ums Verrecken oder im Leben nicht, die alle dazu dienen, eine Zurückweisung drastisch zu gestalten, ohne damit die Zurückweisung als solche in irgendeiner Weise zu steigern. Zu einem allgemein gebräuchlichen Mittel der Intensivierung hat sich keinst- bis heute nicht entwickelt.