In keinster Weise — Lassen sich Quantifikationsartikel steigern?

Manchmal mag man sich nicht damit begnügen, einfach festzustellen, etwas komme nicht in Frage oder träfe nicht zu. Zu abwegig oder zu unverfroren scheint bereits die bloße Anmutung, es könnte doch so sein. Um seiner Entrüstung Ausdruck zu verleihen, kann man dann zu Formulierungen greifen wie gar nicht, überhaupt nicht, nicht im Geringsten, auf keinerlei Weise. Scheint auch dies nicht eindeutig genug, sucht mancher, auch noch den Ausdruck der Negation selbst zu steigern:

Biowaren aus dem Supermarkt sind jedenfalls keine Alternative, eher Kuckuckseier, die in keinster Weise den Kriterien der Bioproduzenten verpflichtet sind. (die tageszeitung, 19.12.1987, S. 8)
Und ich häng' hier rum, verlier' meine Zeit, und das bedient mich in keinster Weise. (Udo Lindenberg, "Ich sitz' den ganzen Tag bei den Docks" (1978), zitiert nach: songkorpus.de)
Seine Gedanken sind komplex und vielschichtig und in keinster Art und Weise faschistisch oder gewaltbefürwortend! (die tageszeitung, 07.05.1994, S. 48)
Bei einem Vergleich dieser beiden Generationen werden meistens die völlig differenten Lebensumstände und Möglichkeiten in keinster Form berücksichtigt. (die tageszeitung, 03.12.1997, S. 14)
Ich will das in keinster Form idealisieren, weil dazu auch die Selbstausbeutung und selbst die Ausbeutung von Minderjährigen gehört. (die tageszeitung, 31.03.2001, S. 25)
"Wir hatten keine Chance", wusste Vogts, "in keinster Phase." (die tageszeitung, 02.04.2001, S. 16)
Gerade deshalb, weil keinerlei Punkte für die vorgetragenen Stücke vergeben wurden, war die Stimmung in keinster Art und Weise von grosser Nervosität, Anspannung oder Konkurrenzdenken geprägt. (St. Galler Tagblatt, 05.05.1997, "«Mega-Party» und friedlicher Wettstreit")
Die hohe Ehre schließt übrigens streckenerhaltende Maßnahmen in keinster Hinsicht aus. (Die Presse, 08.01.2000, "Leserbriefe: Aus für Weltkulturerbe?")
In einzelnen Punkten wäre zwar eine Ausnahme möglich, in dieser massiven Form habe das Vorhaben jedoch "keinste Aussicht auf Erfolg". (Mannheimer Morgen, 30.01.2001, "Kein Bauplatz")

Besorgte Zeitgenossen betrachten solche Ausdrucksformen als "Verhunzung" der deutschen Sprache, doch die immerhin 1.170 Belege für derartige Formulierungen, die sich am 02.08.2006 in den IDS-Textkorpora zur geschriebenen Sprache (DeReKo) fanden, sind entschieden zu viele, als dass man sie als einfache Fehler abtun sollte, nicht zu sprechen von den weit über 1,2 Millionen Fundstellen, die Google am selben Tag auswies. Eine Nachuntersuchung im Februar 2024 in einem mittlerweile deutlich umfangreicheren DeReKo fand übrigens bereits 21.469 Korpusbelege (die Zunahme entspricht prozentual in etwa dem Korpuswachstum) und über 3 Millionen Web-Fundstellen (über die Entwicklung der Google-Datenbasis kann bestenfalls gemutmaßt werden; vgl. Wie kommt man zu empirischen Aussagen?).

Für Grammatiker scheint der Fall klar: Kein- erlaubt keinerlei Steigerung, denn kein- ist ein Artikelwort (Quantifikativ-Artikel) und Artikelwörter können im Deutschen prinzipiell nicht gesteigert werden, schließlich sagt man ja auch nicht auf dieseste Weise oder in jenester Form. Aber ganz so einfach lässt sich die ungeliebte Erscheinung nicht als Missgriff abtun. Bei nüchterner Betrachtung der Suchergebnisse zeigt sich vor allem dies:

  1. Anders als etwa bei einzigst-, vollkommenst- oder optimalst- handelt es sich bei keinst- nicht um eine produktive Wortform, die mit nahezu beliebigen Nomina kombiniert werden könnte: In den o.g. 1.170 Belegen für keinst- findet sich 1.153 mal keinste(r) Weise (98,55%), 4 mal keinste(r) Art und Weise (0,34%), 6 mal keinste(r) Form (0,51%), 2 mal keinste(r) Phase (0,17%), je 1 mal keinste(r) Aussicht und Hinsicht (0,08%).

Ein empirischer Abgleich mit dem Orthografischen Kernkorpus untermauert diese Aussage in zweierlei Hinsicht: Die relativen Frequenzen von keinster (incl. Formen wie keinste oder keinsten) bewegen sich im Zeitraum zwischen 1995 und 2020 auf vergleichsweise niedrigem Niveau ohne bemerkenswerte Schwankungen. Weiterhin wird deutlich, dass sie beinahe ausschließlich in der Redewendung (linguistisch: Phraseolexem) in keinster Weise auftreten. Die spärlichen Ausnahmen finden sich häufig in Online-Diskussionsforen:

Sowas kann man beim Karneval auf den Straßen bringen wenn alle hackedickt sind und keine Kamera mitläuft aber auf keinsten Fall Freitag Abend zur Primetime bei mehr als geschätzen 4 Mio Zuschauern. (Artikeldiskussion: Hans Blomberg, In: Wikipedia 2017)
Das gehört auf keinsten in einen Lexikonartikel. (Artikeldiskussion: Johannes Paul II./Archiv/1, In: Wikipedia 2017)

Die Korpusabfragen waren:
keinst = [orth="keinste.*"]
in keinster Weise = [orth="(i|I)n"] [orth="keinster"] [orth="Weise"]

Farbig gefüllte Bereiche visualisieren Konfidenzintervalle, in denen die jeweiligen Werte mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% liegen. Konfidenzintervalle sind statistische Maße zur Absicherung des Schließens von einer Stichprobe (hier: Korpuszählung) auf die Grundgesamtheit (hier: allgemeines Sprachverhalten).

  1. Anders auch als bei den genannten intensivierten Superlativen (mit tausenden Belegen für keinst-) finden sich so gut wie keine entsprechenden Komparativformen. Und von diesen wenigen (= eine niedrige zweistelle Zahl) Fundstellen in den Textkorpora erweisen sich bei näherer Betrachtung viele als reine Schreibfehler (keinere statt kleinere).
Man kann deshalb wohl festhalten, dass es sich um eine zur Redewendung gewordenene sprachliche Spielerei handelt, die darauf abzielt, eine Vermutung oder auch eine Zumutung besonders eindeutig zurückzuweisen.

So gesehen gehört in keinster Weise in eine Reihe mit Ausdrücken wie nicht die Bohne, überhaupt nicht, nicht ums Verrecken oder im Leben nicht, die alle dazu dienen, eine Zurückweisung drastisch zu gestalten, ohne damit die Zurückweisung als solche in irgendeiner Weise zu steigern. Zu einem allgemein gebräuchlichen Mittel der Intensivierung hat sich keinst- bis heute nicht entwickelt.

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Roman Schneider
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