Röntgen, morsen, kneippen — Wie häufig sind Verben aus Eigennamen?

Was z.B. heißt kinkeln?
Ist es nur eine nicht so heisere Form von genschern
oder unter südwestlicher Scheinbiederkeit verpackte Superhärte?
Klosen, hat uns die letzte Zeit gelehrt,
ist das charaktervolle Beharren eines Stückchens Butter auf einer heißen Kartoffel,
und über die Bedeutung von "schwätzern" blieben auch keine Zweifel offen.

[die tageszeitung, 29.05.1992, S. 28]

Ein Leserbrief an die FAZ (1995) korrigiert die offenbar verbreitete Annahme, dass Verben aus Personeneigennamen, z.B. röntgen, extrem selten seien: "Ihrem Autor muss ich widersprechen, wenn er meint, dass die Verbalisierung des Nachnamens 'Röntgen' einmalig in der deutschen Sprachgeschichte sei. Hierfür gibt es genügend andere Beispiele, angefangen bei Charles Cunningham Boycott (boykottieren), Christian J. Doppler, Grundlage der Dopplersonographie (dopplern), über Gregor Mendel (mendeln oder ausmendeln = Erbgesetze) bis hin zu Charles D. Dotter (dottern) als Synonym für die Angioplastie."

Vor allem fachsprachlich etabliert sind außerdem:

  • fletschern 'gründlich kauen' (nach dem amerikanischen Laienmediziner Fletcher)
  • galvanisieren 'durch Elektrolyse mit einer dünnen Metallschicht überziehen' (nach dem italienischen Anatom Galvani)
  • lumbecken 'ohne Fadenheftung als Buch binden' (nach dem deutschen Erfinder Lumbeck)
  • lynchen (nach dem amerikanischen Richter Lynch)
  • mensendiecken 'eine bestimmte Art von Gymnastik betreiben' (nach der niederländisch-amerikanischen Gymnastiklehrerin Mensendieck)
  • Baumwolle merzerisieren 'mit einem bestimmten Verfahren Baumwolle seidenglänzend machen' (nach dem englischen Industriellen Mercer)
  • morsen (nach dem amerikanischen Erfinder Morse)
  • pasteurisieren (nach dem französischen Chemiker Pasteur)

Zum Teil sind diese Verben international gebräuchlich: frz. galvaniser, engl. to morse, ital. pastorizzare, port. mercerizar, finn. lynkata. Wer sie zuerst gebildet hat, ist nicht immer feststellbar; meist ist wohl die Sprache des Namengebers die erstbildende.

Allgemeinsprachlich etabliert sind vor allem einige wohl im Deutschen gebildete Verben:

  • kneippen 'kuren, eine Kneippkur machen' (nach dem heilkundigen Pfarrer Kneipp)
  • fuggern '(mit etwas) handeln'
Und viele singen mit leerem Magen, und nur, wer was zu fuggern hat, der hat auch was zu futtern.
(Mannheimer Morgen, 20.12.1995)
  • fringsen (nach dem Kölner Kardinal Frings, der den Überlebensdiebstahl der Nachkriegszeit rechtfertigte)
[...] fringsen stand fortan für die abgesegnete, illegale Beschaffung von Lebensmitteln und Heizmaterial.
(Anderson 1997, S. 22)

Morphologische Gesichtspunkte

Morphologisch gesehen entstehen Verben im Deutschen vor allem durch explizite Derivation, d.h. durch Ableitung mit Wortbildungsaffixen wie ver- und -el, z.B. vergolden und hüsteln, häufig auch durch Konversion, d.h. durch einen Wortartwechsel ohne morphologische Veränderungen, z.B. beim Verbstamm fisch- aus Fisch. Auch aus Eigennamen werden Verben nach diesen beiden Bildungsarten gebildet:

  • Einerseits durch explizite Derivation:
Die politische Diskussionskultur in diesem Lande ist durch und durch verhaidert, und den Fernsehzuschauern scheint es zu gefallen.
[Die Presse, 24.06.2000]
Nein, an einen Schauspieler als Direktor denkt der Kunstkanzler nicht. "Das Burgtheater soll nicht verbrandauern".
[Die Zeit, 14.03.1997, S. 63]
Ehre, wem Ehre gebührt - Es straußelt [...] Endlich sollte der verblichene Landesvater FJS im fernen Preußen zu Ehren kommen.
[die tageszeitung, 15.09.1993, S. 17]
Vor 200 Jahren wurde Heinrich Heine geboren. Da heinelt es natürlich schon seit geraumer Zeit durch ganz Hamburg.
[die tageszeitung, 09.12.1997, S. 23]
  • Andererseits durch Konversion:
Seht den Dichter, hymnisch spricht er plötzlich Verse zart und kindlich, das Timbre flackert unergründlich, reiht Worte, die das Herz bewegen, sich quasi pflanzlich keimend regen. Es goethet, hölderlint und trakelt, aus Mutter Erde wird orakelt.
[die tageszeitung, 15.06.2000, S. 28]
In Wilmersdorf bismarckt es ohnehin zu sehr, da die ganze Familie Bismarck schon Straßennamen ziere.
[die tageszeitung, 20.05.1996, S. 24]
Et voilà: Redakteur Rudolf Augstein (Name von der Redaktion geändert) feiert nackt und chiract den französischen Revolutionstag auf dem Dach der taz in der Kochstraße.
[ die tageszeitung, 24.11.2001, S. VII]
Mit der Lyrik bin ich [...] höchst unzufrieden: das majakowskit, dass einem die Haare zu Berge stehen.
[Reimann, 1997, S. 165]
... nurejewte ich über die Vortreppe.
[Barnes 2003, S. 52]

Morphologische Besonderheiten sind Verben, die aus dem Vor- und Zunamen einer Person konvertiert werden:

Da thomasmannt er dann vom 'sogenannten Leben' wie eben jener, der es auch sein Lebtag nicht geschafft hat, das Wörtchen 'Leben' ohne Gänsefüßchen zu Papier zu bringen
[die tageszeitung, 10.03.1993, S. 12]
die heinermüllernde Schulbubenfantasie
[die tageszeitung, 05.08.1996, S. 14].

Beide Namen werden wohl aus Gründen der Klarheit angegeben: Die Fantasie, die nur müllert, oder das nur gemannte Leben wären viel zu ungefähr.

Semantische Gesichtspunkte

Semantisch gesehen sind viele konvertierte Verben mit Eigennamenbasis Vergleichsbildungen. Mit konvertierten Verben wie stoibern, brahmsen, möllemannen, poppern, thomasmannen, wagnern soll also ausgedrückt werden, dass sich jemand verhält, dass jemand aussieht, spricht, schreibt, denkt wie x. Die zweite größere Gruppe konvertierter Verben bezeichnet die Durchführung eines Verfahrens oder Handelns nach den Methoden und Ideen von x (fringsen, morsen, röntgen):

Schon Martin Heidegger untersagte bekanntlich, dass in seinen Seminaren geheideggert würde. Man solle auch nicht poppern, benjaminisieren, ardonölen und blumbergern - kurz: seinen Lehrern nicht in den Sprachstapfen folgen.
[Süddeutsche Zeitung, 3./4.12.1994]
Wenn Schröder stoibert und Stoiber schrödert, stellt sich natürlich das philosophische Problem, wo der alternativlose Punkt ist, von dem aus wir erkennen, dass es keine Alternative gibt.
[Die Zeit, 17.01.2002, S. 40:]

Bei den mit Wortbildungsaffix abgeleiteten Verben aus Eigennamen steuert das Affix die Bedeutung: So wird mit verhaidern analog zu Verben wie versumpfen ein Vorgang ausgedrückt, bei dem etwas ganz und gar von Haider und seinen Ideen beeeinflusst wird, etwas ganz und gar zum Produkt Haiders wird.

Die Verständlichkeit all dieser Verben wird durch zwei Faktoren bestimmt: Viele der Verben aus Eigennamen, vor allem solche, die wie röntgen Tätigkeiten nach bestimmten Methoden bezeichnen, sind etabliert; bei diesen Verben spielt es für das Verständnis keine Rolle, ob die Person, die in der Basis genannt wird, bekannt ist oder nicht; die Verben werden einfach gelernt und können bei Nichtwissen in Wörterbüchern und Enzyklopädien nachgeschlagen werden. Dagegen hängt bei okkasionellen Bildungen wie er konopkat die Verständlichkeit von den speziellen Kenntnissen des Hörerlesers ab. Es ist kein Zufall, dass sich solche Verben überwiegend in der gesprochenen Kommunikation oder in den tagesaktuellen Printmedien finden. Relativ zeitlos dagegen sind okkasionelle Verben wie goethen, deren Basis eine Person bezeichnet, die jedem traditionell Gebildeten geläufig ist. Natürlich trägt auch der engere oder weitere Kontext zur Verständlichkeit bei: Ist z.B. gerade eben von Atze Kulicke die Rede, kann problemlos das Verb kulicken analysiert werden.

Fazit

Abschließend ist jedenfalls festzustellen, dass Verben aus Eigennamen gebräuchlich und allgemein akzeptiert sind. Gelegentlich haben Neubildungen wie gaucken sogar eine Chance, sich zumindest für einige Zeit im allgemeinen Wortschatz zu etablieren. Auch nutzen offenbar nicht nur professionelle Schreiber die Möglichkeit, aus Eigennamen Verben abzuleiten. Besonders die professionell Schreibenden kreieren Bonmots wie das auf schwätzen anspielende Verb schwätzern (nach der Politikerin Adam-Schwätzer) oder töpfern (nach dem Umweltminister Töpfer). So auch:

Die SED krenzt Honecker aus - Letztes Aufgebot gegen DDR-Protest - Das ZK der SED schickt Honecker in Pension und Egon Krenz an die Partei- und Staatsspitze.
[die tageszeitung, 19.10.1989, S. 1]
Aber haben wir unter Rot-Grün nicht schon genug "Reformen" erlitten? Oder gehen uns die sozialen Einschnitte nicht schnell und tief genug? Wer sich gestern noch über Riester-, Rürup- und Hartz-Reformen echauffiert hat, wird bald merkeln, dass diese Reformen trotz aller handwerklichen Mängel doch noch eine kleine soziale Komponente in sich trugen.
[die tageszeitung 1.6.2005, S. 22]

Weiterführende Literatur: Donalies 2000, Wengeler 2000

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Autor(en)
Elke Donalies
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