Wer hier in Zweifel gerät, braucht sich nicht lang zu grämen, denn er ist an einen der seltenen Zweifelsfälle geraten, in dem Grammatiken und Sprachberater sich ungewöhnlich liberal zeigen: Ob jemand oder jemanden, ob jemand oder jemandem, beides wird oft als gleichermaßen korrekt betrachtet.
Tatsächlich lassen sich denn auch für alle Formen Belege finden:
So völlig unbesorgt sollte man dieser pauschalen Betrachtung allerdings nicht folgen, wenn man mehr in Erfahrung bringen will, als nur eben das, was einen grobe Fehler vermeiden lässt. Sucht man den Sprachgebrauch genauer zu erfassen, zeigen sich nämlich bemerkenswerte Unterschiede im Umgang mit den vermeintlich alternativen Formen, Unterschiede, die nicht vernachlässigt werden sollten, wenn man vermeiden will, sich ungewollt in auffälliger Weise zu äußern.
Da der Sprachgebrauch nicht einfach in der Anwendung rechtsverbindlicher Regeln besteht, lässt er sich nicht ohne Weiteres fassen. Man muss sich an das halten, was die Sprachbenutzer an Texten hervorbringen und hervorgebracht haben, und da dies bekanntermaßen unüberschaubar viel ist, wird man sich mit einer größeren Auswahl begnügen müssen, die als einigermaßen repräsentativ gelten kann.
Die Textkorpora des Instituts für Deutsche Sprache (IDS) geben für eine Untersuchung des einschlägigen Sprachgebrauchs eine brauchbare Datenbasis ab. Beim ersten Schritt, der Erstellung eines geeigneten Teilkorpus, kann man sich auf das Recherchesystem COSMAS stützen. Man gibt als Suchbegriffe die Wortformen jemand, jemandem, jemanden, niemand, niemandem, niemanden ein und findet über 743.000 Textstellen, an denen eine dieser Formen auftritt. Im Einzelnen (Ende Juli 2010):
jemand | 216.248 |
jemandem | 16.832 |
jemanden | 43.178 |
niemand | 390.369 |
niemandem | 30.246 |
niemanden | 46.228 |
Man erkennt sofort ein deutliches Übergewicht der Formen jemand und niemand, doch besagt soweit noch wenig, da es sich dabei auch – und weit überwiegend, wie exemplarische Analysen zeigen – um unproblematische Nominativformen handeln kann. Von Interesse sind ausschließlich jene Verwendungen von jemand und niemand, die an Positionen auftreten, an denen Dativ- oder Akkusativformen zu erwarten sind, also etwa Fälle wie diese:
So leicht es fällt, passende Beispiele zu konstruieren, so schwierig gestaltet es sich, entsprechende Fälle unter den über 600.000 gefundenen Textstellen für jemand und niemand aufzuspüren. Um nicht alles manuell durchsuchen zu müssen, ist die Datenbasis auf vertretbare Weise weiter zu reduzieren. Wie weit die Reduktion jeweils gehen muss, hängt dabei entscheidend von den Kontexten ab, in denen jemand- und niemand- auftreten. Dabei lassen sich im Wesentlichen diese Kontexte unterscheiden:
Im Fall von (a) lässt sich vergleichsweise einfach und auf beachtlicher Datenbasis festzustellen, wie häufig welche Formen verwendet wurden und werden, da hier nach Präpositionen mit unmittelbar nachfolgendem jemand- bzw. niemand- gesucht werden kann. Hier, was sich dazu auf der Grundlage aller Korpora des Instituts für Deutsche Sprache zu geschriebener Sprache feststellen ließ:
jemand/niemand | jemanden/niemanden | jemandem/jemandem |
4.268 | 10.729 | 14.175 |
Berücksichtigt wurden dabei die Präpositionen an, auf, aus, bei, durch, für, gegen, hinter, in, mit, nach, ohne, über, um, unter, von, zu.
Exemplarisch nach den Präpositionen an, bei, durch, für, gegen, mit, von, zu:
Präposition | jemand/niemand | jemanden/niemanden | jemandem/niemandem |
an | 248 | 509 | 136 |
bei | 80 | 36 | 509 |
durch | 42 | 136 | — |
für | 449 | 2342 | 16 |
gegen | 104 | 531 | — |
mit | 539 | 326 | 3971 |
von | 956 | 417 | 6137 |
zu | 91 | 29 | 296 |
Die markierten Angaben stehen für Werte, die insofern überraschen, als die entsprechenden Formen in Grammatiken und Lehrwerken durchgängig als inkorrekt gewertet werden. Bemerkenswert ist dabei, dass weit häufiger abweichende Verwendungen von Akkusativformen anstelle von Dativformen zu beoachten sind als umgekehrt Verwendungen von Dativformen anstelle von Akkusativformen.
Insgesamt zeigt sich ein deutliches Übergewicht der Formen mit den jeweiligen Kasus-Endungen. Man kann deshalb feststellen, dass man als Schreiber nie daneben liegt, wenn man diese Formen wählt. Auf mündliche Äußerungen, insbesondere solche in informellen Kontexten, lässt sich dies jedoch nicht einfach übertragen. In Alltagsgesprächen wirken die kasusmarkierten Formen unter Umständen wie ein Festtagsanzug auf dem Wochenmarkt.
Fall (b) stellt für Grammatiker insofern ein Problem dar, als dabei der syntaktische Status der Komponenten nicht recht klar ist.
Einige Beispiele :
Hinsichtlich der Form von jemand- bzw. niemand- fällt die Antwort so aus: Bei exemplarischen Suchen fanden sich
Da kaum davon auszugehen ist, dass diese Prozentsätze bei Untersuchungen mündlicher Rede geringer ausfiehlen, kann man hier jemand bzw niemand ohne Einschränkung als Form der Wahl betrachten.
Fall (c) könnte man unter Fall (b) subsummieren, denn bei anderen, anderem handelt es sich aus grammatischer Sicht ebenso um Adjektive wie bei Großem, Bekanntem. Die unterschiedliche Schreibung – anderem klein, Prominentem groß – kann jedoch als deutliches Zeichen dafür gelten, dass hier beides nicht als völlig gleichartig empfunden wird. Was die Formen von jemand- bzw. niemand- betrifft, zeigt sich jedoch kein signifikanter Unterschied zu Fall (b). Auch hier überwiegen bei Weitem – ca. zu 90% – die Formen niemand und jemand. Man kann deshalb festhalten, dass diese Formen in beiden Fällen ohne Einschränkung akzeptabel sind – ohne damit zugleich alle anderen Formen rundweg als fehlerhaft zu werten.
Fall (d) ist insofern besonders problematisch, als sich hier kein Kontext findet, der erlaubt, unter allen Verwendungen von niemand und jemand automatisch jene herauszufiltern, in denen diese in Konkurrenz zu niemanden, jemanden, niemandem oder jemandem stehen. Erst eine rigide Beschränkung durch zufällige Auswahl auf eine noch handhabbare Menge einschlägiger Textstellen erlaubt hier, zu einer Einschätzung des Gebrauchs zu kommen. Was sich dann – nach aufwändiger Durchsicht der Daten – zeigt, ist weit eindeutiger, als man vermuten möchte:
jemanden/niemanden | 96,0 % | jemand/niemand (AKK) | 4,0 % |
jemandem/niemandem | 98,1% | jemand/niemand (DAT) | 1,9 % |
Um für die Zufallsauswahl eine geeignete Textbasis zu bestimmen, in der die bereits betrachteten Fälle (a) – (c) außen vor bleiben, wurde zunächst auf der Grundlage von 200.000 zufällig ausgewählten Belegen ein mit TreeTagger getaggtes Textkorpus (ein Korpus, in dem jedem Wort seine Wortklasse zugeordet wurde) erstellt, das dann mit Mitteln der CorpusWorkBench durchsucht werden konnte. Um zu gewährleisten, dass den Formen von jemand- und niemand- weder eine Präpositon voran gehen noch Formen von ander- folgen, wurde mit dem CQP-Befehl [pos!="APPR"][lemma="jemand|niemand"][word!="anders|anderen|anderem] ein Subkorpus von ~21.000 Belegen erstellt, das dann mittels regulärer Ausdrücke, etwas Phantasie und viel Handarbeit durchforstet werden konnte.
Allerdings sind diese Formen nicht in allen Kontexten gleichermaßen üblich und können bei manchen Verwendungen sogar den Verstehensprozess etwas erschweren: