Neulich habe ich an einer Gockelbraterei einen Stellenaushang gesehen, dessen Anfang so lautete:
Ich bin über diese Verwendung von bestenfalls gestolpert. Ich halte sie für falsch, kann aber irritierenderweise nicht genau sagen, warum. Wenn man geschrieben hätte im besten Fall, klingt das fast genauso, scheint mir aber richtig. Was ist da los?
Die gängigen Wörterbücher helfen uns hier nicht weiter. Die Online-Ausgabe des Grimm kennt das Lemma bestenfalls gar nicht. Wo es doch aufgeführt wird, zeigen die Bedeutungsangaben der Wörterbücher keinen Fehler in der oben abgedruckten Formulierung an: Das ebenfalls digital vorliegende Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache z.B. gibt ebenso wie die gedruckte Ausgabe des WdG (S. 562) und das darauf basierende HdG (S. 171) sowie das große Duden-Wörterbuch (S. 562) und das DUW (S. 273) – um nur exemplarisch einige anzuführen – zur Erklärung ganz einfach und ausschließlich die Paraphrase im günstigsten Falle an. Eine kleine Variation liefert der Wahrig: Er hat S. 261 tatsächlich die Konstruktion im besten Fall, die die gleichen Komponenten beinhaltet. Dann würde bestenfalls oben aber problemlos passen (im günstigsten Falle in der Nähe wohnhaft ist völlig verständlich und dürfte die Intention des Schreibers akkurat wiedergeben). Dieser Versuch einer Bedeutungsbeschreibung ist also zu allgemein oder unspezifisch, so er nicht sogar irreführend ist: Es fehlt etwas wesentliches; oder das vorgebliche Substituens, der angebotene Ersatzausdruck weist in eine falsche Richtung.
Betrachten wir also stattdessen Belege aus den Textkorpora des IDS. Sie führen uns auf den Weg zur Begründung, inwiefern die obige Formulierung tatsächlich falsch ist – und wie eine Bedeutungsbeschreibung für bestenfalls dementsprechend aussehen müsste.
Wir finden zunächst auch hier Fehler der gleichen Art, die uns aber, wie wir sehen werden, zu einer Lösung des Problems führen, etwa:
(1) | Hier geht es nicht nur um strafbare Sachverhalte in unabsehbarer Fülle,
sondern hier kann die Justiz bestenfalls Teile all des Unrechts und
Leids aufarbeiten, das da angehäuft wurde […]. [Die Presse, 13.1.1992; o.S.] |
Auch hier passt die von den Wörterbüchern angebotene Umschreibung im günstigsten Fall durchaus, aber bestenfalls ist bei dieser nicht nur … sondern-Beziehung fehl am Platze. Des weiteren gibt es natürlich auch Belege, in denen die Verwendung von bestenfallsnicht anstößig ist, wie den folgenden (in dem nun wiederum das und stört, wo eigentlich ein oder hingehört, aber das ist eine andere Baustelle):
(2) | Überlieferungen mittelalterlicher, deutschsprachiger Dichtung sind selten.
Die meisten Texte waren auf Latein, und von den wenigen deutschen wurden die meisten
Kopien zerstört, gingen verschollen und sind bestenfalls noch
fragmentarisch erhalten. [Rhein-Zeitung, 21.2.2008; o.S.] |
Vergleicht man nun diese Funde je mit derselben Formulierung, nur mit im besten Fall statt mit bestenfalls, so ergeben sich daraus Hinweise auf den Unterschied zwischen der Bedeutung von beiden und damit auch auf die spezifische Bedeutung von bestenfalls – und somit auf die Fehlerquelle in unserem Ausgangsbeispiel.
(1') | Hier geht es nicht nur um strafbare Sachverhalte in unabsehbarer Fülle, sondern hier kann die Justiz im besten Fall Teile all des Unrechts und Leids aufarbeiten, das da angehäuft wurde. |
Das scheint von der Bedeutung her in Ordnung, tatsächlich scheint hier etwas wie "im günstigsten Fall" (oder auch "unter den günstigsten möglichen Umständen") gemeint zu sein. Die Gegenüberstellung von (1) und (1') zeigt uns wie schon das Beispiel der Anfrage, dass bestenfalls offenkundig etwas anderes bedeutet als im besten Fall.
Kommen wir noch zu der richtigen Verwendung von bestenfalls in (2).
(2') | Die meisten Kopien wurden zerstört, gingen verschollen oder sind im besten Fall noch fragmentarisch erhalten. |
(2') ist genausogut wie es auch schon (2) war. Unsere Bedeutungsbeschreibung muss auch diese möglichen Überschneidungen des Korrektheitsbereiches erfassen.
Um es kurz zu machen – als den Bedeutungsaspekt, der bestenfalls von im besten Fall unterscheidet, nehmen wir an:
Im besten Fall setzt voraus, dass wir eine Anzahl möglicher (in Frage kommender) und zueinander alternativer "Fälle" pi haben – seien sie durch den Vorkontext explizit gegeben oder aus ihm erschließbar wie in (2), oder mögen sie sich einfach aus Weltwissen usw. ergeben oder sogar extrem vage bleiben –, die sich auf einer gewissen, vorher explizit benannten oder sich durch die genannten Werte wie in (3) oder sogar nur aus dem Äußerungskontext ergebenden Dimension, in einer kommunikativ relevanten Hinsicht auf einer Skala von "besser" und "schlechter" (im weitesten Sinn) anordnen lassen. Mit im besten Fall wird dann ausgesagt: Der Sachverhalt, der als "Argument" von im besten Fall benannt wird, steht am positiven Pol dieser Skala, ist das Resultat der günstigstmöglichen Umstände, also wörtlich "der beste", z.B. der wünschenswerteste "Fall".
(3) | Wenn Rockmusiker 60 Jahre alt werden, macht das nichts. Nichts mehr. Vor 20
Jahren war man mit 60 Jahren im besten Fall eine lebende, im
zweitbesten Fall eine tote Legende, im schlechtesten Fall
vergessen. Oder man machte seinen Namen auf Oldie-Nächten zu Geld.
[Hannoversche Allgemeine, 6.12.2008, S. 8] |
Bei bestenfalls stellt sich die Sachlage demgegenüber komplizierter
dar. Auch hier wird eine Menge von alternativen Sachverhalten pi und deren
Anordnung auf einer – kommunikativ-kontextuell relevanten –
Bewertungsdimension (Wünschbarkeit o.ä.) vorausgesetzt. Der Sachverhalt p0, den
der Satz beschreibt, in dem bestenfalls vorkommt, ist seinerseits zwar
besser oder mindestens gleich gut wie diese Alternativen, aber er ist nicht der "absolut
beste", sondern es gibt noch mindestens einen weiteren, der noch "besser" ist, aber aus
irgendwelchen Gründen unter den gegebenen Umständen nicht realisiert werden kann. p ist der
beste erreichbare, in diesem Sinn realistisch mögliche. Wir haben
also zwei Obergrenzen für pi: die tatsächliche/mögliche p0 und die
darüber hinausgehende wünschenswerte oder prinzipiell denkbare popt.
Anders betrachtet: Der Satz benennt einen Sachverhalt, der unter den günstigsten
tatsächlich möglichen Umständen eintreten könnte, der aber weniger günstig ist als erwünscht
oder erhofft.
In (2) ist der Fall nach bestenfalls der beste der
drei genannten – wenn auch eben nicht das Optimum der wünschenswerten
Situation (das wäre so etwas wie "vollständig erhalten")!
In den folgenden Belegen wird diese noch bessere wünschenswerte Situation, das über das tatsächlich mögliche Maximum hinausgehende "absolute" Ende der Skala, das ideale Optimum, anschließend explizit gemacht; es wurde tatsächlich nicht erreicht.
(4) | Jenny ging davon aus, daß die gesamte Anlage bestenfalls von
Holzzäunen umgeben war. Überreste von befestigtem
Mauerwerk fand er nicht. [Vorarlberger Nachrichten, 20.1.1999, S. A7] |
(5) | Diese Gefahren könnten bestenfalls minimiert, jedoch
nicht ausgeschlossen werden […]. [Frankfurter Rundschau, 15.10.1997, S. 1] |
Ein Beispiel, das beide Pole der Skala und das beste erreichbare Ergebnis zeigt, ist folgendes:
(6) | Die Arbeitgeber könnten nicht dazu verpflichtet werden, für
jeden Mitarbeiter, der vorzeitig in Rente gehe, einen neuen
einzustellen. "Bestenfalls, so die Erfahrungen, würde jeder zweite
Arbeitsplatz neu besetzt. Es kann auch sein, dass der DGB-Chef Schulte
mit seiner Prognose Recht hat, dass nur jeder siebente
Arbeitsplatz wiederbesetzt wird", sagte Müller. [Nürnberger Nachrichten, 30.10.1999, S. 4] |
Auch hier ist das ideale Optimum explizit gemacht. Wir haben: "jeder" = ideales Optimum, "jeder zweite" = faktisch realistisches Maximum, "nur(!) jeder siebte" = weitere Alternative.
Man kann das auch komprimiert in eine Merkformel fassen (< steht für die
Anordnung auf einer "irgendwie" gegebenen Wertungsskala): im besten Fall
p0 bedeutet: es gibt eine Menge von zueinander
alternativen Sachverhalten {pi}, so dass auf der relevanten Skala für alle
pi gilt [pi <
p0].
bestenfalls p0 bedeutet:
{pi} wie eben; und es gibt mindestens einen Sachverhalt
popt, so dass auf der relevanten Skala für alle pi gilt
[pi < p0 < popt].
Übrigens hätte einen auch das zweite Beispiel des Duden-Großwörterbuchs schon auf die Spur bringen können: Auch
(7) | Die Frau hat hinter dem Mann zu gehen, einen halben Schritt. Bestenfalls an
seiner Seite. [DOMIN, Paradies 107, zit. nach Duden, S. 504] |
lässt sich ja so verstehen, dass man fortsetzen könnte "… nie aber vor ihm" – womit man auch schon popt hätte.
Auch hier haben wir einen Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken: im besten Fall kann (muss aber nicht) i.S.v. "höchstens" interpretiert werden. Hier z.B. geht das:
(8) | Spätestens 2007 […] muss mit deutlich mehr Straßenverkehr im Raum
Grafenwöhr gerechnet werden. ZaB weiß von Studien, die "im besten Fall"
von einer Mehrbelastung von 40 Prozent, "im schlechtesten Fall" von 170
Prozent ausgehen. [Nürnberger Nachrichten, 26.10.2002, S. 18] |
Hier dagegen ist diese Paraphrase unangebracht:
(9) | Al Jarreau: Ich kann schon verstehen, dass die Leute Kategorien brauchen.
Aber Musikhören kann im besten Fall eine ganz beachtliche Erfahrung sein.
[Nürnberger Nachrichten, 21.4.2010, S. 8; "Es lebt sich besser, wenn man Polkas kennt"; Interview mit dem amerikanischen Sänger Al Jarreau (…)] |
Bestenfalls ist aber auch nicht einfach völlig bedeutungsidentisch mit
höchstens. Vielmehr kommt ihm mindestens eine wesentliche zusätzliche
Implikation zu.
Beide Ausdrücke – bestenfalls wie
im besten Fall – haben mindestens zwei Bedeutungselemente,
nämlich neben dem dargestellten für beide unterschiedlichen (dem end- vs. vor-end-polaren in
der Skalengrenzwert-Lesart) auch noch ein gemeinsames (die konditionale Grundlage, die durch
den Bestandteil im Fall/falls signalisiert wird: „falls der
bestmögliche oder absolut beste Fall eintritt, wird auch die im folgenden genannte
Konsequenz eintreten; und auch diese ist daher die bestmögliche oder absolut
beste“).
In der Tat ist bestenfalls in dem Stellenhaushang also unangebracht. Zwar verleitet die Tatsache, dass es aus in etwa denselben Komponenten besteht wie im besten Fall (und damit denselben "Aufschlusswert" hat), dazu anzunehmen, dass beide dann auch dieselbe Bedeutung haben müssten, aber dem ist wie gezeigt nicht so.
bestenfalls ist also semantisch nicht identisch mit im besten
Fall, obwohl es sehr ähnlich klingt bzw. aus gleichen Bestandteilen
aufgebaut ist. Dieser Fall zeigt deutlich, dass man die Bedeutung eines Wortes nicht mit
seinem "Aufschlusswert" verwechseln darf. Der Aufschlusswert ergibt sich aus der
Verrechnung der Komponenten eines Wortes und ihrer Beziehungen zueinander; er zeigt aber
nur, unter welchem Aspekt die "Sache" bei ihrer Benennung betrachtet wurde, warum sie so
benannt wurde (das "Benennungsmotiv"), und besagt noch nichts sicheres, definitives über
die tatsächliche Bedeutung des Wortes, noch weniger irgendetwas zuverlässiges über das
"Wesen" der bezeichneten Sache.
So ist – um einige altbekannte Beispiele
zu nehmen – ein Walfisch sowenig ein Fisch wie ein Seepferdchen ein Pferd, ein
Schwefelholz bleibt eines, auch wenn es nicht (mehr) aus Schwefel besteht, und eine
Briefmarke verliert ihren Status nicht, wenn sie auf einem Paket oder einer Postkarte
klebt.
Aufschlusswert (oder auch "Bedeutungsindizierung") ist ein "dem
Sprachteilhaber bewußter Begründungszusammenhang für die Beziehung eines sprachlichen
Ausdrucks zu seiner Semantik […] Er kann bestehen zwischen dem Inhalt der
Konstituenten eines komplexen Lexems und dessen eigener Bedeutung – so haben
beispielsweise die Substantive Streichholz und
Zündholz zwar dieselbe Bedeutung, aber eine unterschiedliche
Bedeutungsindizierung" (Herbermann 1988,
S. 140/141, weitere Lit. s. ebd. Fn. 12, insb. Herbermann
1981, S. 71ff., 273ff., 335ff.).
Der
Aufschlusswert kann uns durchaus heuristische Hinweise für die
Beschreibung der Bedeutung geben, solange man nicht den Irrtum begeht,
beides für identisch zu halten. Solange ein Kompositum oder eine Floskel ad hoc gebildet
werden, spielt der Aufschlusswert bei ihrem Verständnis eine signifikante Rolle. Bei der
lexikalischen Verfestigung kann sich die Bedeutung dann in ganz verschiedene Richtungen
entwickeln, können ganz unterschiedliche Aspekte relevant und dominant werden, und
ergeben sich womöglich ganz verschiedene Bedeutungen.
So eben auch hier: auch
wenn wir die Bestandteil besten + falls bzw.
im + besten + Fall mit ihrer
Bedeutung und ihrer syntaktischen Funktion und somit ihren Relationen zueinander kennen
und berechnen, haben wir noch nicht die Bedeutung des aus ihnen zusammengesetzten
Wortes. Wir wissen nur ungefähr, woran und in welche Richtung bei der Bildung des Wortes
gedacht wurde.
bestenfalls wohnhaft in der Nähe bedeutet eigentlich etwa:
"Es gibt noch eine bessere Möglichkeit als die, dass der Kandidat in der Nähe
wohnt (auch wenn letzteres immerhin besser ist als andere mögliche Wohnorte)."
im besten Fall wohnhaft in der Nähe bedeutet demgegenüber:
dass der Kandidat in der Nähe wohnt, ist besser als alle anderen möglichen
Wohnorte.
Nimmt man die Substitutionsprobe vor, so ergibt sich entsprechend: Höchstens wohnhaft in der Nähe macht keinen Sinn; im besten Fall wohnhaft in der Nähe wohl.
Eine analoge Argumentation gilt für Beleg (1). Auch hier müsste gemeint sein "unter den günstigsten Umständen, im günstigsten Fall", nicht aber "höchstens". Man beachte dazu dort vor allem das nicht nur … sondern: der erste Sachverhalt besteht nicht "nur", sondern als einer von mehreren vergleichbaren, und er ist negativ bewertet: es geht um Arbeitsbe- oder gar -überlastung der Justiz; der zweite dann ist eine jener zusätzlichen Möglichkeiten (die die Justiz eben auch hat), und diese ist im Gegensatz zu jener un-eingeschränkt positiv bewertet, also korrekt im besten Fall, nicht aber bestenfalls!
Dieser Beitrag findet sich auch in der Festschrift für Bruno Strecker, den Erfinder der "Grammatik in Fragen und Antworten", über den IDS-Buchshop sowie den IDS-Publikationsserver.
Ulrich H. Waßner (2012): Anfang Bestenfalls wohnhaft in der Nähe — Das Ganze ist nicht immer die Summe seiner Teile: die Bedeutung des Kompositums bestenfalls. In: Marek Konopka / Roman Schneider: Grammatische Stolpersteine digital — Festschrift für Bruno Strecker zum 65. Geburtstag. Mannheim: Institut für deutsche Sprache. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:mh39-14855