Leckerer Kuchen oder lecker
Schnittchen? – Zur unflektierten Verwendung eines
attributiv gebrauchten Adjektivs
In der Regel können Adjektive des Deutschen attributiv, prädikativ und adverbial
gebraucht werden. Nur die attributiven werden flektiert, kongruieren in Kasus und Numerus mit dem attribuierten Nomen und werden im
Genus vom Nomen regiert. Wenige Adjektive des
Deutschen können nur prädikativ gebraucht werden. Diese sind dann der zentrale
Ausdruck des Prädikats und werden in manchen Grammatiken als Adkopula bezeichnet. Ihre Form ist einmalig, d. h., sie können nicht
flektiert werden und ihr Bestand ist übersichtlich: fit,
leid,
pleite,
quitt,
schade,
schuld,
los,
plemplem,
schnuppe ...
Es gibt allerdings Adjektive, die aus dieser Teilklasse in die allgemeine Klasse der
flektierbaren Adjektive, die attributiv gebraucht werden können, übergehen. Seit 1990 sind
z. B. für das Adjektiv fit solche Übergänge in der
taz belegt: fitte Bevölkerungsgruppe [29.01.1990],
junge, fitte und fähige Indianer [23.03.1990], die
Nürnberger Nachrichten ziehen am 17.11.1993 mit der fitte[n]
Schulklasse nach. Und wieder ist es die taz, in welcher das Adjektiv
pleite laut COSMAS erstmals und
einmalig flektiert wird:
Jürgen Laarmann hat wieder zugeschlagen. Unser Berlin Mitte
Boy mit den vielen interessanten Gedanken, die pompöse Figur, die einen in Angst und
Schrecken versetzen kann, der Mann mit den vielen blonden Locken, der Techno-Großmogul, der
seine bürgerliche Existenz verspielt hat, die „pleitene
Drecksau”, wie er sich selbst nennt. [taz, 22.01.2002]
Annäherung an ein Phänomen
Andererseits wurden Teilmengen der attributiv gebrauchten Adjektive schon immer nicht
flektiert. Dabei handelt es sich um einige Farbadjektive wie
lila,
rosa,
orange. Wobei auch hier heutzutage eine
Neigung hin zur Flexion feststellbar ist: Es gibt lilane Jacketts und
rosane Blusen, manchmal hört man auch von orangenen Hosen der
1970er Jahre.
Angefangen hat alles 1981. Da haben wir in meiner Frauengruppe
an Weihnachten gewichtelt, und Andrea, die feministische Gewerkschaftsfrau unserer Runde
beschloß, daß ich nun endlich auch den lilanen "Wir Frauen"-Kalender besitzen
müßte.
[die tageszeitung, 02.01.1993]
Die frühen Farbfilme sind eine denkbar
rosane Angelegenheit. Die Avon-Beraterin kommt
zu Besuch, […]
[die tageszeitung, 27.11.1992]
Eine Frau bügelt, eine andere kocht in der kleinen Küchenzeile
Kaffee, die meisten Patienten sitzen an großen Tischen und montieren
orangene Kugelschreiber
zusammen.
[Die Zeit, 01.11.1985]
Dass sich die taz jedoch noch nicht so ganz sicher ist, zeigt folgender Beleg, in
welchem rosa sowohl flektiert als auch nicht flektiert wird:
Das stimmte. Ich hatte das hintere Zimmer renoviert und
für ihre Hochzeitsnacht blau angestrichen. Und herrlich rosane Gardinen
aufgehängt. Nagelneues Bettzeug besorgt, aus rotem Satin. Eine neue, rosarote Tagesdecke
und rosa Kissenüberzüge, mit Stickerei und Fransen und Quasten
...
[die tageszeitung, 28.03.1992]
Im letzten – orangenen – Fall hat mit Sicherheit ab dem Jahr 2004 ein
geschichtliches Ereignis zur Verbreitung und zur Akzeptanz des flektierten attributiv
gebrauchten Adjektivs orange beigetragen:
Die »orangene Revolution« hat aus häufig
ermatteten, verhärmten Ukrainern über Nacht ein Volk aus aufmerksamen, zuvorkommenden
Menschen gemacht.
[Nürnberger Nachrichten, 27.11.2004]
Janukowitsch droht bereits offen mit einer Abspaltung des
Ostens und Südens, sollte die orangene Revolution Juschtschenko an die Macht
spülen.
[Mannheimer Morgen, 29.11.2004]
Die bei diesen Verwendungen häufig gebrauchten Distanz ausdrückenden Anführungsstriche
dokumentieren vielleicht die Unsicherheit des Schreibers bezüglich der Richtigkeit der
Schreibung oder aber auch, dass „orange Revolution“ als Eigenname empfunden
und gebraucht wird.
Des weiteren werden Kardinalzahladjektive pränominal (mit wenigen Einschränkungen)
nicht flektiert, und den Herkunftsadjektiven,
wie in Mannheimer Wissenschaftler und in Leonberger
Tennisspieler, die aus topografischen Eigennamen abgeleitet wurden, sieht man
ihrer Großschreibung schon an, dass sie etwas Besonderes sind. Sie dürfen vor dem
Bezugsnomen ebenfalls nicht flektiert werden.
der Mannheimer
Wissenschaftler | der Leonberger Tennisspieler |
| |
Auch um nachgestellte attributiv gebrauchte Adjektive soll es hier nicht gehen. Diese
werden zwar nicht flektiert, werfen aber andere Probleme auf. Die Grammatik der deutschen
Sprache (1997, S. 1991) findet sie nur in poetischen, volksliedhaften
Texten, elliptischem Gebrauch oder Marken- oder Gattungsnamen.
Nicht ganz ohne Erfolg, doch der Konflikt wurde erst dadurch
entschieden, dass das Kind die Schule verließ. Es kam, wie wir nach und nach erfuhren, in
der Tat aus verwahrlosten Verhältnissen. Dass Hänschen klein in die weite Welt
hinein muss, schien uns klar, aber eben nicht, wie es im Lied heißt, ganz
allein.
[Die Zeit (Online-Ausgabe), 04.03.2010]
Während in den Gängen alle fünfzehn Minuten Sektflaschen Marke
"Henkell trocken" von hüben nach drüben getragen werden, beißt
Landesgeschäftsführer Ernst Fuchs, ein "lebendes Inventar" der Landes-FP, mit zufriedener
Miene in sein Wurstbrot.
[Die Presse, 07.10.1991]
Mit den pränominalen, unflektierten Adjektiven nähern wir uns unserem Problem. Die
Duden-Grammatik sieht in § 466 z. B. diese
unflektierte pränominale Form heute nur noch in festen Wendungen, sie sind zusammen mit
ihrem Bezugsnomen quasi idiomatisiert:
Wer unmaskiert den Vampirball besucht, der muss im wahrsten
Sinne des Wortes ruhig Blut bewahren – ansonsten geht es bald an die
schaurigen Gestalten in den nebligen Gewölben verloren.
[St. Galler Tagblatt,
13.02.2010]
Bücher waren sein täglich Brot: Ein 27-Jähriger
aus Ansbach stahl teure Fachbücher aus verschiedenen Bibliotheken und verkaufte sie weiter.
[Nürnberger Zeitung, 31.03.2010]
Nun ist aber ebenfalls seit den 1990er Jahren ein neuer Prototyp in den Medien
aufgetaucht, der eine umgekehrte Entwicklung durchzumachen scheint: vom attributiv
gebrauchten Adjektiv, das Flexionsendungen besitzt, zum unflektiert attributiv
gebrauchten Adjektiv.
Das Phänomen lecker
Vielleicht ist die unflektierte Verwendung des attributiv gebrauchten Adjektivs
lecker auf Leckerschmecker, die Bezeichnung eines
Schokoriegels der 1970er Jahre, zurückzuführen, die als ungewöhnliche Komposition in die
Kinderwelt eindrang. Oder aber es sind regionale Einflüsse gewesen, die das niederländische
lekker, das als Attribut nicht nur zu Essbarem gebraucht werden kann,
über die Grenze in das Rheinland wandern ließ. Im Niederländischen nämlich wird
lekker als Begleiter von Nomina im Neutrum und mit Indefinit-Artikel
immer ohne Flexionsmarker gebraucht.
In lockerer Runde treffen sich seit kurzer Zeit in Deutschland
lebende Niederländer zu einem gemütlichen Stammtisch. Angesprochen sind niederländische
Mitbürger aus dem Großraum Koblenz, denn bisher gehören diesem Stammtisch Bewohner aus dem
Westerwald, der Eifel und dem Hunsrück sowie Koblenz und der Rheinebene an. Meistens wird
von den Stammtischgästen in lockerer Runde "bij een lekker kopje koffie"
geplaudert und über zukünftige Aktivitäten nachgedacht.
[Rhein-Zeitung,
06.03.1997]
Goedemiddag, vla en chocomel Nederlands en Nord-Duitsland
– dat is een echt heel belangrijk en lekker onderwerp omdat er beslist
vele relaties in de geschiedenis tussen deze twee streeken waren. Maar wat betekent dat
precies? Dat kunnen we jullie zeggen: Schleswig-Holsteins historische Kontakte mit den
Niederlanden präsentiert zurzeit das Schleswiger Landesarchiv in einer Ausstellung. Es waren
unter anderem holländische Deichbauer und Windmühlenhersteller, die das Landschaftsbild
Schleswig-Holsteins mitprägten. Auch fuhren in früheren Jahrhunderten viele Nordfriesen auf
niederländischen Handelsschiffen.
[die tageszeitung, 07.05.2003]
In einem Internetblog erfahren wir etwas über für uns ungewöhnliche semantische
Kollokationen im Niederländischen:
„lekker (wie bei uns) =
lecker, aber zur gelegentlichen Verwunderung viel umfassender gebraucht als
bei uns. Man kann lekker liegen, schlafen, essen, sitzen oder auch ein lekker meisje
(Mädchen) sein, also appetitlich, attraktiv etc.“
[http://holland-erfahren.de/blog/2009/leuk-mooi-lekker/ (gesehen am 09.02.2011,
Hervorhebungen H. S.)]
Im belgischen Managermagazin express.be findet man aber auch einen Kommentar eines
flämischen Sprachkritikers, der sich wiederum von dieser fragwürdigen semantischen
Komposition niederländischer Herkunft distanziert:
„Het meest onwezenlijke woord,
dat minstens duizend keer per dag gebruikt wordt, is lekker. Lekker wandelen, lekker
douchen, lekker praten, lekker lezen, lekker dicht bij jezelf zijn, lekker knuffelen. Lekker
eten is niet bij, lekker drinken ook niet. Wij Vlamingen gebruiken lekker alleen wanneer het
smaakzintuig erbij betrokken is: een lekkere steak en een lekker glas wijn. Bij de
Nederlanders kan elke ervaring, en kan elk zintuig van het predikaat lekker voorzien worden:
een lekkere trektocht, een lekker stukje muziek, enzoverder. Wij zouden zeggen: een toffe
trektocht, een mooi stukje muziek.“
[http://www.express.be/joker/nl/praat/Zo,-he-he,-lekker/128689.htm (gesehen am
09.02.2011)]
Das am meisten unwesentliche Wort, das mindestens
tausendmal am Tag gebraucht wird, ist lecker. Lecker spazieren, lecker duschen, lecker
sprechen, lecker lesen, lecker sich selbst treu bleiben, lecker schmusen. Lecker essen
ist nicht dabei, lecker trinken auch nicht. Wir Flamen gebrauchen lecker nur, wenn der
Geschmack dabei betroffen ist: ein leckeres Steak und ein leckeres Glas Wein. Bei den
Niederländern kann jede Erfahrung und jeder Sinneseindruck mit diesem Prädikat lecker
ausgestattet werden: eine leckere Wanderung, ein leckeres Musikstück, usw. Wir würden
sagen: eine taffe Wanderung, ein schönes Musikstück.
[Übersetzung: H.
S.]
Nationale Bedeutungskonflikte zu einzelnen Lexemen in anderen Sprachen können wir hier
auf dieser Plattform nicht diskutieren, aber die Wanderbewegung von lekker
bzw. lecker können wir beobachten.
Lecker Mädche
Besonders een lekker Meisje gedurende het carnaval nämlich scheint samt
seiner semantischen Inkongruenz den Grenzübertritt in das Rheinland geschafft zu haben. In
den deutschen Karnevalshochburgen finden wir parallel lekker Meisje (1),
lekker Mädchen (2) und
lecker Mädchen (3) (wobei zur Nominalphrase lecker
Mädchen diverse Varianten existieren).
(1) Lekker Meisjes in Folkloretracht informieren
am Tulpeneingang orientierungslose Besucher. Zum Schnappschuss schlüpft eine englische
Miss-Marple-Kopie in senfgelbe XXXL-klompen. Auf dem kurz geschorenen Rasen posieren zwei
poppige Pappmachékühe.
[Die Zeit (Online-Ausgabe), 25.04.2001]
(2) "La vie en rose" verzauberte. Das Eis war schnell
gebrochen und spätestens bei dem gewünschten Titel "Aiky, breaky heart" bebten die Balken
des Festzeltes unter den vielen tanzenden Füßen. Das Wetter war traumhaft und viele Besucher
hatten den Weg ins Zelt gefunden. Die Stimmung unter den Gästen, zu denen auch einige
befreundete Chöre zählten, war hervorragend. Nach dieser gelungenen musikalischen
Einstimmung betraten nun die "lekker Mädche" aus Amsterdam die Bühne. Das
Publikum war außer Rand und Band.
[Rhein-Zeitung, 18.07.2006]
(3) Vor Mozarts "Zauberflöte" gab es fast nur italienische
Oper. Das Singspiel hat seit seiner Entstehung im Todesjahr Mozarts nichts von seiner
Beliebtheit eingebüßt. Für jeden ist eine Identifikationsfigur dabei: Mancher mag sich in
die Rolle des weisen Priesters Sarastro versetzen, der würdevoll-entspannt und ganz tief von
geheimem Wissen und numinoser Macht singt. Die Rolle des Tamino ist reiz-, aber auch
anspruchsvoll: Er muss die Liebe zu Pamina auf eine harte Probe stellen lassen, und der
finale Gang durch Feuer und Wasser ist für beide richtig riskant. Rheinische Frohnaturen
werden den Vogelfänger Papageno lieben, und seine Papagena entspricht so richtig dem Ideal
eines "lecker Mädche`". Für hoffnungsfrohe Damen ist Pamina der richtige Star.
Andere, von der Liebe enttäuscht, werden sich in der zornigen "Königin der Nacht" und ihrer
Schreckensarie "Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen" wiederfinden.
[Rhein-Zeitung, 29.10.1999]
Ein weiterer Beleg für den Sprachenübergang, der anscheinend auch etwas mit dem
Karneval zu tun hat, wird ebenfalls dem Rheinland zugeordnet:
Wer in Düsseldorf anständig absacken will, geht mit
Sicherheit nicht in die Altstadt. Hier „zischt” auch niemand „ein
paar Alt”. Hier trinkt man in der „Schwämme” eines Brauhauses ein
lekker Obergärig! Und zu Karneval bleibt man im Veedel, die Altstadt is
für Imis.
[die tageszeitung, 20.02.2006]
Die Berliner Zeitung gibt sich besonders europäisch und schafft es, in einem Satz
lekker mit zwei weiteren germanischen Sprachen zu
kombinieren:
Ressort: Lokales; A little etwas für everybody
Es gibt auch ungefähr 5 000 Cafés und Kaffeeläden, etwa das Double Eye. Sehr klein aber
oho. Lekker Kaffee to stay oder to go, ohne Starbucks-Massenhysterie. In
der Grunewaldstraße ist das TeeTheTea, ein Café mit jeder Teesorte der Welt und
bombastischen Kuchen. Schöneberg hat Lebensqualität für everybody.
[Berliner
Zeitung, 14.11.2006, ]
Bei der COSMAS-Recherche ist auffällig, dass zur Kookkurrenz von lecker
und Mädchen viele Varianten auftreten, zählt man alle zusammen kommt man zu
folgendem Ergebnis:
| Anzahl der Belege |
lecker Mädchen | 25 |
lecker Mädche | 22 |
lecker Mädsche | 5 |
lecker Mädcher | 3 |
lecker Mädscher | 4 |
lecker Mädcha | 1 |
insgesamt | 60 |
Bereinigt ist diese Statistik insofern, als alle Belege eliminiert wurden, die im
Frohsinnsmotto "Blootwoosch, Kölsch un e lecker Mädche" der rheinischen Musikgruppe "Höhner"
vorkommen.
Den 60 Belegen für unflektiertes lecker im Syntagma lecker
Mädchen stehen "nur" 57 Belege für lecker Essen (741 für
leckeres Essen) gegenüber. Auf Platz drei folgt lecker
Gegrilltes/-em, auf Platz vier lecker Eis und lecker
Kuchen und auf Platz fünf schon lecker Kölsch, was die These
über die rheinische Herkunft von unflektiertem lecker wiederum unterstützt.
Danach erscheint das ebenso unsemantische Pendant zu lecker Mädche, der
lecker Kerl bzw. das lecker Kerlchen auf Platz
sechs.
Nachdem die semantische Kongruenz und das Flexionsmuster nicht mehr den
allgemeingültigen Regeln gehorchen, ist es für lecker ein Leichtes, neue
Beziehungen einzugehen:
Nicht weinen, Beyoncé! Schließlich hast du mit Lemar, der sein
drittes Album "The Truth About Love" vorstellt, doch ein lecker Kerlchen mit
Trostpotenzial im Vorprogramm.
[Hamburger Morgenpost, 13.05.2007]
Warum einen Stoff befragen, warum überhaupt erst einen Stoff
entdecken, wenn man mit Anna Netrebko und Rolando Villazón »richtig lecker
Oper« machen kann, wie ein begeisterter Besucher sagt?
[Die Zeit
(Online-Ausgabe), 10.05.2007]
Dass ich beim Skifahren in Galtür letzte Woche richtig
lecker Schnee gehabt habe.
[Nürnberger Nachrichten,
10.03.2007]
Und: Bei einem lecker Boiler handelt es sich nicht um einen
Schreibfehler einer ostdeutschen Bezeichnung aus dem kulinarischen Bereich, sondern
schlechthin um einen undichten Wamwasseraufbereiter:
Ein lecker Boiler in der Abwartwohnung im
obersten Stockwerk hat in der Nacht auf Samstag im Arboner Stadthaus beträchtlichen
Wasserschaden angerichtet.
[St. Galler Tagblatt, 02.10.2000]
Weitere Phänomene?
Der Verdacht liegt nahe, dass weitere Adjektive analog zu lecker einen
Wandel durchmachen hin zum unflektiert attributiv gebrauchten Adjektiv. Um dies zu
kontrollieren, bieten sich Adjektive an, deren Stamm auf -er auslautet und
die wie lecker zweisilbig sind. Bei den zwei- (und mehr-) silbigen
Adjektiven auf -er könnte man vermuten, dass die flexionsbedingte
Verdoppelung von -er aus phonetischen Gründen zur generellen Tilgung der
Flexionsmarker (-er, -en, -em,
-es, -e) führt – Komparativformen wie
Maskulinum Singular leckererer wollen wir erst gar nicht
berücksichtigen.
Im Archiv der morphosyntaktisch annotierten Korpora des IDS, das 1.375.241.219
Wortformen (Stand: Februar 2011) umfasst, gibt es 233 Belege für unflektiertes attributives
lecker. Für heiter gab es nur einen Beleg:
Denn jetzt wird es ja erst richtig gemütlich. "Für andere
arbeiten, jetzt und auch im Alter, ohne Ruhe zu kennen", was sich bei Tschechow traurig und
ausweglos, eben bis zum Grab, liest, (und in Thomas Langhoffs Inszenierung so gespielt
wurde, 2000 am Deutschen Theater zu sehen, Christian Grashof als Wanja), ist hier ein
heiter Ding.
[ Berliner Zeitung, 06.05.2004]
Bei der Zählung von heiter wurden alle Belege, die in Wetterberichten
vorkamen, vernachlässigt wie z. B.:
Zwei Familien feierten in dem Stück Weihnachten. [...] Alles
war heiter Sonnenschein.
[ St. Galler Tagblatt, 24.12.1997]
bitter war in den annotierten Korpora dreifach vertreten, wobei
bitter Unrecht tun, Bitter Lemon und bitter
Schokolade nicht berücksichtigt wurden.
Auch für finster gab es nur einen Beleg, wobei man bei diesem mit gutem
Willen auch von einer adverbialen Verwendung (und damit sowieso unflektiert) sprechen
könnte:
Doch ehe es zum finalen Showdown, Drache gegen Drache,
Zauberer gegen Zauberer, kommt, während Pfeile den Himmel verdunkeln, riesige Brandherde
finster Schlagschatten werfen, die gegnerischen Horden aufeinander
einknüppeln und man ein ums andere Mal an die Schlacht um Helms Klamm erinnert wird, gilt es
für Aragon sein Schicksal zu akzeptieren.
[Mannheimer Morgen, 14.12.2006]
Diese kargen Ergebnisse für Adjektive auf -er dokumentieren, dass
unflektiert gebrauchtes attributves lecker (noch) mit einem
Alleinstellungsmerkmal versehen ist.
Fazit
Durch niederländischen Einfluss treten bei der Verwendung des Adjektivs
lecker in den letzten 15 Jahren zwei auffällige Phänomene auf:
- Auf semantischer Ebene kann es Beziehungen zu Nicht-Essbarem
eingehen.
- Auf morphologischer Ebene kommt es in attributiver Verwendung ohne
Flexionsmarker aus.
Der Niederdeutsche und die Westmitteldeutsche werden also das Lexem
lecker häufig verwenden, teilweise auch in seiner unflektierten Form,
selbst wenn es attributiv gebraucht wird, der Rest der Deutschsprecher, inklusive der
Österreicher und der deutschsprechenden Schweizer, der lecker als Adjektiv
kaum aktiv verwendet, isst sowieso nur guten Kuchen und genießt nur
feine Schnittchen.
Dieser Beitrag findet sich auch in der Festschrift für Bruno Strecker, den Erfinder
der "Grammatik in Fragen und Antworten", über den IDS-Buchshop sowie den IDS-Publikationsserver.
Horst Schwinn (2012): Leckerer Kuchen oder lecker
Schnittchen? – Zur unflektierten Verwendung eines attributiv
gebrauchten Adjektivs. In: Marek Konopka / Roman Schneider: Grammatische Stolpersteine
digital — Festschrift für Bruno Strecker zum 65. Geburtstag. Mannheim: Institut
für deutsche Sprache. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:mh39-14827