Im Wortschatz des Deutschen gibt es zahlreiche Wörter, die das Deutsche irgendwann aus einer anderen Sprache übernommen hat – wir nennen sie Fremdwörter. Immerhin stellen diese eine von mehreren Möglichkeiten dar, Wörter für neue Begriffe zu finden. Aber so, wie wir sie in ihrer Herkunftssprache vorfinden, passen sich diese Wörter lautlich nicht immer auf Anhieb ins Deutsche ein, sei es, dass sie Laute enthalten, die im Deutschen sonst nicht vorkommen, sei es, dass sie sonstwie von den Gesetzmäßigkeiten der deutschen Aussprache abweichen.
Dem deutschen Wort Bon – wie in der Zusammensetzung Kassenbon – ist etwa noch anzumerken, dass es von einem französischen Wort mit Aussprache [bõ] übernommen ist. Hauptschwierigkeit für das Deutsche ist darin der nasalierte Vokal [õ]. Daran lässt sich bereits zeigen, wie mit solchen Schwierigkeiten umgegangen wird:
Gerade in Fällen wie diesem widersprechen sich diese beiden Prinzipien mitunter, und so finden wir sowohl die Aussprache [bɔŋ] als auch die Aussprache [bõ] – wie wir gleich sehen, sogar noch weitere. Bei etwas komplexeren Beispielen sind sogar Zwischenstufen zwischen diesen beiden Prinzipien möglich, auch hierzu dann gleich.
Im Deutschen wie in allen anderen Sprachen hat sich auch für die Aussprache eine Grammatik herausgebildet – Gesetzmäßigkeiten einerseits, Mittel, etwas auszudrücken, andererseits. Dazu gehört, welche Laute überhaupt zur Verfügung stehen, wie daraus Silben gebildet werden usw. Um in das System des Deutschen zu passen, müssen von irgendwo übernommene Wörter also ggf. entsprechend umgeformt werden. Dies ergibt Wörter wie etwa Fenster und Grenze, denen wir ihre fremde Herkunft nicht (mehr) ansehen.
Auch wenn wir – in unserem Beispiel – von der Aussprache [bõ] ausgehen, haben wir diese Möglichkeit: Für das Standarddeutsche am üblichsten ist dabei, die Nasalität vom fraglichen Vokal in einen Konsonanten auszulagern, den man zu diesem Zweck nach dem Vokal einfügt. Von den relevanten Konsonanten [m], [n] und [ŋ] fällt die Wahl in Fällen wie diesem auf [ŋ] wie am Ende von lang oder Gong. Letzteres wiederum erfordert im Standarddeutschen, dass der unmittelbar vorausgehende Vokal "ungespannt" – kurz und zugleich etwas offener – ausgesprochen wird. Aus [bõ] wird also [bɔŋ].
Ganz so zwangsläufig ist das Ergebnis aber in vielen Fällen nicht – so auch in diesem Fall. Denn verschiedene Sprecher setzen hier offenbar unterschiedliche Prioritäten, ohne dass deswegen in jedem solchen Fall klar wäre, welches der unterschiedlichen Resultate nun mit mehr Recht als Standard gelten sollte. In unserem Beispiel gibt es alternativ die Möglichkeit, die Nasalierung des Vokals einfach wegzulassen, das ergibt dann [boː] (mit langem Vokal). Je nach Region wird diese Lösung evtl. häufiger bevorzugt und könnte umgekehrt deswegen dann als regional empfunden werden.
Dass sich oft solche unterschiedlichen Möglichkeiten ergeben, ist der große Nachteil des Regelprinzips. Denn gerade, wenn wir einen Begriff neu einführen, ist uns ja wichtig, dass das Wort klar wiederzuerkennen ist.
Um eben diese Art von Unbestimmtheit zu vermeiden, ziehen wir unter manchen Umständen vor, uns möglichst an die Aussprache des Vorbildwortes zu halten. Wir können das Wort Journalist mit [ʒ] anfangen, und Spikes mit [sp] (anders als in Speise); den Markennamen Word sprechen wir meist mit einem Vokal, der im Deutschen (sonst) nicht vorkommt. Wenn wir im Fall von Bon dem Vorbildprinzip folgen, sprechen wir das fragliche Wort [bõː] mit einem nasalierten Vokal wie im französischen Vorbild.
Auch das Vorbildprinzip hat aber seine Nachteile: Erstens weicht so ein Wort ja ggf. in manchen Punkten von der Grammatik des Deutschen ab, soll dabei aber in einen Kontext eingebaut werden, der dieser Grammatik folgt. Zweitens wird das übernommene Wort doch etwas anders klingen, als das Vorbild — für graduelle Feinheiten gar scheint das Vorbildprinzip grundsätzlich nicht gelten zu können: So wird in unserem Beispiel das [b] meist etwas weniger stimmhaft sein als im französischen Vorbild, und das [oː] lang, während das Französische damit anders umgeht.
Tatsächlich sehen wir oft, dass Regel- und Vorbildprinzip sozusagen arbeitsteilig zusammenwirken, sogar wenn dadurch keines von beiden vollständig erfüllt ist. So können wir im Deutschen das Wort Chance mit [aŋ] sprechen, wo das französische Vorbild einen nasalierten Vokal hat. Das Ergebnis [ˈʃaŋsə] entspricht aber dennoch nicht ganz allen Regeln, die sonst für die Aussprache im Deutschen gelten. So kommt stimmloses [s] ("scharfes ß") sonst nicht nach Konsonant vor. Die Aussprache [ˈʃaŋzə] (mit [z] wie in Rose) ist hier noch angepasster, enthält aber immer noch eine Konsonantenhäufung mit [ŋ], und so etwas kommt sonst nur durch Anhängen einer Endung und dergleichen zustande. Insgesamt sind also die Aussprachen [ˈʃaŋsə] und [ˈʃaŋzə] zwar gegenüber dem Vorbild ans Deutsche angepasst; zugleich sind aber auch sie in dieser Form nur durch den Bezug zum (fremden) Vorbild möglich.
Eine solche Verzahnung von Regelprinzip und Vorbildprinzip ist sogar recht typisch. Wie oben angemerkt, kommt das reine Vorbildprinzip in der Praxis fast nicht vor. Vor allem führt das Vorbildprinzip also dazu, dass Fremdwörter gegenüber den Regeln zusätzliche Freiheiten haben können.
Wie gehen wir nun im Fall des Worts Bon mit dem Gegensatz von Vorbild und deutscher Aussprache um? Schauen wir uns dazu Daten aus dem "Deutsch-heute"-Korpus des IDS an. (Die Auswertung dieser Daten hat mir aus der laufenden Projektarbeit Stefan Kleiner für die folgende Besprechung zur Verfügung gestellt.) Zwar ist das Wort Bon selbst nicht unter den für "Deutsch heute" aufgenommenen Wörtern, immerhin aber eine Reihe von ähnlichen Fällen: Balance, Balkon, Bombardement, Bonbon, Chance sowie Waggon. Von diesen am besten vergleichbar ist das Wort Waggon mit den häufigsten Varianten [vaˈɡɔŋ], [vaˈɡõː], [vaˈɡɔ̃ː], [vaˈɡoːn] und einigen weiteren.
Nun sind diese Varianten über das gesamte deutsche Sprachgebiet nicht gleichmäßig verstreut:
Wie oben erklärt, konkurrieren das Regelprinzip und das Vorbildprinzip miteinander. Schließlich wird jedoch das, was als Ergebnis herauskommt – auch eben aufgrund des Regelprinzips –, selbst zum Vorbild. Es wird Teil des mentalen Lexikons. Das heißt dann z.B., dass ein Sprecher [bɔŋ] so ausspricht, weil dies für ihn eben die deutsche Aussprache dieses Worts ist, und nicht (mehr) um frz. [bõ] anzunähern.
Wird nun ausnahmsweise doch wieder auf das ursprüngliche, "fremde" Vorbild zurückgegriffen, ergeben sich unter Umständen Überkreuzungen, z.B. wenn unser Beispiel als [bɔ̃ː] ausgesprochen wird (ungefähr so, dass es sich auf frz. restaurant reimt) – nämlich mit einem offeneren Vokal wie auch in [bɔŋ]. So ein Resultat lässt sich dann oft nur noch dadurch erklären, dass zwei Vorbilder kombiniert werden. Hier muss z.B. als Vorbild auch [bɔŋ] beteiligt sein, da dem Originalvorbild [bõ] das Ergebnis [bɔ̃ː] weniger gut entspricht als die Aussprache [bõː] – aber ohne dass [bɔ̃ː] deshalb den Regeln des Deutschen in irgendeinem Punkt besser genügen würde.
Das Vorbildprinzip wird u.A. dadurch begrenzt, dass das betreffende Wort schließlich in einen Zusammenhang integriert werden soll, der den Regeln des Deutschen unterliegt: als Teil eines Satzes oder gar als Teil eines Worts, nämlich in Ableitungen oder in Zusammensetzungen wie eben Kassenbon.
Weiterhin gehören zu einem Wort oft mehrere Flexionsformen, wie bei (zählbaren) Substantiven Einzahl- und Mehrzahlform. Auch in der Formenlehre gibt es einen Gegensatz von Regelprinzip und Vorbildprinzip. Uns betrifft dies hier insofern, als es Konsequenzen für die Aussprache haben kann, wie im nächsten Datenbeispiel Balkon.
Zurück also zu den Daten aus "Deutsch heute". Dort sind auch bei den Belegwörtern Balance, Balkon, Bombardement, Bonbon und Chance die Varianten über das gesamte deutsche Sprachgebiet verteilt und auch bei diesen nicht gleichmäßig.
Was die übrigen Belegwörter angeht:
Dabei wird von diesen letzteren Möglichkeiten eine jede u.U. mit einer bestimmten eigenen Note in Verbindung gebracht: So scheint man mit der Aussprache [bõː] die Kenntnis des ursprünglichen Vorbilds hervorzuheben (oder hervorzukehren; [bɔ̃ː] kann schlimmstenfalls als missglückter Versuch davon missverstanden werden). Die Aussprache [boː] wird v.a. mit denjenigen Regionen in Verbindung gebracht, in denen diese Variante (neben [bõː] und [bɔ̃ː]) insgesamt häufiger zu hören ist. Zum Standarddeutschen gehören diese Möglichkeiten aber allesamt.
Nicht eingegangen wurde hier auf den Bezug zur Schriftform. Dies hat einen guten Grund: Es wird nämlich für verschiedene Sprachen die eigentlich gleiche Aussprache in der Rechtschreibung oft unterschiedlich wiedergegeben, das macht diese Aussprache aber deshalb nicht schwieriger oder einfacher. Umgekehrt ist die Schreibung oft mehrdeutig (vgl. dt. August [Monat] und August [Vorname]).
Dabei gibt es zwar so etwas wie eine "Aussprache nach der Schreibung", dass also zu einer vorher festgelegten Schriftform eine möglichst wenig überraschende Aussprache gesucht wird. Praktiziert wird dies aber in aller Regel v.a. dann, wenn man anhand der Schreibung ein Wort oder einen Namen neu erschafft (wie z.B. ein Akronym) oder erstmalig verbreitet. Unabhängig, woher diese Schriftform stammt, handelt es sich dabei also um noch eine weitere Art, neue Wörter zu erhalten. Als solche konkurriert sie natürlich mit der Möglichkeit, ein Fremdwort zu übernehmen, wie auch mit den rein innersprachlichen Möglichkeiten des Deutschen zur Wortschöpfung.
Dieser Beitrag findet sich auch in der Festschrift für Bruno Strecker, den Erfinder der "Grammatik in Fragen und Antworten", über den IDS-Buchshop sowie den IDS-Publikationsserver.
Markus Hiller (2012): Darf ich für den Kassenbon auch '-bong' sagen? — Zur Aussprache "fremder" Wörter mit nasalierten Vokalen. In: Marek Konopka / Roman Schneider: Grammatische Stolpersteine digital — Festschrift für Bruno Strecker zum 65. Geburtstag. Mannheim: Institut für deutsche Sprache. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:mh39-14679