Lang oder lange? — Varianten bei Adjektiven

Sulmir steht an der Ecke und wartet auf Susanne.

Wird er noch lang warten oder noch lange?

Grammatischer Hintergrund

Das Adjektivlang wird zum einen attributiv verwendet, etwa in lange Beine. In diesem Fall wird es so flektiert, wie Adjektive eben flektiert werden: lange Beine, die langen Beine usw. Alternativen zu diesen Wortformen gibt es nicht; sie werden genau so vorgeschrieben. Zum anderen kommen adverbiale, also Verben näher bestimmende Verwendungen vor wie in:

Lang zieht sich der Ort in seinem Wienerwaldtal dahin, durch das der gleichnamige Bach fießt, ehe er hinter Hadersdorf in die Wien mündet, und man muß ihn ganz durchqueren, bis man die Kartause erreicht.
[Frankfurter Allgemeine 1995]
Dem schwedischen Konzern Electrolux gelang mit dem Modell "Shinkansen" der lang erhoffte Durchbruch.
[Die Zeit, 07.06.1996, S. 23]

Das attributive lang bezieht sich auf räumliche oder zeitliche Strecken: lange Beine, lange Wartezeiten. Auch das adverbial verwendete lang bezieht sich auf Raum oder Zeit. Ausschließlich beim zeitlichen Bezug hat es sich etabliert, zwischen lang und lange zu variieren:

Die Salzburger Festspiele, das wäre mein Wunsch, sollen dreimal so lang leben als ihre Kritiker.
[Neue Kronen-Zeitung, 10.08.1995, S. 14]
Lang steht man in Neukölln auf der Brücke und schaut sich den großen Himmel an. Nebenan verrostet ein Damenrad, dunkle Wolkenungetüme nehmen Kurs auf die Stadt.
[die tageszeitung, 26.11.1997, S. 24]
In den Köpfen selbst von interessierten Zeitgenossen gab es ihn schon lang nicht mehr, weder hierzulande noch in Norwegen, wohin er ausgewandert war.
[Die Zeit, 26.03.1998, S. 18]
Quälend lange sucht er nach dem richtigen Ausdruck, das Spontane, das Überschwängliche ist ihm suspekt.
[Die Zeit 07.02.2002, S. 33]
Der eigentliche Erfolg liegt in der friedlichen Umkehr Ghaddafis. Der Westen hatte sein Land schon lange bezichtigt, verbotene Waffensysteme zu entwickeln.
[Die Zeit, 22.12.2003, S. 2]
Lange steht Helga Pedross versonnen am nächtlichen Fenster mit Seesicht und schwärmt, alles sei so schön.
[Züricher Tagesanzeiger, 13.10.1999, S. 67]
Werder feiert das lange ersehnte Livedebüt.
[Mannheimer Morgen, 02.11.2004]
Beide Varianten sind beim zeitlichen Bezug sprachüblich.

Blick in die Korpora

Die Form ohne -e ist schriftsprachlich weniger üblich: Im schriftsprachlichen Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) (Stand März 2024) finden sich zum Beispiel 18.832 Belege für schon lang gegenüber 645.703 Belegen für schon lange. Im mündlichen Gebrauch ist vermutlich die Form ohne -e häufiger, weil im Mündlichen gerne verschliffen wird (vgl. Elision).

Historisches

In Wörterbüchern werden mitunter lange als Adverb und lang als Adjektiv angesetzt. Dies hat historische Gründe, denn das -e bei lange ist eigentlich ein typischer Adverbmarker, das heißt eine Einheit, die markiert, dass etwas ein Adverb ist. Im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm wird dazu im Band 12 (1885), Spalte 153 angemerkt: "Die alte absonderung der adverbial- von der adjectivform, wie sie im ahd. lango longe, diu gegen lanc longus, mhd. lange gegen lanc besteht, dauert auch nhd., wenn das wort in zeitlichem sinne gebraucht ist, fort, und wiewol dieses adverbiale lange oft auch, und schon in der älteren sprache, seinen endvocal abwirft, zeigt es auch dann noch seine formelle geschiedenheit von der adjectivform: denn das g verhärtet sich in der aussprache nicht, wie bei der letzteren stets, wenn es in den auslaut tritt."

Weitere Varianten

Schließlich gibt es noch den prädikativen Gebrauch. Auch hier wird nur mit zeitlichem Bezug variiert: Der Weg ist lang; eine Stunde ist lang oder eine Stunde ist lange. Nur im St. Galler Tagblatt finden sich daneben Belege auch für räumliches lange:

Die Liste der im Vorfeld einer solch grossen Veranstaltung zu erledigenden Arbeiten ist lange.
[St. Galler Tagblatt, 16.08.2000]

Weitere variante Adjektivgrundformen sind etwa bang/bange, nah/nahe, sacht/sachte:

Die Wassermassen dieser Tage lassen uns bange fragen: Ist das Atlantis am Rhein noch zu retten?
[Die Zeit, 27.01.1995, S. 2]
Ost- und Nordfriesen schauten bang auf das Meer.
[Der Spiegel, 31.01.1994, S. 73]
Der Asteroidenspezialist Jack Hills sagte, daß erstmals ein Objekt dieser Größe der Erde so nahe käme.
[Vorarlberger Nachrichten, 13.03.1998, S. D8]
So nah kommt man dem Magma sonst nirgends...
[Frankfurter Rundschau, 10.06.1999, S. 35]
Es ist morgens um halb fünf Uhr, sachte regnet es auf die Brille.
[St. Galler Tagblatt, 23.02.2001]
Die Herrin der Schatzkammer. Sie erzählt behutsam und zögernd. Der Besucher soll nicht überfordert werden, und sie gibt sacht zu verstehen, wie schnell der Besucher überfordert sein könnte.
[Die Zeit, 16.04.2003, S. 65]

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Autor(en)
Elke Donalies
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