Da werden Sie geholfen! — Wie der Kasus in den Satz kommt

Wer sich so richtig alt fühlen will, schaut Werbung von früher. Dabei stolpert man unweigerlich über Verona Feldbusch (heute Pooth), die gespielt naiv ein „Da werden Sie geholfen!“ in die Kamera strahlt. Grammatikinteressierte Bildungsbürger:innen bekommen Schnappatmung ob dieses sprachlichen Lapsus. Dabei sind Normverstöße in der Werbesprache gang und gäbe. Sie generieren Aufmerksamkeit und bleiben so im Gedächtnis. Aber was ist eigentlich so schlimm an „Da werden Sie geholfen!“? Klar, ‚richtig‘ müsste es „Da wird Ihnen geholfen!“ heißen. Die Werbung verwendet also den Akkusativ statt des Dativs. Doch warum eigentlich Dativ? Schließlich gibt es vergleichbare Konstruktionen, die sehr wohl den Akkusativ erfordern: „Da werden Sie unterstützt!“ ist grammatisch unauffällig. Der Dativ muss also vom Verb kommen.

Die Fähigkeit eines Verbs, bestimmte Ergänzungen in einem bestimmten Kasus zu fordern, wird die Verbvalenz genannt. Das können übrigens nicht nur Verben, sondern z. B. auch Präpositionen. So fordert die Präposition in eine Ergänzung im Dativ oder Akkusativ (in der Schule vs. in die Schule). Und an der Diskussion darüber, welchen Kasus wegen fordert, sind schon ganze Freundschaften zerbrochen

Das Verb helfen fordert nun offenbar ein Objekt im Dativ, das Verb unterstützen fordert einen Akkusativ.

Das ist aber nur die eine Hälfte der Medaille. Denn das Verb kann man sich als einen Regisseur des Satzes vorstellen. Der Regisseur gibt den Mitspielern nicht nur zu verstehen, welches Kostüm sie tragen sollen ( = welche Form sie haben sollen), sondern natürlich auch, welche Rolle sie spielen sollen. Die Verbvalenz wirkt auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Auf der formalen (Zuweisung des Kasus) und auf einer inhaltlichen (Zuweisung einer Rolle im Satz). Die erste Valenz wird die syntaktische genannt, die zweite die semantische Valenz.

Beim Verb kaufen etwa muss es eine Person geben, die die Tätigkeit ausführt und ein Objekt, das gekauft wird. Diese Partizipanten nehmen bestimmte semantische Rollen im Satz ein. Der Käufer ist das sogenannte Agens, das Gekaufte ist das Patiens.

Ein paar Beispiele:

Maria (Agens) gießt eine Pflanze (Patiens).
Der Mann (Agens) trinkt einen Kaffee (Patiens).
Ich (Agens) schreibe einen Text (Patiens).

Je eher ein Partizipant Agens ist, desto wahrscheinlicher steht er im Nominativ. Und je eher ein Partizipant Patiens ist, desto eher steht er im Akkusativ (vgl. Eisenberg 2020: 83). Aus diesem Grund forden viele Verben des Deutschen eine Ergänzung im Nominativ (oft das Subjekt) und eine Ergänzung im Akkusativ (oft das direkte Objekt).

Es gibt jedoch auch Verben, die nicht nur zwei Partizipanten fordern, sondern drei. Eines davon ist schenken:

Der Chef schenkte seinem Mitarbeiter einen Bürostuhl.

Rollensemantisch ausgedrückt haben wir hier Der Chef als Agens und einen Bürostuhl als Patiens. Damit wäre der Satz aber weder semantisch noch syntaktisch vollständig: *Der Chef schenkte einen Bürostuhl ist mindestens auffällig. Auch seinem Mitarbeiter ist also von der semantischen und syntaktischen Verbvalenz gefordert. Nur sind die semantischen Rollen Agens und Patiens schon besetzt. Und seinem Mitarbeiter scheint auch nicht wirklich gut als Agens oder Patiens zu passen. Für ein Agens ist der Mitarbeiter zu wenig an der Handlung beteiligt — er kann die Handlung nicht vollständig kontrollieren. Für ein Patiens wiederum hat seinem Mitarbeiter noch zu viel „Macht“ in diesem Satz: Er könnte das Geschenk ablehnen. Der Bürostuhl kann sich gegen den Besitzwechsel nicht wehren.

Ein weiterer Faktor hier ist die Belebtheit: Je belebter ein Partizipant ist, desto wahrscheinlicher ist er Agens. Je unbelebter er ist, desto wahrscheinlicher ist er Patiens. Und genau das ist in diesem Beispiel auch der Fall: der Bürostuhl ist unbelebt und damit prototypischer für ein Patiens als seinem Mitarbeiter.

Diese dritte semantische Rolle wird Rezipient genannt. Je weniger agens- bzw. patiensartig sie ist, desto wahrscheinlicher steht sie im Dativ.

Der Rezipient kann semantisch recht unterschiedlich ausfallen (vgl. Wegener 1985). Ein typischer Fall ist der Empfänger bzw. Verlierer bei Verben, die einen Besitzwechsel anzeigen. Ein Rezipient kann auch als Benefaktiv auftreten, also als ein Partizipant, der von einer Handlung profitiert (jemandem das Auto reparieren) oder als Experiencer — als Person, die eine psychische Empfindung trägt (jemandem gefällt etwas).

Eine weitere Dimension des Rezipienten nennt man das Ko-Agens. Das bedeutet, dass eine Handlung nicht nur vom syntaktischen Subjekt vollzogen wird, sondern dass daran auch eine andere Person mehr oder weniger aktiv beteiligt sein muss (Primus 2012: 56): „jemandem begegnen, jemandem entgegenkommen, jemandem folgen, jemandem gehorchen, jemandem etwas nachmachen, jemandem etwas erlauben, jemandem etwas glauben“ — und eben jemandem helfen.

Wird jemandem geholfen, dann muss dieser jemand also selbst an der Tätigkeit teilnehmen, bei der ihm geholfen wird. Helfen mir meine Freunde beim Umzug, dann bin ich selbst natürlich auch am Umzug beteiligt. Ansonsten helfen sie mir nicht, sondern übernehmen meine gesamte Arbeit. Helfen nimmt also einen Dativ und keinen Akkusativ, weil derjenige, dem geholfen wird, an der Handlung beteiligt ist. Für ein echtes Patiens (und damit für einen Akkusativ) nimmt derjenige, dem geholfen wird, zu aktiv am Geschehen teil.

Doch warum funktioniert das bei unterstützen nicht auch? Mit der oben gelieferten Begründung müsste unterstützen ebenfalls ein Dativargument nehmen. Denn der, der unterstützt wird, muss ja ebenso an der Handlung teilnehmen wie der, dem geholfen wird.

Das liegt daran, dass unterstützen zwei Lesarten haben kann (vgl. den Eintrag im Valenzwörterbuch):

  1. jemandem helfen
  2. etwas befürworten, sich für etwas einsetzen

In Beispielen:

(1) Jana unterstützt Simon bei den Klausuren.
(2) Jana unterstützt Simons Klausur.

Bei der ersten Lesart kann Simon als Ko-Agens gedeutet werden, hier wäre wie bei helfen ein Dativ sprachsystematisch eigentlich zu erwarten. Dass unterstützen aber keinen Dativ nimmt, liegt an der zweiten Lesart. Bei der ist ein Dativ nämlich ausgeschlossen – Simons Klausur funktioniert problemlos als prototypisches Patiens (sie ist ja auch unbelebt) und erfordert damit einen Akkusativ.

Der Feldbusch’sche Ausspruch „Da werden Sie geholfen!“ ist deshalb ungrammatisch, weil das Ko-Agens nicht als Dativ realisiert wird, sondern als Akkusativ. Anders als bei unterstützen gibt es für helfen aber keinen Grund, ein Akkusativobjekt zu nehmen.

Nun muss man diese alte Werbung aber absolut loben: Nicht nur ist sie (zumindest mir) seit über fünfzehn Jahren im Kopf geblieben, nein, sie ist offenbar auch linguistisch extrem gut recherchiert: „Da werden Sie geholfen!“ entbindet die möglichen Kund:innen davon, aktiv bei der Hilfe mitzuarbeiten – sie sind ja kein Ko-Agens mehr, sondern nur Patiens. Gratulation an die Werbeagentur!

(Nun ja, die wahre Entstehungsgeschichte ist wohl weniger spektakulär).

Übrigens lässt sich an diesem Beispiel gut zeigen, wie sich neue Redewendungen im allgemeinen Wortschatz etablieren, aber auch wieder abflauen können. Eine vergleichende Frequenzanalyse im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) nach "werden Sie geholfen" sowie den Alternativen "wird Ihnen geholfen" und "bekommen Sie Hilfe" deckt auf, dass der seinerzeit frische Ausspruch nach seinem erstmaligen Beleg 1999 für beinahe zwei Jahrzehnte dominiert, danach aber wieder an Boden gegenüber den standardnahen Varianten verliert.

Hinweis: Dieser Text erschien in einer ersten Fassung als Online-Angebot der Universität Leipzig zur Grammatik des Deutschen und wurde hier vom Autor um die Ergebnisse einer Korpusrecherche erweitert.

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Niklas Reinken
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