Bei fremden Nomina, die ins Deutsche übernommen werden, sind Zweifel, wie ihr Plural (siehe Numerus) zu bilden ist, an der Tagesordnung. Oft werden mehrere Pluralformen nebeneinander benutzt, und an der Frage, welche die richtige ist, entzündet sich so mancher Bürostreit. Alles in allem geht es um folgende Möglichkeiten der Pluralbildung:
Schließlich sind auch folgende Fälle zu beobachten:
Die Benutzung einer fremden Pluralform, vor allem lateinischen, griechischen oder italienischen Ursprungs, kann durch die Zugehörigkeit des Fremdwortes zu einer Fachsprache (z. B. Korpora - 'Materialsammlungen' in der Sprach- und Literaturwissenschaft, Oxymora - 'Figuren mit innerem Widerspruch' in der Rhetorik, Tempi - 'Geschwindigkeiten' in der Musik etc.) oder einfach durch seinen bildungssprachlichen Charakter (Status, Lapsus, Topoi) bedingt sein. Viele Fremdwörter werden jedoch auch gemeinsprachlich verwendet, beispielsweise Thema und Aroma. Die Auswertungen der Textkorpora des IDS zeigen, dass es bei der Verwendung der fremden Plurale Themata und Aromata einerseits und der heimischen Themen und Aromen andererseits keinerlei Unterschiede im sprachlichen Kontext gibt, wenn auch der griechische Plural gemeinhin als gehoben betrachtet wird.
Wird den fremden Pluralformen Vorzug vor den heimischen gegeben – man denke hier auch an Italianismen wie Pizze oder Cappuccini – scheint es sich oft um eine Art sozialer Abgrenzung zu handeln, mit der sich der Benutzer einerseits als gebildet, fremdsprachenbewandert, weitgereist oder dergleichen von der Allgemeinheit abheben und andererseits als zu einem bestimmten Insiderkreis zugehörig kennzeichnen möchte. Zuweilen kann der fremde Plural auch die fremde Herkunft oder die Originalität der bezeichneten „Sache“ betonen.
Bereits beim Versuch, einen fremden Plural zu verwenden, wird so mancher von Zweifeln ereilt. Heißt es die Status oder die Stati? Das unklare Bewusstsein, dass lateinische Maskulina auf –us den Plural entweder mit –us oder mit –i bilden können, ist zwar da, das war es aber auch schon. In solchen Fällen wird nicht selten der Plural gemieden oder eine Pluralform gebildet, die es in der Herkunftssprache nicht gibt. So finden sich die Stati, die mit dem Lateinischen nicht konform gehen, besonders gern in technischen Kontexten, aber auch in den IDS-Textkorpora, ebenso wie die Status (Aussprache mit langem u), die dem Lateinischen folgen.
Manchmal scheint es tatsächlich zwei "korrekte" fremde Pluralformen zu geben wie bei Tempi und Tempora. Aber auch hier ist Vorsicht geboten, denn Ersteres ist der Plural von Tempo (aus dem Italienischen) im Sinne von 'musikalisches Zeitmaß' und Letzteres von Tempus (aus dem Lateinischen, wo Neutra auf –us den Plural auf -ora oder -era bilden) mit der Bedeutung 'grammatische Zeitform'.
Kaum als fremder Plural ist meist der s-Plural bei Entlehnungen aus dem Englischen und Französischen zu betrachten, auch wenn -s bereits in den Herkunftssprachen (im Französischen allerdings nur geschrieben) als Pluralendung erscheint, z. B.: Lifts, Balkons. Der s-Plural tritt nämlich regulär auch in speziellen Bereichen des heimischen Wortschatzes auf, so bei Personennamen (Müllers), Onomatopoetika (Uhus, Kuckucks) und vielen Abkürzungen (Lkws), und außerdem bei Fremdwörtern, die in der Herkunftssprache keinen s-Plural haben (Pizzas, ital. Pizze). Wohl aber um einen fremden Plural handelt es sich bei Formen wie Matches. Die Endung -es ist im Deutschen keine reguläre Pluralendung. Dementsprechend hat Match noch eine Pluralvariante mit dem heimischen s-Plural: Matchs.
Der s-Plural ist zwar ursprünglich fremd, inzwischen aber seit langem im Deutschen eingebürgert und auch beim heimischen Wortschatz produktiv (siehe oben). Da -s kaum Beschränkungen hinsichtlich der vorangehenden Laute unterliegt, ist der s-Plural bei der Assimilierung von Nomina aus anders klingenden Sprachen durchaus attraktiv. Er ist sogar eine Art Notplural, wenn die Endung auf einen unbetonten Vokal folgen soll (Solo-s, Guru-s, Geisha-s), denn die anderen produktiven heimischen Pluralendungen, –e und –en, sind an dieser Stelle aus artikulatorischen Gründen nicht möglich (vgl. *Solo-e, *Guru-e, *Geisha-en). Das Besondere am s-Plural ist außerdem, dass die gebildeten Formen als Pluralformen erkennbar und gleichzeitig besonders Singular-ähnlich sind. Während Pluralformen mit anderen Endungen die Singularformen nur unvollständig enthalten können (vgl. Pizza und Pizz(a)-en) oder gegenüber den Singularformen eine Silbe mehr aufweisen (vgl. Bal-kon und Bal-ko-ne), bewahrt der s-Plural sowohl die Singularformen, als auch ihre Silbenstruktur unversehrt (Pizza-s bzw. Bal-kons, vgl. dazu und zum Folgenden Wegener 2003).
Wohl wegen dieser Singular-Ähnlichkeit, die es leicht macht, das Wort im Plural wiederzuerkennen, wird heutzutage der s-Plural bei Entlehnungen, die sich im Sprachgebrauch nicht bzw. noch nicht richtig etabliert haben, bevorzugt. Die Endungen –en und –e sind eher bei Entlehnungen gebräuchlich, die bereits einen bestimmten Bekanntheitsgrad erreicht haben. Bei diesen ist nicht mehr die besondere Singular-Ähnlichkeit gefragt, sondern die endgültige formale Angleichung an die Mehrheit der heimischen Nomina. Aus dieser Perspektive kann der s-Plural als ein Übergangsplural erscheinen, so bei Pizza, das im Laufe der Assimilierung neben ans Italienische angelehntem Pizze zuerst Pizzas und dann Pizzen herausgebildet hat. Dem heutigen Sprachbenutzer begegnen nichtsdestoweniger sowohl Pizzas als auch Pizzen, und er sieht sich auch bei manch anderer Entlehnung vor die Wahl gestellt zwischen dem s-Plural und einem anderen heimischen Plural (z. B.: Balkons/Balkone, Fracks/Fräcke, Matchs/Matche, Scheichs/Scheiche, Schemas/Schemen). Dass - vor allem bei Nomina aus dem Italienischen und Griechischen - noch eine fremde Pluralform möglich sein kann (Pizze, Schemata), macht die Sache nicht gerade leichter.
Nicht möglich ist der s-Plural bei Nomina, die bereits im Singular auf -s (auch im -x versteckt) enden. Hier kommt also nur -e oder -en als Endung in Frage (z. B.: Exodusse, Faxe, Boxen), was aber keineswegs bedeutet, dass dieser Bereich von Zweifelsfällen verschont bleibt. Denn bei Latinismen auf -us gibt es zur Bildung eines heimischen Plurals zwei Verfahren: Es wird entweder die Endung -e (unter Verdopplung von -s) an die vollständige Singularform angehängt (z. B.: Exodusse, Zirkusse, Krokusse, Globusse) oder die fremde Singularendung wird durch die Endung –en ersetzt (Rit-(us)-en, Glob-(us)-en). In Globus findet sich sogar ein Wort, bei dem es beide Verfahren zu breiterer Anerkennung geschafft haben.
Pluralformen, bei denen -en an eine verkürzte Singularform angehängt wird, sind im Übrigen auch bei sonstigen Entlehnungen aus dem Lateinischen (z. B. Alb-(um)-en, Vill-(a)-en) sowie bei Entlehnungen aus dem Griechischen (z. B. Myth-(os)-en, Lexik-(on)-en) und dem Italianischen (Pizz-(a)-en, Kont-(o)-en) üblich, denn in allen drei Sprachen ist auch der Singular durch besondere Endungen gekennzeichnet. Die Bildung der en-Formen setzt hier natürlich voraus, dass die Singularendungen als solche identifiziert werden. Ist das nicht der Fall, stehen meist immer noch s-Formen zur Wahl (Albums, Villas, Lexikons, Pizzas, Kontos).
Beim heimischen Plural von Entlehnungen, die bereits im Singular auf unbetontes -en oder –er ausgehen, fallen die Pluralform und die Singularform in der Regel zusammen, z. B. bei Nomen, Volumen, Computer, Gangster. Die Entlehnungen folgen damit heimischen Nomina wie Wagen oder Kater. Da bereits ihre Singularformen wie typische Pluralformen aussehen, können hier andere heimische Pluralarten kaum zum Zuge kommen. Wohl aber kann mit einem endungslosen Plural ein fremder Plural konkurrieren (z. B. Nomina, Volumina).
Zum einen wird an die fremde Pluralendung, die als solche nicht erkannt bzw. als zu schwach empfunden wird, ein -s angehängt wie in Vis-a-s, Antibiotik-a-s, Lexik-a-s, Graffit-i-s, Spaghett-i-s, Zucchin-i-s. Diese Möglichkeit, wird in Regelwerken meist als unnötige Verdopplung der Pluralendung abgelehnt. Nichtsdestoweniger sind solche Bildungen üblich und auch in der Presse ohne weiteres zu finden.
Entsprechend finden sich auch Singularformen, die verkappte fremde Pluralformen sind, wie das Visa, das Antibiotika, das Grafftti, die Spaghetti, die Zucchini (das Visa könnte man vielleicht doch durch das im Reiseverkehr allgegenwärtige Englisch als fremde Singularform lizensieren).
Zum anderen wird ein s-Plural mit einem e-Plural kombiniert, z. B. Kek-s-e, Strap-s-e, Chip-s-e. Die Formen Kekse und Strapse sind mittlerweile allgemein anerkannt, zu Kekse gibt es sogar keine Alternative mehr. Chipse sind dagegen eher als eine Randvariante von Chips zu betrachten. Die Verdopplung der Pluralendung ist in diesen Fällen vor allem dadurch zu erklären, dass die bezeichneten „Sachen“ in der Regel mehrfach erscheinen, sodass die ursprünglichen s-Pluralformen weitaus häufiger als die ursprünglichen Singularformen vorkommen. Im Laufe der Zeit werden sie als Singularformen interpretiert (der Keks, der Straps, der Chips), zu denen dann ein regulärer e-Plural gebildet wird (vgl. Wegener 2003).
Die Betrachtung des Verhältnisses zwischen den verschiedenen Pluralformen im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) (Februar 2024) ergab für die Plurale der Nomina Pizza, Cappuccino, Konto, Aroma und Thema, die alle als gemeinsprachlich eingeschätzt werden, dass die fremden Pluralformen durchgängig seltener sind als die heimischen. Relativ häufig sind noch Cappuccini und Pizze. Cappuccini ist dabei seltener als Cappuccinos (767 gegenüber 1.126 Belege), Pizze (1.191) wiederum steht im Verhältnis 1 : 15 zu Pizzas/Pizzen, wobei Pizzen häufiger auftritt als Pizzas (11.049 gegenüber 4.212).
Kaum von Bedeutung sind die anderen fremden Plurale: Konti (3.456 Belege) steht im Verhältnis 1 : 47 zu Konten (162.064 Belege); mit 16.249 Belegen ist auch Kontos anzutreffen. Verschwindend gering ist die Häufigkeit von Aromata (79) im Vergleich zu Aromen (45.346) und vor allem von Themata (699) im Vergleich zu Themen (1.987.510).
In den obigen Ausführungen wurden bei Varianten ihre Frequenzen im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) herangezogen, das insgesamt gesehen bildungssprachlich geprägt ist. Wer mehr Differenziertheit sucht, recherchiert gerne im liberalen Internet, das ein weites Spektrum an Stilschichten abdeckt und auch viel Umgangssprachliches enthält (Tabellen zur Häufigkeit konkurrierender Pluralformen in der Google-Suche). Wer dagegen Wert auf normative Urteile über die einzelnen Varianten legt, dem bleibt der Griff zum Wörterbuch nicht erspart.