Sagen kann man's schon, nur schreiben tut man's selten — Die tun-Periphrase

Und naja, ansonsten noch Wörter "tun", "machen", "kriegen" soll man nicht sagen,
weil das sind Wörter, die nur so, ähm, ich weiß nicht warum, aber es es sind auf jeden Fall keine ordentlichen Wörter.
[Ein Oberstufenschüler aus Zittau erzählt, welche Wörter man laut seiner Deutsch-Lehrerin vermeiden sollte. IDS-Korpus "Deutsch heute"]
Also ich, wenn wenn ich sage: "ich tu jetzt mal machen gehen", dann würden meine Eltern auch sagen: "Was ist denn das jetzt?!"
Also, <LACHEN> da würde ich dann auch hören: "Was war denn das für eine Satzbildung?!"
Also, "tun" und "machen" versuche ich auch von mir aus die Wörter irgendwo zu vermeiden, das ist ja auch kein gutes Deutsch.
[Antwort einer Oberstufenschülerin aus Chemnitz auf die Frage, worauf ihre Eltern sprachlich Wert legen. IDS-Korpus "Deutsch heute"]
Eine Freundin von mir, die benu/ benutzt immer Hilfsverben anstatt der normalen Verben, also "ich tu das und das machen" <LACHEN>.
Und da sage ich dann immer so: "Hey, das ist ein Hilfsverb", und sie so: "Oh, stimmt". Aber, ähm, es ist jetzt nicht so,
dass ich denke so: "<STÖHNEN>, der hat ja gar nichts drauf" oder ist ungebildet oder so. Also, es ist nur, dass es mir halt auffällt.
[Antwort einer Oberstufenschülerin aus Ulm auf die Frage, ob sie andere danach beurteilt, ob sie korrektes Deutsch sprechen. IDS-Korpus "Deutsch heute"]

Tun ist "kein ordentliches Wort", ein "Hilfsverb", das nicht zu den "normalen Verben" gehört und deshalb vermieden werden soll, so urteilen die Schüler in den Eingangsbeispielen. Natürlich kann man tun als Vollverb verwenden, was auch nicht weiter negativ auffällt:

Mit Tennis hat Becker mehr für das Ansehen des Vaterlandes getan, als wenn er die Wehrpflicht absolviert hätte.
[Frankfurter Rundschau, 09.01.1997, S. 20]

tun als Hilfsverb

Ein schlechteres Image hat die Verwendung von tun als Hilfsverb, auch "periphrastische" Verwendung genannt, wobei die folgenden Fälle unterschieden werden können:

Vollverb im Vorfeld

Finanziell lohnen tut sich das trotz aller Vorurteile nicht.
[die tageszeitung, 19.07.2004, S. 27]
Es gibt durchaus ein Halbjahreszeugnis, aber im Endeffekt wirklich zählen tut das Ganzjahreszeugnis.
[Oberstufenschüler aus Braunschweig, IDS-Korpus "Deutsch heute"]

Hier folgt dem Vollverb im Infinitiv (lohnen bzw. zählen) das finite Hilfsverb tut. Das Hilfsverb ermöglicht es, das Vollverb nach links – in das Vorfeld des Satzes – herauszustellen und es dadurch hervorzuheben. Diese Konstruktion nennt sich "Verb-Topikalisierung" und wird in normativen Grammatiken als korrekt und standardsprachlich angesehen (z.B. im Duden 9: Richtiges und gutes Deutsch).

Vollverb nicht im Vorfeld: tun im Indikativ

"Der eine häkelt, der andere strickt: Ich tu gern basteln", verrät Ida Pois.
[Niederösterreichische Nachrichten, 03.04.2007, S. 66]
Da gibt es so eine so genannte Hatecrew, die ist ein bisschen problematisch, weil die rennen durch die Innenstadt und tun ein bisschen Leute zusammenschlagen, aber sonst ...
[Oberstufenschüler aus Zittau, IDS-Korpus "Deutsch heute"]

Hier steht das Vollverb im Infinitiv (basteln bzw. zusammenschlagen) nicht im Vorfeld, sondern bildet die rechte Satzklammer. Diese Konstruktion wird in normativen Grammatiken als "umgangssprachlich" bewertet.

Vollverb nicht im Vorfeld: tun im Konjunktiv II

"Dem Heidi aus Graubünden täte es grausen, wenn es erleben müsste, was das Heidi aus Bergisch Gladbach so alles anstellt", schreibt Schwarzer.
[Mannheimer Morgen, 20.05.2009, S. 30]
Jein, nicht unbedingt, also man hat mehr Freizeit, täte ich jetzt einmal sagen ...
[Oberstufenschüler aus München, IDS-Korpus "Deutsch heute"]

Hier steht das periphrastische tun im Konjunktiv II (täte). Diese Konstruktion wird häufig als "landschaftlicher", d.h. regional begrenzter Ausdruck des Konjunktivs eingeordnet (z.B. im Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache).

Tatsächlicher Sprachgebrauch

Wie sieht die Situation im tatsächlichen Sprachgebrauch aus? Wird die tun-Periphrase wirklich hauptsächlich in der mündlichen Kommunikation verwendet? Wird die tun-Periphrase mit dem Vollverb im Vorfeld häufiger verwendet als die beiden anderen Konstruktionen? Und gibt es regionale Einschränkungen im Gebrauch? Um diese Fragen zu klären, schauen wir uns die Häufigkeiten der drei Konstruktionen in einem Korpus gesprochener Sprache und in einem schriftsprachlichen Korpus an.

Gesprochene Sprache

Das IDS-Korpus "Deutsch heute" enthält u.a. die Aufnahmen von 829 halbstündigen Interviews mit Oberstufenschülern und Senioren mit hoher Schulbildung aus dem gesamten Gebiet, in dem Deutsch Staats- oder Amtssprache ist (d.h. Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol). In diesen Interviews kommt das Verb tun insgesamt 1703 Mal vor, und die absoluten und prozentualen Häufigkeiten verteilen sich folgendermaßen auf die verschiedenen Kategorien (die periphrastische Konstruktion mit dem Vollverb im Vorfeld ist nur im Präsens belegt, die Konstruktion mit tun im Konjunktiv II nur ohne Vollverb im Vorfeld):

tun insgesamttun als Vollverbtun-Periphrase
Präsens Indikativ: Vollverb im VorfeldPräsens Indikativ: Vollverb nicht im VorfeldKonjunktiv II: Vollverb nicht im Vorfeld
absolut1703 1376 176 84 67
prozentual 100% 81% 10% 5% 4%

In 19%, also knapp einem Fünftel aller Verwendungen von tun, liegen tun-Periphrasen vor. Bei gut der Hälfte der 327 periphrastischen Belege steht das Vollverb im Vorfeld (176 Belege), bei der anderen Hälfte ist das Vollverb nicht im Vorfeld (84+67=151 Belege). In der gesprochenen Sprache kann also keine klare Präferenz für die Wortstellung in tun-Periphrasen ausgemacht werden. Die Konjunktiv-II-Konstruktionen (67 Belege) sind allerdings deutlich seltener als die Präsens-Konstruktionen (260 Belege). Wenn alle drei belegten Konstruktionen der tun-Periphrase miteinander verglichen werden, ist die von normativen Grammatiken als standardsprachlich angesehene Konstruktion klar häufiger als die beiden anderen.

Für die Untersuchung der regionalen Verteilung der Konstruktionen eignet sich die Kartierung der Belege aus "Deutsch heute". Auf der Karte wird jeder Sprecher, der eine der drei unterschiedenen Konstruktionen der tun-Periphrase verwendet, durch ein Symbol markiert – je größer das Symbol ist, desto häufiger hat der Sprecher die Konstruktion verwendet. Auf der Karte ist gut zu erkennen, dass die tun-Periphrase mit dem Vollverb im Vorfeld im gesamten deutschsprachigen Raum verwendet wird. Die Verwendung der beiden anderen Konstruktionstypen ist hingegen regional begrenzt: Abgesehen von drei vereinzelten Belegen in Norddeutschland ist die Verwendung der tun-Periphrase ohne Vollverb im Vorfeld auf den mitteldeutschen und den oberdeutschen Sprachraum Deutschlands und Österreichs beschränkt, und tun-Periphrasen im Konjunktiv II finden sich vor allem in Baden-Württemberg, Bayern, Österreich und Südtirol.

Schriftsprache

Für die Analyse geschriebener Texte wurden 100.000 tun-Sätze aus dem DeReKo (Archiv geschriebene Sprache) zufällig ausgewählt. Davon erwiesen sich 99.853 als gültige Sätze, die tatsächlich eine Wortform des Verbs tun enthielten. Diese Sätze verteilen sich unregelmäßig auf die drei großen Dialektregionen bzw. die Kategorien "überregional" und "unbekannt", was aber an der Datengrundlage liegt (vgl. Tabelle), da das DeReKo bezüglich Publikationsort der Korpora nicht ausgewogen ist.

tun insgesamt (Sätze)tun, Vollverb im Vorfeldtun, kein Vollverb im Vorfeld
absolutabsolut%absolut%
Norddeutsch (19 Quellen) 12694 49 0,39% 3 0,02%
Mitteldeutsch (12 Quellen) 22488 67 0,30% 29 0,13%
Süddeutsch (20 Quellen) 30309 144 0,48% 29 0,10%
überregional (20 Quellen) 29236 146 0,50% 0 0,00%
unbekannt (12 Quellen) 5126 22 0,43% 1 0,02%
Total998534280,43%620,06%

Während im gesprochensprachlichen Korpus 19% aller tun-Vorkommen periphrastische Konstruktionen sind, machen die tun-Periphrasen im schriftsprachlichen Korpus nur 0,49% aus.

Nicht überraschend sind nur gerade 62 Fälle (0,06%) aller Sätze tun-Periphrasen, die kein Vollverb im Vorfeld haben. Die normativ gesehen nicht korrekten Formen werden also sehr selten verwendet. Zudem ist anzumerken, dass 11 Nennungen in 9 unterschiedlichen Texten auf die Formeln Herzlich tut mich verlangen (Kantate 161 von Johann Sebastian Bach) und herzlich tut mich erfreuen (Choral von Johannes Brahms) zurückgehen. Trotzdem gibt es auffällige regionale Häufungen dieser Konstruktionsform in mitteldeutschen und oberdeutschen Quellen.

428 Fälle (0,43%) sind Sätze, die ein Vollverb im Vorfeld, also die normativ korrekte Form von tun-Periphrasen, aufweisen. Diese Form tritt häufig in überregionalen Quellen auf, überdurchschnittliche Werte sind aber auch in süddeutschen (bairischen, österreichischen, alemannischen) Quellen zu finden.

Im Gegensatz zur mündlichen Sprache sind tun-Periphrasen, vor allem ohne Vollverb im Vorfeld, in der geschriebenen Sprache selten. Ein Blick auf die Belege zeigt, dass sie oft in der Wiedergabe gesprochener Sprache (z.B. Interviews, Statements) oder für stilistisch markierte Phrasen (Slogans, Merksprüche, Witze etc.) verwendet werden.

"Ich tu halt lieber Menschen retten, als sie zu erschießen", definiert der 20jährige salopp seine Entscheidung für das Rote Kreuz und später für den Zivildienst.
[Niederösterreichische Nachrichten, 18.01.2010, S. 8]
"Der Gemeinderat von Mistelbach tut nicht irgendwelche G'schichtln drucken!"
[Niederösterreichische Nachrichten, 08.07.2008, S. 7]
"Wir planen, denken und tun Freude schenken", so lautete sein Werbeslogan.
[Rhein-Zeitung, 04.02.2010]
Die Belege zeigen, dass dieser Typ von tun-Periphrase zwar in der schriftlichen Sprache selten ist, jedoch sehr gezielt verwendet wird, um auf der stilistischen Klaviatur saloppe, informelle, witzige oder dialektale Töne anklingen zu lassen.

Zusammenfassung

  • tun-Periphrasen sind typisch für die gesprochene Sprache und werden in der Schriftsprache nur selten verwendet.
  • tun-Periphrasen mit einem Vollverb im Vorfeld werden als normativ erlaubtes Mittel, um das Verb hervorzuheben, im gesamten deutschsprachigen Raum verwendet.
  • tun-Periphrasen ohne Vollverb im Vorfeld und im Konjunktiv II sind typisch für den mittel- und oberdeutschen Sprachraum (mit Ausnahme der Schweiz). Sie werden in der Schriftsprache verwendet, um besondere stilistische Effekte zu erzielen.

Dieser Beitrag findet sich auch in der Festschrift für Bruno Strecker, den Erfinder der "Grammatik in Fragen und Antworten", über den IDS-Buchshop sowie den IDS-Publikationsserver.

Caren Brinckmann / Noah Bubenhofer (2012): „Sagen kann man’s schon, nur schreiben tut man’s selten“ — Die tun-Periphrase. In: Marek Konopka / Roman Schneider: Grammatische Stolpersteine digital — Festschrift für Bruno Strecker zum 65. Geburtstag. Mannheim: Institut für deutsche Sprache. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:mh39-14629

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Caren Brinckmann und Noah Bubenhofer
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