Tun ist "kein ordentliches Wort", ein "Hilfsverb", das nicht zu den "normalen Verben" gehört und deshalb vermieden werden soll, so urteilen die Schüler in den Eingangsbeispielen. Natürlich kann man tun als Vollverb verwenden, was auch nicht weiter negativ auffällt:
Ein schlechteres Image hat die Verwendung von tun als Hilfsverb, auch "periphrastische" Verwendung genannt, wobei die folgenden Fälle unterschieden werden können:
Hier folgt dem Vollverb im Infinitiv (lohnen bzw. zählen) das finite Hilfsverb tut. Das Hilfsverb ermöglicht es, das Vollverb nach links – in das Vorfeld des Satzes – herauszustellen und es dadurch hervorzuheben. Diese Konstruktion nennt sich "Verb-Topikalisierung" und wird in normativen Grammatiken als korrekt und standardsprachlich angesehen (z.B. im Duden 9: Richtiges und gutes Deutsch).
Hier steht das Vollverb im Infinitiv (basteln bzw. zusammenschlagen) nicht im Vorfeld, sondern bildet die rechte Satzklammer. Diese Konstruktion wird in normativen Grammatiken als "umgangssprachlich" bewertet.
Hier steht das periphrastische tun im Konjunktiv II (täte). Diese Konstruktion wird häufig als "landschaftlicher", d.h. regional begrenzter Ausdruck des Konjunktivs eingeordnet (z.B. im Duden: Das große Wörterbuch der deutschen Sprache).
Wie sieht die Situation im tatsächlichen Sprachgebrauch aus? Wird die tun-Periphrase wirklich hauptsächlich in der mündlichen Kommunikation verwendet? Wird die tun-Periphrase mit dem Vollverb im Vorfeld häufiger verwendet als die beiden anderen Konstruktionen? Und gibt es regionale Einschränkungen im Gebrauch? Um diese Fragen zu klären, schauen wir uns die Häufigkeiten der drei Konstruktionen in einem Korpus gesprochener Sprache und in einem schriftsprachlichen Korpus an.
Das IDS-Korpus "Deutsch heute" enthält u.a. die Aufnahmen von 829 halbstündigen Interviews mit Oberstufenschülern und Senioren mit hoher Schulbildung aus dem gesamten Gebiet, in dem Deutsch Staats- oder Amtssprache ist (d.h. Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien und Südtirol). In diesen Interviews kommt das Verb tun insgesamt 1703 Mal vor, und die absoluten und prozentualen Häufigkeiten verteilen sich folgendermaßen auf die verschiedenen Kategorien (die periphrastische Konstruktion mit dem Vollverb im Vorfeld ist nur im Präsens belegt, die Konstruktion mit tun im Konjunktiv II nur ohne Vollverb im Vorfeld):
tun insgesamt | tun als Vollverb | tun-Periphrase | |||
Präsens Indikativ: Vollverb im Vorfeld | Präsens Indikativ: Vollverb nicht im Vorfeld | Konjunktiv II: Vollverb nicht im Vorfeld | |||
absolut | 1703 | 1376 | 176 | 84 | 67 |
prozentual | 100% | 81% | 10% | 5% | 4% |
In 19%, also knapp einem Fünftel aller Verwendungen von tun, liegen tun-Periphrasen vor. Bei gut der Hälfte der 327 periphrastischen Belege steht das Vollverb im Vorfeld (176 Belege), bei der anderen Hälfte ist das Vollverb nicht im Vorfeld (84+67=151 Belege). In der gesprochenen Sprache kann also keine klare Präferenz für die Wortstellung in tun-Periphrasen ausgemacht werden. Die Konjunktiv-II-Konstruktionen (67 Belege) sind allerdings deutlich seltener als die Präsens-Konstruktionen (260 Belege). Wenn alle drei belegten Konstruktionen der tun-Periphrase miteinander verglichen werden, ist die von normativen Grammatiken als standardsprachlich angesehene Konstruktion klar häufiger als die beiden anderen.
Für die Untersuchung der regionalen Verteilung der Konstruktionen eignet sich die Kartierung der Belege aus "Deutsch heute". Auf der Karte wird jeder Sprecher, der eine der drei unterschiedenen Konstruktionen der tun-Periphrase verwendet, durch ein Symbol markiert – je größer das Symbol ist, desto häufiger hat der Sprecher die Konstruktion verwendet. Auf der Karte ist gut zu erkennen, dass die tun-Periphrase mit dem Vollverb im Vorfeld im gesamten deutschsprachigen Raum verwendet wird. Die Verwendung der beiden anderen Konstruktionstypen ist hingegen regional begrenzt: Abgesehen von drei vereinzelten Belegen in Norddeutschland ist die Verwendung der tun-Periphrase ohne Vollverb im Vorfeld auf den mitteldeutschen und den oberdeutschen Sprachraum Deutschlands und Österreichs beschränkt, und tun-Periphrasen im Konjunktiv II finden sich vor allem in Baden-Württemberg, Bayern, Österreich und Südtirol.
Für die Analyse geschriebener Texte wurden 100.000 tun-Sätze aus dem DeReKo (Archiv geschriebene Sprache) zufällig ausgewählt. Davon erwiesen sich 99.853 als gültige Sätze, die tatsächlich eine Wortform des Verbs tun enthielten. Diese Sätze verteilen sich unregelmäßig auf die drei großen Dialektregionen bzw. die Kategorien "überregional" und "unbekannt", was aber an der Datengrundlage liegt (vgl. Tabelle), da das DeReKo bezüglich Publikationsort der Korpora nicht ausgewogen ist.
tun insgesamt (Sätze) | tun, Vollverb im Vorfeld | tun, kein Vollverb im Vorfeld | |||
absolut | absolut | % | absolut | % | |
Norddeutsch (19 Quellen) | 12694 | 49 | 0,39% | 3 | 0,02% |
Mitteldeutsch (12 Quellen) | 22488 | 67 | 0,30% | 29 | 0,13% |
Süddeutsch (20 Quellen) | 30309 | 144 | 0,48% | 29 | 0,10% |
überregional (20 Quellen) | 29236 | 146 | 0,50% | 0 | 0,00% |
unbekannt (12 Quellen) | 5126 | 22 | 0,43% | 1 | 0,02% |
Total | 99853 | 428 | 0,43% | 62 | 0,06% |
Während im gesprochensprachlichen Korpus 19% aller tun-Vorkommen periphrastische Konstruktionen sind, machen die tun-Periphrasen im schriftsprachlichen Korpus nur 0,49% aus.
Nicht überraschend sind nur gerade 62 Fälle (0,06%) aller Sätze tun-Periphrasen, die kein Vollverb im Vorfeld haben. Die normativ gesehen nicht korrekten Formen werden also sehr selten verwendet. Zudem ist anzumerken, dass 11 Nennungen in 9 unterschiedlichen Texten auf die Formeln Herzlich tut mich verlangen (Kantate 161 von Johann Sebastian Bach) und herzlich tut mich erfreuen (Choral von Johannes Brahms) zurückgehen. Trotzdem gibt es auffällige regionale Häufungen dieser Konstruktionsform in mitteldeutschen und oberdeutschen Quellen.
428 Fälle (0,43%) sind Sätze, die ein Vollverb im Vorfeld, also die normativ korrekte Form von tun-Periphrasen, aufweisen. Diese Form tritt häufig in überregionalen Quellen auf, überdurchschnittliche Werte sind aber auch in süddeutschen (bairischen, österreichischen, alemannischen) Quellen zu finden.
Im Gegensatz zur mündlichen Sprache sind tun-Periphrasen, vor allem ohne Vollverb im Vorfeld, in der geschriebenen Sprache selten. Ein Blick auf die Belege zeigt, dass sie oft in der Wiedergabe gesprochener Sprache (z.B. Interviews, Statements) oder für stilistisch markierte Phrasen (Slogans, Merksprüche, Witze etc.) verwendet werden.
Dieser Beitrag findet sich auch in der Festschrift für Bruno Strecker, den Erfinder der "Grammatik in Fragen und Antworten", über den IDS-Buchshop sowie den IDS-Publikationsserver.
Caren Brinckmann / Noah Bubenhofer (2012): „Sagen kann man’s schon, nur schreiben tut man’s selten“ — Die tun-Periphrase. In: Marek Konopka / Roman Schneider: Grammatische Stolpersteine digital — Festschrift für Bruno Strecker zum 65. Geburtstag. Mannheim: Institut für deutsche Sprache. http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:mh39-14629