Welche Form ein Objekt annimmt, wird vom Verb entschieden (Valenz). So muss das Objekt bestimmter Verben entweder im Genitiv, Dativ, Akkusativ oder auch als Präpositionalobjekt realisiert werden. In einigen Fällen scheint jedoch der Kasus nicht klar festgelegt. Eines dieser Verben ist gedenken. Folgt man den gängigen Grammatiken, so verlangt es ein Objekt im Genitiv, z.B.:
Die Erfahrung zeigt aber, dass anstelle des Genitivs auch mal der Dativ verwendet wird:
Auch Präpositionalobjekte sind möglich:
Warum dies der Fall ist und in welchen Kontexten vom Genitiv abgewichen wird, soll im Folgenden näher beleuchtet werden. Darüber hinaus soll ein Frequenzvergleich bei der Entscheidung helfen, ob der Dativ hier eine akzeptable Alternative zum Genitiv darstellt.
Die weiter unten diskutierten Hypothesen ergeben sich aus der Untersuchung von 447 DeReKo-Belegen, ermittelt mithilfe von COSMAS II. Zunächst sortieren wir unpassende Belege aus. Dazu gehören Verwendungen des Verbs gedenken im Sinne von:
Aussortiert werden auch Belege, in denen das Objekt ein Femininum im Singular ist. In solchen Fällen überschneiden sich die Deklinationsformen des Genitivs und Dativs Singular (der Frau vs. der Frau).
Die restlichen, für die Fragestellung passenden Belege lassen sich in drei Kategorien einteilen: Realisierung durch den Genitiv (84,8%), Dativ (14,1%) oder als Präpositionalobjekt (1,1%). Da sich sehr wenige Belege mit einem Präpositionalobjekt finden ließen, werden sie nachfolgend zwar erwähnt, können aber nicht empirische Grundlage für weitere Überlegungen sein.
Die Ergebnisse zeigen, dass Artikelüberschriften im Zusammenhang mit gedenken häufiger den Dativ als den Genitiv nutzen. Überschriften im Allgemeinen sollen plakativ wirken und reduzieren zu diesem Zweck Sätze auf ihr Minimum. Sie sind oft an ihrer einfachen Konstellation Subjekt, Prädikat, Objekt erkennbar. Im Prozess der Einsparung wird auch teilweise auf Artikel vor Substantiven verzichtet. Man vergleiche folgende Beispiele:
Im ersten Beispiel lässt sich der Kasus von KZ-Ende nicht eindeutig bestimmen. Allerdings liegt der Verdacht nahe, dass es sich hierbei um einen Dativ handelt, denn ein Genitiv wäre wohl mit einem Endungs-s markiert und ein Präpositionalobjekt verlangt eine Präposition. Man könnte vermuten, dass vom Genitiv abgesehen wird, um dem Prozess der Reduzierung gerecht zu werden. Schon die Weglassung des Artikels befördert bei Gattungsnamen auch die Weglassung des Genitivmarkers -s (wäre Stadt gedenkt KZ-Endes sprachlich noch akzeptabel?).
Im zweiten Beispiel dagegen wird von der kürzeren Variante (Conti-Belegschaft gedenkt Opfer) abgesehen. Zu bedenken ist hierbei, dass die Dativ-Plural-Endung -n generell nicht auf die Anwesenheit eines Artikels (bzw. eines Attributs) vor dem Substantiv angewiesen ist und dass sie außerdem den Numerus eindeutig macht (anders als Opfer kann Opfern nur Plural sein).
Belege mit Personennamen unterteilen wir zum einen in den Fall I, bei dem der Personenname das gesamte Objekt ausmacht. Zum anderen in den Fall II, bei dem ein weiteres Substantiv vor dem Eigennamen die Person näher beschreibt (der Bäcker Thorsten). Eine dritte Gruppe von Belegen (Fall III) verzichtet komplett auf Eigennamen und verwendet nur Gattungsbezeichnungen. Alle drei Fälle werden sowohl als Genitiv- als auch Dativobjekt realisiert. Zunächst betrachte man die Genitivobjekte:
Fall I mit Genitiv:
Fall II mit Genitiv:
Fall III mit Genitiv:
Auffällig ist, dass Fall I am seltensten auftritt. Die Hypothese zu diesem Ergebnis lautet, dass versucht wird, das Genitiv-s an Eigennamen zu vermeiden. In diesem Zuge stellt man dem Eigennamen ein Substantiv voran (Fall II), welches anstelle des Eigennamens dekliniert wird/werden soll. Ähnliches lässt sich über die Fälle des Typs III aussagen. Die Personennamen in Fall II haben die Funktion einer Apposition und passen sich nicht dem Kasus der dazugehörigen Nominalphrase an — sie stehen daher (wie im Beispiel) im Nominativ. Sie ergänzen bzw. konkretisieren das Objekt seiner Götter. Gleiches gilt für den Personennamen in Fall II der folgenden Beispiele.
Häufiger greift man bei der Verwendung von Eigennamen auf den Dativ zurück:
Fall I mit Dativ:
Fall II mit Dativ:
Fall III mit Dativ:
Anders als beim Genitiv tritt beim Dativ der erste Fall am häufigsten auf. Die Fälle II und III kommen nur als seltene Ausnahmen vor. Aufbauend auf der Hypothese zum Genitiv bei Personennamen liegt hier die Vermutung nahe, dass in den Fällen, in denen ein Personenname verwendet werden soll, auf den Dativ zurückgegriffen wird, um aus stilistischen Gründen das Genitiv-s oder eine zusätzliche Gattungsbezeichnung bzw. ein Pronomen zu vermeiden.
In Verbindung mit dem Verb gedenken tritt der Dativ häufiger als vielleicht vermutet anstelle des Genitivs auf. Wie die Tabelle unten illustriert, scheint die Genitivmarkierung von Eigennamen eine Rolle beim Kasuswechsel zu spielen (1,3% vs. 20,6%). Oft wird auch versucht, durch Hinzufügen einer Gattungsbezeichnung (bzw. durch das Ersetzen des Personennamens durch ebendiese) das Genitiv-s an Eigennamen zu umgehen (1,3% vs. 2,3% + 4,7%). Für die überwiegende Verwendung des Dativs in Zeitungstiteln (3,9% vs. 12,6%) können wir unsere Hypothese nicht eindeutig durch die Belege untermauern.
Form des Objekts | Zeitungstitel | Eigenname | Gattung/Pronomen + Eigenname | Gattung | Rest | Gesamt |
Genitiv | 15 (3,9%) | 5 (1,3%) | 9 (2,3%) | 18 (4,7%) | 332 (87%) | 379 (100%) |
Dativ | 8 (12,6%) | 13 (20,6%) | 5 (7,9%) | 2 (3,1%) | 36 (57%) | 63 (100%) |
[Präpositionalobjekt] | [0 (-)] | [1 (20%)] | [1 (20%)] | [0 (-)] | [3(60%)] | [5 (100%)] |
Belege der Kategorie „Rest“ folgen keinem auffallenden Schema/Muster, sondern ähneln den Beispielen 1-5 oben bzw. weisen ein Pronomen anstelle des Substantivs auf, vgl.:
Unsere Auswertung zeigt, dass Belege dieser Art hauptsächlich im Genitiv erscheinen.
Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass — mit Ausnahme der zuvor dargelegten Fälle — der Dativ in den gefundenen Belegen verhältnismäßig selten in Erscheinung tritt (vgl. Tabellenspalte "Gesamt"). Für die vorliegende Fragestellung dürfte er damit keine gleichwertige Alternative sein.