Wir gedenken der Helden, den Helden, die Helden oder an die Helden? — Schwankungen bei der Rektion einiger Verben

Welche Form das Objekt annimmt, wird immer vom Verb entschieden (Valenz). So muss das Objekt bestimmter Verben entweder im Genitiv, Dativ, Akkusativ oder auch als Präpositionalobjekt realisiert werden. In einigen Fällen scheint jedoch der Kasus nicht klar festgelegt. Eines dieser Verben ist gedenken. Geht man nach den gängigen Grammatiken, so verlangt es ein Objekt im Genitiv:

Sie sollten einst der „Helden“ gedenken und sind doch Mahnmale zugleich. (Schweriner Volkszeitung 2009/NOV.06672)
In den Gottesdiensten gedenken wir der Verstorbenen des zurückliegenden Kirchenjahrs. (Braunschweiger Zeitung 2007/NOV.09084)
Wir gedenken der Toten und teilen das Leid ihrer Angehörigen. (Reden und Interviews/RBP.01411)

Die Erfahrung zeigt aber, dass anstelle des Genitivs der Dativ

Mit dem Verzicht auf Fleisch gedenken Christen dem Leiden und Sterben Jesu. (Die Rheinpfalz 2014/MAR.02235)

oder andere Formen (Präpositionalobjekt)

Viele wollen an ihr Engagement für Frauen aus dem Milieu gedenken. (Süddeutsche Zeitung 2009/FEB.04590)

treten können. Warum dies der Fall ist und in welchen Kontexten vom Genitiv abgewichen wird, soll im Folgenden näher erläutert werden. Darüber hinaus soll ein Frequenzvergleich helfen zu entscheiden, ob der Dativ eine akzeptable Alternative zum Genitiv darstellt.

Die weiter unten diskutierten Hypothesen ergeben sich aus der Untersuchung von 447 DeReKo-Belegen, ermittelt mithilfe von COSMAS II. Zunächst wurden ungültige Belege aussortiert. Dazu gehörten Formen des Verbs gedenken im Sinne von „Wie gedenkt die Bundesregierung die Informationsrechte […] zu stärken?“ (Plenarprotokolle des Parlaments Deutscher Bundestag/W16.00168), aber auch Belege, in denen das Objekt ein Femininum im Singular ist. In diesem Fall überschneiden sich die Deklinationsformen des Genitivs und Dativs Singular (der Frau vs. der Frau). Die gültigen Belege konnten in drei Kategorien eingeteilt werden: Realisierung durch den Genitiv (84,8%), Dativ (14,1%) oder als Präpositionalobjekt (1,1%). Da sich sehr wenige Belege mit einem Präpositionalobjekt finden ließen, werden sie zwar erwähnt, können aber nicht die Grundlage für weitere Überlegungen sein.

Zeitungstitel

Die Ergebnisse zeigen, dass Artikelüberschriften (siehe Beispiele unten) häufiger den Dativ im Zusammenhang mit gedenken beinhalten, als den Genitiv. Überschriften im Allgemeinen sollen plakativ wirken. Zu diesem Zweck werden die Sätze auf ihr Minimum reduziert. So sind Titel oft an ihrer einfachen Konstellation Subjekt, Prädikat, Objekt erkennbar. Im Prozess der Einsparung wird auch teilweise auf Artikel vor Substantiven verzichtet (siehe Beispiele). Man vergleiche folgende Beispiele:

Stadt gedenkt KZ-Ende (Rhein-Zeitung 2012/JAN.28112)
Conti-Belegschaft gedenkt Opfern (Braunschweiger Zeitung 2012/FEB.10255)

Da im ersten Fall KZ-Ende ohne Endung erscheint, lässt sich nicht eindeutig sagen, welchen Kasus es angenommen hat. Allerdings liegt der Verdacht nahe, dass es sich hierbei ebenfalls um einen Dativ handeln muss, denn ein Genitiv wäre mit einem -s markiert und ein Präpositionalobjekt verlangt eine Präposition. Andere Alternativen weisen die gesamten Belege nicht auf. Die erste Vermutung ist, dass vom Genitiv abgesehen wird, um dem Prozess der Reduzierung gerecht zu werden. Schon die Weglassung des Artikels zwingt bei Gattungsnamen auch zur Weglassung des Genitivmarkers -s (Stadt gedenkt KZ-Endes ist wohl unakzeptabel). Allerdings wird im anderen Fall (Beispiel 2) von der kürzeren Variante (Conti-Belegschaft gedenkt Opfer) abgesehen. Zu bedenken ist hier aber, dass die Dativ-Plural-Endung -n generell nicht auf die Anweisenheit eines Artiklels (bzw. eines Attributs) vor dem Substantiv angewiesen ist und dass sie außerdem den Numerus eindeutig macht (anders als Opfer kann Opfern nur Plural sein).

Personennamen

Die Belege, welche einen Personennamen enthalten, wurden in zwei Kategorien geteilt. Zum einen in Belege, in denen der Personenname das gesamte Objekt ausmacht (siehe Fall I), zum anderen in Fälle, in denen dem Eigennamen ein weiteres Substantiv, welches die Person näher beschreibt (der Bäcker Thorsten, siehe auch Fall II). In einer dritten Gruppe von Belegen wird auf den Eigennamen komplett verzichtet und allein eine Gattungsbezeichnung verwendet (siehe Fall III). Alle drei Fälle werden sowohl als Genitiv- als auch Dativobjekt realisiert. Zunächst betrachte man die Genitivobjekte.

Fall I:

Arte gedenkt Rainer Werner Fassbinders […]. (Süddeutsche Zeitung 2012/JUN.00923)

Fall II:

Toscanini gedenkt seiner Götter Verdi, Wagner, Beethoven […]. (Süddeutsche Zeitung 2010/JAN.02331)

Fall III:

Mit einem ‘Roy Black Wochenende‘ will die Stadt ihres wohl berühmtesten Sohnes gedenken. (Die Südostschweiz 2011/OKT.01873)

Auffällig ist, dass der Fall I am seltensten auftritt. Die Hypothese zu diesem Ergebnis lautet, dass versucht wird, das Genitiv-s an Eigennamen zu vermeiden. In diesem Zuge stellt man dem Eigennamen ein Substantiv voran (Fall II), welches anstelle des Eigennamens dekliniert wird/werden soll. Ähnliches lässt sich über die Fälle des Typs III aussagen. Die Personennamen in Fall II haben die Funktion einer Apposition und passen sich nicht dem Kasus der dazugehörigen Nominalphrase an – sie stehen daher (wie in diesem Beispiel) im Nominativ. Sie ergänzen bzw. konkretisieren das Objekt seiner Götter. Gleiches gilt für den Personennamen in Fall II der folgenden Beispiele.

Häufiger tritt der Fall auf, dass man bei der Verwendung von Eigennamen auf den Dativ zurückgreift.

Fall I:

Mit einem Film und einer Schweigeminute wird der DFB Enke gedenken. (Meldungen der Deutschen Presse-Agentur 2009/NOV.07400)

Fall II:

Am Donnerstag, 26. März, gedenken wir im Abendgottesdienst um 18 Uhr unserem verstorbenen Mitglied Sabina Heiser. (Mannheimer Morgen 2009/MAR.23013)

Fall III:

Mit einem festlichen Gottesdient gedenken die Gläubigen ihrem Schutzpatron. (Rhein-Zeitung 1996/JAN.07961)

Anders als beim Genitiv tritt beim Dativ der erste Fall am häufigsten auf. Die Fälle II und III kommen nur als seltene Ausnahmen vor. Aufbauend auf der Hypothese zum Genitiv bei Personennamen, liegt hier die Vermutung nahe, dass in den Fällen, in denen ein Personenname verwendet werden soll, auf den Dativ zurückgegriffen wird, weil aus stilistischen Gründen das Genitiv-s oder eine zusätzliche Gattungsbezeichnung bzw. ein Pronomen vermieden werden sollen.

Fazit

Der Dativ tritt häufiger in Verbindung mit dem Verb gedenken auf, als man vermuten konnte. Es wird deutlich, wann der Sprecher (oder vielmehr der Schreiber) vom Genitiv abkommt und stattdessen den Dativ benutzt:

Wie die Tabelle unten zeigt, scheint das Genitiv-s an Eigennamen ausschlaggebend für den Wechsel des Kasus zu sein (1,3% vs. 20,6%). Oft wird jedoch auch versucht, durch Hinzufügen einer Gattungsbezeichnung bzw. durch das Ersetzen des Personennamens durch ebendiese, die Verwendung des Genitiv-s am Eigennamen zu umgehen (1,3% vs. (2,3% + 4,7%)). Für die überwiegende Verwendung des Dativs in Zeitungstiteln (3,9% vs. 12,6%) lässt sich nur eine Hypothese aufstellen, welche durch die Belege nicht eindeutig belegbar ist.

Belege, welche in der Tabelle unter der Kategorie „Rest“ eingeordnet wurden, folgen keinem auffallenden Schema/Muster, sondern ähneln den Beispielen 1-5 oben bzw. weisen ein Pronomen anstelle des Substantivs auf, vgl.:

Wir gedenken seiner in Trauer und Dankbarkeit. (Plenarprotokolle des Parlaments Abgeordnetenhaus Berlin/W14.00001)
Wir wollen ihm in Ehren gedenken und ihn auf seinem letzten Weg begleiten. (Mannheimer Morgen 2010/FEB.10110)

Wie die Tabelle zeigt, waren Belege dieser Art hauptsächlich mit einem Genitiv vertreten.

Form des ObjektsZeitungstitelEigennameGattung/Pronomen + EigennameGattungRestGesamt
Genitiv15 (3,9%)5 (1,3%)9 (2,3%)18 (4,7%)332 (87%)379 (100%)
Dativ8 (12,6%)13 (20,6%)5 (7,9%)2 (3,1%)36 (57%)63 (100%)
[Präpositionalobjekt][0 (-)][1 (20%)][1 (20%)][0 (-)][3(60%)][5 (100%)]
Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass - mit Ausnahme der zuvor dargelegten Fälle - der Dativ verhältnismäßig selten in Erscheinung tritt (vgl. Spalte "Gesamt") und man daher nicht davon sprechen kann, dass dieser Kasus eine gleichwertige Alternative darstellt.

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Autor(en)
Oskar Jabs
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