Im See baden gehen oder in den See baden gehen ? — Valenzprobleme bei Verbgruppen

Jan: "Kommst Du mit, wir gehen im See baden?" – Sonja: "Nein, ich gehe heute in die Stadt einkaufen, ich gehe sowieso lieber ins Meer baden als in den See." – Jan: "Du könntest aber morgen in der Stadt einkaufen gehen, und ich gehe dann heute mit dir im Meer baden statt im See. Einverstanden?"

Außer über den gemeinsamen Zeitvertreib hätten Jan und Sonja unter Umständen auch über ihre Ausdrucksweisen diskutieren können, denn sie haben den Ort, an dem sie etwas tun wollen, verschieden ausgedrückt: Jan unter Verwendung des Dativs, Sonja unter Verwendung des Akkusativs. Beide hätten eine Bestätigung ihrer jeweiligen Ausdrucksweise in Zeitungen und Zeitschriften gefunden, in denen sowohl Dativ als auch Akkusativ belegt sind:

Jeder, der in einem See baden geht, sollte wissen, dass man bei Gewitter sofort das Wasser verlassen muss.
[die tageszeitung, 16.10.2004, S.33]
Nachdem wir heimgekommen sind, durften wir noch in der Halle Fussball spielen und anschließend gingen einige noch in den See baden.
[St. Galler Tagblatt, 24.10.2001; Lagerbericht aus Tenero]
Einkaufen geht sie meist im Osten in der alten HO-Kaufhalle, die jetzt auch mit Westwaren bestückt ist.
[die tageszeitung, 09.11.1990, S.3]
Wie ich weiß, lässt sie die Maschine auch dann laufen, wenn sie in die Stadt einkaufen geht und längere Zeit abwesend ist.
[Mannheimer Morgen, 08.01.2004; Waschmaschine]

Man findet sogar Belege, in denen beide Kasus hintereinander im selben Satz verwendet werden (was nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen wird):

Sie gehen schon lange nicht mehr im Altarm des Stromes baden, nur noch in die penibel saubergehaltenen Schwimmbecken des Traditionsbades.
[Salzburger Nachrichten, 20.07.1993; Badeverbot]

Nun stellen sich folgende Fragen:

Wie ist es zu diesen beiden Ausdrucksweisen gekommen?

Eigentlich kollidieren hier zwei Regeln:

Man geht irgendwohin.
aber
Man badet irgendwo.
oder
Man kauft irgendwo ein.

Der Ort, wohin man geht (rot markiert), wird durch ein richtungsbestimmendes Adverb (z. B. irgendwohin, dorthin) oder eine richtungsbestimmende Präpositionalphrase ausgedrückt, z. B. durch in mit dem Akkusativ. Dagegen wird der Ort, wo gebadet bzw. eingekauft wird (orange markiert), durch ein ortsbestimmendes Adverb (z. B. irgendwo, dort) oder eine ortsbestimmende Präpositionalphrase ausgedrückt, z. B. durch in mit dem Dativ. Da sich aber in den oben gezeigten Sätzen beide Handlungen auf denselben Ort (als Ziel der Fortbewegung und als Ort der nachfolgenden Handlung) beziehen, und dieser verkürzend aus Gründen der Sprachökonomie nur einmal genannt wird, muss man eine Wahl treffen: in mit Dativ oder in mit Akkusativ?

Wie gesagt, die Notwendigkeit dieser Wahl resultiert aus einer sprachlichen Einsparung. Eigentlich geht es um zwei Sätze, die ineinander verschoben werden:

Jemand geht in einen See [irgendwohin]. — Jemand badet in einem See [irgendwo].
  • Die beiden Subjekte verschmelzen zu einem einzigen Subjekt: jemand.
  • Das zweite Verb badet reiht sich hinter das erste Verb ein und nimmt die Form des Infinitivs an: jemand geht baden.
  • Und jetzt muss man sich entscheiden, welcher der beiden Möglichkeiten, den Ort See auszudrücken, der Vorzug gegeben wird.

Beide Möglichkeiten auszudrücken wird ja dadurch verhindert, dass nur eine Stelle im Satz vorgesehen ist. Entweder wird also die Ergänzung des Verbs baden verwendet und die Ergänzung des Verbs gehen unterdrückt: jemand geht <im See baden>. Oder es wird umgekehrt die Ergänzung des Verbs gehen verwendet und die Ergänzung des Verbs baden unterdrückt: jemand <geht in den See> baden.

Syntaktisch ausgedrückt:

Fall 1: jemand geht im See baden
Der Satzteil im See baden ist als Ganzes ein Komplement des Verbs gehen , und zwar ein Verbativkomplement, das seinerseits aus dem Infinitiv baden und dessen Situativkomplement im See besteht.

Baden 1

Fall 2: jemand geht in den See baden
Außer dem Subjekt hat hier das Verb gehen noch zwei weitere Komplemente, einerseits das Direktivkomplement in den See und andererseits das Verbativkomplement, nämlich den Infinitiv baden.

Baden 2

Neben der Präposition in mit Dativ bzw. mit Akkusativ sind noch weitere Präpositionen und auch Adverbien nachweisbar, unter denen man zwischen Ortsbestimmung und Richtungsbestimmung bei der Verwendung des Verbs gehen mit einem Infinitiv wählen kann. Hierzu zählen z.B. dort, irgendwo, auf/an mit dem Dativ oder bei mit dem Dativ (als Bezeichnung für den Ort) in Opposition zu dorthin, irgendwohin, auf/an mit dem Akkusativ, nach/zu mit dem Dativ (als Bezeichnung für die Richtung):

Wann können wir dort einkaufen gehen?
[Mannheimer Morgen, 02.06.2004; Taunusplatz]
Ich würde es ja auch begrüßen, wenn es mehr kleinere Läden gäbe, aber dann müssen auch Sie, Herr Simma, dorthin einkaufen gehen.
[Voralberger Nachrichten, 12.03.1998, S.A5]
Dann zum Beispiel, wenn er selbst auf einem Markt einkaufen geht.
[Berliner Zeitung, 25.07.2003, S.19]
Der Koch geht selbst auf den Markt einkaufen, was beste Qualität garantiert.
[Berliner Zeitung,27.09.2003, S.25]
Unionsfraktionschef Friedrich Merz geht mit der Familie an der Adria baden.
[Mannheimer Morgen, 08.07.2000; Fischer liest in Italien, Westerwelle segelt]
Der Geschäftsführer der Werbegemeinschaft Einkaufszentrum Dornbirn geht viel lieber an den Bodensee baden als ins Freibad.
[Voralberger Nachrichten, 20.07.2000, S.Y4]
Konsequent in Sachen biodynamische Ernährung ist er nicht, meist geht auch er bei Aldi oder im Konsum einkaufen.
[die tageszeitung, 24.05.1991, S.23]
Wir rechnen damit, daß ab Juli das gesamte Randgebiet nach Westberlin beziehungsweise in die BRD einkaufen geht.
[die tageszeitung, 14.06.1990, S.4]
Um den Kreislauf in Gang zu halten, gehen sie abends zum See baden.
[Berliner Zeitung, 16.08.2000, S.29]

Gibt es einen Bedeutungsunterschied zwischen beiden Ausdrucksweisen?

Zwischen den beiden Varianten kann man einen kleinen Bedeutungsunterschied sehen:

  1. Wird der Tatsache, dass irgendwo gebadet wird, mehr Aufmerksamkeit und der Tatsache, dass man sich deswegen irgendwohin bewegt, weniger Aufmerksamkeit geschenkt, so wird die Ergänzung des Verbs baden verwendet und die Ergänzung des Verbs gehen unterdrückt: jemand geht im See baden.
  2. Wird aber der Tatsache, dass man sich irgendwohin bewegt, um zu baden, mehr Aufmerksamkeit geschenkt, dann kann die Ergänzung des Verbs gehen verwendet und die Ergänzung des Verbs baden unterdrückt werden: jemand geht in den See baden.

Sind beide Möglichkeiten gleichermaßen akzeptabel?

Prinzipiell ja, aber die Variante mit einer Ortsbestimmung (orange markiert) ist bei weitem häufiger belegt. In ungefähr 80 % der gefundenen Korpusbelege (untersucht wurden baden/einkaufen/joggen/schwimmen gehen) wird die Variante mit der Ortsbestimmung gewählt und nur in ungefähr 20 % die Variante mit einer Richtungsbestimmung (rot markiert).

Die Variante mit Ortsbestimmung (im See) scheint also die üblichere zu sein, man kann auch sagen: die unauffälligere. Dies gilt aber nur für das Verb gehen in Verbindung mit einem Infinitiv.

Die Recherche im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) erfolgte zuletzt im September 2024 über KorAP.

Gibt es noch andere Verben, die wie gehen verwendet werden?

Wenn statt des Verbs gehen das Verb fahren verwendet wird, kommt üblicherweise keine Ortsbestimmung hinzu. In 709 gefundenen Belegen für einkaufen fahren finden wir beinahe ausschließlich Richtungsbestimmungen:

"Pervers ist, daß die Kunden zwar die Verdrängung der familiären Kleinbetriebe bedauern, im nächsten Moment aber in die Konsumtempel einkaufen fahren."
[Berliner Zeitung, 12.08.1998, S. 21]

Die wenigen Belege mit Ortsbestimmungen finden sich vorrangig in unredigierten Texten:

Als sie auf dem Markt einkaufen fahren will, versagen die Bremsen.
[The House on Telegraph Hill, In: Wikipedia 2017, http://de.wikipedia.org/wiki/The_House_on_Telegraph_Hill]

Dieser Umstand zeigt, dass die Komponente 'Fortbewegung' beim Verb gehen häufig in den Hintergrund tritt, wenn es mit einem Infinitiv verwendet wird, wie z.B. auch in Verbindungen wie schlafen gehen, essen gehen, fernsehen gehen. Gehen wird dann ähnlich wie ein Modalverb verwendet, ein bisschen im Sinne von wollen. Beim Verb fahren bleibt der Aspekt 'Fortbewegung' deutlicher bestehen.

Außer dem Verb gehen und dem Verb fahren gibt es kaum Belege für andere Fortbewegungsverben, die mit einem Infinitiv verwendet werden. Wenn aber jemand doch ein anderes Verb so verwenden möchte, sollte er es eher wie fahren mit einer Richtungsbestimmung verwenden:

Er reitet einkaufen ins Dorf.

Nur mit dem Verb gehen in Verbindung mit einem Infinitiv ist die Ortsbestimmung üblich.

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Autor(en)
Jacqueline Kubczak
Bearbeiter
Roman Schneider
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