Große Fußball-Kunst war es nicht gerade, was die Bayern
am Dienstag in Lyon zustande brachten. [...] Dass die "Lyoner oder Lyoneser oder wie sagt man da" (Sat 1-Moderator
Oliver Welke) kurz vor Schluss den Ausgleich erzielten, störte fast
niemanden.
[Berliner Zeitung, 23.10.2003, S. 18]
Panamaer, Panamenier, Panamese oder Panamanese? Und wie heißen eigentlich die Einwohner von Madagaskar? Oder von Dallas und Cannes? Und warum wird Island von Isländern bewohnt, Finnland aber nicht von Finnländern?
Die Praxis der Bildung von Herkunftsbezeichnungen, fachsprachlich nomina originis genannt (Baeskow 2002), verwirrt. Immer wieder begegnen uns bezeichnende Varianten:
So erklärt zum Beispiel Wikipedia zur Bevölkerung Panamas: "Die amtliche Bezeichnung lautet Panamaer. Umgangssprachlich wird auch oft die Bezeichnung Panamenier [...] benutzt." Anderswo steht dann noch:
Stimmen alle diese Varianten oder immer nur eine? Und wenn wir unsicher sind: Woran sollen wir uns orientieren?
Üblicherweise dominiert statistisch, also allein von der Menge des Gebrauchs her eine der Varianten. So finden sich in den Korpora des Instituts für Deutsche Sprache 432 Belege für Bolivianer und nur 5 Belege für Bolivier; ähnlich auf den deutschsprachigen Seiten von Google (Mai 2008) rund 28.600 Belege für Bolivianer und nur 507 Belege für Bolivier. Hier zwei Beispiele:
In den Korpora des Instituts für Deutsche Sprache finden sich 1107 Belege für Este und nur 40 Belege für Estländer; ähnlich auf den deutschsprachigen Seiten von Google (Mai 2008) rund 628.000 Belege für Este und nur 2480 Belege für Estländer, zum Beispiel:
Auch für die Varianten von Panamaer gibt es Tendenzen; aufgerundet sehen die Zahlenverhältnisse so aus:
IDS-Korpora | Google (Juni 2008) | |
Panamaer | 160 | 2800 |
Panamenier | 5 | 130 |
Panamese | 70 | 550 |
Panamanese | - | 20 |
Natürlich kann sich das Übliche ändern. So erstaunt uns zum Beispiel dieser Beleg:
Ist das witzig gemeint? Oder verächtlich? Jedenfalls ist das eine heute ungewöhnliche, eine auffällige Form. Dagegen war Japanese früher die ganz und gar übliche, ganz und gar neutrale Bezeichnung. So schreibt etwa Wilhelm Dilthey in Westermanns Monatsheften 1876 :
So auch Georg Forster 1791:
Oder Ernst Rudolf Kaeuffer 1860:
Nehmen wir aber mal an, im Vietnam-Forum von 2006 wird nichts Historisches aufgegriffen. Hier geht es ja thematisch ohnehin um die wirtschaftlich harte Gegenwart. Dann hat der Japanese-Schreiber aber unter einem anderen Aspekt Recht:
Wir wissen etwa, dass es im Kontext Asien üblich ist, Bewohnerbezeichnungen mit dem Suffix -ese zu bilden; in diesem Kontext ist auch Japanese ganz in Ordnung:
Im Kontext Zentral- und Südamerika dagegen ist es üblich, Einwohnerbezeichnungen mit dem Suffix -(an)er zu bilden:
Auch im Kontext mit Ort- oder Landschaften gibt es solche Üblichkeiten; die meisten werden mit dem Suffix -er gebildet:
Entsprechend heißen auch die Einwohner von Dallas und Cannes:
Wobei Ausnahmen die Regel bestätigen: So gibt es zum Beispiel einerseits Bezeichnungen nicht-asiatischer Einwohner mit -ese wie Kongolese oder Libanese. Und es gibt Bezeichnungen für Asiaten, die nicht mit -ese gebildet werden: Koreaner, Inder oder eben Japaner. Und ein Bewohner von Bayern, Franken oder Schwaben heißt üblicherweise nicht Bayerner, Frankener oder Schwabener, sondern Bayer, Franke und Schwabe.
Wie kommt es nun wieder dazu?
Es ist nämlich nicht ganz beliebig, was wie gebildet werden kann. Zum Beispiel sieht die Wortbildung bei Ländern oder Landschaften mit einem -land im Namen genau zwei Möglichkeiten vor:
Im ersten Fall ist Russland das Land der Russen; die Personenbezeichnung ist also primär, aus ihr wird ein Ländername mit Land zusammengesetzt. So ist es auch bei
In die Ableitungsrichtung Russe -> Russland gehen auch Bezeichnungen wie Schwabe, das Basis der Landesbezeichnung Schwaben ist. So auch Bayer, Hesse, Niedersachse, Schwede, Ungar.
Im zweiten Fall ist der Isländer der Bewohner von Island; dann ist der Ländername primär, aus ihm leitet sich die Bezeichnung für den Bewohner ab. So auch bei
Die Ableitungsrichtung Island -> Isländer verweist auf eine grundsätzliche Möglichkeit der Wortbildung: die Ableitung von nomina originis mit dem Suffix -er.
Es liegt nahe zu vermuten, dass das Suffix -er in Isländer mit dem ebenfalls hochvitalen Suffix -er zu tun hat, mit dem wir generell Personenbezeichnungen erzeugen: Lehrer, Händler, Sprecher. Wie Baeskow 2002, S. 685-688, schlüssig erklärt, geht aber das -er in Lehrer auf lat. -arius zurück, während das -er in Isländer von lat. varii kommt, zum Beispiel althochdeutsch romwari 'Römer'. Parallelen gibt es auch zur deutschen Adjektivbildung: Leonberger Bausparkasse, Schwarzwälder Torte. So auch:
Bei der Bildung von nomina originis ist -er hochvital; wir können es nicht nur - wie oben gezeigt - regelmäßig verwenden, um Einwohner von Ort- oder Landschaften zu benennen, sondern auch sonst:
Wohl auch, weil uns die Ableitungen mit -er so vertraut sind, gibt es in vielen Fällen Parallelformen, bei denen immer eine -er-Variante dabei ist:
Hier zwei Beispiele:
Offenbar kann man mit den geläufigen -er-Bildungen also wenig falsch machen.
Mitunter gibt es Bildungen mit Suffixerweiterungen wie -(a)ner, so regelmäßig bei deutschen Ortnamen auf -er und häufig bei Ländernamen auf -a:
Auffällig ist die Suffixerweiterung -enser in Cellenser, Hallenser, Jenenser, Thalenser. Die meisten nomina originis mit -enser sind stilistisch neutral:
Mitunter werden sie aber mehr oder weniger liebevoll spöttisch gebraucht, etwa bei Badenser neben neutralem Badener, so auch:
In Enzyklopädien wie Wikipedia (Juni 2008) lesen wir oft:
Fremdsprachig motivierte Personenbezeichnungen sind weiter:
Auch die zahlreichen Bezeichnungen italienischer Stadtbewohner wie Bolognese, Cremonese, Genuese, Lucchese, Milanese, Sienese, Veronese gehen auf fremdsprachige Vorbilder zurück; im Italienischen hat sich das lateinische Suffix -ensem als -ese etabliert:
Besonders als Ausdruck von political correctness und Bildung können wir solche Informationen nutzen. Eine Schwierigkeit besteht dann mitunter darin, die fremdsprachigen Originalbezeichnungen in deutsche Sätze einzupassen, etwa Plurale zu bilden:
Vgl. dazu Plural bei Fremdwörtern.
Es gibt keine einheitliche Regelung für die Bildung von nomina originis. Es
gibt aber Orientierungshilfen:
1. Wir können zu jedem fraglichen nomen originis
statistische Häufigkeiten ermitteln und uns der Menge anschließen.
2. Wir können
uns an Analogien zu ähnlichen nomina originis halten.
3. Wir können die Regeln und
Möglichkeiten der Wortbildung nutzen.
4. Wir können Eigenbezeichnungen
verwenden.
Ofizielle Bezeichnung* | Varianten |
Albaner | Albanier, Albaneser |
Andorraner | Andorrer, Andorrier |
Angolaner | Angolese, Angolier |
Aserbaidschaner | Aseri |
Azorer | Azoreaner |
Bahamaer | Bahamasier, Bahamese |
Bahrainer | Bahrainese |
Bangladescher | Bangladeschi |
Barbardier | Barbadosaner |
Baske | Baskenländer |
Bengale | Bengalese, Bengali |
Belizer | Belize, Belizaner |
Beniner | Beninese |
Bhutaner | Bhutanese |
Bolivianer | Bolivier |
(Bosnier) | Bosniake |
Bruneier | Brunei, Darussalamer |
Burkiner | Burkina Fasoer |
Burundier | Burunder, Burundeser |
Ceylonese | Ceyloner |
Dschibutier | Dschibuti |
Eritreer | Eritreaner |
Este | Estländer |
Ghanaer | Ghanier, Ghanese |
Guatemalteke | Guatemale, Guatemalier |
Gabuner | Gabuneser |
Gambier | Gambianer |
Grenader | Grenadier |
Guineer | Guineaner |
Guyaner | Guyanese |
Haitianer | Haitaner |
Honduraner | Hondurer |
Indonesier | Indonese |
Iraker | Iraki |
Israeli | Israele |
Ivorer | Elfenbeinküstler, Elfenbeiner |
Javaner | Javanese |
Jemenit | Jemener |
Kanarese | Kanarier |
Kap-Verdier | Kap-Verdianer |
Kasache | Kasachstaner |
Katarer | Katareser |
Kenianer | Kenier, Keniatte |
Komorer | Komoraner |
Kirgise | Kirgistaner |
Kongolese | Kongoer, Kongolaner |
Laote | Laoser, Laotaner |
Lesother | Lesothe |
Lette | Lettländer |
Madagasse | Madagasker |
Malaysier | Malaye |
Mazedonier | Makedonier, Makedone, Mazedone |
Melanesier | Melanese |
Mikronesier | Mikronese |
Moldauer | Moldawier |
Monegasse | Monacoer, Monacer |
Naruer | Naruaner |
Nigrer | Nigerianer, Nigerer |
Osmaner | Osmani |
Panamaer | Panamenier, Panamanese |
Philippiner | Filippino |
Polynesier | Polynese |
San-Marinese | San-Marineser |
Salvadorianer | El Salvadorianer |
Somalier | Somale |
Tibeter | Tibetaner |
Togoer | Togolese |
Usbeke | Usbekistaner |
Venezolaner | Venezuelaner, Venezuele |
Zyprer | Zyprier, Zypriote |
* nach dem Verzeichnis der Staatennamen für den amtlichen Gebrauch in der Bundesrepublik Deutschland.