Frau Professor oder Frau Professorin? — Deutsche Wortbildung und Political Correctness

Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2006, spiegelt teilweise einen veralteten Forschungsstand zum Thema wider und thematisiert nicht umfassend die Positionen des gegenwärtigen Diskurses. Ergänzende und aktuelle Informationen sind in Heft 2/2021 des IDS-Sprachreports zu finden.
Es ist stets unser Ziel, auf transparente Weise den Stand der Forschung und verschiedene Forschungspositionen anzubieten und eine kritische Auseinandersetzung mit grammatischen und sprachlichen Themen zu ermöglichen. Deshalb werden Artikel zeitweise offline gestellt und überarbeitet. Verzögert sich dies aufgrund personeller Engpässe, werden Artikel wieder in der ursprünglichen Form zur Verfügung gestellt, bis an gleicher Stelle aktuellere fachliche Informationen zum Thema angeboten werden können. Wir bitten deshalb zu entschuldigen, dass zwischenzeitlich in der Rubrik „Grammatik in Fragen und Antworten“ kein Artikel zum Thema verfügbar gewesen ist. Bitte beachten Sie als eine Ergänzung zu diesem Beitrag die Artikel im SPRACHREPORT 2/2021.



Mein Enkel nervt mich mit der Frage,
ob es "Frau Lehrer" oder "Frau Lehrerin" heißen muß.
Beides ist richtig, habe ich ihm geantwortet,
aber ich bin nicht sicher.
Was stimmt denn nun?

(http://www.korrekturen.de/forum/index.cgi/read/3794, 10.6.2005)

Sexusneutrale Bezeichnungen für Menschen wie Professor durch das Movierungssuffix -in sexuszumarkieren, ist im Prinzip immer möglich, aber nicht zwingend, denn sexusneutrale Bezeichnungen gelten selbstverständlich für beide Geschlechter: Mit Professor bezeichnen wir sowohl einen Mann als auch eine Frau. Ausführlich dazu: Genus und Sexus. Wer sich aber um Political Correctness bemüht, versucht, die Anwesenheit von Frauen konsequent durch frauenspezifische Ausdrücke zu betonen. Besonders im Kontext mit Anreden und Titeln stößt das allerdings sogar unter Frauen auf Unmut: "Eine mit Frau Doktorin angesprochene Ärztin dürfte sich vorderhand noch ein bisserl gehänselt fühlen" (Neue Kronen-Zeitung, 27.03.1994, S. 12). Wie also sagt man am besten: Frau Professor oder Frau Professorin?

Entscheidungshilfen

Beides ist üblich, beides bietet das System der deutschen Sprache an. Wem die Entscheidung für das eine oder andere schwer fällt, sollte sich die Vor- und Nachteile bewusst machen:

Professor schließt Männer und Frauen ein

Man kann sich darauf berufen, dass früher "in der Sprachgemeinschaft niemals irgendein Zweifel daran aufgekommen ist, daß der Bürgersteig auch für Frauen da ist, daß ein Führerschein auch für Frauen gilt, daß in einem Nichtraucherabteil auch Frauen nicht rauchen sollen. Es galt nämlich seit alters die Regel: Für Sammelbezeichnungen einzelner Gruppen, bei denen die Geschlechtszugehörigkeit sowenig interessiert wie andere Merkmale (Beruf, Alter, Größe, Haarfarbe und so weiter), wird die kürzere Grundform verwendet. Aus sprachhistorischen Gründen ist diese Form meist von maskulinem grammatischen Geschlecht, aber nicht immer: Geiseln, Seelen, Personen, Persönlichkeiten, Fach- und Führungskräfte sind Feminina, von denen sich gleichwohl nie ein Mann ausgegrenzt gefühlt hat. Generisch gebrauchte Substantive meinen beide Geschlechter, unabhängig von ihrem grammatischen Geschlecht" (Zimmer 1996).

Frau Professorin ist pleonastisch

Um welche Art Mensch es sich handelt, sagen wir ja bereits mit Frau aus.

Frau Professor ist das Üblichere

Statistisch überwiegt Frau Professor. Sowohl die Korpora des Instituts für Deutsche Sprache als auch Google beinhalten am 3.7.2007 deutlich mehr Belege für Frau Professor als für Frau Professorin:

Korpora des IDSGoogle
Frau Professor376140.000
Frau Professorin2521.000

Auch andere Verbindungen sind in der movierten Form seltener als in der generischen Normalform:

Google
Frau Diplom-Ingenieur260
Frau Diplom-Ingenieurin80
Frau Direktor20.000
Frau Direktorin11.000
Frau Doktor202.000
Frau Doktorin1000

Andere Verbindungen mit movierten Formen dagegen haben sich offenbar etabliert; hier sind die Zahlenverhältnisse genau andersherum:

Google
Frau Minister41.000
Frau Ministerin170.000
Frau Dekan140
Frau Dekanin470
Frau Pfarrer870
Frau Pfarrerin19.400
Frau Lehrer781
Frau Lehrerin35.300

Frau Lehrer kommt übrigens überwiegend auf österreichischen Googleseiten vor:

Am Dienstag sind die 2. und 3. Klasse mit der Frau Lehrer in den Wald gegangen. Wir haben Fledermaus, Pfadfinder, Bäumchen wechsle dich und Blinde Raupe gespielt.
[http://just4fun.schule.at/klasse-at/Waldschule.html]
Volksschule Wichtelgasse, Wien 17, bei Frau Lehrer Brigitte Musil
[http://www.kabarett.at]

Frau Professor könnte auch die Frau des Professors bezeichnen

Etwas veraltet, aber immer noch in Gebrauch ist die matrimonielle, das heißt eheliche Verhältnisse anzeigende Verwendung von Verbindungen wie Frau Professor:

In einem kleinen Lustspiel, das im Mendelssohnschen Hause am Geburtstage von Felix' Mutter aufgeführt wurde, hatte ich den Papa von Mariechen Böckh, der späteren Frau Professor Gneist, zu spielen und zog mich ohne sonderlichen Ruhm aus der Sache.
[Heyes (1924): Jugenderinnerungen und Bekenntnisse. In: http://gutenberg.spiegel.de]
Auf gar keinen Fall allerdings, so der Professor, dürfe seine Frau davon erfahren, wozu die Umstände günstig sind, da Frau Professor gerade mit Tochter Paula in Kur sei.
[http://www.sh-landestheater.de/schauspiel/030.php?sethistoryback]
Pünktlich zum Monatsersten verlangt die Frau Professor von ihrem Mann ihr Wirtschaftsgeld. Von der Küche aus ruft sie ins Arbeitszimmer: "Wilhelm? der Erste!" Prompt tönt es zurück: "1861 bis 1888!"
[http://www.witze-und-sms.de/witze/Schule%20Uni/420index.html]

Besonders Frau Pfarrer meint häufig die Frau eines Pfarrers:

Frau Pfarrer (Albrecht) Goes, Frau Pfarrer (Paul) Werner
[http://www.alemannia-judaica.de/max_krakauer.htm]

Frau Professorin ist das politisch Korrekte

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat 2005 als Wort des Jahres Bundeskanzlerin gewählt (http://www.gfds.de). Sie begründet diese Wahl so: "Die feminine Endung -in an Berufs- und Personenbezeichnungen ist nicht neu – dennoch wäre noch vor wenigen Jahrzehnten auch eine Frau an der Spitze der Regierung als Bundeskanzler bezeichnet worden. Spätestens seit Beginn des Wahlkampfs für die vorgezogenen Neuwahlen zum Deutschen Bundestag etablierte sich mit der Kanzlerkandidatin Angela Merkel auch die Bezeichnung Bundeskanzlerin", die inzwischen auch als Anrede üblich ist:

Zu hoch gepokert, Frau Kanzlerin?
[http://www.stern.de/politik/deutschland/590655.html?eid=589906]

Besonders in offiziellen Kontexten, in denen politischen Korrektheit inzwischen Pflicht ist, finden sich häufig entsprechende Formen:

Frau Direktorin des Amtsgerichts Strothmann-Schiprowski wurde 1955 in Hamburg. geboren.
[www.lg-bonn.nrw.de/presse/archiv/jahr_2004/020304_archiv.pdf]
Wir sind in der Vorlesung "Grundlagen der Ingenieurbiologie" und warten auf Frau Professorin Eva Hacker.
[Frankfurter Allgemeine, 30.05.2005]

Allerdings ist politisch korrektes Verhalten ja an sich problematisch, unter anderem, weil es das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung in Frage stellt (Wimmer 1998).

Frau Professorin kann lächerlich wirken

Auch viele Frauen empfinden politische Überkorrektheiten als lächerlich.

Mitunter werden solche Formen auch bewusst eingesetzt, um jemanden lächerlich zu machen:

"Zehn Jahre lang hat Frau Doktorin, ihres Zeichens feministische Linguistin (streng zu unterscheiden von den Macho-Linguisten der bürgerlichen . . ., Pardon, patriarchalischen, aber natürlich repressiven Wissenschaft, die immer noch an den Universitäten gelehrt wird) daran gearbeitet. Jetzt liegt das Ergebnis vor, nämlich der Band 13 der Schriftenreihe der Frauenministerin mit dem schönen Titel "Anleitungen zu geschlechtergerechtem Sprachgebrauch", der vom Ministerium gratis abgegeben wird, was die SteuerzahlerInnen nicht stören soll. Zwar könnte mann etwas dagegen haben, aber nicht frau, wie aus der Anleitung hervorgeht.
[Die Presse, 24.07.1997, S.1]

Frau Professorin ist kompliziert

Die Gesellschaft für deutsche Sprache merkt zu ihrer Wortwahl von 2005 an: "Sprachlich wirft der Ausdruck Kanzlerin interessante Fragen auf, etwa die nach lexikalisierten Zusammensetzungen wie Bundeskanzleramt oder protokollarischen Gepflogenheiten der Anrede" (http://www.gfds.de). Hier kommt es zu gewöhnungsbedürftigen Verumständlichungen. Und brauchen wir wirklich ein Nichtraucher- und Nichtraucherinnenabteil? Umständlich sind auch politisch korrekte Formulierungen wie in Die Ministerin bzw. der Minister ernennt ihre Stellvertreterin oder ihren Stellvertreter bzw. ihren oder seinen Stellvertreter. Ausführlich zu "unaussprechlichen Notationen und grammatischen Komplikationen" Stickel (1988) und (1998). Solche "Längen wirken umständlich, pedantisch, zeitverschwenderisch, unschön. Inmitten einer allgemeinen Entwicklung zum hastigen Telegrammstil nun die endlosen, redundanten Paarformeln: Dekaninnen und Dekane, Professorinnen und Professoren, Dozentinnen und Dozenten - wann wird es niefrau mehr hören wollen?" (Zimmer 1996).

Politische Korrektheit ist Glatteis; eigentlich kann man es niemandem richtig recht machen

"Wenn ein Schulleiter heute eine Lehrerin als Kollege oder Lehrer tituliert, ist er wahrscheinlich wirklich Sexist. Dennoch gerät die Sprache schon bei den Titeln in eine Problemzone. Die Einführung femininer Formen dort, wo es vorher nur das Maskulin gab, macht Frauen in der Tat so sichtbar, wie es die feministischen Sprachreformerinnen fordern. Es schafft aber auch gleichsam einen Überschuß an Sichtbarkeit, der geradezu frauenfeindlich wirken kann: Dieses Amt wird von einer Frau ausgeübt, seht her und wundert euch! Obwohl sie eine Frau ist, hat sie die Doktorprüfung bestanden! Darum ist auch nach Jahrzehnten des Zweifels nicht entschieden, ob es nun Frau Präsidentin, Frau Ministerin, Frau Staatssekretärin, Frau Professorin, Frau Doktorin heißen soll. Auch viele Trägerinnen dieser Titel sind nicht dafür zu haben. Es wirkte ja, als beanspruchten sie in ihrer Tätigkeit einen Weiblichkeitsbonus" (Zimmer 1996).

Frau Professorin macht die Welt nicht besser

Man sollte auf Sprache nicht mit zu heißen Ambitionen Einfluss nehmen wollen: "Die politische Korrektur der Sprache beruht auf der irrigen Meinung, durch bloße Namensgebung ließen sich die Verhältnisse und sogar die Gefühle der Menschen reformieren" (Zimmer 1996).

Deshalb sagen auch viele nicht des Sexismus verdächtigen Frauen Frau Professor, zum Beispiel:

... das Gutachten einer namhaften Expertin, Frau Professor Gisela Färber...
[Jutta Dümpe-Krüger, Rede im Deutschen Bundestag am 18.3.2003]

Vgl. auch Kann der Chefarzt eine Ärztin sein? - Movierung



Die Rubrik „Grammatik in Fragen und Antworten“ greift Hauptschwierigkeiten und Zweifelsfälle der deutschen Sprache in Form einfacher Fragen exemplarisch auf. Spezifisch für diese Rubrik ist, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung Grammatik des IDS in diesen glossenartigen Beiträgen häufig gestellte, konkrete Fragen nicht nur anhand der Beleg- und Forschungslage beantworten, sondern auch eigene Standpunkte vertreten und ggf. Empfehlungen aussprechen.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des IDS beschreiben in Fachzeitschriften und auch in populärwissenschaftlichen Beiträgen verschiedene Gesichtspunkte rund um das Thema „geschlechtergerechte Sprache“. Das heißt: Das IDS beobachtet die momentanen Entwicklungen im Sprachgebrauch, wir geben aber keinen Umgang mit geschlechtergerechter Sprache vor. Die gesellschaftliche Vielstimmigkeit zu dieser Frage und verschiedene sprachwissenschaftliche Positionen und Schreibungen spiegeln sich daher auch in Publikationen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Internet- und Social-Media-Angeboten wider.

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Autor(en)
Elke Donalies
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