Bis zu zehn Monate oder bis zu zehn Monaten? — Rektion nach bis zu

Präpositionen regieren in den meisten Fällen einen ganz bestimmten Kasus (sog. Wechselpräpositionen je nach Situation sogar unterschiedliche Kasus, aber das ist im vorliegenden Fall nebensächlich). Problematisch wird es, wenn mehrere Präpositionen, die verschiedene Kasus regieren, direkt nacheinander auftreten. Die Präposition bis beispielsweise verlangt nach Akkusativ, zu dagegen regiert den Dativ. Welchen Kasus verlangt dann die Sequenz bis zu?

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Als Präposition kann bis Präpositionalphrasen bilden, z.b. gemeinsam mit einer Nominalphrase: Ich erledige das bis nächsten Freitag. Als lexikalischer Kopf der Präpositionalphrase regiert bis dann den Kasus der Nominalphrase und fordert den Akkusativ. In bestimmten Situationen folgt die Präposition zu auf bis; zu regiert allerdings den Dativ — und weil im Normalfall diejenige Präposition, die der folgenden Nominalphrase am nächsten steht, deren Kasus regiert, darf man mit der Dativform bis zu 10 Monaten rechnen. Ein Blick auf die Sprachrealität (siehe Beispiele unten) zeigt jedoch, dass durchaus beide Kasus auftreten und so stellt sich die Frage: Wer bzw. was bestimmt in diesen Fällen eigentlich den Kasus der folgenden Nominalphrase bzw. welche Rollen spielen bis oder zu bzw. die Folge bis zu?

Wir könnten unsere Titelfrage übrigens auch als vollständigen Satz formulieren, beispielsweise so: Dauert etwas bis zu 10 Monate/n? Oder so: Wird etwas mit bis zu 10 Monate/n Haft bestraft? Man könnte dann auf die Vermutung kommen, dass hier noch ein anderer Mitspieler ein Wörtchen mitzureden hat, nämlich das Verb.

Substantive und ihre Begleitwörter sowie ihre Pronomina werden als Nominalphrasen bezeichnet und treten in vier grammatischen Fällen (= Kasus) auf:

  1. Im wer oder was-Fall, linguistisch Nominativ, der die Subjektsfunktion übernimmt:
    Die Frau schenkt dem Sohn des Onkels ein Buch.
  2. Im wessen-Fall, auch Genitiv, der von einem anderen nominalen Element abhängt:
    Die Frau schenkt dem Sohn des Onkels ein Buch.
  3. Im wem oder was-Fall, auch Dativ in der Funktion des indirekten Objekts:
    Die Frau schenkt dem Sohn des Onkels ein Buch.
  4. im wen oder was-Fall, auch Akkusativ in der Funktion des direkten Objekts:
    Die Frau schenkt dem Sohn des Onkels ein Buch.

Ein Verb fordert im Satz weitere Elemente (Komplemente), deren grammatische Eigenschaften es regiert, man spricht hier von Rektion. Für das Verb schenken zeigt sich in den obigen Beispielen, dass es außer dem Subjekt ein direktes Objekt und ein indirektes Objekt fordern kann (die Genitiv-Nominalphrase des Onkels gehört zum Dativobjekt dem Sohn). Unterschiedliche Verben regieren unterschiedlich viele Komplemente in verschiedenen Kasus, man spricht hier von Valenz.

Untersuchung der Frage in authentischen Texten

Um uns einen Überblick über die Situation zu verschaffen, nutzen wir das Deutsche Referenz Korpus (DeReKo). Allerdings wäre eine umfassende Inspektion aller Belege aufgrund ihrer Häufigkeit (wir erhalten 2.617.094 Treffer für bis zu) sehr aufwändig. Angesichts unserer konkreten Ausgangsfrage (bis zu zehn Monate oder bis zu zehn Monaten?) betrachten wir daher zunächst nur Kontexte mit Nomina, die sich auf Zeiträume beziehen wie Tag, Monat, Jahr. Die Nomina Stunde und Woche müssen leider unberücksichtigt bleiben, weil sie als Feminina im Dativ und Akkusativ formgleich erscheinen. Formgleichheit in verschiedenen Kasus (auch Synkretismus genannt) erschwert die Identifizierung von Kasus gerade in solchen Fällen, in denen keine Begleitwörter den Kasus aufzeigen.

Verben in Verbindung mit bis zu + Zeitraum

Betrachten wir Verben wie warten, die häufig mit bis zu erscheinen, fällt auf, dass die Belege zwei unterschiedliche Varianten abdecken. Zum einen kann der Endpunkt betont werden:

(1) Warum noch wochenlang warten bis zu ihrem Geburtstag! Er brauchte dringend neue Schuhe. (Martin Walser: Die Verteidigung der Kindheit, 1991, S. 207)

Zum anderen kann eine Zeitspanne/Dauer angegeben werden; bis zu wird dann im Sinne des Adverbs höchstens verwendet:

(2a) „Normale“ Kunden warten bis zu zehn Jahren auf eine Karte. (Rhein-Zeitung, 26.07.2011, S. 21)

(2b) St. Galler Kinder warten bis zu zwei Jahre auf Kita-Platz. (St. Galler Tagblatt, 22.09.2012, S. 1)

Im ersten Fall scheint ausschließlich der Dativ zum Einsatz zu kommen; im zweiten Fall finden wir Belege für beide Kasus.

Neben warten findet man in DeReKo recht häufig auch dauern mit beiden Präpositionen, insgesamt mehr als 13.000 Mal. Wir suchen dieses Verb in beliebiger Flexionsform, gefolgt von bis zu. Danach soll mit einem Abstand von höchstens einem Wort (es wird Platz für ein Zahlwort gelassen) eine der Wortformen Tage, Monate, Jahre (Akkusativ) oder Tagen, Monaten, Jahren (Dativ) vorkommen. Singularformen lassen wir aus, weil auch hier Synkretismen auftreten (den Tag/Monat - dem Tag/Monat, das Jahr - dem Jahr). Im Ergebnis finden sich für dauern insgesamt 1.048 Belege von bis zu mit Akkusativ und 292 bis zu mit Dativ. Drehen wir die Suchanfrage so, dass das Verb nach der Nominalphrase auftritt, finden wir sogar 4.092 Vorkommen im Akkusativ versus 1.053 im Dativ. Insgesamt ist hier der Akkusativ also mit 5.140 Vorkommen versus 1.345 Dativ-Fällen der klare Gewinner.

Weiterhin ist bis zu im Akkusativ-Fall weglassbar, ohne dass der Satz ungrammatisch wird, vgl. die nachfolgenden Beispielsätze 3 und 5 (die eingefügten eckigen Klammern sollen dies andeuten). Bestimmt dann das Verb den Kasus der nachfolgenden Nominalphrase? Im Dativ-Fall wird die nachfolgende Nominalphrase wie erwartet von der nächststehenden Präposition zu regiert und kann nicht weggelassen werden.

(3) Das dauert [bis zu] drei Monate. (Berliner Zeitung, 04.03.2000)
(4) Die Bearbeitung dauert bis zu sechs Monaten. (Berliner Zeitung 27.08.2009, S. 24)
(5) Der Bundesgerichtshof prüft den Richterspruch auf mögliche Rechtsfehler, was [bis zu] sechs Monate dauern kann. (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 20.04.2012)
(6) Wer schwere Delikte begangen hat, bekommt ein Aufenthaltsverbot, das bis zu neun Monaten dauern kann. (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 29.12.2008, S. 19)

Beim etwas selteneren Verb stehen (ca. 11.000 Belege in denselben Konstellationen) finden wir 207 Vorkommen von bis zu mit Akkusativ und 117 Belege für bis zu mit Dativ. In Beispiel 8 stellt sich die Situation nochmal anders dar: Die bis zu-Gruppe ist hier Subjekt des Verbs und steht im Nominativ.

(7) Und wer mieten will, steht bis zu 25 Jahren auf Wartelisten. (Die Presse, 22.06.2021, S. 2)
(8) Theoretisch stehen [bis zu] zehn Jahre Haft auf Steuerhinterziehung. (Rheinpfalz, 20.02.2008, S. 4)
(9) Diese Feuchtwiesen stehen bis zu zehn Monaten im Jahr unter Wasser. (Protokoll der Sitzung des Parlaments Landtag Mecklenburg-Vorpommern am 22.06.2012)
(10) Das Pantanal ist das größte Binnenland-Feuchtgebiet der Welt und steht [bis zu] sechs Monate im Jahr völlig unter Wasser. (taz, 10.09.2020, S. 9)

Weitere Verben, vielfältige Kontexte

Um unsere bisherigen Betrachtungen auf andere Kontexte auszuweiten und viele unterschiedliche Verben einzubeziehen, durchsuchen wir nun einen DeReKo-Ausschnitt, in dem alle Wortformen automatisiert (mit dem RNNTagger) um Wortart- und Kasusinformationen angereichert (annotiert) vorliegen. Unser Teilkorpus besteht aus 163.563 zufällig ausgewählten Sätzen, in denen die Wortfolge bis zu vorkommt, mit insgesamt ca. 3,9 Millionen Wörtern. Da auch das automatische Verfahren bei formengleichen Wörtern die Kasus nicht immer eindeutig identifizieren kann, müssen wir mit einer gewissen Fehlerrate rechnen, die sich aber mutmaßlich im Gesamtbild ausgleicht. Eine erste Auswertung ergibt: 48.086 Fälle werden als Akkusativ, 82.439 Fälle als Dativ erkannt.

Wir selektieren zum einen alle Verben, die im Abstand von bis zu 4 Wörtern vor bis zu auftreten, gefolgt von einem nominalen Element bzw. einer Nominalphrase. Zum anderen zählen wir auch diejenigen Fälle mit, in denen das Verb direkt nach einer bis zu-Gruppe auftritt. Einschränkungen auf zeitliche Bezüge machen wir diesmal nicht, in den Belegen finden sich also ganz unterschiedliche Kontexte.

Ausschließlich mit einer Dativphrase finden wir insgesamt 12.680 Verben, darunter zusammensetzen, pflegen, füllen, vorwerfen, spannen, lehren, gelingen, versinken sowie haften. Wir finden aber auch immerhin 2.682 Verben, die ausschließlich mit einer Nominalphrase im Akkusativ vorkommen, z.B. absenken und anziehen (wir listen hier nur Verben, die mindestens 10 Mal auftreten).

Die meisten Verben kommen zwar mit beiden, aber jeweils mit einem Kasus viel häufiger vor (siehe die untenstehende Grafik). Dazu zählt u.a. reichen (481 Dative vs. 72 Akkusative). Die nachfolgenden Beispiele 11 und 12 (diesmal nicht zu zeitlichem Endpunkt bzw. zeitlicher Dauer, sondern zu räumlichen Strecken) illustrieren den Umstand, dass eine allgemeingültige Entscheidung zwischen Dativ und Akkusativ häufig schwerfällt.

(11) Der feine Wassernebelstrahl reicht [bis zu] 60 Meter und kann aus bis zu 2400 Litern Wasser in der Minute gespeist werden. (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 01.03.2016)
(12) Eine Tankfüllung reicht bis zu 600 Kilometern Fahrt. (St. Galler Tagblatt, 11.09.1998)

Unentschiedener scheint das Verb geben (Akkusativ: 234; Dativ: 206). Hier steht das Gegebene üblicherweise im Akkusativ und der/die Empfänger im Dativ. Interessant sind Sätze, die Garantie geben ohne eine Nennung des Empfängers enthalten. Dort finden sich zehn Fälle mit bis zu + Akkusativ, aber auch acht mit bis zu + Dativ. Entscheiden die Schreibenden hier rein intuitiv?

(13) Englische Firmen geben bis zu 30 Jahren Garantie. (Berliner Zeitung, 27.04.2001, S. 20)
(14) Bei besonders teuren Lampenmodellen sollten Verbraucher den Kassenbon gut aufheben, denn manche Hersteller geben [bis zu] fünf Jahre Garantie. (Mannheimer Morgen, 08.10.2010, S. 33)
(15) Gärtner müssen neu [bis zu] fünf Jahre Garantie geben. (Tages-Anzeiger, 07.01.2013, S. 1)
(16) Dafür gibt es [bis zu] zwei Jahre Haft. (Berliner Zeitung, 13.11.2002, S. 20)
(17) Auf dieser Basis wurde dann das Urteil gesprochen: Es gab bis zu sechs Jahren Haft, auch ein paar kleinere Bewährungen. (Süddeutsche Zeitung, 2014)

Die nachfolgende Grafik (anklickbar zum Vergrößern) visualisiert Verteilungen im annotierten Teilkorpus ohne Einschränkungen auf zeitliche Bezüge. Es fällt auf, dass für dauern ein deutlich geringerer Akkusativ-Anteil (ca. 30%) gemessen wird als in unserer obigen ersten Korpussuche, die explizit eine nachfolgende Zeitspanne erwartete.

Fazit

Unsere Untersuchung liefert keine eindeutige Entscheidung für entweder Dativ oder Akkusativ nach bis zu. Sowohl die Ausgestaltung der nachfolgenden Nominalphrase (Wird ein Endpunkt oder eine Zeitspanne/Dauer angegeben? Gibt es überhaupt einen zeitlichen Bezug?) als auch das Verb scheinen Einfluss zu nehmen.

Im Zusammenspiel mit dauern und einer Zeitspanne beobachten wir eine deutliche Präferenz für Akkusativformen: Das dauert bis zu drei Monate. Die Wortfolge bis zu wird hier im Sinne von höchstens und grammatisch weglassbar verwendet, so dass das Verb dann die Kasuswahl für die nachfolgende Nominalphrase regiert: dauern (Lesart 1) fordert für den Ausdruck von Zeitdauern eine AdvP/NP im Akkusativ.

Interessanterweise kommen einige Verben in unserer Stichprobe ausschließlich mit bis zu+Dativ vor, z.B. zusammensetzen, pflegen, füllen, vorwerfen, spannen, lehren, gelingen, versinken sowie haften. Andere wie z.B. absenken und anziehen fordern ausschließlich den Akkusativ. Es scheint also verbbezogen bestimmte Präferenzen im Sprachgebrauch zu geben.

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Autor(en)
Gertrud Faaß
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