Hochzeitstorte, Blätterwald, Hundehütte — Fugenelemente oder Flexionsaffixe?

Komplexe Wörter wie Hutschachtel bestehen grundsätzlich aus zwei Einheiten: Hut(1)schachtel(2). Zwischen diesen beiden Einheiten befindet sich eine Fuge:

Hut FUGEschachtel

Die Fuge ist meist leer, mitunter wird aber auch ein Fugenelement eingefügt:

Hochzeitstorte

Im Deutschen gibt es vier Fugenelemente:

  • Am häufigsten ist das einheimische Fugen-s-: Hochzeitstorte, Sehnsuchtstränen. Es hat sich aus Genitivformen wie Gottesbote entwickelt.
  • Sehr selten steht das einheimische Fugen-t-:öffentlich, gelegentlich. Es kommt nur in dieser bestimmten Sorte von Adjektiven vor; die Adjektive sind alle etabliert; neue Wörter werden offenbar nicht mehr nach diesem Muster gebildet.
  • Ausschließlich in der Lehnwortbildung kommen das entlehnte Fugen-o- und das ebenfalls entlehnte Fugen-i - vor: In Wörtern mit Konfixen griechischer Herkunft steht in der Regel das aus dem Griechischen entlehnte -o-: Thermometer, anglophil, morphosyntaktisch. Auch Wörter aus Konfixen und einheimischen Wörtern werden mit -o- verfugt: Filzokratie, Thermojacke, tütophob. Das aus dem Lateinischen entlehnte konkurrierende Fugen-i- wird extrem selten verwendet: Stratigraphie, Plastinaut.

Umstritten ist, ob darüber hinaus noch weitere Fugenelemente angesetzt werden müssen. Es gibt zwei Positionen:

Position 1 geht davon aus, dass komplexe Wörter ausschließlich aus Stämmen gebildet werden. Ein Stamm ist eine Wortform, an die unmittelbar ein Flexionsaffix angehängt werden kann: An den Stamm Hut kann zum Beispiel das Flexionsaffix -es angehängt werden zur Bildung der Genitivform des Hutes. Im Deutschen stimmen die Stämme der Nomina und Adjektive weitgehend mit deren Normalformen überein. Die Normalform von Nomina ist der Nominativ Singular; der Nominativ Singular Hut ist auch der Stamm. Bei Verben ist die Normalform der Infinitiv, also eine Wortform mit Flexionsaffix (lächeln), die vom flexionsaffixlosen Stamm (lächel-) abweicht. Alles, was in einem Wort über den Stamm hinausgeht, wird nach Position 1 als Fugenelement angesehen. Fugenelemente sind dann außer den oben angeführten auch noch:

  • -n- in Giraffenhals
  • -ns- in Glaubenskrieg
  • -e- in Tagedieb
  • -ens- in Herzensbrecher
  • -en- in Weltenbummler
  • -er- in Blätterwald
  • -es- in Freundeshand

Unterschieden wird dabei zwischen paradigmatischen und nicht paradigmatischen Fugenelementen, das heißt zwischen Fugenelementen, die zum Flexionsparadigma eines Wortes bzw. die nicht zum Flexionsparadigma eines Wortes gehören: So gehört des Hutes als Genitivform zum Flexionsparadigma von Hut, aber *Hochzeits ist keine Flexionsform im Flexionsparadigma von Hochzeit.

Position 2 geht davon aus, dass komplexe Wörter nicht nur aus Stämmen, sondern auch aus sonstigen Wortformen gebildet werden, etwa aus Genitivformen wie des Glaubens in Glaubenskrieg oder aus Pluralformen wie die Blätter in Blätterwald. Für die Wortformentheorie spricht unter anderem, dass ein pluraltypischer Umlaut erscheint: Blätter, Ärztehaus, Gästebad, Mägdekammer. Fugenelemente sind dann nur solche Einheiten, die nicht im Flexionsparadigma eines Wortes vorkommen, etwa das -s- in Hochzeitstorte, weil es des *Hochzeits nicht gibt.