Ein Diskussionsteilnehmer in einem Internetforum schreibt zu den obigen Zitaten von Angela Merkel:
Nun, was genau sollen denn „der Pöbel“ oder Frau Merkel bei der Einleitung temporaler Attributsätze anders machen und warum? Sollte überhaupt etwas anders gemacht werden?
Welche Möglichkeiten für eine Einleitung temporaler Attributsätze prinzipiell zur Auswahl stehen, kann man an folgenden Beispielen sehen:
Die Funktion von an dem bzw. in dem, als und wo ist in diesen Beispielen gleich: Alle drei Elemente (an dem und in dem sind beides Präpositionalphrasen und werden daher im Folgenden wie ein Element betrachtet) leiten einen Attributsatz ein, der sich auf Tag bzw. Jahr bezieht. Als Bezugswörter sind im Allgemeinen alle Ausdrücke denkbar, die einen Zeitpunkt oder eine Zeitspanne beschreiben, wie z. B. Jahr, Stunde, Moment, morgens, Epoche, Monat, Frühling, Sekunde, gestern, Dienstag oder um 15 Uhr.
Unterschiede in der Häufigkeit der Einleitungselemente lassen sich mit Hilfe von Recherchen im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) aufdecken, z.B.:
Suchanfrage | Belege |
der Tag, an dem wir | 730 |
der Tag, wo wir | 35 |
der Tag, als wir | 21 |
Tabelle 1: DeReKo-Suchanfragen vom 10.03.2024
Kann man als, wo und an dem bei allen Bezugsausdrücken verwenden? Gibt es Einschränkungen?
Nach einem Adverb findet man in den Sammlungen authentischer Sprachbelege nur die Einleitungen als und wo. Akzeptiert wäre demnach Wir trafen uns abends, als der Berufsverkehr am stärksten war, nicht aber *Wir trafen uns abends, an dem der Berufsverkehr am stärksten war, weil man mit an dem nur auf Nomina Bezug nehmen kann. Die Nebensatzeinleitung an dem besteht aus einer Präposition und einem Relativpronomen, welches man an Numerus und Genus des Bezugsausdrucks anpassen muss. Zur Folge hat dies, dass an dem/in dem nicht als Einleitung verwendet werden kann, wenn der Bezugsausdruck ein Adverb ist, weil dieses keinen Numerus und kein Genus aufweist.
Als und wo behalten hingegen immer die gleiche Form und verlangen keinen bestimmten Vorgängerausdruck.
Eine solche Einschränkung gilt für viele Bezugsausdrücke, beispielsweise damals, jetzt, heute, morgens, später, aber auch Uhrzeiten und Jahreszahlen. Das Verwendungsmuster ist demnach:
der Morgen, an dem/als/wo
der Abend, an dem/als/wo
im Jahr 1996, in dem/als/ wo
jetzt, als/wo
morgens, als/wo
abends, als/wo
1996, als/wo
Als- und wo-Sätze sind in Belegen mit adverbialen Bezugsausdrücken in Tageszeitungen und im Internet reichlich vertreten.
Wie üblich ist als in diesem Kontext tatsächlich? Eine Stichprobe für als und wo als Einleitungen mit jetzt, heute, damals und Jahreszahlen zwischen 1990 und 1999 als jeweiliger Bezugsausruck im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) ergab recht deutliche Ergebnisse:
als | wo | |
jetzt | 667 | 6.834 |
heute | 288 | 1.247 |
damals | 4.598 | 29 |
199X | 12.241 | 611 |
Tabelle 2: DeReKo-Suchanfragen vom 23.02.2009
Ist jetzt Bezugsausdruck, machen als-Sätze immerhin knapp 9% der Ergebnisse aus. Bei heute als Bezugsausdruck verhält es sich ähnlich. Anders liegen die Zahlenverhältnisse in Belegen mit damals als Bezugsausdruck: Hier überwiegen die als-Sätze (99,3%). Es ist möglich, dass diese Zahlenverhältnisse deshalb zustande kommen, weil mit als eingeleitete Attributsätze als Temporalsätze interpretiert werden können (vgl. auch Zum temporalen als). Daher wird als eher verwendet, wenn der zu bestimmende Zeitpunkt in der Vergangenheit (damals, als/im Jahr 1995, als) liegt und wo, wenn es sich um einen Zeitpunkt in der Gegenwart handelt (heute, wo/jetzt, wo).
Im Prinzip sind nach einem Nomen alle drei Anschlüsse möglich, dennoch scheint die Verwendung von wo zur Einleitung temporaler Attributsätze für viele problematisch. Obwohl Beispiele wie Die Jahrtausendwende ist die Zeit, wo Shanghai sich schnell verändert als standardsprachlich korrekt gelten (Dudengrammatik 2006, S. 1042) scheint es, dass viele Sprachbenutzer temporales wo oft nicht als standardsprachlich akzeptieren (Davies/Langer 2006, S. 5).
Um zu erklären, woher diese recht geringe Akzeptanz rührt, muss man kurz auf die "Ursprünge" von nebensatzeinleitendem wo eingehen. In seiner ursprünglichen Verwendungsweise wird das W-Adverb wo lokal gebraucht: Ich suche den Strand, wo man am besten baden kann. Die Verwendung in Kontexten mit lokaler Bedeutung ist allerdings generalisiert worden, sodass mit wo nicht nur auf Orte, sondern auch auf Zeiten verwiesen werden kann (dazu auch Eisenberg 2006, S. 271).
die Stadt, wo ich wohne -> der Moment, wo das passiert
Wo reiht sich zwar in eine stilistisch unbedenkliche Reihe anderer temporal gebrauchter Wörter mit ursprünglich lokaler Bedeutung ein, wie in folgenden Beispielen augenfällig wird: zwischen Berlin und Bonn - zwischen Ostern und Pfingsten; nach dem Stoppschild - nach 18 Uhr; in dem Land, wo die Zitronen blühen - in dem Jahr, wo die Zitronen besonders schön geblüht haben. Dennoch wird es in temporalen Attributsätzen nicht gerne verwendet. Dies hängt damit zusammen, dass es auch als Relativpronomen verwendet wird und dass diese Verwendung von Stilisten abgelehnt wird. Wer mehr darüber erfahren will, dem sei folgender Artikel empfohlen: Das ist der Mann, den (wo) ich gesehen habe
Recherchen in den Korpora geschriebener Sprache liefern meist eindeutige Ergebnisse für die Verwendungshäufigkeiten unserer drei Möglichkeiten:
Suchanfrage | DeReKo 2009 | DeReKo 2024 |
an dem Tag, an dem | 66,6% (851) | 65,5% (6.613) |
an dem Tag, als | 31,3% (401) | 32,5% (3.280) |
an dem Tag, wo | 2,1% (27) | 2,1% (210) |
an dem Wochenende, an dem | 85,7% (12) | 75,5% (280) |
an dem Wochenende, als | 14,3% (2) | 21% (78) |
an dem Wochenende, wo | 0% (0) | 3,5% (13) |
in dem Jahr, in dem | 67,1% (215) | 67,5% (2.462) |
in dem Jahr, als | 31,1% (100) | 30,9% (1.126) |
in dem Jahr, wo | 1,8% (6) | 1,6% (58) |
in dem Sommer, in dem | 50% (2) | 48,6% (18) |
in dem Sommer, als | 50% (2) | 51,4% (19) |
in dem Sommer, wo | 0% (0) | 0% (0) |
Tabelle 3: DeReKo-Suchanfragen vom 02.03.2009 bzw. 10.03.2024
In DeReKo sind an dem/in dem-Sätze mit Abstand am häufigsten vertreten und wo-Sätze am seltensten. Das bestätigen zwei Suchanfragen, die zeitlich rund 15 Jahre auseinanderliegen und zwischen denen das Korpus sowohl hinsichtlich seines Umfangs als auch seiner Zusammensetzung (z. B. Aufnahme unredigierter Online-Forentexte) erweitert wurde. Die Zurückhaltung gegenüber wo bestätigt sich übrigens in flankierenden Internetsuchen (vgl. Wie kommt man zu empirischen Aussagen?), allerdings mit leicht größeren Anteilen für wo-Sätze.
Als Abgleich zu den Ergebnissen in Tabelle 3 zeigt Tabelle 4 Belegzahlen für Präpositionalphrasen mit zusammengezogenen Formen, also beispielsweise im anstelle von in dem. Es fällt auf: Den größten Anteil haben hier als-Sätze und die wo-Sätze nehmen zwei Mal den zweiten Platz ein. Für genaue Aussagen und Interpretationen müssten hier allerdings noch Detailuntersuchungen angestellt werden.
Suchanfrage | DeReKo 2009 | DeReKo 2024 |
am Tag, an dem | 29,9% (289) | 33,3% (1.753) |
am Tag, als | 69,3% (670) | 64% (3.373) |
am Tag, wo | 0,8% (8) | 2,7% (142) |
am Wochenende, an dem | 8,9% (15) | 4,3% (315) |
am Wochenende, als | 77,5% (131) | 91,3% (6.676) |
am Wochenende, wo | 13,6% (23) | 4,4% (323) |
im Jahr, in dem | 49,5% (47) | 13,6% (662) |
im Jahr, als | 43,2% (41) | 77,2% (3.761) |
im Jahr, wo | 7,3% (7) | 9,2% (449) |
im Sommer, in dem | 3,5% (8) | 1,9% (225) |
im Sommer, als | 85,5% (194) | 93.4% (10.888) |
im Sommer, wo | 11,4% (26) | 4,7% (546) |
Tabelle 4: DeReKo-Suchanfragen vom 03.03.2009 bzw. 10.03.2024
Darüber hinaus sind folgende Besonderheiten zu beachten: