An dem Tag, als..., an dem Tag, wo... oder nur an dem Tag, an dem? — Einleitung temporaler Attributsätze

Mit dem Tag, wo jeder Einzelne vor die Frage gestellt wird: Bewegst Du mit Deinen beiden Stimmen etwas oder wählst Du nur Protest, wird die Linkspartei immer weiter abnehmen. (http://www.presseportal.de/pm/48503/714321/stuttgarter_zeitung, 18.08.2005)
Die Zeit, wo wir auf Pump leben konnten, ist vorbei. (https://www.welt.de/politik/article2152446/CSU-will-reiche-Erben-vor-der-Steuer-verschonen.html, 27.06.2008)

Ein Diskussionsteilnehmer in einem Internetforum schreibt zu den obigen Zitaten von Angela Merkel:

wenn selbst die kanzlerin einen satz wie den folgenden formuliert: "die zeit, WO wir....", ja, wenn DIE schon so redet, was soll der pöbel denn da anders machen und warum??? (http://www.gutefrage.net/frage/warum-koennen-viele-deutsche-eigentlich-kein-richtiges-deutsch, 17.02.2009)

Nun, was genau sollen denn „der Pöbel“ oder Frau Merkel bei der Einleitung temporaler Attributsätze anders machen und warum? Sollte überhaupt etwas anders gemacht werden?

Was sind die Optionen?

Welche Möglichkeiten für eine Einleitung temporaler Attributsätze prinzipiell zur Auswahl stehen, kann man an folgenden Beispielen sehen:

Heute ist der Tag, an dem wir Geschichte schreiben. (Berliner Zeitung, 12.06.2017, S. 16)
Genau, es war das Jahr, in dem die Beatles die Welt eroberten. (die tageszeitung, 06.07.2001, S. 14)
Das war doch der Tag, als wir die Bayern 2:1 besiegten, oder? (B.Z., 26.11.2014, S. 30)
2007 war aber auch das Jahr, als das erste iPhone auf den Markt kam. (Sonntagsblick, 08.04.2018)
Sonst kommt der Tag, wo wir allein mit der Arbeit dastehen. (Sächsische Zeitung, 05.10.2012, S. 10)
Die sind traditionell besonders streitlustig, und es verging kaum ein Jahr, wo es nicht zumindest Warnstreiks gab. (Nürnberger Nachrichten, 29.01.2002, S. 2)

Die Funktion von an dem bzw. in dem, als und wo ist in diesen Beispielen gleich: Alle drei Elemente (an dem und in dem sind beides Präpositionalphrasen und werden daher im Folgenden wie ein Element betrachtet) leiten einen Attributsatz ein, der sich auf Tag bzw. Jahr bezieht. Als Bezugswörter sind im Allgemeinen alle Ausdrücke denkbar, die einen Zeitpunkt oder eine Zeitspanne beschreiben, wie z. B. Jahr, Stunde, Moment, morgens, Epoche, Monat, Frühling, Sekunde, gestern, Dienstag oder um 15 Uhr.

Unterschiede in der Häufigkeit der Einleitungselemente lassen sich mit Hilfe von Recherchen im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) aufdecken, z.B.:

SuchanfrageBelege
der Tag, an dem wir730
der Tag, wo wir35
der Tag, als wir21

Tabelle 1: DeReKo-Suchanfragen vom 10.03.2024

Kann man als, wo und an dem bei allen Bezugsausdrücken verwenden? Gibt es Einschränkungen?

Nicht-nominale Bezugsausdrücke und Ausschluss von an dem

Nach einem Adverb findet man in den Sammlungen authentischer Sprachbelege nur die Einleitungen als und wo. Akzeptiert wäre demnach Wir trafen uns abends, als der Berufsverkehr am stärksten war, nicht aber *Wir trafen uns abends, an dem der Berufsverkehr am stärksten war, weil man mit an dem nur auf Nomina Bezug nehmen kann. Die Nebensatzeinleitung an dem besteht aus einer Präposition und einem Relativpronomen, welches man an Numerus und Genus des Bezugsausdrucks anpassen muss. Zur Folge hat dies, dass an dem/in dem nicht als Einleitung verwendet werden kann, wenn der Bezugsausdruck ein Adverb ist, weil dieses keinen Numerus und kein Genus aufweist.

Der Abend, an dem wir das neue, mit viel Vorschusslorbeeren eröffnete Restaurant San Nicci im Admiralspalast ausprobierten, war stürmisch.
[Berliner Zeitung, 12.05.2007, S. 6]
Die Abende, an denen die Volleyballer des USV Potsdam in der Sporthalle an der Heinrich-Mann-Allee ihre Meisterschaftsspiele in der 2. Bundesliga Nord austragen, gewinnen allmählich Kultstatus.
[Berliner Morgenpost, 01.11.1999, S. 38]
Dies sei die Stunde, in der man das Beten lerne.
[die tageszeitung, 15.10.1990, S. 3]
Kinder von zwei bis neun Jahren verbringen dort seit Jahren die Stunden, in denen ihre Eltern berufstätig sind.
[Berliner Zeitung, 17.04.1998, Ressort: Freizeit; Über eine Erfahrung von Autorität (S. II)]
*Jetzt, an dem er 50 Jahre alt wurde, erfüllte er sich einen Traum.

Als und wo behalten hingegen immer die gleiche Form und verlangen keinen bestimmten Vorgängerausdruck.

Dann kam der Abend, als Manfred nach Hause kam und mir mitteilte, dass er vom einfachen Autoverkäufer zum Stellvertreter des Filialleiters befördert worden war.
[Fischer, Hella: Teufels-Spiele. - Föritz, 2005, S. 175]
Dann kamen die Abende, als Manfred nach Hause kam und mir mitteilte, was er als Stellvertreter des Filialleiters tagtäglich erlebte.
Dienstag ist der Abend, wo man zu Voßler geht.
[Victor Klemperer: Leben sammeln, nicht fragen wozu und warum, Bd. 1. - Berlin, 1996, S. 191]
Dienstags sind die Abende, wo man zu Voßler geht.

Eine solche Einschränkung gilt für viele Bezugsausdrücke, beispielsweise damals, jetzt, heute, morgens, später, aber auch Uhrzeiten und Jahreszahlen. Das Verwendungsmuster ist demnach:

der Morgen, an dem/als/wo
der Abend, an dem/als/wo
im Jahr 1996, in dem/als/ wo

jetzt, als/wo
morgens, als/wo
abends, als/wo
1996, als/wo

Gegenwarts- und Vergangenheitsbezug adverbialer Bezugsausdrücke und die Wahl zwischen als und wo

Als- und wo-Sätze sind in Belegen mit adverbialen Bezugsausdrücken in Tageszeitungen und im Internet reichlich vertreten.

Aber erst jetzt, als wir die Lego-Steine auseinandernahmen und neu zusammensteckten, wurde mir wirklich bewusst, wie gut jeder Einzelne von ihnen als Instrumentalist war. (profil, 13.11.2006, S. 138)
Erst jetzt, wo ich weg bin, kreuzt du auf. (Wikipedia-Benutzerdiskussion: Bächleputzer, http://de.wikipedia.org/wiki/Benutzer_Diskussion:Bächleputzer, 2017)

Wie üblich ist als in diesem Kontext tatsächlich? Eine Stichprobe für als und wo als Einleitungen mit jetzt, heute, damals und Jahreszahlen zwischen 1990 und 1999 als jeweiliger Bezugsausruck im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) ergab recht deutliche Ergebnisse:

alswo
jetzt6676.834
heute2881.247
damals4.59829
199X12.241611

Tabelle 2: DeReKo-Suchanfragen vom 23.02.2009

Ist jetzt Bezugsausdruck, machen als-Sätze immerhin knapp 9% der Ergebnisse aus. Bei heute als Bezugsausdruck verhält es sich ähnlich. Anders liegen die Zahlenverhältnisse in Belegen mit damals als Bezugsausdruck: Hier überwiegen die als-Sätze (99,3%). Es ist möglich, dass diese Zahlenverhältnisse deshalb zustande kommen, weil mit als eingeleitete Attributsätze als Temporalsätze interpretiert werden können (vgl. auch Zum temporalen als). Daher wird als eher verwendet, wenn der zu bestimmende Zeitpunkt in der Vergangenheit (damals, als/im Jahr 1995, als) liegt und wo, wenn es sich um einen Zeitpunkt in der Gegenwart handelt (heute, wo/jetzt, wo).

Auch jetzt, als kaum noch einer damit rechnete, hat sie sich aufgerappelt.
[Berliner Zeitung, 05.01.2000, S. 36]
Der Text tauchte in Schäubles Bericht auf - allerdings, den Grünen zufolge, in verfälschter Form. Erst jetzt, als das Ausland und die westdeutschen Medien Zug um Zug das tödliche Geschäft enthüllten, schickte das AA den Botschaftsrat zum Staatsanwalt.
[die tageszeitung, 16.12.1989, S. 1]
Liegt jetzt, wo die Sponsoren knausrig und die Mäzene rar werden, höchsten Heiles Wunder gar in Arabien?
[Mannheimer Morgen, 09.02.2007, Ressort: Kultur; Wagner in Abu Dhabi]
Jetzt, wo die Gesundheitsreform nach langen Debatten verabschiedet ist, soll es losgehen.
[Berliner Zeitung, 10.02.2007, S. 2]

Der Bezugsausdruck ist ein Nomen

Die Sommerferien nähern sich dem Ende und mit ihnen die Zeit, in der die Videokamera besonders oft im Einsatz ist. (Berliner Zeitung, 20.08.2007, S. 6)
Der Film, heißt es im Vorspann, ist ein modernes Märchen aus der Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat. (die tageszeitung, 02.02.1989, S. 11-12)
Die Jahrtausendwende ist die Zeit, wo Shanghai sich schnell verändert. (Frankfurter Rundschau, 27.03.1999, S. 3)

Im Prinzip sind nach einem Nomen alle drei Anschlüsse möglich, dennoch scheint die Verwendung von wo zur Einleitung temporaler Attributsätze für viele problematisch. Obwohl Beispiele wie Die Jahrtausendwende ist die Zeit, wo Shanghai sich schnell verändert als standardsprachlich korrekt gelten (Dudengrammatik 2006, S. 1042) scheint es, dass viele Sprachbenutzer temporales wo oft nicht als standardsprachlich akzeptieren (Davies/Langer 2006, S. 5).

Um zu erklären, woher diese recht geringe Akzeptanz rührt, muss man kurz auf die "Ursprünge" von nebensatzeinleitendem wo eingehen. In seiner ursprünglichen Verwendungsweise wird das W-Adverb wo lokal gebraucht: Ich suche den Strand, wo man am besten baden kann. Die Verwendung in Kontexten mit lokaler Bedeutung ist allerdings generalisiert worden, sodass mit wo nicht nur auf Orte, sondern auch auf Zeiten verwiesen werden kann (dazu auch Eisenberg 2006, S. 271).

die Stadt, wo ich wohne -> der Moment, wo das passiert

Nun kam die Zeit, wo sie ihn suchen sollte.
[Das Meerhäschen, (Erstv. 1819), In: Kinder- und Hausmärchen, gesammelt von Jacob und Wilhelm Grimm. - München, 1978, S. 774]
Dies alles geschah in dem Jahr, wo der Bundeskanzler durch das Land reiste und bei Industrie und Handwerk appellierte, mehr Ausbildungsstellen zur Verfügung zu stellen.
[Nürnberger Nachrichten, 03.01.1997, S. 20]
Dieses ist die Epoche, wo dasjenige hervortrat, was wir als Licht kennen, und wo dasjenige begann, was wir mit dem Worte Schöpfung zu bezeichnen pflegen.
[Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit [I-III], (Geschr. 1809-1813), In: Goethes Werke, Bd. 9. - München, 1982, S. 352]
Die kreative Zeit des Chaos, die Epoche, wo sich selbst verfeindete Büronachbarn die Kaffeemaschine teilen müssen, weil nur eine einzige am richtigen Ort gelandet ist, wird bald vorbei sein.
[Berliner Zeitung, 03.08.1999, S. 4]
Aber vielleicht kommt auch der Tag, wo ihr uns verstehen lernt.
[die tageszeitung, 07.11.1995, S. 15]
München ist – das habe ich eingesehen – eine Schönheit auch an Tagen, wo sie mal nicht geschminkt ist, etwa, wenn es regnet.
[Süddeutsche Zeitung, 04.01.2017, S. 26]

Wo reiht sich zwar in eine stilistisch unbedenkliche Reihe anderer temporal gebrauchter Wörter mit ursprünglich lokaler Bedeutung ein, wie in folgenden Beispielen augenfällig wird: zwischen Berlin und Bonn - zwischen Ostern und Pfingsten; nach dem Stoppschild - nach 18 Uhr; in dem Land, wo die Zitronen blühen - in dem Jahr, wo die Zitronen besonders schön geblüht haben. Dennoch wird es in temporalen Attributsätzen nicht gerne verwendet. Dies hängt damit zusammen, dass es auch als Relativpronomen verwendet wird und dass diese Verwendung von Stilisten abgelehnt wird. Wer mehr darüber erfahren will, dem sei folgender Artikel empfohlen: Das ist der Mann, den (wo) ich gesehen habe

Allgemeine Verwendungshäufigkeiten

Recherchen in den Korpora geschriebener Sprache liefern meist eindeutige Ergebnisse für die Verwendungshäufigkeiten unserer drei Möglichkeiten:

SuchanfrageDeReKo 2009DeReKo 2024
an dem Tag, an dem66,6% (851)65,5% (6.613)
an dem Tag, als31,3% (401)32,5% (3.280)
an dem Tag, wo2,1% (27)2,1% (210)
an dem Wochenende, an dem85,7% (12)75,5% (280)
an dem Wochenende, als14,3% (2)21% (78)
an dem Wochenende, wo0% (0)3,5% (13)
in dem Jahr, in dem67,1% (215)67,5% (2.462)
in dem Jahr, als31,1% (100)30,9% (1.126)
in dem Jahr, wo1,8% (6)1,6% (58)
in dem Sommer, in dem50% (2)48,6% (18)
in dem Sommer, als50% (2)51,4% (19)
in dem Sommer, wo0% (0)0% (0)

Tabelle 3: DeReKo-Suchanfragen vom 02.03.2009 bzw. 10.03.2024

In DeReKo sind an dem/in dem-Sätze mit Abstand am häufigsten vertreten und wo-Sätze am seltensten. Das bestätigen zwei Suchanfragen, die zeitlich rund 15 Jahre auseinanderliegen und zwischen denen das Korpus sowohl hinsichtlich seines Umfangs als auch seiner Zusammensetzung (z. B. Aufnahme unredigierter Online-Forentexte) erweitert wurde. Die Zurückhaltung gegenüber wo bestätigt sich übrigens in flankierenden Internetsuchen (vgl. Wie kommt man zu empirischen Aussagen?), allerdings mit leicht größeren Anteilen für wo-Sätze.

Gibt es Kontexte, in denen an dem nicht bevorzugt wird?

Als Abgleich zu den Ergebnissen in Tabelle 3 zeigt Tabelle 4 Belegzahlen für Präpositionalphrasen mit zusammengezogenen Formen, also beispielsweise im anstelle von in dem. Es fällt auf: Den größten Anteil haben hier als-Sätze und die wo-Sätze nehmen zwei Mal den zweiten Platz ein. Für genaue Aussagen und Interpretationen müssten hier allerdings noch Detailuntersuchungen angestellt werden.

SuchanfrageDeReKo 2009DeReKo 2024
am Tag, an dem29,9% (289)33,3% (1.753)
am Tag, als69,3% (670)64% (3.373)
am Tag, wo0,8% (8)2,7% (142)
am Wochenende, an dem8,9% (15)4,3% (315)
am Wochenende, als77,5% (131)91,3% (6.676)
am Wochenende, wo13,6% (23)4,4% (323)
im Jahr, in dem49,5% (47)13,6% (662)
im Jahr, als43,2% (41)77,2% (3.761)
im Jahr, wo7,3% (7)9,2% (449)
im Sommer, in dem3,5% (8)1,9% (225)
im Sommer, als85,5% (194)93.4% (10.888)
im Sommer, wo11,4% (26)4,7% (546)

Tabelle 4: DeReKo-Suchanfragen vom 03.03.2009 bzw. 10.03.2024

Fazit

Zur Einleitung temporaler Attributsätze werden bevorzugt an dem/in dem und als verwendet. In dieser Funktion scheinen als und wo tendenziell näher an der Alltagssprache zu liegen.

Darüber hinaus sind folgende Besonderheiten zu beachten:

  • Ist der Bezugsausdruck des übergeordneten Satzes adverbial (z. B. jetzt, abends, um fünf Uhr), wird die Präpositionalphrase an dem/in dem als Relativsatzeinleitung nicht verwendet.
  • Bei Adverbien wie jetzt und heute ist wo das häufigste der drei Einleitungselemente, bei damals wird als am häufigsten verwendet.
  • Ist der Bezugsausdruck ein Nomen, sind alle drei Anschlüsse möglich, allerdings gilt die Verwendung von wo in temporalen Attributsätzen nicht immer als stilistisch gut.

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Autor(en)
Matthias Mösch, Ulrike Stölzel
Bearbeiter
Roman Schneider
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