Das Wörtchen wo kann grammatisch gesehen viele Funktionen haben. Was es alles sein kann, kann man an dieser Stelle nachlesen: wo. Hier interessiert aber nur sein Gebrauch in Relativsätzen.
Am häufigsten findet man wo als W-Adverb mit örtlicher (lokaler) Bedeutung. Man kann es statt einer Kombination aus lokaler Präposition und Relativpronomen verwenden:
Es geschieht jedoch häufig, dass die lokale Bedeutung von wo „metaphorisiert wird und Grundstrukturen für viele andere Inhaltsbereiche abgibt“ (Eisenberg 2006, S. 271). Somit kann mit wo nicht nur auf Orte, sondern auch auf Zeiten oder Sachverhalte verwiesen werden.
Nun hört oder liest man Sätze, in denen wo statt eines einfachen Relativpronomens (d.h. eines Relativpronomens mit Präposition) verwendet wird
und sogar Sätze, in denen sowohl das Relativpronomen als auch wo realisiert sind:
Alle drei Beispielsätze bedeuten dasselbe. Heißt das, man kann Relativpronomen und W-Adverb beliebig austauschen oder mischen? Eilige Leser können hier zum Fazit springen.
Bekannt ist wo in dieser Funktion vor allem in süddeutschen Dialekten. Im Deutschen sind Relativpronomina in den Dialekten „seltener, als man aufgrund der Standardsprache vermuten würde“ (Fleischer 2005). Anstelle der Relativpronomina werden dialektal häufig das, was, wer und wo verwendet. Das relativisch gebrauchte wo ist vor allem heimisch im Alemannischen, Schwäbischen, Fränkischen, Mittelhessischen und teilweise im Bairischen (Wild 2004, S. 335-6). Kombinationen von der, die, das mit wo sind im Moselfränkischen und im Ostfränkischen belegt (vgl. Pittner 2004). Salopp gesagt heißt das:
Grammatisch konzentriert sich die Verwendung des W-Adverbs auf Fälle, bei denen das Bezugsnomen im Nominativ (der Mann, wo) oder Akkusativ (den Mann, wo) steht (Pittner 2004, S. 367). Unterscheidet sich der Kasus des Personalpronomens von dem des Bezugsausdrucks (Das ist der Mann, dem ich noch Geld schulde), wird das W-Adverb nicht verwendet, sondern das Relativpronomen.
In Die-wo-topia herrscht also kein Chaos, sondern da gibt es durchaus Regeln.
Wo ist im Gegensatz zum Relativpronomen indeklinabel, trägt also keine
morphologischen Markierungen des Kasus, Genus oder Numerus, sondern zeigt nur an, dass es einen
Nebensatz einleitet.
Relativpronomen | W-Adverb |
Erweist sich diese fehlende morphologische Markiertheit bei Bezugsausdrücken, die Subjekt
oder Akkusativobjekt des übergeordneten Satzes sind, als
wenig hinderlich für das Verständnis einer Aussage, kann sie bei komplexeren
Nominalphrasen oder bei Dativobjekten oder Genitivattributen
rasch für Verwirrung sorgen, wie folgende hochdeutsch-pfälzische Kontrastbeispiele verdeutlichen
sollen.
Hochdeutsch | Pfälzisch | |
Beispiel 1 | Der Mann neben der Frau, die ich gesehen habe | De Mann newe de Fra, wu isch gesehe hab |
Bedeutung | 'ich habe die Frau gesehen' | 'ich habe entweder ihn oder sie oder beide gesehen' |
Beispiel 2a | Der Mann, dessen Kind bei uns daheim isst | De Mann, wu sei Kind bei uns dehäm isst |
Bedeutung | 'das Kind isst etwas’ | Missverständlich: 'der Mann isst sein Kind' oder 'das Kind isst etwas' |
Beispiel 2b | De Mann, dem sei Kind bei uns dehäm isst | |
'das Kind isst etwas’ |
Siehe auch: Wo ist dem Opa seine Brille? — Zugehörigkeitsanzeige durch Dativattribut.
Kombinationen von Relativpronomen und W-Adverb stellen in solchen Fällen ebenfalls eindeutigere Bezüge her: der Mann, den wo; die Frau, die wo; das Kind, das wo. Hier ist wo allerdings redundant und Redundanzen werden schnell belächelt, wie es im von grammatischen Kuriosa durchsetzten „Liebeslied“ der Gruppe Wise Guys deutlich anklingt:
Schon bei Grimm (1854-1960) und Behagel (1923-1928) liest man, im Deutschen vertrete wo das Relativpronomen nur mundartlich. Auch die großen Gegenwartsgrammatiken des Deutschen (GDS, Dudengrammatik, Eisenberg) schließen den Gebrauch des W-Adverbs als Relativpronomen aus der Standardsprache aus: Im „Standarddeutschen können sich Pronominaladverbien nicht auf menschliche Referenten beziehen“ (Fleischer 2005). Wie sieht es im Sprachgebrauch wirklich aus?
Tatsächlich begegnet uns das besagte wo in der Tagespresse, dem größten Schriftmedium der Standardsprache, selten. In den Korpora der geschriebenen Sprache des IDS lassen sich weder in überregionalen, noch regionalen Zeitungen nennenswerte Verwendungen von der wo, die wo oder das wo finden. Eine Suche nach der, wo (am 21.04.08) ergab Beispiele wie:
Auffallend an der Beleglage (133 Belege) ist allerdings, dass die meisten der Ergebnisse in direkter Rede vorkommen, konzeptionell mündlich, umgangssprachlich, wenn nicht sogar mundartlich markiert sind, wie etwa:
Es gibt nur einen Beleg für relatives wo ohne der, den etc.
In der „schönen“ Literatur, ebenso bei den Klassikern, findet man ebenfalls nur Belege in Textpassagen von konzeptioneller Mündlichkeit oder dialektaler Markiertheit:
Bei Belegen aus dem Internet sieht das zunächst anders aus. Hier springen einem förmlich die wos in Tausenden entgegen. Deren prominenteste Vertreter kommen vor in Variationen des Jürgen Klinsmann zugeschriebenen "Mir sind die, wo gwinne wellet" oder Aussagen Mario Baslers:
Eine ebenso große Anzahl von Belegen fällt in den Bereich der Sprachreflexion:
Die Prominenz von Die-wo-topia ist also weit bekannt, aber wie sieht es mit der Bevölkerungsbasis aus? Filtert man bewusst mundartlich und/oder parodistisch gehaltene Belege heraus, bleibt auch hier wieder nur eine geringe Anzahl „authentischer“ Verwendungen, meist aus Internetforen und Blogs, übrig, z.B.:
Eine Stichprobe (mit Google am 4.4.2008) zeigt, wie verhältnismäßig selten wo als Relativpronomen im Bezug auf belebte Bezugsausdrücke im Internet vertreten ist.
Anzahl relativischer Anschlüsse an Mann und Frau:
der Mann, der | 1.130.000 |
der Mann, den | 143.000 |
der Mann, dem | 41.300 |
der Mann, wo | 569 |
der Mann, der wo | 196 |
der Mann, den wo | 5 |
der Mann, dem wo | 4 |
/ | / |
die Frau, die | 581.000 |
die Frau, der | 66.500 |
die Frau, wo | 548 |
die Frau, die wo | 30 |
die Frau, der wo | 1 |
Eine weitere Stichprobe (22.04.08) nach ein/e Mann/Frau/Kind/…, wo lieferte mehr Belege (3.000 für Frau, 1.060 für Kind, 812 für Mann, 327 für Mädchen, 75 für Junge), doch diese Belegzahlen sind noch recht gering verglichen mit pronominalen Anschlüssen (1.070.000 für eine Frau, die; 342.000 für ein Kind, das; 563.000 für ein Mann, der; 171.000 für ein Mädchen, das; 85.300 für ein Junge, der).
Es scheint den Fürsten von Die-wo-topia also zumindest in der Schriftsprache an einer breiten Bevölkerungsbasis zu mangeln. Eine Erklärung dafür könnte sein: wo als Relativpronomen ist ein Dialektmerkmal und als solches, ebenso wie dialektale Texte, kaum im verschrifteten Teil des Internets vertreten.
Dass das relative wo dennoch immer wieder zitiert und parodiert wird, zeigt, wie sehr stigmatisiert es ist. Diese Stigmatisierung scheint so umfassend zu sein, dass sich dies auch auf völlig unproblematische Verwendungsweisen auswirkt. So schreibt die Teilnehmerin einer Diskussion im Internet:
Es bestünde hier kein Grund, das W-Adverb wo in Anführungszeichen zu setzen, da sein Gebrauch nach artikellosen Ortsnamen die standardsprachliche Verwendung ist. Auch bei den Klassikern Goethe und Lessing etwa, bei denen man sich vielerlei Anregungen holen kann, ist solches wo nicht verpönt, im Gegenteil. Nur eben anstelle des Relativpronomens ist es nicht standardsprachlich.