Das Bestmöglichste und das Erstbeste — Wo finden sich doppelte Superlative?
Hat jemand alles getan, was ihm möglich war, dann hat er fraglos sein
Möglichstes getan. Und hat er getan, was nach Lage der
Dinge das Beste war, was getan werden konnte, hat er einerseits das
Bestmögliche getan, andererseits, da Besseres nicht
möglich war, zugleich das Möglichste. Was liegt da näher, als beide
Gesichtspunkte zu vereinen und vom Bestmöglichsten zu sprechen?
Dieser Meinung waren, wie eine Recherche im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) (Stand März 2024) ergab,
beinahe 2 % der Autoren einschlägiger Belege, in denen ein Superlativ aus gut und möglich gebildet wurde.
Kulturpessimisten wird dies vielleicht nicht überraschen. Aber betrachtet man die absoluten Zahlen, dann mag man doch ins Grübeln kommen:
In rund 2.000 Texten treffen wir auf doppelte Superlative und damit auf eine Ausdrucksform, von der wohl fast jeder mehr als einmal zu hören bekam, dass sie zu vermeiden sei.
bestmöglich* | 131.838 Treffer |
bestmöglichst* | 2.274 Treffer |
Ein Blick auf die Sprachrealität
Doppelte Superlativmarkierungen sind offenbar keine Seltenheit. Wie
die folgenden Beispiele — durchaus auch aus redaktionell arbeitenden Tageszeitungen und nicht nur aus informellen Kontexten —
zeigen, findet man sie bei vielen Komposita aus Adjektiven bzw. aus einem Adjektiv und einem Partizip I oder Partizip II.
Adjektiv + Adjektiv:
Gold gilt nach wie vor als
bestverträglichste Füllung, hält hohen
Kaudruck aus und hat die höchste Haltbarkeit.
[Tiroler Tageszeitung,
04.09.1997, Welche Materialien Zahnlöcher stopfen]
Bei diesem Symposium handelt es sich um
das höchstrangigste außerhalb der
Landeshauptstadt", so Gesundheitslandesrat Günter Dörflinger anläßlich des "3.
Internationalen Kinder- und Jugendpsychiatrischen Symposiums", das bis morgen
im Pöllauer Schloß stattfindet.
[Kleine Zeitung, 08.05.1999,
Der Weg zur Persönlichkeit]
Das Wort sein ist in seiner meistgebräuchlichsten Verwendung in allerhöchstem Maße geprägt durch seine häufige Funktion als benutzte Kopula.
[Diskussion: Leimbach (Rhein), In: Wikipedia - URL:http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Leimbach_(Rhein): 2017]
Adjektiv + Partizip I:
Doch von Anthony Perkins in "Psycho" und
Anthony Hopkins in "Das Schweigen der Lämmer" führt ein steil abfallender Weg
zu Keanu Reeves, dem bestaussehendsten
Nicht-Schauspieler Hollywoods.
[Mannheimer Morgen, 18.01.2001,
Neu im Kino]
Friedrich vertritt in diesem Wahlkampf am
weitestgehendsten Positionen von
Umweltschützern, etwa mit der Ablehnung der Nauheimer Ostumgehung.
[Frankfurter Rundschau, 29.01.1999, S. 4]
Adjektiv + Partizip II:
"Wir sind die
schlechtestversorgteste Schule in
Frankfurt", ruft Elternbeirat Albert Wiedenmann vom Fenster aus den rund 100
applaudierenden Erwachsenen und Schülern zu, die den Protest gegen Lehrermangel
am Gymnasium unterstützen.
[Frankfurter Rundschau, 12.05.1999, S.
27]
Noch in den dreißiger Jahren war Oscar
Wilde in Deutschland der meistgelesenste englische Autor, seine
Werke verkauften sich besser als die Krimis von Edgar Wallace.
[die
tageszeitung, 05.08.1988, S. 12]
Die Kombination zweier Superlative findet sich übrigens nicht nur bei Komposita, sondern auch in getrennter Schreibung:
Zeitdruck macht man sich dabei offenbar ganz bewusst nicht, so Eberl: "Wir wollen uns Zeit lassen, weil wir den am besten passendsten Trainer für Bayern München finden wollen."
[https://www.kicker.de/eberls-erster-arbeitstag-wir-werden-den-spagat-schaffen-muessen-999788/artikel, abgerufen am 02.03.2024]
Diskussion der Funde
In den vorstehenden Beispielen wurde vermutlich zuviel des Guten getan. Doch damit, dass man
doppelte Superlative pauschal zu Fehlleistungen erklärt, wird man dem Phänomen auch nicht ganz gerecht.
- Es finden sich sehr wohl Kompositionen aus zwei
Superlativformen, die als korrekt gelten können:
Engländer stellen die
nächstgrößte Gruppe vor den Chinesen aus
der Volksrepublik China und Hongkong.
[Mannheimer Morgen, 20.09.2000,
Den Weg in das gelobte Land Australien verstellen die Behörden mit
einigen Hürden]
Die nächstälteste Siedlung in China liegt im
Norden des Landes am Gelben Fluss.
[Züricher Tagesanzeiger,
08.04.1997, S. 72]
Hier liegt — anders als etwa bei
größtmöglichste — nicht etwa
die Überhöhung eines Superlativs vor. Es handelt sich vielmehr um zwei voneinander unabhängige Superlative: einerseits einen Superlativ hinsichtlich
der Nähe zu einem zuvor bestimmten Ausgangspunkt, andererseits einen Superlativ
hinsichtlich des Wertes, der dem so eingeschätzten Gegenstand oder Ereignis
unter dem zukommt, was noch zur Bewertung ansteht. Die Bewertung ist also immer
relativ zu verstehen: Auf das Größte folgt als Nächstgrößtes das Zweitgrößte,
auf das Neuntgrößte hingegen das Zehntgrößte.
Durchsucht man das Deutsche Referenzkorpus (DeReKo) nach Verbindungen von
nächst- mit Superlativformen, dann
zeigt sich, dass Kombinationen mit
best- bei Weitem am häufigsten
auftreten. Doch nur selten sind diese so "regulär" zu verstehen wie bei
folgendem Beispiel:
Der
nächstbeste Österreicher schien erst auf
Platz 21 auf, Helmut Mayer, Vizeweltmeister '89 aus Kärnten.
Die
Presse, 30.11.1991, Wieder gigantisches
Riesenslalom-Debakel]
Weit häufiger ist nächstbest- wie bei
diesem Beispiel zu interpretieren:
Im Gang unter der Stadiontribüne blieb
der Holländer stehen, schüttelte den Kopf - und trat gegen die
nächstbeste Tür.
[Berliner
Zeitung, 14.05.2001, S. 44]
Die Tür, gegen die der erregte Sportsfreund trat, wies
als einzigen erwähnenswerten Vorzug auf, dass sie die nächste war, auf die er
traf. Dabei bleibt auch jegliche Reihenfolge außer Betracht, weshalb man hier
eben so gut hätte schreiben können die nächste
Tür.
Ausschließlich in diesem "nichtregulären" Sinn zu
verstehen sind Charakterisierungen als Erstbestes. Zwar wäre auch hier prinzipiell
eine Interpretation im Sinn von "das erste und zugleich das Beste" möglich,
doch so wird dieser Ausdruck tatsächlich nie verwendet. Stets wird damit zu
verstehen gegeben, es handle sich um weitgehend Beliebiges, das zufällig als
erstes zur Hand war. Hier einige Beispiele:
Sie fuhr zum
angesagten Viertel Hoxton und stolperte in den erstbesten Laden,
aus dem laute Musik kam.
[Berliner Zeitung, 22.08.2003, S. 9]
In Berlin strandet
Rosa in den Armen des erstbesten Typen und redet sich ein, er
spende ihr nur ein Obdach für die Nacht.
[die tageszeitung,
23.07.2002, S. 15]
Nach drei Sekunden
klatscht auch schon der hartgesottenste taz -Redakteur dem
erstbesten Trabi zu.
[die tageszeitung, 11.11.1989, S.
6]
- Man kann nicht in jedem Fall davon ausgehen, dass den
Sprechern oder Schreibern einfach ein Fehler unterlaufen ist. Manche und
mancher mag diese Form in voller Absicht gewählt haben, um eine zusätzliche
Intensivierung zu erreichen, ganz so, wie auch bestimmte
Präfixe und
Nomina gebraucht werden, um die
besondere Intensität einer Eigenschaft zu betonen:
Überhaupt bedient der
Neoliberalismus unter dem Deckmantel einer sehr schicken und sehr modernen
Botschaft urälteste Vorstellungen des
Unternehmertums.
[Frankfurter Rundschau, 30.04.1998, S. 24]
Und daß sich eine
schon ausgemusterte Dieselrostlaube mit Periskop im Spielkrieg mit den
hypermodernsten, atombetriebenen
Unterseebooten zu messen hat, schloß eine versteckte Werbung für die Navy nicht
aus.
[Oberösterreichische Nachrichten, 20.07.1996, Ein Rohr
voll Humor]
Ich höre mir die
saublödeste Sinfonie bis zum Ende an
und wenn alles vorbei ist, die Musiker einpacken und eine Geige zu Boden
klatscht, spende ich herzlichsten Beifall und erkundige mich, wie so ein Klang
zu erzeugen ist.
[die tageszeitung, 26.06.1990, S. 18]
Wer eine derartige Verwendung des Steigerungsmorphems
untersagt sehen möchte, sollte bedenken, dass auch einige der größten Literaten
deutscher Sprache zu diesem Mittel gegriffen haben, wenn auch freilich nicht in
Verbindung mit bereits formal als Superlative ausgezeichneten
Adjektiven.
Mehr dazu hier: Zur vollsten Zufriedenheit
Was bleibt?
In jedem Fall bleibt als Problem, wo denn die Auszeichnung als Superlativ anzusetzen hat:
Am Mittwoch hat der Bremer Staatsgerichtshof einstimmig das bislang weitestgehende Urteil
zugunsten eines Parlaments gefällt.
[die tageszeitung, 03.03.1989, S. 2]
1995 folgte die bislang
weitgehendste japanische
Kriegsentschuldigung des damals in einer Koalition mit der LDP regierenden
sozialdemokratischen Premiers Tomiichi Murayama.
[die tageszeitung,
27.11.1998, S. 11]
Ohne die geringste Ahnung von der
Lebenssituation des Ratsuchenden zu haben, wird beliebige Weisung auch für
weitestreichende Entscheidungen
erteilt.
[St. Galler Tagblatt, 17.02.2000, Zwischen
Live-Satire und offener Psychiatrie]
Das Repräsentantenhaus hat erst am
Donnerstag die weitreichendste Steuerreform der USA
seit einem halben Jahrhundert beschlossen (der Senat muß allerdings auch noch
zustimmen).
[die tageszeitung, 29.09.1986, S. 6]
Superlative von Zusammensetzungen dieses Typs können grundsätzlich auf zweierlei
Weisen zustande gekommen sein:
- Die erste, adjektivische Komponente kann in die Verbindung
bereits als Superlativform eingebracht worden sein. Die zweite Komponente
bleibt dann ohne Superlativmarkierung, so etwa bei
schnellstmöglich-,
meistbeachtet-,
bestverdienend-.
Gestern in Rom ist
deutlich geworden, dass alle Beteiligten ein
schnellstmögliches
Ende der Kampfhandlungen wollen.
[Frank-Walter Steinmeier am
27. 7. 2006 in SWR1,
Aktuell um 5]
Doppelolympiasieger
Michael Johnson ist der bestbezahlte
Leichtathlet.
[Züricher Tagesanzeiger, 11.08.1998, S. 39]
- Die bereits in ungesteigerter Form gebräuchliche Verbindung
wird insgesamt in Superlativform gebracht, so etwa bei
dickflüssigst-,
großspurigst-,
langatmigst-.
Am dünnhäutigsten reagierte der Minister mit dem erstaunlichen
Stehvermögen in der Lotto-Affäre, als dem inzwischen zurückgetretenen
Geschäftsführer Peter Wetter leichtfertiger Umgang mit Geld und dem
Aufsichtsratsvorsitzenden Mayer-Vorfelder mangelnde Aufsicht vorgeworfen
wurden.
[Die Zeit, 06.10.1995, Nr. 41, S. 8]
Der größte Freak ist
oft der kleinkarierteste Spießer.
[die tageszeitung, 21.12.1991, S. 31]
Rein sachliche Überlegungen führen hier nicht immer zu
zutreffenden Einschätzungen und eignen sich deshalb nicht dazu, allgemeine
Regeln zu bestimmen: Das Dickflüssigste ist keineswegs das Flüssigste unter dem
Dicken, sondern das Dickste unter dem Flüssigen, und im Fall von
großspurig und langatmig kommt die zweite
Komponente weder gesteigert noch ungesteigert allein vor, obwohl sie ganz wie
ein typisches Adjektiv gebildet scheint. Immerhin zeigt sich hier ein Ansatz
für die Bestimmung einer Regularität, die zumindest für kompetente
Sprachteilhaber hilfreich sein könnte, wenn sie nicht ohnedies in solchen
Fällen keinerlei Probleme hätten:
Kommt die zweite Komponente nicht selbständig vor, dann kann die Verbindung nur
insgesamt in Superlativform gebracht werden.
Weiter reichende Regularitäten sind, wenn überhaupt, nur
schwer zu erkennen. So ergab etwa eine DeReKo-Recherche im März 2024 einerseits deutlich über 100.000 Belege für
weitestgehend- und nur ca. 1.500 Belege für weitgehendst-,
andererseits aber nur knapp 400 Belege für weitestreichend- gegenüber knapp 3.000 Belegen für weitreichendst-.
Vielleicht könnten sprachhistorische Studien über Gründe für derart unterschiedliche Ergebnisse aufklären, doch Entscheidungshilfen für heutige Sprecher und Schreiber lassen sich
daraus kaum ableiten. Man kommt also nicht umhin, sich Wort für Wort darüber
zu informieren, was Wörterbücher empfehlen, oder aber über Korpusrecherchen
herauszufinden, welche Formen aktual bevorzugt werden.