Warum der große Bluff, aber ein großer Bluff? — Artikelwahl und Adjektivflexion

Abschreckend beim Deutschlernen ist u.a. die Erkenntnis, dass man so viel beachten muss, um eine kleine Wortgruppe mit einem Adjektiv, einem Nomen und gegebenenfalls einem Artikel richtig bilden zu können. Es reicht nämlich nicht, zu wissen, ob das Adjektiv vor einem maskulinen, einem femininen oder einem neutralen Nomen steht. Auch das Wissen, in welchem Kasus dieses Nomen steht, reicht nicht aus, um die richtige Form des Adjektivs auszuwählen, nein, man muss auch noch berücksichtigen, ob ein Artikel vor dem Adjektiv steht und wenn ja, welcher, denn auch das beeinflusst die Form des Adjektivs.

In vielen Grammatiken steht daher, dass es zwei Adjektivflexionen (Adjektivdeklinationen) gibt: eine "schwache" und eine "starke". Und je nach dem, in welchem Zusammenhang das Adjektiv steht, wird es schwach oder stark flektiert.

Wer es nicht mehr genau weiß, kann sich nachfolgend erst wieder in Erinnerung rufen, was "schwach" bzw. "stark" flektiert" bedeutet. Ansonsten kann man gleich zum Abschnitt "Adjektivflexion" springen.

Was bedeutet "schwach" bzw. "stark" flektiert?

Man sagt von einem Adjektiv, dass es schwach flektiert, wenn es nur die Endungen -e bzw. -en trägt.

Maskulinum SingularFemininum SingularNeutrum SingularPlural
Nominativ -e-e-e-en
Akkusativ -en-e-e-en
Genitiv -en-en-en-en
Dativ -en-en-en-en

Man sagt von einem Adjektiv, dass es stark flektiert, wenn es die typischen Endungen des Demonstrativartikels dieser, diese, diese übernimmt.

Flexion des Demonstrativartikels

Maskulinum SingularFemininum SingularNeutrum SingularPlural
Nominativ dieserdiesediesesdiese
Akkusativdiesendiesediesesdiese
Genitiv diesesdieserdiesesdieser
Dativ diesem dieserdiesemdiesen
Im Genitiv Singular Maskulinum und Neutrum übernimmt das Adjektiv nie die Endung des Demonstrativartikels, sondern immer die schwache Endung -en. Warum das der Fall ist, s. Adjektivflexion

Starke Flexionsendungen des Adjektivs

Maskulinum SingularFemininum SingularNeutrum SingularPlural
Nominativ -er-e-es-e
Akkusativ -en-e-es-e
Genitiv -en!-er-en!-er
Dativ -em-er-em-en

Die schwache und starke Flexion unterscheiden sich nicht überall. Die Flexionsformen im Nominativ und Akkusativ Femininum Singular haben die gleiche Endung -e, im Akkusativ Maskulinum die gleiche Endung -en und im Dativ Plural Maskulinum, Femininum und Neutrum die gleiche Endung -en.

Adjektivflexion

Die Kasusmarkierung (Flexionsendung) zeigt die Funktion eines Wortes, einer Wortgruppe im Satz an. Es ist also wichtig, dass der Kasus einer Nominalgruppe sichtbar wird, damit man ihre Funktion im Satz erkennen kann. In einer Nominalgruppe kann die Kasusmarkierung an drei Stellen festgemacht werden: am Artikel, am Adjektiv, am Nomen selbst, wenn letzteres im Genitiv Singular Maskulinum und Neutrum die Endung -(e)s annimmt wie des Mannes, des Brot(e)s. Da die Nominalgruppe zusammengehört, verwendet man nicht überall die differenzierteren Endungen der starken Flexion. Häufig reicht es, wenn nur ein Element eine starke Endung hat. Man greift für die restlichen Elemente auf die weniger differenzierten Endungen der schwachen Flexion zurück. Ab und zu geht man halt mit den Mitteln der Sprache sparsam um, das nennt man Sprachökonomie!

Dativendungen bei Nomina:

Die alte Dativendung -e für maskuline und neutrale Nomina im Singular findet man nur noch in Formeln wie: zu Hause, Vorsicht vor dem Hunde! (Sieht man oft an Gartenzäunen!). Die Endung -n bei Nomina im Dativplural kommt nur bei maskulinen Nomina vor, die im Nominativplural weder auf -n noch auf -s enden (die Menschen - den Menschen/die Autos - den Autos aber die Kinder - den Kindern).

Was bedeutet das für die Flexion des Adjektivs?

Das Adjektiv wird im allgemeinen "schwach" flektiert. (In seiner "grammaire de l'allemand", 1952, S. 44 stuft Fourquet, ein bekannter französischer Germanist, die schwache Flexion sogar als die eigentliche Adjektivflexion ein.) Das Adjektiv wird aber "stark" flektiert, wenn es nötig ist, d.h. wenn der Kasus weder am Artikel noch am Nomen gut erkennbar ist.

Stark, wenn es nötig ist, sonst schwach!

Schwach flektiert wird das Adjektiv zum Beispiel nach einem definiten Artikel, denn da der definite Artikel dieselben Endungen hat wie der Demonstrativartikel, ist der Kasus am Artikel erkennbar, und es ist nicht nötig, auch noch das Adjektiv stark zu flektieren.

Flexionstabelle einer Nominalgruppe mit definitem Artikel

Maskulinum SingularFemininum SingularNeutrum SingularPlural
Nominativ der große Manndie große Fraudas große Kinddie großen Menschen
Akkusativ den großen Manndie große Fraudas große Kinddie großen Menschen
Genitiv des großen Mannesder großen Fraudes großen Kindesder großen Menschen
Dativ dem großen Mannder großen Frau dem großen Kindden großen Menschen

Stark flektiert wird ein Adjektiv, wenn weder am Artikel noch am Nomen der Kasus gut erkennbar ist.
Das ist z.B. der Fall, wenn gar kein Artikel vor dem Adjektiv steht. Mit einer Ausnahme: Wenn das Nomen im Genitiv Singular die starke Endung (e)s trägt, dann wird das Adjektiv wieder schwach flektiert, da eine starke Endung überflüssig wäre.

Flexionstabelle einer Nominalgruppe ohne Artikel

Maskulinum SingularFemininum SingularNeutrum SingularPlural
Nominativ teurer Käse teure Milch teures Bier teure Orangen
Akkusativ teuren Käse teure Milch teures Bierteure Orangen
Genitiv teuren Käses teurer Milchteuren Bieresteurer Orangen
Dativ teurem Käse teurer Milch teurem Bierteuren Orangen

Und was geschieht nach dem indefiniten Artikel ein, einen usw.?

Auch hier kommt die Regel voll zur Anwendung, die besagt, dass das Adjektiv dann stark flektiert wird, wenn weder Artikel noch Nomen eine starke Endung tragen.

Wenn der indefinite Artikel (ein, eine, ein) eine starke Endung hat: einen, einem, eines, einer wird das nachfolgende Adjektiv tatsächlich schwach flektiert: einem großen Mann. Wenn der indefinite Artikel aber keine starke Endung hat, wie im Nominativ Singular Maskulinum oder Neutrum (ein), trägt das Adjektiv die starken Endungen: ein großer Mann, ein großes Kind. Im Akkusativ Maskulinum fallen die starke und die schwache Endung zusammen: -en. Auf Grund der Regel "stark, wenn es nötig ist" wurde die Endung des nachfolgenden Adjektivs als schwach eingestuft – man erkennt ja den Kasus am Artikel!

Flexionstabelle einer Nominalgruppe mit indefinitem Artikel

Maskulinum SingularFemininum SingularNeutrum Singular
Nominativ ein großer Manneine große Frauein großes Kind
Akkusativ einen großen Manneine große Frauein großes Kind
Genitiv eines großen Manneseiner großen Fraueines großen Kindes
Dativ einem großen Mann einer großen Frau einem großen Kind

Es gibt keinen indefiniten Artikel im Plural. Der Plural wird ohne Artikel gebildet, und auch hier kommt die Regel zur Anwendung: Da vor dem Adjektiv also keine starke Endung vorkommt und auch den Nomina im Plural keine starke Endung angehängt werden, muss das Adjektiv selbst die starken Endungen tragen. Siehe Flexionstabelle ohne Artikel .

Zusammenfassung und Ausblick

Voll zur Anwendung kommt die Regel "stark, dann wenn es nötig ist, sonst schwach", wenn das Adjektiv ohne Artikel verwendet wird oder nach dem definiten und indefinitenden Artikel sowie nach den Demonstrativartikeln dieser, diese, dieses und jener, jene, jenes und den Possessiva mein, meine, meine usw. steht.

Flexionstabelle mit jener, jene, jenes

Maskulinum SingularFemininum SingularNeutrum SingularPlural
Nominativ jener große Mannjene große Fraujenes große Kindjene großen Menschen
Akkusativ jenen großen Mannjene große Fraujenes große Kindjene großen Menschen
Genitiv jenes großen Mannesjener großen Fraujenes großen Kindesjener großen Menschen
Dativ jenem großen Mannjener großen Frau jenem großen Kindjenen großen Menschen

Flexionstabelle mit mein, meine, mein

Maskulinum SingularFemininum SingularNeutrum SingularPlural
Nominativ mein großer Mannmeine große Fraumein großes Kindmeine großen Kinder
Akkusativ meinen großen Mannmeine große Fraumein großes Kindmeine großen Kinder
Genitiv meines großen Mannesmeiner großen Fraumeines großen Kindesmeiner großen Kinder
Dativ meinem großen Mann meiner großen Frau meinem großen Kindmeinen großen Kindern

Es wäre aber zu schön, wenn das Adjektiv sich immer so regelmäßig verhalten würde. Da im Zusammenhang mit weiteren Demonstrativartikeln wie solche und mit quantitativen Artikeln wie einige und keine es Unsicherheiten und Schwankungen im Gebrauch gibt, werden diese Fälle detailliert dargestellt in Viele brennende Fragen und keine einfachen Antworten? — Flexion des Adjektivs nach quantitativen Artikeln.

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Jacqueline Kubczak
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