Stadt – Land – Fluss — Zum grammatischen Geschlecht von Städte-, Länder- und Flussnamen

Wo Personen und Haustiere einen Eigennamen erhalten sollen, gilt eine einfache Regel: Das grammatische Geschlecht (Genus) des Namens entspricht dem biologischen Geschlecht des Benannten. Schwierigkeiten mit dem Genus ergeben sich hier allenfalls, wenn auch das biologische Geschlecht unklar oder nicht zu erkennen ist. Bei geografischen Objekten wie Städten, Ländern, Flüssen kann diese Regel schwerlich greifen. Sie werden zwar als Sachen betrachtet, doch deshalb keineswegs durchweg mit sächlichen Namen (mit Neutra) benannt.

Mag sein, dass in grauer Vorzeit die Wahl des Genus mythisch motiviert war, doch hier und heute sind solche Motive nicht länger nachzuvollziehen.

Muss man deshalb einzeln, Name für Name, lernen, welches Genus vorliegt? Die Antwort fällt nicht für alle Arten "geografischer" Objekte gleich aus:

Städtenamen

Bei Städtenamen fällt die Antwort gerade deshalb etwas schwer, weil sich die Frage im Alltag so selten stellt. Man erkennt erst einmal gar nicht, dass hier ein Problem vorliegen könnte. Städtenamen werden meist ohne vorangehenden, das grammatische Geschlecht anzeigenden Artikel gebraucht, und sie werden auch in nachfolgenden Sätzen nur selten durch Pronomina wie er, sie, es oder dieser, diese, dieses wieder aufgenommen, an denen man, gewissermaßen im Nachhinein ihr Geschlecht erkennen könnte. Man kann den Namen einer Stadt ein Leben lang verwenden, ohne dass sich einem jemals die Frage stellt, welches Genus er eigentlich hat. Doch, wenn man dem Namen ein schmückendes oder ein einschränkendes Attribut voran stellen oder die Stadt 'personalisieren' will, kommt man nicht umhin, der Phrase einen Artikel voranzustellen und dabei dann das Genus zu bestimmen, also etwa:

Der greise Hans Sahl, ein anderer, dem das verwinkelt-verwunschene Tübingen zum Trost des Alters und vielleicht zur Heimat geworden ist?
[Die Zeit, 15.03.1996]

Immer wieder fordert ein Retro-Fan, die Eisfabrikanten sollten bitte die tollen Sorten aus den Achtzigern wieder ins Programm nehmen. Ständig steht irgendwo, das West-Berlin der Achtziger sei einerseits unerreicht endzeitmäßig und deswegen andererseits unerreicht inspirierend gewesen.
[Süddeutsche Zeitung, 29.04.2010]

Erst, als die korrigierende Durchsage ertönte: "Entschuldigung, willkommen auf dem Hauptbahnhof Mannheim", da war das Leben wieder gelotet, der Alltag wiederhergestellt, ein Lebenssinn wieder erkennbar - und alles wieder gut. Ach, mein Mannheim!
[Mannheimer Morgen, 18.05.2010, S. 15]

Hält man sich an solche Phrasen, wird man feststellen, dass bei Städtenamen durchweg das Neutrum zu wählen ist. Bemerkenswert ist dabei, dass dies auch für Namen gilt, die ihrer Form nach zusammengesetzt (technisch: Komposita) zu sein scheinen, also etwa Heidelberg, Frankfurt, Hamburg:

Am zweiten Tag besuchen wir das barocke Heidelberg mit seinem auf sechs verschiedene Plätze verteilten Weihnachtsmarkt mit mehr als 140 Buden. Jeder der Plätze in der Altstadt hat seinen eigenen, individuellen Charakter.
[Rhein-Zeitung, 17.10.2012]

Und während manche davon den Weg in Anthologien fanden, fand er selber den Weg in die Hippie-Szene und das Frankfurt am Main der APO, war ein junger Beat-Poet, Kommune 1-Mitglied und Gründer des Ladens „Heidi Loves You“.
[Süddeutsche Zeitung, 07.01.2011]
Das „Schandweib“ ist ihr erster Roman und ein echter "Pageturner", der den Leser tief eintauchen lässt in das Hamburg um 1700. Und es ist die Geschichte eines historisch verbürgten Fehlurteils.
[Hamburger Morgenpost, 18.09.2011]

Bei Städtenamen ist, wie man sieht, eine Regel außer Kraft gesetzt, die bei zusammengesetzten Nomina (Substantiven, Hauptwörtern), die keine Eigennamen sind, sonst ausnahmslos gilt, nämlich, dass das Grundwort das grammatische Geschlecht bestimmt, also etwa das Abendrot, der Kartoffelkäfer, die Hausverwaltung.

Doch, was für Städte als den oberen Verwaltungseinheiten insgesamt gilt, trifft nicht in gleichem Maße für deren Teile und Gemarkungen zu. Diese können, wie man an diesen Beispielen sieht, durchaus auch maskuline (männliche) oder feminine (weibliche) Namen haben:

Der Wedding ist ein Ortsteil im Bezirk Mitte von Berlin.
[http://de.wikipedia.org/wiki/Berlin-Wedding]
Während einige Beamte der Wache Nord eine verirrte Katze auf der Schönau zu retten versuchten, verstärkten ihre Kollegen den Löschzug Mitte bei einem Küchenbrand in die Seckenheimer Straße.
[Mannheimer Morgen, 25.02.2011]

Zweifelsfälle sind hier jedoch kaum zu erwarten, da Teilorte oder Gemarkungen, deren Namen keine Neutra sind – von Überschriften und Auflistungen abgesehen – stets mit vorangestelltem Artikel verwendet werden.

Bei Namen wie Heidelberg, Hamburg, Washington ist man geneigt, sofort an die entsprechenden Städte zu denken, doch die Namen sind keineswegs auf eine Verwendung als Städtenamen festgelegt. Sie können grundsätzlich zur Benennung aller Arten von Objekten verwendet werden. Dabei variiert ihr Genus mit der Art des Objekts, und sie sind – sofern dessen Natur nicht aus dem Kontext zu erschließen ist – entweder mit einer Klassifizierung des jeweiligen Objekts oder mit einem vorangestellten bestimmten Artikel zu verwenden, der dieses Genus anzeigt:

  • General Washington
  • MS Hamburg
  • Wohnheim Karlsruhe
  • die Heidelberg, wenn es sich um ein Schiff handelt
  • der Heidelberg, wenn von einem Berg oder – wenig förmlich – von einem Mann dieses Namens die Rede ist.

Ländernamen

Die Namen von Ländern sind zwar hinsichtlich ihres Genus weniger einheitlich als Städtenamen, doch größere Schwierigkeiten sind auch hier nicht zu erwarten. Weitgehend gilt, dass Ländernamen, die – von Schlagzeilen und Auflistungen abgesehen – ohne vorangestellten Artikel auftreten, sächlich, also Neutra sind. Festzustellen ist dies – ganz wie bei Städtenamen – freilich nur anhand der eher seltenen Verwendungen, in denen dann doch ein Artikel vorangeht oder ein Relativsatz angeschlossen wurde:

Das Baden-Württemberg aus dem Fernsehen besteht eher aus lieblichen Landschaften und verträumten Flüssen als aus Daimler und Eliteuniversitäten. Es blickt eher zurück als nach vorne.
[Süddeutsche Zeitung, 25.11.2008]
Und in Woidkes Reden hätte man sich ein bisschen weniger Luise-Henriette von Oranien und ein bisschen mehr das Brandenburg von heute gewünscht. Schließlich soll jede Reise am Ende auch konkrete Ergebnisse für die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit abwerfen.
[Nordkurier, 04.10.2013]

[…] das rohstoffreichste Gebiet Afrikas, war nicht in den Besitz einer Großmacht übergegangen, sondern faktisch an Belgien, welches für die europäische Kontinentalpolitik kaum von Bedeutung war.
[http://de.wikipedia.org/wiki/Kongokonferenz, Stand 2011]

Wenn diese Feststellung nur weitgehend gilt, so ist dies darauf zurückzuführen, dass manche maskuline Ländernamen, denen traditionell ein Artikel vorangestellt wurde, zunehmend auch artikellos verwendet werden. So fanden sich am 10. 1. 2011 bei Recherchen in den Textkorpora des Instituts für Deutsche Sprache (Mannheim) für die Ländernamen Jemen, Iran, Irak, Sudan, Kosovo, Kongo, Tschad neben 369.051 Belegen mit vorangehendem Artikel immerhin 159.799 Belege ohne solchen Artikel. Unter diesen befinden sich zwar – schwer auffindbar – sicher auch manche Schlagzeilen, doch eine Tendenz zum Verzicht auf den Artikel ist unverkennbar.

Ganz anders bei femininen Ländernamen. In einer Zufallsauswahl von 100.000 Belegen zu Schweiz, Türkei und Slowakei fanden sich über 83.000 Belege mit vorangehendem Artikel und weit über 11.000 Belege, die – da in Schlagzeilen, Aufzählungen und Firmennamen – regulär ohne Artikel zu verwenden waren. Auch in dem verbliebenen Rest dürften die meisten Belege nach einer groben Durchsicht einer dieser Gruppen zuzuordnen sein. Ihn bis ins Letzte zu durchsuchen, hätte jedoch einen Aufwand bedeutet, der nur in stunden- bis tagelanger Handarbeit zu bewältigen wäre, ohne zu wesentlich anderen Erkenntnissen zu führen.

Flussnamen

Da Flussnamen in Texten – außerhalb von Schlagzeilen und Listen – durchweg mit vorangestelltem bestimmtem Artikel verwendet werden, sollte es nicht schwer fallen, mit dem Namen zugleich dessen Genus zu erlernen. Aber oft genug begegnen einem Flussnamen zuerst auf Landkarten oder Schildern und dort üblicherweise ohne Artikel. Nun haben unter den – laut wikipedia – 810 deutschen Flüssen mit einer Länge von mindestens 10 km weitaus die meisten feminine (weibliche) Namen, aber eben nicht alle. Für Deutschlerner bleibt als erster Trost nur, dass sich keine sächlichen Namen (Neutra) finden und dass sich für große Teilklassen einfache Regeln zur Bestimmung der Genera formulieren lassen:

  1. Flussnamen, die auf -bach enden, sind Maskulina (in der Liste immerhin 108 von 810). Sie werden offensichtlich als Zusammensetzungen verstanden und richten sich im Genus nach dem maskulinen Grundwort Bach.
  2. Flussnamen, die auf -ach – jedoch nicht -bach! – enden, sind Feminina (in der Liste 58 von 810).
  3. Flussnamen, die auf -e enden, sind Feminina (in der Liste 199 von 810).
  4. Flussnamen, die auf -a enden, sind Feminina (in der Liste 53 von 810).
  5. Flussnamen, die auf -er enden, sind mit wenigen Ausnahmen Feminina (in der Liste 90 von 810 – zwei Ausnahmen: der Kocher, der Tanger), was insofern bemerkenswert ist, als Nomina, die so enden und keine Eigennamen sind, überwiegend Maskulina sind.
  6. Flussnamen, die auf -z enden, sind Feminina (in der Liste 54 von 810).
  7. Flussnamen, die auf -au enden, sind Feminina (in der Liste 33 der 810).
  8. Flussnamen, die auf -itz enden, sind Feminina (in der Liste 36 von 810).
  9. Flussnamen, die auf -m enden, sind Feminina (in der Liste 20 von 810).
  10. Unter den restlichen Flussnamen der Liste fanden sich mit Augraben (Nebel), Augraben (Tollense), Inn, Lech, Main, Neckar, Regen, Rhein, Rhin (Havel) und Zschampert gerade mal 10 Maskulina, ein deutlicher Hinweis darauf, dass über die Bildungen mit -bach hinaus kaum Maskulina zu erwarten sind.

Man kommt deshalb, soweit von deutschen Flüssen die Rede ist, ganz gut zu Recht, wenn man weiß, dass Namen, die mit -bach enden, Maskulina sind, fast alle übrigen dagegen Feminina bis auf eine sehr überschaubaren Rest maskuliner Flussnamen, die man am besten eigens als Ausnahmen memoriert.

Auf die Namen ausländischer Flüsse kann diese Faustregel freilich nicht übertragen werden. So werden zwar Rhone (französisch le Rhône, ein Maskulinum) und Themse (englisch Thames, ein Neutrum) dank im Deutschen auslautenden -e zu Feminina, doch der Tiber behält das Geschlecht, das er im Italienischen hat (il Tevere), obwohl sein deutscher Name auf -er endet. Überhaupt scheinen die Mehrheitsverhältnisse bei den Genera der Namen ausländischer Flüsse ganz anders zu sein als bei Namen deutscher Flüsse. Viele der längsten Flüsse der Welt haben maskuline Namen: der Amazonas, der Nil, der Mississippi, der Niger, der Amur, der Don, der Sambesi, der Ebro, der Tejo, ...

Hier bleibt einem der Blick in eine gute Enzyklopädie nicht erspart.

Zum Umgang mit aus fremden Sprachen übernommenen Bezeichnungen siehe auch die Einheit Das Joghurt, der Joghurt, die Joghurt? — Variierendes Genus bei Fremdwörtern

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Autor(en)
Bruno Strecker
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