Wegen dem Regen oder wegen des Regens — Dativ oder Genitiv?
Ist man erst einmal völlig durchnässt, wird man sich kaum damit aufhalten, ob es dazu
"wegen dem Regen" oder doch "wegen des Regens" kam. Doch später, wenn man erklären will, weshalb
man sich verspätet hat, kann das durchaus zum Problem werden. Dann wünscht man sich eine schnelle,
klare Antwort und wird, wenn man an die Richtigen gerät, auch knapp und bündig bedient:
Bei "wegen dem Regen" krempeln sich mir die Fußnägel
hoch.
[Henning im Sprachenforum Babbel 29.09.2004, 02:55 - gefunden am
29. 5. 2012]
Weniger drastisch, doch nicht weniger eindeutig äußerte sich bereits vor über 200 Jahren
Johann Christoph Adelung zu diesem Problem:
Wêgen, eine Präposition, welche jederzeit mit der zweyten
Endung oder dem Genitive des Nennwortes verbunden wird, und das Verhältniß der bewegenden Ursache
bezeichnet. [...] Fehlerhaft ist es, wenn diese Präposition im Oberdeutschen so gern mit dem Dative
verbunden wird. Er ist wegen seinem Fleiße belohnet worden, für wegen seines
Fleißes.
[Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch:
Wegen. Ausgabe letzter Hand, Leipzig 1793-1801. Bd. 4, S. 1428.]
Leicht resigniert, doch mit eindeutiger Präferenz, ein Gralshüter des Genitivs:
Sagen wir es frei heraus: Die Präposition "wegen" mit
folgendem Dativ hat sich in unsere Sprache geschlichen und verursacht Sprachkundigen (da stimmt der
Dativ - "verursacht ... wem?") Bauchschmerzen:
Wegen dem Fernsehen habe ich nicht schlafen
können. - Alles nur wegen dem Köter!
Schön ist das nicht. Aber leider auch nicht
falsch.
Der Duden lässt "wegen" mit Dativ als "umgangssprachlich" zu. Die Präposition
beugt sich, um im Bild zu bleiben, der Umgangs- oder Alltagssprache.
[http://sprachschatz.net/sprachstil/dativ-oder-genitiv/?code=knl0987 - gefunden am 29.
5. 2012]
Nicht zu vergessen Bastian Sick, der dem Gebrauch des Dativs versuchten Totschlag
unterstellte und damit nicht nur das Geschäft seines Lebens machte, sondern inzwischen für viele zu
einer maßgeblichen Instanz in Sachen deutsche Sprache aufgestiegen ist.
Erste Annäherung an die Problematik
Auch wenn die Tendenz dieser Antworten eindeutig scheint, sollte man nicht außer Acht
lassen, dass hier im Grund nur der je eigene Sprachgebrauch zum Maß der Dinge erklärt und mit
keinem Wort begründet wird, wieso die angenommene Regel gelten sollte. Vor allem aber bleibt zu
bedenken, dass damit nicht schon die eine Antwort auf die exemplarisch gemeinte Frage gefunden sein
muss:
- Dass bei solchen Antworten Vorsicht geboten ist, zeigt sich bereits daran, dass
die Fragen – offenbar seit über 200 Jahren – ernstlich gestellt werden, denn sie gründen in
zahllosen Alltagserfahrungen, bei denen sich nicht das vermutete einheitliche Bild ergab. Niemand –
von Kleinkindern und Nicht-Muttersprachlern einmal abgesehen – fragt, ob es heißt er hat
das nicht geglauben oder er hat das nicht geglaubt. Die Wahl des
Kasus nach wegen hingegen ist sicher
nicht zufällig Gegenstand zahlloser Diskussionen in Internetforen.
- Der Sprachgebrauch im gesamten deutschen Sprachgebiet ist faktisch weit weniger
homogen, als manche selbst ernannte Sprachpfleger uns glauben machen möchten. Zu regionalen
Varianten können unterschiedliche Verwendungsweisen je nach Kommunikationsanlass oder
Gesprächszusammenhang kommen. Was in offiziellen Schreiben oder Dokumentationen angebracht sein
mag, kann in anderen Zusammenhängen geradezu lächerlich wirken.
- Die Regeln, denen Sprecher und Schreiber des Deutschen folgen, sind – gerade
beim Gebrauch von Präpositionen wie
wegen, laut oder binnen – oft komplexer als
Sprachlehrern und Sprachlernern lieb sein mag. Eine pauschale Regelformulierung wie "auf
wegen folgt der Genitiv" mag für Muttersprachler unproblematisch sein, weil sie
intuitiv die Fehler vermeiden, die sich bei strikter Anwendung dieser Regel einstellen könnten.
Nicht-Muttersprachler sind zumindest anfänglich ganz auf die Regelformulierung angewiesen und
werden Fehlerhaftes produzieren, so etwa:
*Wegen Schröders hat die Partei Wähler
verloren.
*Und das alles wegen fünf Hunde.
*Sie fürchtet sich wegen Tiere.
Schon ein erster, noch unsystematischer Blick auf die Verwendungsweisen von wegen lässt erahnen, dass der Kasusgebrauch selbst in
publizierten Texten nicht so leicht pauschal zu erfassen sein wird:
Und das Glas eigne sich auch als Sammler- und
Erinnerungsstück. Vorsicht: Bei so viel Werbung könnte es sein, dass der eine oder andere gar nicht
wegen des Rebensaftes, sondern wegen dieses Weinglases ins Schloss
kommt.
[Rhein-Zeitung, 17.01.2009]
Wenig ist die Polizei auf den St. Galler Strassen auf Lenker
unter Medikamenten- oder Drogeneinfluss gestossen. Nur in 88 Fällen musste sie den Ausweis
wegen diesem Delikt einziehen.
[Die Südostschweiz,
29.01.2009]
Mit 20 kam er nach Buchenwald, sprach fließend Deutsch, das er
von seinen deutschen Gouvernanten gelernt hatte, war literarisch gebildet und wäre, Goethes
wegen, beinahe einmal erschossen worden, weil er die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge des
Ettersberges, auf dem das Lager errichtet worden war, natürlich besser kannte als der SSMann, der
ihn fragte, was er dort an der "Goethe-Buche" zu suchen habe.
[Zeit,
12.09.2002, S. 48]
Nach Knittlingen reisen die Touristen wegen
Faust, nach Weimar wegen Goethe (und Schiller).
[Rhein Zeitung, 24.03.1997]
Nach Sturz wegen Glatteis klagte Stockerauer den
Maschinenring, der für die Räumung zuständig war.
[Niederösterreichische Nachrichten, 01.05.2014]
„Einmal ist ein Bus wegen Glatteises ausgefallen,
und einmal konnte der Bus nur mit dem vorderen Teil in die Haltestelle einfahren, weil schon ein
anderer Bus dort stand. Das darf er nicht, darauf haben wir aufmerksam gemacht“, sagt
Pressesprecher Georg Huemer auf NÖN-Anfrage.
[Niederösterreichische
Nachrichten, 13.02.2014]
Schließlich sind manche Touristen ja gerade wegen ihnen gekommen. Die Katzen sind ein Symbol der Stadt, sogar ein Museum ist ihnen gewidmet.
[Süddeutsche Zeitung, 31.12.2022, S. 61]
Diese Frau ist so gutmütig und ehrlich und auf stille Weise klug, dass man eigentlich nur ihretwegen herausfinden will, was es mit diesem Kerl auf sich hat, den sie nun retten will, weil sie glaubt, das Gute in ihm freilegen zu können.
[Süddeutsche Zeitung, 20.08.2022, S. 34]
Für Landwirte wie ihn ist es heute trotzdem noch der
Scheiß-Kanal. Seinetwegen müssen sie Umwege zu ihren Feldern fahren.
[Nürnberger Zeitung, 26.03.2009]
«Thomas war mein grosses Idol, wegen ihm hatte
ich schon als kleines Kind den Traum, eines Tages selber bei Olympia ganz oben zu stehen», sagt sie
strahlend und legt sich fest: «Das ist der schönste Tag in meinem Leben!»
[Sonntagsblick, 16.02.2014]
Da es sich bei diesen Belegen durchweg um Auszüge aus publizierten Texten handelt, kann
man wohl davon ausgehen, dass die jeweiligen Verfasser erfahrene, des Deutschen mächtige Schreiber
sind. Doch wie sind dann die Unterschiede in der Wahl der Kasusform nach wegen zu
erklären? Geht man davon aus, die Genitivform habe
als Standardform zu gelten, wird man die Wahl des Dativs als Missgriff betrachten, bei dem
Umgangssprachliches oder nur Regionales Eingang in einen an sich standardsprachlichen Kontext
gefunden hat, in etwa so, wie wenn jemand zu einem offiziellen Empfang in Freizeitkleidung
erscheint. Doch auf welcher Grundlage geht man davon aus?
Was im Deutschen als Standard zu gelten hat, wurde nie rechtsverbindlich festgestellt. Es
kann sich also allenfalls um Konventionen handeln, die sich im Zuge des Redens und Schreibens in
der Sprachgemeinschaft ausgebildet haben. Oft sind solche Konventionen sehr stabil und werden
stillschweigend eingehalten, doch in bestimmen Fällen – und die Wahl des Kasus nach
wegen ist einer davon – hat sich keine Übereinstimmung ergeben. Wenn sich dabei
Ausdrucksformen, die Generationen von Deutschlehrern als fehlerhaft gewertet haben, so hartnäckig
halten wie eben Nicht-Genitivformen nach wegen, dann dürfte dies kaum damit zu
erklären sein, dass manche eben nie lernen, sich korrekt auszudrücken.
Dass auf wegen der Genitiv zu folgen hat, dürfte nicht zuletzt ein
theoretisches Konstrukt von Sprachlehrern und ein Desiderat von Fremd-/Zweitsprachlernern sein, das Lehre und Lernen erleichtern soll. Wer Deutsch als Erstsprache natürlich
erwirbt, lernt dabei nicht, explizit formulierten Regeln zu folgen, sondern orientiert sich an dem,
was ihm an Sprachgebrauch begegnet. Wenn es dabei zu anderen Einschätzungen kommt, als
Sprachkritiker sich wünschen, wird das wohl daran liegen, dass der faktische Sprachgebrauch in
seinem Umfeld nicht dem Bild entspricht, das mancher sich davon macht.
Korpusgestützte Beobachtungen
Ein realistischeres Bild – zumindest des schriftlichen Sprachgebrauchs – ergibt sich,
wenn man riesige Mengen an Textproduktionen mit den Mitteln digitaler Korpusrecherche durchforstet.
Zwar finden sich in Kollektionen wie dem Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) überwiegend Texte
professioneller Schreiber, die sich berichtend und kommentierend mit großen und kleinen Ereignissen ihrer Welt befassen. Aber die Bandbreite hat sich in den zurückliegenden Jahren erheblich erhöht und umfasst beispielsweise in Form internetbasierter Kommunikation (Online-Diskussionsforen, soziale Medien etc.) Sprachgebrauch in ganz unterschiedlichen Situationen und Ausprägungen, auch aus unredigierten Quellen. (Der Einwand, im Internet kämen eben auch Schreiber zu Wort, die des Deutschen nicht so recht mächtig sind, verkennt, dass es sich in vielen Fällen nicht einfach um Rechtschreibfehler handelt, sondern um durchaus regelhaft voneinander abweichende Verwendungsweisen.) Hier die Ergebnisse einiger exemplarischer DeReKo-Recherchen (Stand: Februar 2024):
wegen des | 959.710 |
wegen dem | 27.434 |
wegen eines | 340.254 |
wegen einem | 5.477 |
wegen dieses | 16.509 |
wegen diesem | 1.960 |
meinetwegen* | 27.898 |
wegen mir | 4.616 |
deinetwegen | 568 |
wegen dir | 851 |
seinetwegen | 6.964 |
wegen ihm | 3.349 |
uns(e)retwegen | 553 |
wegen uns | 1.563 |
euretwegen | 92 |
wegen euch | 301 |
ihretwegen* | 6.051 |
wegen ihnen | 891 |
deretwegen | 4.972 |
wegen denen | 2.305 |
Meinetwegen wird häufig im Sinn von von mir
aus, wenn es denn sein muss verwendet und steht in dieser Verwendung
nicht in Konkurrenz zu wegen mir. Ihretwegen entspricht zwei
bzw. drei Formen: wegen ihr (etwa wegen Emma), wegen
ihnen und wegen Ihnen (mit Großschreibung bei der Distanzform des Pronomens).
Diese Varianten wären nur über eine extrem aufwendige Auswertung der jeweiligen Kontexte auseinanderzuhalten.
Schon der erste Eindruck zeigt kein einheitliches Bild und die Vermutung, dass durchgängig Genitive präferiert werden, lässt sich nicht bestätigen.
Zwar ist in bestimmten Konstellationen eine deutliche Präferenz für diese Formen zu beobachten, doch eben nicht in allen
und vor allem nicht gleichermaßen ausgeprägt.
Eine Auswertung in der "Variantengrammatik" zur relativen Auftretenshäufigkeit von wegen mit Dativ bzw. Genitiv innerhalb der deutschen Sprachareale bestätigt übrigens die Vermutung unterschiedlichen regionalen Gebrauchs:
Aus: Variantengrammatik des Standarddeutschen (2018). http://mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra/index.php/Wegen.
Was die Korpora zeigen
Suchen in Textkorpora liefern erst einmal nicht mehr als Zahlen, doch sie zeigen, dass
eine pauschale Regel wie "auf wegen folgt der Genitiv" kaum als Grundlage des
faktischen Sprachgebrauchs gelten kann. Bevor man dies als Beleg für einen zunehmenden Verfall
sprachlicher Sitten wertet, sollte man der Frage nachgehen, wieso es hierzu kommt, vielleicht sogar
kommen muss.
- Die durchgängige Unterscheidung von Genitiv- und Dativformen ist vor allem der
lateinischen Grammatik geschuldet, die Jahrhunderte lang Vorbild auch deutscher Grammatiken war. So
liegt etwa bei Feminina (Hauptwörtern weibl. Geschlechts wie Frau,
Stunde, Gelegenheit) im Singular (in der Einzahl) nur ein und
dieselbe Form vor: Er schenkte seiner Freundin einen Blumenstrauß –
Der Computer seiner Freundin hat den Geist aufgegeben. Hinzu kommen
zahllose artikellose Nominalphrasen im Plural (in der
Mehrzahl) ohne vorangehende Adjektivattribute, bei denen keine Kasusunterschiede auszumachen sind (etwa
Übungen, Frauen, Stationen). Eine Recherche in DeReKo
mit anschließender Auswertung unter Zuhilfenahme sog. regulärer
Ausdrücke ergab bei 100.000 zufällig ausgewählten Fundstellen für (kleingeschriebenes)
wegen etwa 30% Funde, die weder eindeutig als Genitive noch als Dative zu
identifizieren waren:
Der ehemalige Thüringer Innenminister Christian Köckert (CDU)
soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft wegen Korruption für zweieinhalb Jahre in
Haft.
[dpa, 08.01.2014]
Der 48-Jährige sei Anfang Mai wegen
Herzrhythmusstörungen in die Klinik gebracht worden.
[dpa,
26.05.2014]
«Na klar, wegen der Vogelgrippe will niemand
mehr Hühnchen kaufen», sagt der Händler, der seinen Laden dicht gemacht hat.
[dpa, 19.04.2013]
Entsteht wegen einer falschen Übersetzung ein
Schaden, muss der Übersetzer dafür gerade stehen.
[Berliner Ztg.,
24.03.2007, S. 1]
- Nahezu ausnahmslos präferiert werden Genitivformen – soweit die Kasusform
überhaupt eindeutig zu identifizieren ist – ausschließlich dort, wo wegen, wie in
den folgenden Beispielen, als Postposition verwendet
wird:
Dazu kommt, dass die Vorbereitung des Wetters
wegen nicht optimal lief.
[Braunschweiger Zeitung,
22.02.2013]
John Brosnan ist der einzige Brite in der Gruppe. Die übrigen
Personen wie Beatles-Manager Brian Epstein oder sein deutscher Vorgänger Bert Kämpfert sprechen
des besseren Verständnisses wegen deutsch.
[Die
Rheinpfalz, 03.03.2014 ]
Es geht darum, dass Tiere, des schnellen Profits
wegen, mit billigstem Abfall gefüttert werden.
[die
tageszeitung, 12.01.2011, S. 11]
Unter den 100.000 zufällig ausgewählten DeReKo-Belegen fand sich
jedoch nur etwa ein Prozent Verwendungen dieser Art. Bei etwa der Hälfte dieser Belege handelte es
sich um Verwendung vom Typ von Rechts wegen, bei denen wegen
strenggenommen weder als Prä- noch als Postposition zu betrachten ist, sondern noch im Sinne seiner
alten Verwendung als Nomen, derart, dass die vorangehende Genitivform als Attribut zu werten wäre,
ganz so wie Seiten in Sätzen wie diesen:
Es wurde vereinbart: ein Jahr Verlängerung (vorläufig) bis
zur Promotion; dafür von Silzers Seiten stärkere Berücksichtigung des Marxismus u. der
FDJ.
[Victor Klemperer, Zwischen allen Stühlen (Tagebücher 1958), 1999,
Bd. 2, S. 680]
Auch seine beiden Großväter waren Bürgermeister gewesen, der
von Vaters Seite, Johannes auf der Heyden, 1678 und der von Mutters Seite
Andreas Siebel (1619–1684) sogar vier Mal (1654, 1655, 1660, 1665). Dessen gleichnamiger Vater
Andreas Siebel († 1648) war 1634 Bürgermeister gewesen.
[http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jakob_auf_der_Heyden - Suche am
19.12.2014]
Von solchen Verwendungen abgesehen kann festgehalten werden, dass
wegen heute als Postposition nur sparsam eingesetzt wird, meist wohl, um besondere
stilistische Wirkung zu erreichen.
Johann Wolfgang Goethe machte noch wesentlich häufiger Gebrauch von
wegen als Postpostion: Unter den 358 Belegen für Verwendungen von
wegen in den maschinenlesbar verfügbaren Werken des Dichters findet sich 55 mal
wegen als Postposition.
Friedrich Schiller scheint wegen als Postposition sogar der Präposition
vorgezogen zu haben. Unter den 46 in den maschinenlesbar verfügbaren Werken zugänglichen
Verwendungen von wegen finden sich weit über die Hälfte Postpositionen. Da es sich
bei den ausgewerteten Texten überwiegend um Gedichte und Dramen handelt, könnte die Präferenz der
Textsorte geschuldet sein.
- Die vielleicht wichtigste Feststellung gilt der Bedeutung der verschiedenen
Formen: Anders als etwa bei auf den Baum und auf
dem Baum wirkt sich die Wahl des auf wegen folgenden Kasus
(Wes- oder Wemfall) in keiner Weise auf die Bedeutung des Gesagten aus oder auch nur dessen
Verständlichkeit. Wenn es manchem dennoch der Rede wert scheint, nicht einfach beides nebeneinander
bestehen zu lassen, dann hat dies wohl in erster Linie damit zu tun, dass die Wahl des Kasus zum
Kriterium für Gruppenzugehörigkeit erhoben wird, ganz so, wie dies mit der Wahl einer bestimmten
Weise, sich zu kleiden, erreicht werden kann.
- Soweit sich für das heutige Deutsch überhaupt so etwas wie die Bedeutung eines
Kasus ausmachen lässt, liegen Genitiv und Dativ in vielen Verwendungen nah beieinander und besagen,
dass da etwas ist, was anderem zukommt, widerfährt, gehört oder einfach zuzuordnen ist. Wie nah
beides zusammen liegt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Sprecher des von Adelung
kritisierten "Oberdeutschen" problemlos ganz ohne Genitiv auskommen – nicht anders übrigens als
Sprecher und Schreiber des Italienischen und Französischen, in deren Sprachen im nominalen Bereich
längst eine Präposition (di bzw. de) die Funktion der
Genitivendung übernommen hat.
- Die Präferenz für Genitivformen, die sich – zumindest bei den Belegen aus dem
DeReKo – bei auf wegen folgenden Nominalphrasen zeigt, die von einen bestimmten
oder unbestimmten Artikel eingeleitet werden, bestätigt sich nicht, wenn man Phrasen betrachtet,
bei den auf wegen unmittelbar ein Nomen (Substantiv, Hauptwort) folgt: Unter
27.774 Belegen dieser Art (in der genannten Zufallsauswahl von 100.000) fanden sich nur 7625
eindeutige Fälle von Genitiv, also lediglich 27,5%.
- Schränkt man die Auswahl weiter ein auf Eigennamen (etwa
Peter, Gisela, Maier,
Gelsenkirchen) wird man feststellen, dass hierbei so gut wie keine Genitivformen
auftreten.
In Anbetracht der genannten Beobachtungen sollte es kaum verwundern, dass es zu keiner
einheitlichen stabilen Konvention für den Gebrauch des Kasus nach wegen kommen
konnte.
Was also tun?
Mit dem Sprachgebrauch verhält es sich nicht anders als in vielen Lebensbereichen: Nicht
alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, wird immer und überall gleichermaßen geschätzt. Kann
man sich als Sprecher im Alltag noch mehr oder weniger sorglos an dem orientieren, was man für
gebräuchlich hält, sieht man sich als Schreiber oft mit Erwartungen konfrontiert, die zwar ohne
Begründung bleiben, aber dennoch wirksam werden, weil einflussreiche Personen und Institute sie für
gerechtfertigt halten. Von dieser Art ist die Erwartung, dass auf wegen der
Genitiv zu folgen habe. Wer dieser Erwartung – im Rahmen eines Bewerbungsschreibens, eines
Leserbriefs oder dergleichen – nicht entspricht und etwa schreibt wegen diesem
Ereignis, hat damit zu rechnen, dass dies als Zeichen mangelhafter Sprachbeherrschung
gewertet wird. Was also tun?
- Generell ist festzustellen, dass mit Kritik ausschließlich von Seiten der
Verfechter des Genitivs zu rechnen ist. Wer Dativformen nach wegen gebraucht, tut
dies in aller Regel stillschweigend und sieht sich nicht dazu aufgefordert, anderen Sprachgebrauch
zu bewerten.
- Will man sich keiner Kritik aussetzen, wird man deshalb nach
wegen bei nachfolgendem Artikel den Genitiv wählen, also wegen des
Regens, nicht wegen dem Regen, wegen eines Unfalls,
nicht wegen einem Unfall.
- Gleiches gilt, wo auf wegen eine artikellose
Nominalphrase mit vorangestelltem Adjektivattribut folgt,
also etwa wegen heftigen Regens, nicht wegen heftigem
Regen.
- Handelt es sich bei dem vorangestellten Adjektivattribut allerdings um ein
Zahlwort, dann sind andere Konventionen zu beachten. Nur im Fall von zwei und
drei sind Genitivformen (zweier, dreier) etwa so
gebräuchlich wie die unflektierten Formen. Auf ein unflektiertes Zahlwort nach
wegen kann dann zwar durchaus eine Genitivform folgen (etwa wegen vier
ungelöster Fälle), doch weit überwiegend werden hier Dativformen gebraucht.
Dies gilt insbesondere und nahezu ausnahmslos, wenn auf das Zahlwort unmittelbar ein Nomen
folgt.
- Folgt auf wegen unmittelbar ein Nomen, kann man, so dieses überhaupt in eine solche Form gebracht werden
kann, ebenfalls den Genitiv wählen, doch man wird sich keiner Kritik aussetzen, wenn man einfach
die Grundform wählt, also gleichermaßen wegen Regens oder wegen
Regen.
- Handelt es sich bei dem auf wegen folgenden Nomen um einen
Eigennamen, wirkt die Verwendung der Genitivform geradezu irritierend: Sie wird möglicherweise als
Pluralform (Mehrzahl) verstanden, oder, wenn ein weiteres Nomen folgt, als vorangestelltes
Genitivattribut wie bei wegen Kohls Politik, wegen Hermanns älteren
Bruders. Deshalb: nicht wegen Karls, sondern wegen
Karl.
- Klar und eindeutig sind die Konventionen für die Verwendung von
wegen als Postposition: Nachgestelltem
wegen können nur Nominalphrasen vorangehen, die eindeutig als Genitive zu erkennen
sind, also etwa des Regens wegen, guter Freunde wegen,
der Mütter wegen auch Helmut Krauses, jedoch nicht Helmut Krause wegen, Gesetze wegen. Als ideales Mittel, allen
Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, die der Gebrauch der Präposition wegen mit
sich bringen könnte, ist eine Verwendung der Postposition jedoch schon deshalb nicht zu empfehlen,
weil dabei zuviel ausgeschlossen bliebe. Hinzu kommt, dass der ausschließliche Gebrauch von
wegen als Postposition selbst in Schriftform eher als seltsame Manie betrachtet
werden dürfte.