Wegen dem Regen oder wegen des Regens — Dativ oder Genitiv?

Ist man erst einmal völlig durchnässt, wird man sich kaum damit aufhalten, ob es dazu "wegen dem Regen" oder doch "wegen des Regens" kam. Doch später, wenn man erklären will, weshalb man sich verspätet hat, kann das durchaus zum Problem werden. Dann wünscht man sich eine schnelle, klare Antwort und wird, wenn man an die Richtigen gerät, auch knapp und bündig bedient:

Bei "wegen dem Regen" krempeln sich mir die Fußnägel hoch.
[Henning im Sprachenforum Babbel 29.09.2004, 02:55 - gefunden am 29. 5. 2012]

Weniger drastisch, doch nicht weniger eindeutig äußerte sich bereits vor über 200 Jahren Johann Christoph Adelung zu diesem Problem:

Wêgen, eine Präposition, welche jederzeit mit der zweyten Endung oder dem Genitive des Nennwortes verbunden wird, und das Verhältniß der bewegenden Ursache bezeichnet. [...] Fehlerhaft ist es, wenn diese Präposition im Oberdeutschen so gern mit dem Dative verbunden wird. Er ist wegen seinem Fleiße belohnet worden, für wegen seines Fleißes.
[Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch: Wegen. Ausgabe letzter Hand, Leipzig 1793-1801. Bd. 4, S. 1428.]

Leicht resigniert, doch mit eindeutiger Präferenz, ein Gralshüter des Genitivs:

Sagen wir es frei heraus: Die Präposition "wegen" mit folgendem Dativ hat sich in unsere Sprache geschlichen und verursacht Sprachkundigen (da stimmt der Dativ - "verursacht ... wem?") Bauchschmerzen:
Wegen dem Fernsehen habe ich nicht schlafen können. - Alles nur wegen dem Köter!
Schön ist das nicht. Aber leider auch nicht falsch.
Der Duden lässt "wegen" mit Dativ als "umgangssprachlich" zu. Die Präposition beugt sich, um im Bild zu bleiben, der Umgangs- oder Alltagssprache.
[http://sprachschatz.net/sprachstil/dativ-oder-genitiv/?code=knl0987 - gefunden am 29. 5. 2012]

Nicht zu vergessen Bastian Sick, der dem Gebrauch des Dativs versuchten Totschlag unterstellte und damit nicht nur das Geschäft seines Lebens machte, sondern inzwischen für viele zu einer maßgeblichen Instanz in Sachen deutsche Sprache aufgestiegen ist.

Erste Annäherung an die Problematik

Auch wenn die Tendenz dieser Antworten eindeutig scheint, sollte man nicht außer Acht lassen, dass hier im Grund nur der je eigene Sprachgebrauch zum Maß der Dinge erklärt und mit keinem Wort begründet wird, wieso die angenommene Regel gelten sollte. Vor allem aber bleibt zu bedenken, dass damit nicht schon die eine Antwort auf die exemplarisch gemeinte Frage gefunden sein muss:

  • Dass bei solchen Antworten Vorsicht geboten ist, zeigt sich bereits daran, dass die Fragen – offenbar seit über 200 Jahren – ernstlich gestellt werden, denn sie gründen in zahllosen Alltagserfahrungen, bei denen sich nicht das vermutete einheitliche Bild ergab. Niemand – von Kleinkindern und Nicht-Muttersprachlern einmal abgesehen – fragt, ob es heißt er hat das nicht geglauben oder er hat das nicht geglaubt. Die Wahl des Kasus nach wegen hingegen ist sicher nicht zufällig Gegenstand zahlloser Diskussionen in Internetforen.
  • Der Sprachgebrauch im gesamten deutschen Sprachgebiet ist faktisch weit weniger homogen, als manche selbst ernannte Sprachpfleger uns glauben machen möchten. Zu regionalen Varianten können unterschiedliche Verwendungsweisen je nach Kommunikationsanlass oder Gesprächszusammenhang kommen. Was in offiziellen Schreiben oder Dokumentationen angebracht sein mag, kann in anderen Zusammenhängen geradezu lächerlich wirken.
  • Die Regeln, denen Sprecher und Schreiber des Deutschen folgen, sind – gerade beim Gebrauch von Präpositionen wie wegen, laut oder binnen – oft komplexer als Sprachlehrern und Sprachlernern lieb sein mag. Eine pauschale Regelformulierung wie "auf wegen folgt der Genitiv" mag für Muttersprachler unproblematisch sein, weil sie intuitiv die Fehler vermeiden, die sich bei strikter Anwendung dieser Regel einstellen könnten. Nicht-Muttersprachler sind zumindest anfänglich ganz auf die Regelformulierung angewiesen und werden Fehlerhaftes produzieren, so etwa:
*Wegen Schröders hat die Partei Wähler verloren.
*Und das alles wegen fünf Hunde.
*Sie fürchtet sich wegen Tiere.

Schon ein erster, noch unsystematischer Blick auf die Verwendungsweisen von wegen lässt erahnen, dass der Kasusgebrauch selbst in publizierten Texten nicht so leicht pauschal zu erfassen sein wird:

Und das Glas eigne sich auch als Sammler- und Erinnerungsstück. Vorsicht: Bei so viel Werbung könnte es sein, dass der eine oder andere gar nicht wegen des Rebensaftes, sondern wegen dieses Weinglases ins Schloss kommt.
[Rhein-Zeitung, 17.01.2009]
Wenig ist die Polizei auf den St. Galler Strassen auf Lenker unter Medikamenten- oder Drogeneinfluss gestossen. Nur in 88 Fällen musste sie den Ausweis wegen diesem Delikt einziehen.
[Die Südostschweiz, 29.01.2009]
Mit 20 kam er nach Buchenwald, sprach fließend Deutsch, das er von seinen deutschen Gouvernanten gelernt hatte, war literarisch gebildet und wäre, Goethes wegen, beinahe einmal erschossen worden, weil er die kulturgeschichtlichen Zusammenhänge des Ettersberges, auf dem das Lager errichtet worden war, natürlich besser kannte als der SSMann, der ihn fragte, was er dort an der "Goethe-Buche" zu suchen habe.
[Zeit, 12.09.2002, S. 48]
Nach Knittlingen reisen die Touristen wegen Faust, nach Weimar wegen Goethe (und Schiller).
[Rhein Zeitung, 24.03.1997]
Nach Sturz wegen Glatteis klagte Stockerauer den Maschinenring, der für die Räumung zuständig war.
[Niederösterreichische Nachrichten, 01.05.2014]
„Einmal ist ein Bus wegen Glatteises ausgefallen, und einmal konnte der Bus nur mit dem vorderen Teil in die Haltestelle einfahren, weil schon ein anderer Bus dort stand. Das darf er nicht, darauf haben wir aufmerksam gemacht“, sagt Pressesprecher Georg Huemer auf NÖN-Anfrage.
[Niederösterreichische Nachrichten, 13.02.2014]
Schließlich sind manche Touristen ja gerade wegen ihnen gekommen. Die Katzen sind ein Symbol der Stadt, sogar ein Museum ist ihnen gewidmet.
[Süddeutsche Zeitung, 31.12.2022, S. 61]
Diese Frau ist so gutmütig und ehrlich und auf stille Weise klug, dass man eigentlich nur ihretwegen herausfinden will, was es mit diesem Kerl auf sich hat, den sie nun retten will, weil sie glaubt, das Gute in ihm freilegen zu können.
[Süddeutsche Zeitung, 20.08.2022, S. 34]
Für Landwirte wie ihn ist es heute trotzdem noch der Scheiß-Kanal. Seinetwegen müssen sie Umwege zu ihren Feldern fahren.
[Nürnberger Zeitung, 26.03.2009]
«Thomas war mein grosses Idol, wegen ihm hatte ich schon als kleines Kind den Traum, eines Tages selber bei Olympia ganz oben zu stehen», sagt sie strahlend und legt sich fest: «Das ist der schönste Tag in meinem Leben!»
[Sonntagsblick, 16.02.2014]

Da es sich bei diesen Belegen durchweg um Auszüge aus publizierten Texten handelt, kann man wohl davon ausgehen, dass die jeweiligen Verfasser erfahrene, des Deutschen mächtige Schreiber sind. Doch wie sind dann die Unterschiede in der Wahl der Kasusform nach wegen zu erklären? Geht man davon aus, die Genitivform habe als Standardform zu gelten, wird man die Wahl des Dativs als Missgriff betrachten, bei dem Umgangssprachliches oder nur Regionales Eingang in einen an sich standardsprachlichen Kontext gefunden hat, in etwa so, wie wenn jemand zu einem offiziellen Empfang in Freizeitkleidung erscheint. Doch auf welcher Grundlage geht man davon aus?

Was im Deutschen als Standard zu gelten hat, wurde nie rechtsverbindlich festgestellt. Es kann sich also allenfalls um Konventionen handeln, die sich im Zuge des Redens und Schreibens in der Sprachgemeinschaft ausgebildet haben. Oft sind solche Konventionen sehr stabil und werden stillschweigend eingehalten, doch in bestimmen Fällen – und die Wahl des Kasus nach wegen ist einer davon – hat sich keine Übereinstimmung ergeben. Wenn sich dabei Ausdrucksformen, die Generationen von Deutschlehrern als fehlerhaft gewertet haben, so hartnäckig halten wie eben Nicht-Genitivformen nach wegen, dann dürfte dies kaum damit zu erklären sein, dass manche eben nie lernen, sich korrekt auszudrücken.

Dass auf wegen der Genitiv zu folgen hat, dürfte nicht zuletzt ein theoretisches Konstrukt von Sprachlehrern und ein Desiderat von Fremd-/Zweitsprachlernern sein, das Lehre und Lernen erleichtern soll. Wer Deutsch als Erstsprache natürlich erwirbt, lernt dabei nicht, explizit formulierten Regeln zu folgen, sondern orientiert sich an dem, was ihm an Sprachgebrauch begegnet. Wenn es dabei zu anderen Einschätzungen kommt, als Sprachkritiker sich wünschen, wird das wohl daran liegen, dass der faktische Sprachgebrauch in seinem Umfeld nicht dem Bild entspricht, das mancher sich davon macht.

Korpusgestützte Beobachtungen

Ein realistischeres Bild – zumindest des schriftlichen Sprachgebrauchs – ergibt sich, wenn man riesige Mengen an Textproduktionen mit den Mitteln digitaler Korpusrecherche durchforstet. Zwar finden sich in Kollektionen wie dem Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) überwiegend Texte professioneller Schreiber, die sich berichtend und kommentierend mit großen und kleinen Ereignissen ihrer Welt befassen. Aber die Bandbreite hat sich in den zurückliegenden Jahren erheblich erhöht und umfasst beispielsweise in Form internetbasierter Kommunikation (Online-Diskussionsforen, soziale Medien etc.) Sprachgebrauch in ganz unterschiedlichen Situationen und Ausprägungen, auch aus unredigierten Quellen. (Der Einwand, im Internet kämen eben auch Schreiber zu Wort, die des Deutschen nicht so recht mächtig sind, verkennt, dass es sich in vielen Fällen nicht einfach um Rechtschreibfehler handelt, sondern um durchaus regelhaft voneinander abweichende Verwendungsweisen.) Hier die Ergebnisse einiger exemplarischer DeReKo-Recherchen (Stand: Februar 2024):

wegen des959.710
wegen dem27.434
wegen eines340.254
wegen einem5.477
wegen dieses16.509
wegen diesem1.960
meinetwegen*27.898
wegen mir4.616
deinetwegen568
wegen dir851
seinetwegen6.964
wegen ihm3.349
uns(e)retwegen553
wegen uns1.563
euretwegen92
wegen euch301
ihretwegen*6.051
wegen ihnen891
deretwegen4.972
wegen denen2.305

Meinetwegen wird häufig im Sinn von von mir aus, wenn es denn sein muss verwendet und steht in dieser Verwendung nicht in Konkurrenz zu wegen mir. Ihretwegen entspricht zwei bzw. drei Formen: wegen ihr (etwa wegen Emma), wegen ihnen und wegen Ihnen (mit Großschreibung bei der Distanzform des Pronomens). Diese Varianten wären nur über eine extrem aufwendige Auswertung der jeweiligen Kontexte auseinanderzuhalten.

Schon der erste Eindruck zeigt kein einheitliches Bild und die Vermutung, dass durchgängig Genitive präferiert werden, lässt sich nicht bestätigen. Zwar ist in bestimmten Konstellationen eine deutliche Präferenz für diese Formen zu beobachten, doch eben nicht in allen und vor allem nicht gleichermaßen ausgeprägt.

Eine Auswertung in der "Variantengrammatik" zur relativen Auftretenshäufigkeit von wegen mit Dativ bzw. Genitiv innerhalb der deutschen Sprachareale bestätigt übrigens die Vermutung unterschiedlichen regionalen Gebrauchs:

Aus: Variantengrammatik des Standarddeutschen (2018). http://mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra/index.php/Wegen.

Was die Korpora zeigen

Suchen in Textkorpora liefern erst einmal nicht mehr als Zahlen, doch sie zeigen, dass eine pauschale Regel wie "auf wegen folgt der Genitiv" kaum als Grundlage des faktischen Sprachgebrauchs gelten kann. Bevor man dies als Beleg für einen zunehmenden Verfall sprachlicher Sitten wertet, sollte man der Frage nachgehen, wieso es hierzu kommt, vielleicht sogar kommen muss.

  • Die durchgängige Unterscheidung von Genitiv- und Dativformen ist vor allem der lateinischen Grammatik geschuldet, die Jahrhunderte lang Vorbild auch deutscher Grammatiken war. So liegt etwa bei Feminina (Hauptwörtern weibl. Geschlechts wie Frau, Stunde, Gelegenheit) im Singular (in der Einzahl) nur ein und dieselbe Form vor: Er schenkte seiner Freundin einen BlumenstraußDer Computer seiner Freundin hat den Geist aufgegeben. Hinzu kommen zahllose artikellose Nominalphrasen im Plural (in der Mehrzahl) ohne vorangehende Adjektivattribute, bei denen keine Kasusunterschiede auszumachen sind (etwa Übungen, Frauen, Stationen). Eine Recherche in DeReKo mit anschließender Auswertung unter Zuhilfenahme sog. regulärer Ausdrücke ergab bei 100.000 zufällig ausgewählten Fundstellen für (kleingeschriebenes) wegen etwa 30% Funde, die weder eindeutig als Genitive noch als Dative zu identifizieren waren:
Der ehemalige Thüringer Innenminister Christian Köckert (CDU) soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft wegen Korruption für zweieinhalb Jahre in Haft.
[dpa, 08.01.2014]
Der 48-Jährige sei Anfang Mai wegen Herzrhythmusstörungen in die Klinik gebracht worden.
[dpa, 26.05.2014]
«Na klar, wegen der Vogelgrippe will niemand mehr Hühnchen kaufen», sagt der Händler, der seinen Laden dicht gemacht hat.
[dpa, 19.04.2013]
Entsteht wegen einer falschen Übersetzung ein Schaden, muss der Übersetzer dafür gerade stehen.
[Berliner Ztg., 24.03.2007, S. 1]
  • Nahezu ausnahmslos präferiert werden Genitivformen – soweit die Kasusform überhaupt eindeutig zu identifizieren ist – ausschließlich dort, wo wegen, wie in den folgenden Beispielen, als Postposition verwendet wird:
Dazu kommt, dass die Vorbereitung des Wetters wegen nicht optimal lief.
[Braunschweiger Zeitung, 22.02.2013]
John Brosnan ist der einzige Brite in der Gruppe. Die übrigen Personen wie Beatles-Manager Brian Epstein oder sein deutscher Vorgänger Bert Kämpfert sprechen des besseren Verständnisses wegen deutsch.
[Die Rheinpfalz, 03.03.2014 ]
Es geht darum, dass Tiere, des schnellen Profits wegen, mit billigstem Abfall gefüttert werden.
[die tageszeitung, 12.01.2011, S. 11]

Unter den 100.000 zufällig ausgewählten DeReKo-Belegen fand sich jedoch nur etwa ein Prozent Verwendungen dieser Art. Bei etwa der Hälfte dieser Belege handelte es sich um Verwendung vom Typ von Rechts wegen, bei denen wegen strenggenommen weder als Prä- noch als Postposition zu betrachten ist, sondern noch im Sinne seiner alten Verwendung als Nomen, derart, dass die vorangehende Genitivform als Attribut zu werten wäre, ganz so wie Seiten in Sätzen wie diesen:

Es wurde vereinbart: ein Jahr Verlängerung (vorläufig) bis zur Promotion; dafür von Silzers Seiten stärkere Berücksichtigung des Marxismus u. der FDJ.
[Victor Klemperer, Zwischen allen Stühlen (Tagebücher 1958), 1999, Bd. 2, S. 680]
Auch seine beiden Großväter waren Bürgermeister gewesen, der von Vaters Seite, Johannes auf der Heyden, 1678 und der von Mutters Seite Andreas Siebel (1619–1684) sogar vier Mal (1654, 1655, 1660, 1665). Dessen gleichnamiger Vater Andreas Siebel († 1648) war 1634 Bürgermeister gewesen.
[http://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jakob_auf_der_Heyden - Suche am 19.12.2014]

Von solchen Verwendungen abgesehen kann festgehalten werden, dass wegen heute als Postposition nur sparsam eingesetzt wird, meist wohl, um besondere stilistische Wirkung zu erreichen.

Johann Wolfgang Goethe machte noch wesentlich häufiger Gebrauch von wegen als Postpostion: Unter den 358 Belegen für Verwendungen von wegen in den maschinenlesbar verfügbaren Werken des Dichters findet sich 55 mal wegen als Postposition.

Friedrich Schiller scheint wegen als Postposition sogar der Präposition vorgezogen zu haben. Unter den 46 in den maschinenlesbar verfügbaren Werken zugänglichen Verwendungen von wegen finden sich weit über die Hälfte Postpositionen. Da es sich bei den ausgewerteten Texten überwiegend um Gedichte und Dramen handelt, könnte die Präferenz der Textsorte geschuldet sein.

  • Die vielleicht wichtigste Feststellung gilt der Bedeutung der verschiedenen Formen: Anders als etwa bei auf den Baum und auf dem Baum wirkt sich die Wahl des auf wegen folgenden Kasus (Wes- oder Wemfall) in keiner Weise auf die Bedeutung des Gesagten aus oder auch nur dessen Verständlichkeit. Wenn es manchem dennoch der Rede wert scheint, nicht einfach beides nebeneinander bestehen zu lassen, dann hat dies wohl in erster Linie damit zu tun, dass die Wahl des Kasus zum Kriterium für Gruppenzugehörigkeit erhoben wird, ganz so, wie dies mit der Wahl einer bestimmten Weise, sich zu kleiden, erreicht werden kann.
  • Soweit sich für das heutige Deutsch überhaupt so etwas wie die Bedeutung eines Kasus ausmachen lässt, liegen Genitiv und Dativ in vielen Verwendungen nah beieinander und besagen, dass da etwas ist, was anderem zukommt, widerfährt, gehört oder einfach zuzuordnen ist. Wie nah beides zusammen liegt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Sprecher des von Adelung kritisierten "Oberdeutschen" problemlos ganz ohne Genitiv auskommen – nicht anders übrigens als Sprecher und Schreiber des Italienischen und Französischen, in deren Sprachen im nominalen Bereich längst eine Präposition (di bzw. de) die Funktion der Genitivendung übernommen hat.
  • Die Präferenz für Genitivformen, die sich – zumindest bei den Belegen aus dem DeReKo – bei auf wegen folgenden Nominalphrasen zeigt, die von einen bestimmten oder unbestimmten Artikel eingeleitet werden, bestätigt sich nicht, wenn man Phrasen betrachtet, bei den auf wegen unmittelbar ein Nomen (Substantiv, Hauptwort) folgt: Unter 27.774 Belegen dieser Art (in der genannten Zufallsauswahl von 100.000) fanden sich nur 7625 eindeutige Fälle von Genitiv, also lediglich 27,5%.
  • Schränkt man die Auswahl weiter ein auf Eigennamen (etwa Peter, Gisela, Maier, Gelsenkirchen) wird man feststellen, dass hierbei so gut wie keine Genitivformen auftreten.

In Anbetracht der genannten Beobachtungen sollte es kaum verwundern, dass es zu keiner einheitlichen stabilen Konvention für den Gebrauch des Kasus nach wegen kommen konnte.

Was also tun?

Mit dem Sprachgebrauch verhält es sich nicht anders als in vielen Lebensbereichen: Nicht alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, wird immer und überall gleichermaßen geschätzt. Kann man sich als Sprecher im Alltag noch mehr oder weniger sorglos an dem orientieren, was man für gebräuchlich hält, sieht man sich als Schreiber oft mit Erwartungen konfrontiert, die zwar ohne Begründung bleiben, aber dennoch wirksam werden, weil einflussreiche Personen und Institute sie für gerechtfertigt halten. Von dieser Art ist die Erwartung, dass auf wegen der Genitiv zu folgen habe. Wer dieser Erwartung – im Rahmen eines Bewerbungsschreibens, eines Leserbriefs oder dergleichen – nicht entspricht und etwa schreibt wegen diesem Ereignis, hat damit zu rechnen, dass dies als Zeichen mangelhafter Sprachbeherrschung gewertet wird. Was also tun?

  • Generell ist festzustellen, dass mit Kritik ausschließlich von Seiten der Verfechter des Genitivs zu rechnen ist. Wer Dativformen nach wegen gebraucht, tut dies in aller Regel stillschweigend und sieht sich nicht dazu aufgefordert, anderen Sprachgebrauch zu bewerten.
  • Will man sich keiner Kritik aussetzen, wird man deshalb nach wegen bei nachfolgendem Artikel den Genitiv wählen, also wegen des Regens, nicht wegen dem Regen, wegen eines Unfalls, nicht wegen einem Unfall.
  • Gleiches gilt, wo auf wegen eine artikellose Nominalphrase mit vorangestelltem Adjektivattribut folgt, also etwa wegen heftigen Regens, nicht wegen heftigem Regen.
  • Handelt es sich bei dem vorangestellten Adjektivattribut allerdings um ein Zahlwort, dann sind andere Konventionen zu beachten. Nur im Fall von zwei und drei sind Genitivformen (zweier, dreier) etwa so gebräuchlich wie die unflektierten Formen. Auf ein unflektiertes Zahlwort nach wegen kann dann zwar durchaus eine Genitivform folgen (etwa wegen vier ungelöster Fälle), doch weit überwiegend werden hier Dativformen gebraucht. Dies gilt insbesondere und nahezu ausnahmslos, wenn auf das Zahlwort unmittelbar ein Nomen folgt.
  • Folgt auf wegen unmittelbar ein Nomen, kann man, so dieses überhaupt in eine solche Form gebracht werden kann, ebenfalls den Genitiv wählen, doch man wird sich keiner Kritik aussetzen, wenn man einfach die Grundform wählt, also gleichermaßen wegen Regens oder wegen Regen.
  • Handelt es sich bei dem auf wegen folgenden Nomen um einen Eigennamen, wirkt die Verwendung der Genitivform geradezu irritierend: Sie wird möglicherweise als Pluralform (Mehrzahl) verstanden, oder, wenn ein weiteres Nomen folgt, als vorangestelltes Genitivattribut wie bei wegen Kohls Politik, wegen Hermanns älteren Bruders. Deshalb: nicht wegen Karls, sondern wegen Karl.
  • Klar und eindeutig sind die Konventionen für die Verwendung von wegen als Postposition: Nachgestelltem wegen können nur Nominalphrasen vorangehen, die eindeutig als Genitive zu erkennen sind, also etwa des Regens wegen, guter Freunde wegen, der Mütter wegen auch Helmut Krauses, jedoch nicht Helmut Krause wegen, Gesetze wegen. Als ideales Mittel, allen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen, die der Gebrauch der Präposition wegen mit sich bringen könnte, ist eine Verwendung der Postposition jedoch schon deshalb nicht zu empfehlen, weil dabei zuviel ausgeschlossen bliebe. Hinzu kommt, dass der ausschließliche Gebrauch von wegen als Postposition selbst in Schriftform eher als seltsame Manie betrachtet werden dürfte.

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Autor(en)
Bruno Strecker
Bearbeiter
Roman Schneider
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