Präpositionen in Präverbfügungen und Verbkomposita mit Präpositionen

Die meisten Präpositionen des Kernbestands treten auch als abtrennbare Präverben in Präverbfügungen auf.

a) Zieh dir eine Jacke über.
b) Ist der Pfosten durchgebohrt?
c) Vorsicht, gleich fällt der Stuhl um.
d) Sie schlägt gern die Beine unter.
e) Fällt dir nichts auf?

Die Präpositionen um, über, unter, hinter und durch können daneben auch als Erstglieder in Verbkomposita fungieren (oder, bei traditioneller Analyse als nicht abtrennbare Präfixe von Präfixverben).

a) Er überzieht das Bett mit einem Laken.
b) Beton durchbohrt man besser mit einem Bohrhammer als mit dem Schlagbohrer.
c) Umfahren Sie die Unfallstelle.
d) Sie hat etliche tausend Mark unterschlagen.
e) Hinterlege bitte das Buch an der Pforte.

Während die Verbkompositabildung eindeutig in die Domäne der Wortbildung fällt, ist die Bildung von Präverbfügungen an der Grenze zwischen syntaktischer Komplexbildung und Wortbildung angesiedelt. "Syntaktisch" ist zum einen das Akzentmuster der Präverbfügungen: es spiegelt mit dem Akzent auf dem Präverb die normale Verteilung des Gewichtungsakzents in der syntaktischen Konstruktion aus Komplement und Verb.

auf den Tisch legen - auflegen
durch den Balken bohren - durchbohren

Auch die Zweiteiligkeit von Präverbfügungen in der finiten Form (Es fällt gleich um.) lässt sich nur schwer mit dem der Wortbildungstheorie zugrundeliegenden Wortbegriff erfassen. Dem steht gegenüber die Inkorporierung der Präposition ins Verb in der infiniten Form (umfallen, umgefallen), wo der Wortbegriff also durchaus angemessen ist, sowie die Tatsache, dass die abtrennbaren Präverben gerade nicht die relationalen Eigenschaften von Präpositionen, nämlich semantische und syntaktische Zweistelligkeit und Kasusrektion, haben. Eine Beschreibung als syntaktische Komplexbildung hätte folglich Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Wortartzugehörigkeit des Präverbs. Dass die Bildung von Präverbfügungen traditionell eher in der Wortbildung und nicht in der Syntax abgehandelt wird, ist, neben der engen Bindung der Wortbildungsforschung an einen rein orthographisch definierten Wortbegriff, nicht zuletzt darin begründet, dass Präverbfügungen häufig nicht mehr semantisch kompositional erschließbar sind aus der Bedeutung des Verbs und der Bedeutung der Präposition (aufmachen, umbringen, auslachen, annehmen). Auch die Existenz von Präverbfügungen, zu denen kein Simplexverb existiert (absahnen, aufbrezeln, eindosen, ausbüchsen)

Die Bedeutung des Präverbs findet sich übrigens auch in einer weiteren einstelligen Verwendung mancher Präpositionen: in prädikativer Funktion.
Die Zeit ist um = 'zu Ende' (= umbringen)
Die Tür ist auf. = 'offen' (= aufmachen)
Das Konzert ist aus. = 'zu Ende' (= ausmachen)
Das Radio ist an. = 'in Betrieb' (= anlassen)
.
In der einstelligen, adverbartigen Verwendung nimmt die Bedeutung von Präpositionen offensichtlich eine eigene Entwicklung.

Präverbfügungen zeigen gegenüber der syntaktischen Komplexbildung mit einer Präpositionalphrase Reduktion der Anzahl der Komplemente um eine Stelle. Aus dreistelligem legen (Er legt eine Decke auf den Tisch) wird zweistelliges auflegen (Er legt eine Decke auf.), aus zweistelligem hängen (Der Vorhang hängt über der Kommode) wird einstelliges überhängen (Der Vorhang hängt über). Semantisch ist die weggelassene Stelle aus dem Kontext erschließbar.

Bei der Bildung von Präfixverben, die in der Regel transitiv sind, erfolgt hingegen keine Reduktion um ein Argument, sondern eine systematische Argumentrestrukturierung. Das Direktivkomplement des Simplexverbs, das seiner semantischen Rolle nach ein LOKATIV ist, geht in ein Akkusativkomplement des Präfixverbs in der semantischen Rolle eines OBJEKTS über (Roman fährt durch Hamburg vs. Roman durchfährt Hamburg). Das ursprünglich als Akkusativkomplement kodierte OBJEKT wird in der Konstruktion mit dem Präfixverb zur ORNATIVen mit-Phrase. Damit verbunden ist eine holistische Interpretation.

Argument- und Komplementzuordnung

Diese Restrukturierung ist blockiert, wo eine solche holistische Interpretation nicht sinnvoll ist, oder wo ein effiziertes Objekt vorliegt.

Er zieht ein Seil durch die Öffnung --> * Er durchzieht die Öffnung mit einem Seil.
Er bohrt ein Loch durch die Wand. --> *Er durchbohrt die Wand mit einem Loch.

Weiterführende Literatur:

Ickler 1990, Ickler 1993, Wunderlich 1984

s. Schlagwort "Verbpartikel" in der Spezialbibliografie Präpositionen

Zum Text

Schlagwörter
Letzte Änderung
Aktionen
Seite als PDF
Seite drucken
Seite zitieren

Seite teilen