Vorfeld-Analepse bei Aussagen
Analepsen in Sequenzen wie
sind funktional dadurch gekennzeichnet, dass in Texten oder Diskursen ein thematischer Gegenstand - hier 'Peter' bzw. 'die neuen Pläne der Regierung' - in Folgeäußerungen im Hintergrund präsent und eben deshalb unbenannt bleibt. Gegenüber dem allgemeinen analeptischen Verfahren ist hier eine Einschränkung auf potentiell als Komplemente oder Supplemente realisierte Gegenstände gegeben. Man kann diesen Typ als Vorfeld-Analepse bezeichnen, denn würde als entsprechenden Ausdruck ein anaphorisches Pronomen oder Anadeixis gesetzt, stünde diese in Vorfeldposition:
In der Tat ist dieser funktionale Typ der Analepse an das Vorfeld gebunden. Eine anderweitige Vorfeldbesetzung ist nicht möglich:
statt
statt
Die nicht-charakteristische Verberst-Konfiguration in diesen Beispielen bestätigt, insofern als sie auf eine virtuelle Verbzweit-Struktur verweist, dass Verbzweitstellung in der Tat als Charakteristikum des Aussagesatztyps zu betrachten ist. Dementsprechend ist Vorfeld-Analepse nur in Modi mit zugrunde liegendem Aussagesatztyp möglich. Eine Verbzweit-Struktur mit obligatorischer lexikalischer Füllung des Vorfeldes wie Verbzweit-Ergänzungsfragen lässt diese Form der Analepse sowenig zu wie Verberst-Entscheidungsfragen.
Sequenzen wie
xxxxxxxxxxx | B: Geht nie in die Disko. |
A: Was macht denn Emilie so? | B: Geht ja nie in die Disko. |
xxxxxxxxxxx | B: Siehst du selten. |
die zunächst wie Analepsen zu
beziehungsweise
erscheinen mögen, also zu kommunikative Ausdruckseinheiten vom Entscheidungsfragesatztyp, werden durch den kontraindizierenden Partikelgebrauch - geht ja nie - als Einheiten vom Aussagesatztyp ausgewiesen.
Im Aufforderungs-Modus ist ebenfalls keine Vorfeld-Analepse möglich. Zwar kann dort in markierten Fällen und unter Einschränkungen ein Vorfeld eingerichtet werden, es kann jedoch nicht analeptisch genutzt werden, wie diese Beispielsequenz zeigt:
statt:
Im Exklamativ-Modus kann bei zugrunde liegender Verbzweit-Konfiguration, also Aussagesatztyp, wie im Aussage-Modus Vorfeld-Analepse eintreten:
Voraussetzung ist, dass keine im Vorfeld befindliche Deixis selbst das Exklamativelement ist:
Damit kann festgehalten werden:
Vorfeld-Analepse ist an folgende grammatische Bedingungen gebunden:
- Als Prozedur der thematischen Fortführung kann Vorfeld-Analepse wie andere Formen der Analepse keine rhematischen, d.h. besonders gewichtigen Elemente betreffen:
statt
- Vorfeld-Analepse ist nur möglich, wo als Konkurrenzprozedur auch Vorfeld-Anapher
und Vorfeld-Anadeixis möglich sind. Daher fallen nicht unter Vorfeld-Analepse:
- lexikalisch geforderte Reflexiva:
A: Was regen Sie sich auf?
B: *Rege ich nicht auf.
Lexikalisch geforderte Reflexiva sind weder vorfeldfähig noch als Form anaphorischer Fortführung zu identifizieren. - Modale Satzadverbialia:
A: Sie arbeiten natürlich noch?
B: *Arbeite noch.
statt:
B: Natürlich arbeite ich noch.
- lexikalisch geforderte Reflexiva:
Modale Satzadverbialia kommen nicht als Bezugspunkte für Anapher oder Anadeixis in Frage.
Im Umkehrschluss besagt dies: Konstruktionen, die Bezugspunkt von Anadeixis und Anapher sein können, fallen auch unter Vorfeld-Analepse, also neben Nominalphrasen auch prädikative Adjektivphrasen und Adverbphrasen, Subjunktorsätze und Infinitivkonstruktionen als Komplemente sowie kontextspezifizierende Satzadverbialia.
Adjektivphrase:
Subjunktorsatz:
Infinitivkonstruktion:
Kontextspezifizierendes Satzadverbiale:
statt der entsprechenden kommunikativen Ausdruckseinheit mit Deiktika:
- Vorfeld-Analepse ist bei verschiedenen Satzgliedtypen in unterschiedlichem Grad
zulässig, und zwar in Abhängigkeit vom Maß an Konstanz bzw. Divergenz zwischen Bezugskontext und
fraglicher kommunikativer Ausdruckseinheit. Hier können zwei Formen unterschieden werden:
- Bezugskontext und fragliche kommunikative Ausdruckseinheit divergieren - bis auf den gemeinsam präsenten Gegenstand - inhaltlich und in der Formulierung. Die fragliche kommunikative Ausdruckseinheit bringt einen anderen (meist weiterführenden, spezifizierenden) Prädikatsausdruck.
- Bezugskontext und fragliche kommunikative Ausdruckseinheit stimmen inhaltlich und in der Formulierung weitgehend überein, der jeweilige Prädikatsausdruck ist identisch oder steht in Paraphrasenbeziehungen.
Bezüglich der thematischen Progression bedeutet dies, dass in [b] das Prädikat noch in den Hintergrundbereich gehört, in [a] hingegen in den Vordergrundbereich, der Neues oder Wichtiges bringt.
Zu den grammatischen Bedingungen im Hinblick auf [a] und [b]:
- Hat das potentielle analeptische Element in der fraglichen kommunikative Ausdruckseinheit den Status des Subjekts, so ist Analepse nach [a] und nach [b] möglich, also unbeschränkt:
Analepse nach [b]:
[ IDS, Kommunikation in der Stadt 42/3 (retranskribiert)]
Analepse nach [a]:
BAR | Da hat sie se bei sich ausgemistet → | und |
EBE | ach |
EBE | jetzt zieht sie zu ihrem Knülch → |
BAR | [stöhnt leise] . und is gar nich fröhlich → | |
EBE | Nein ↑↑ | |
XYZ | Nein ↓↓ |
- Auch bei Akkusativkomplementen scheint Analepse nach [a] möglich. Die schwächere Form [b] kann unbesehen vorausgesetzt werden:
Allerdings scheinen bestimmte Akkusativkomplemente regierende Verben, und zwar solche der emotionalen oder kognitiven Wirkung mit nicht-personellem Subjekt und personalem Objekt, kaum eine Analepse des Akkusativkomplements nach [a] zuzulassen. Es handelt sich dabei um Verben mit markierter hierarchischer Struktur:
- Bei Dativkomplementen, Genitivkomplementen, Adverbialkomplementen und Präpositivkomplementen scheint nur Vorfeld-Analepse nach [b] möglich zu sein.
Man beachte, dass hier die Deixis da Adverbialkomplement ist. Wird ein Präpositionaladverb wie darin, drin, d(a)ran, dahinter usw. hinzugesetzt, so dass eine komplexe auf Vorfeld und Mittelfeld diskontinuierlich verteilte Adverbphrase entsteht, wird Vorfeld-Analepse von da möglich:
In der Funktion eines Präpositivkomplements kann da allein nicht anadeiktisch verwendet werden, stattdessen erscheinen Präpositionaladverbien wie darauf, darüber usw. Auch hier kommt Analepse nach [a] nicht in Frage:
statt:
Wird jedoch eine komplexe Adverbphrase (z. B. da drauf) erzeugt, in der da als Modifikator zum - als Kopf zu betrachtenden - Präpositionaladverb fungiert, so kann bezüglich da analeptisch verfahren werden
Auch Gegenstände, die ungenannt präsent sind - etwa durch Gesten oder gemeinsame Ausrichtung situiert - können Anlass zu Verberst-Strukturen sein, die mit der Vorfeld-Analepse vergleichbar sind. Es handelt sich dabei um situative Ellipsen:
In letzterem Fall kann eine Benennung des Bezugsgegenstandes nachgetragen werden:
Anders als bei den genannten Formen der Vorfeld-Analepse, die an die Kohärenz fortgeführter Texte und Diskurse gebunden sind und daher im Bezugsgegenstand kontextgebunden, aber relativ variabel sind, liegt bei Verberst-Aussagen im so genannten "Telegrammstil" stereotyp Sprecherbezug vor:
Würde der Sprecher genannt, fände sich jeweils ich (evtl. auch wir) als Subjekt. Insgesamt bestätigt die Beschränkung bei der Vorfeld-Analepse die privilegierte grammatische Position des Subjektes. Nur das Subjekt lässt die verschiedenen Formen uneingeschränkt zu. An zweiter Stelle zugänglich für Vorfeld-Analepsen sind Akkusativkomplemente. Auch dies bestätigt die angenommene Hierarchie der Komplemente im Hinblick auf grammatische Prozesse.