Generische Genera

Sollen mehrere Lebewesen, die verschiedene Sexus haben, mit einem gemeinsamen Begriff bezeichnet werden, wird üblicherweise ein generischer Begriff gewählt (zu lat. generatim 'klassenweise, im Allgemeinen'). Es gibt im Deutschen generische Formen aller drei Genera:

  • Maskulina: der Fan, der Mensch, der Prüfling
  • Feminina: die Geisel, die Hilfskraft, die Person
  • Neutra: das Kind, das Mitglied, das Opfer

Alle diese Ausdrücke können für Personen jeder Geschlechtsidentität verwendet werden, denn sie sind neutral, also generisch zu verstehen:

Er ist ein Fan, er ist ein Mensch. Sie ist ein Fan, sie ist ein Mensch. Er ist die Geisel, er ist Hilfskraft. Sie ist die Geisel, sie ist Hilfskraft. Er ist ein Kind, er ist das Opfer. Sie ist ein Kind, sie ist das Opfer.

Probleme ergeben sich erst da, wo Ausdrücke als generische Formen gemeint sind, die aber auch eine geschlechtsspezifische Bedeutung haben, also beispielsweise maskuline Bezeichnungen, zu denen movierte Formen im Femininum existieren. Sätze wie Die Stadt sucht Erzieher können dann missverstanden werden, denn sie spezifizieren nicht, ob die Stadt mehr männliches Betreuungspersonal in den Kitas sucht oder allgemein mehr Personal. Diese herkömmliche Verwendung des Maskulinums als generische Form wird spätestens seit dem Aufkommen der feministischen Linguistik in den 1970er-Jahren kritisiert. Als Konsequenz kommen dann ggf. kombinierte sexusspezifische Formen zum Einsatz, z.B.: Wir danken unseren Wählerinnen und Wählern. Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!

Gesellschaftlichen Entwicklungen folgend, wird es in Bezug auf Personen verschiedentlich auch nicht mehr als angemessen betrachtet, ausschließlich das binäre System zugrunde zu legen. Anstatt Formen sowohl im Maskulinum als auch im Femininum zu verwenden, ist dann die möglichst direkte Ansprache auch nicht-binärer Geschlechtsidentitäten das Ziel. Bei der geschlechtssensiblen Adressierung von Personen eines „dritten Geschlechts“ entstehen allerdings formale Herausforderungen, denn die deutsche Sprache bietet jenseits des binären Systems traditionell wenig Möglichkeiten einer neutralen Adressierung. Das heißt: Für Menschen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlen, gibt es keine spezifischen Bezeichnungen. In dem Fall, dass generische Ausdrücke (wie Menschen, Personen etc. oder neutrale Formen) fehlen, hat die Sprachgemeinschaft begonnen, verschiedene Möglichkeiten außerhalb des bisher kodifizierten Systems von Grammatik und Orthografie zu nutzen, um im Text – im Wortinneren (Kolleg*innen) oder innerhalb von Sätzen (der*die Präsident*in) – eine generische Bedeutung zu betonen: den Genderstern, Unterstrich, Doppelpunkt oder andere Sonderzeichen. Diese gehören in dieser Stellung und Funktion nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie, wie der Rat für deutsche Rechtschreibung zuletzt im Dezember 2023 bestätigt und in die Neuausgabe des Amtlichen Regelwerks 2024 aufgenommen hat (vgl. Sonderzeichen-Passus ARW 2024, S. 153/54).

Um orthografisch im Bereich der kodifizierten Schreibungen zu bleiben, kann man auf grammatische Möglichkeiten zur Bildung generischer Ausdrücke zurückgreifen: Adjektive und Partizipien (die per se kein Genus haben) können in substantivierter Form als Personenbezeichnungen dienen; werden diese im Plural verwendet, fungieren sie als neutrale Bezeichnungen, die Menschen aller Geschlechtsidentitäten umfassen. Das Gleiche gilt für Sachbezeichnungen und Formulierungen, die sich neutrale Pronomen zunutze machen:

  • neutrale Formen: Menschen, Personen, Mitglieder, Arbeitskräfte, ...
  • substantivierte Partizipien und Adjektive: Mitarbeitende, Beschäftigte, ...
  • Sachbezeichnungen: Belegschaft, Leitung, Kollegium, ...
  • Relativsätze: Alle, die hier arbeiten...

Literatur in Auswahl

Doleschal 2002, Krome 2021, Nübling 2020, Zifonun 2021

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