Zur Subklassifikation von Geltungsspezifikationen

Dass Geltungsspezifikationen keine Propositionsspezifikationen sind, bedeutet nicht, dass sie nicht in ähnlicher Weise wie diese zu systematisieren wären. Wie mit den sprechenden Bezeichnungen angedeutet, finden sich allgemeine Gesichtspunkte, unter denen sich Klassen gleichartiger Geltungsspezifikationen definieren lassen. Traditionell - wenngleich mit anderer theoretischer Einordnung - werden diese Gesichtspunkte unterschieden:

? die Dauer

? die Häufigkeit

? die Ursache, der Grund oder das Motiv

? der Erwartungsverstoß

? das Ziel, der Zweck oder die Absicht

? die Folge

? die Substitution

? der Kontrast

Gefunden werden solche Gesichtspunkte auf dem Weg der Verallgemeinerung individueller Spezifikationen im Hinblick auf die Funktionen, die im Zuge kommunikativer Handlungen zu erfüllen sind. Da grundsätzlich verschiedenste Verallgemeinerungen möglich wären, entbehren die so getroffenen Klassifikationen nicht einer gewissen Willkür. Ganz willkürlich sind sie jedoch nicht. Das zeigt sich, wenn man Dikta betrachtet, die gleich mehrere Geltungsspezifikationen einschließen: Gleichartige Geltungsspezifikationen können koordiniert werden, auch wenn die Ausdruckseinheiten, mit denen sie realisiert werden, formal verschieden sind:

(13) Wegen der großen Nachfrage und weil es der Spielplan zulässt, wird das Gastspiel der Warschauer Staatsoper um zwei Wochen verlängert.
(14) Um eine weitere Verzögerung zu vermeiden und damit der Kunde nicht verärgert wird, muss die gesamte Belegschaft Überstunden machen.

Verschiedenartige Geltungsspezifikationen können, mit einer bemerkenswerten Ausnahme, nicht auf diese Weise verbunden werden. Die Ausnahme bilden Kausalspezifikationen und Finalspezifikationen:

(15) Wegen der großen Nachfrage und damit die Opernfreunde nicht verärgert werden, wird das Gastspiel der Warschauer Staatsoper um zwei Wochen verlängert.

Zu erklären ist diese Ausnahme wohl mit dem engen Zusammenhang zwischen Gründen und Zwecken: Die Verfolgung eines Zwecks kann immer auch als Grund für die Handlungen ausgegeben werden, die dem Erreichen des Zwecks dienen sollen.

Letztlich zu rechtfertigen ist die Klassifikation der Geltungsspezifikationen nur im Rahmen einer Theorie des kommunikativen Handelns, denn, anders als im Fall der pauschalen Unterscheidung von Propositionsspezifikationen und Geltungsspezifikationen, lassen sich keine hinreichenden strukturellen Gründe für die Unterscheidungen finden. Die Vermutung, die Klassifikation könnte doch strukturell begründet werden, bestätigt sich nicht: Zwar finden sich für alle Klassen von Geltungsspezifikationen typische Ausdrucksformen, doch sind die entsprechenden Ausdrucksklassen - etwa weil- und wenn-Sätze - in ihrer Verwendung keineswegs auf einen Typus von Geltungsspezifikation oder auch nur auf Geltungsspezifikationen allgemein beschränkt.

Für Klassen von Geltungsspezifikationen, die erfragbare Informationen bereitstellen, finden sich einschlägige Fragen. Erfragbar sind Informationen zu Häufigkeit, Dauer, Ursachen, Gründen, Zielen, Absichten, Zwecken und Folgen: wie oft? wie lang? warum?wozu? Die verfügbaren Fragen sind allerdings nicht ohne weiteres bestimmten Typen von Geltungsspezifikationen zuzuordnen. So können etwa die Fragen

(16) Warum hast du das getan?
(17) Wozu hast du das getan?

durch Angabe eines Grundes oder durch Angabe eines Zwecks einer Handlung beantwortet werden. Jedenfalls werden im Alltag oft beide Arten von Antworten auf solche Fragen akzeptiert. Auch wenn auf eine Frage wie (16) eine Angabe zum Ziel der Handlung akzeptiert wird, heißt das nicht, dass ein Ziel erfragt wird. Erfragt wird durchaus ein Grund.

Vor einer detaillierten Betrachtung der verschiedenen Klassen von Geltungsspezifikationen noch drei allgemeine Feststellungen zu gemeinsamen Eigenschaften aller Klassen:

(i) Geltungsspezifikationen greifen - Durativ- und Frequenzspezifikationen ausgenommen, die auch in dieser Hinsicht einen Sonderstatus haben - in ausführlicher oder komprimierter Form Propositionen auf, die, auf sich gestellt, in keiner Weise erkennen lassen, welche Art Geltungsspezifikation mit ihnen zu realisieren sein könnte. Sie unterscheiden sich darin wesentlich von Propositionsspezifikationen, denn diese gebrauchen in der Regel Ausdrücke mit einem Charakterisierungspotential, das Schlüsse auf ihre Spezifizierungsfunktion zulässt. Erst durch einen geeigneten Operator - etwa weil bei expliziten Propositionen oder aus, wegen, -halber bei komprimierten Propositionen - wird aus beliebigen Propositionen ein Mittel der Geltungsspezifikationen.
(ii) Die Spezifikation von sach- oder normbezogenen Geltungsansprüchen ist nicht die einzige semantische Funktion, die mit den dafür geeigneten Mitteln erfüllt werden kann. Das zeigt sich etwa an den folgenden Tripeln von Beispielen:
(18) Er arbeitet, weil er Geld verdienen muss.
(18') Er arbeitet, weil seine Mutter mir das erzählt hat.
(18'') Er arbeitet, weil du so dumm fragst.
(19) Er arbeitet, obwohl er krank ist.
(19') Er arbeitet, obwohl man mir erzählt hat, er sei krank.
(19'') Er arbeitet, obwohl dich das gar nichts angeht.

Dikta dieser Art wird mancher nicht als gleichermaßen wohlgeformt betrachten, doch sie kommen vor und belegen, dass, was formal von derselben Art scheint, auf ganz verschiedene Weisen interpretiert werden kann. Die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten sind dabei keineswegs auf Mehrdeutigkeit seitens der verwendeten Ausdrucksmittel zurückzuführen: Ein weil- und ein obwohl-Satz ist nicht schon deshalb mehrdeutig, weil solche Sätze auf verschiedenen Ebenen ausgewertet werden können. In gewisser Weise leisten diese Ausdrucksmittel stets dasselbe, nur eben an anderem Ort und deshalb mit anderen Folgen für das Ganze. Wo sie auszuwerten sind, wird ausschließlich auf der Basis von Welt- und Situationswissen entschieden.

(iii) Da Geltungsspezifikationen stets eine zweite Proposition ins Spiel bringen, könnte man daran denken, das ganze Verfahren nicht als monadische, sondern als dyadische Operation zu deuten, über die zwei gleichrangige Propositionen, denen derselbe Wissensstatus zuerkannt wird, zueinander in ein bestimmtes logisches und semantisches Verhältnis gesetzt werden. Gegen eine solche Analyse sprechen vor allem zwei Gründe: Zum einen käme es zu einer schwer zu vermittelnden Diskrepanz zwischen syntaktischer und semantischer Analyse, zum andern müsste ein und dasselbe Ausdrucksmittel in verschiedenen semantischen Funktionen verschieden analysiert werden. Wie in (ii) ausgeführt, können die explizit propositionalen Mittel, mit denen Geltungsspezifikationen realisiert werden können, prinzipiell auch andere Funktionen in Dikta erfüllen. In diesen Funktionen können sie jedoch nicht als Elemente einer dyadischen Propositionsfunktion interpretiert werden.

Nähe zu dyadischen Operationen zeigt sich auch darin, dass neben den subordinativen Strukturen, mit denen die hier behandelten monadischen Geltungsspezifikationen zum Ausdruck zu bringen sind, auch koordinativ gebildete Dikta zu finden sind, deren eines Konjunkt unter kommunikativem Aspekt nahezu dasselbe zu leisten vermag wie eine Geltungsspezifikation:

(20) Mit hängenden Köpfen verlassen die Spieler den Platz, sie haben endgültig den Klassenerhalt verpasst.

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