Die Zusammenrückung

Fleischer (1969) hat die Bildung von Nomina wie Vergissmeinnicht, Möchtegern, Dreikäsehoch, das Am-Computer-Sitzen-Müssen zunächst als eigene Wortbildungsart verstanden und dafür den Terminus Zusammenrückung geprägt, der allgemein in die Wortbildungslehre eingegangen ist (vgl. Engel 1988: 442, Bußmann 1990: 870, Meineke 1991: 67, Ortner et al. 1991: 123, Günther in Glück 1993: 708, Lühr 1993: 152, Braun 1997: 59; zur "Bandbreite der Definitionen" vgl. besonders Heinle 1993: 68f). Die Bildung komplexer Wörter wie in das Ausbrechendürfen (Barlach 1936: 21), die Straße führt nur ins Undsoweiter(Noteboom 1958: 87), Eindrücke wieder mal von Langzuvor und Fastnichtmehrwahr(Rühmkorf 1995: 362) komme dadurch zustande, dass die Einheiten einfach zusammengerückt werden: Man tilgt die Spatien, die Blanks - und hat ein Wort.

Im Gegensatz dazu wird hier mit Fleischer/Barz (1992 bzw. 1995: 49) auf "den besonderen Status und Terminus der sogenannten Zusammenrückung verzichtet". Bildungen wie Vergissmeinnicht, das Am-Computer-Sitzen-Müssen, sein Das-darf-doch-nicht-wahr-sein werden als Konversionsprodukte aus Sätzen und Phrasen, also als Derivate verstanden. Sie erfüllen das wesentliche Kriterium der Konversion, nämlich dass ein Wechsel auf der Kategorienebene stattfindet: Aus Sätzen und Phrasen werden Nomina. Dass nun keine eigene zusätzliche Wortbildungsart mehr angesetzt werden muss, entkompliziert die Analyse wesentlich, ohne der Exaktheit Schaden zuzufügen.

Darüber hinaus ist der Terminus Zusammenrückung auch auf die Bildung von Wörtern des Typs feuerspeiend, wutschäumend, blankwischen, schönfärben, haftenbleiben, spazierengehen angewandt worden (z.B. bei Engel 1988: 442, Meineke 1991: 67, Barz 1992: 83f). Hier werden zum einen Bildungen des Typs feuerspeiend als Komposita verstanden, deren klassische Kriterien sie erfüllen: Sie sind binär, ihre zweite Einheit legt die grammatische und die lexikalische Kategorie des ganzen Wortbildungsproduktes fest. Zum zweiten werden hier Verben des Typs blank wischen und haften bleiben als Präverbfügungen verstanden, also nicht zur Wortbildung, sondern als Phänomene eines Zwischenbereichs zwischen Wortbildung und Syntax, gerechnet.

Außerdem wird die "Verschmelzung von z.B. Adverb + Präposition (fortan), Präposition + Substantiv (infolge, aufgrund)" mitunter als Zusammenrückung bezeichnet (Bußmann 1990: 870). Bildungen des Typs aufgrund, die parallel auch als Phrasen realisiert werden (auf Grund), werden hier als Konversionsprodukte aus Phrasen verstanden: Aus Phrasen werden Wörter. Das alternative und interessante Modell der Univerbierung als ein nicht zur eigentlichen Wortbildung gehörendes Wortbildungsverfahren, wie es Eisenberg (1998: 224ff) präferiert, ist zur Erklärung solcher Phänomene also offenbar nicht unabdingbar.

Schließlich werden mitunter auch synchron gegenwartssprachlich eindeutig als Determinativkomposita einzuschätzende Bildungen wie Waldesruhe als Zusammenrückungsprodukte verstanden, weil sie sprachhistorisch auf Nominalphrasen (z.B. des Waldes Ruhe) zurückgehen (s. Günther in Glück 1993: 708). Vgl. zu diesem sprachhistorisch relevanten Phänomen der sogenannten uneigentlichen Komposita prägnant Eisenberg (1998: 224f), ausführlich Pavlov (1983).

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