Das transponierende, das determinierende und das determinierte Wortbildungsaffix

Explizite Derivate sind stets binär aufgebaut. Sie bestehen meist erstens aus einem Wort oder Konfix, das die morphologische Basis bildet, und zweitens einem Wortbildungsaffix, das die Ableitung bewirkt. Aus diesen morphologischen Grundtatsachen wird in der Forschungsliteratur häufig auch ein prinzipieller semantischer Unterschied erschlossen: Wortbildungsaffixe werden definiert als Einheiten mit "weitgehend verblasster Eigenbedeutung" (Bußmann 1990: 53); Affixe dienen, heißt es, in erster Linie der Derivation, sie haben eine Funktion, keine Semantik, sie bilden niemals "das lexikalische Zentrum von Wörtern" (Naumann 1992: 97). Die Analyse expliziter Derivate ergibt jedoch, dass keineswegs alle Wortbildungsaffixe so beschrieben werden können (vgl. Donalies 1999a). Vielmehr liegt nahe anzunehmen, dass Affixe transponieren, determinieren und determiniert werden können.

Diese Affixmerkmale lassen sich durch zwei einander ergänzende Prüfmethoden ermitteln, die zum einen nach Veränderungen der grammatischen Funktion, zum anderen nach Veränderungen der kategoriellen Bedeutung fragen:

Zum einen wird erfragt, ob die Affixe eine Veränderung der grammatischen Funktion bewirken, d.h. ob die Basis und das Derivat verschiedenen Wortarten angehören und folglich zwischen Basis und Derivat ein Unterschied in der syntaktischen Verwendbarkeit besteht oder nicht. Wortarten sind vor allem Adjektiv, Nomen und Verb. Gleichen Wortarten gehören z.B. Dichter und das daraus abgeleitete Dichterin an; beide sind Nomina. Verschiedenen Wortarten gehören z.B. das Adjektiv naiv und das daraus abgeleitete Nomen Naivling an.

Zum anderen wird erfragt, ob die Affixe eine Veränderung der kategoriellen Bedeutung bewirken, d.h. ob Basis und Derivat verschiedene Arten von Entitäten bezeichnen oder nicht. Arten von Entitäten sind vor allem Eigenschaft, Sache und Tätigkeit. Diese Entitäten entsprechen bekanntlich nicht immer den Wortarten. Üblicherweise bezeichnen zwar Nomina Sachen, Sachverhalte, Gegenstände u.ä. und Adjektive Eigenschaften, das Nomen Schönheit z.B. bezeichnet aber eine Eigenschaft. Bergung ist zwar ein Nomen, bezeichnet aber eine Tätigkeit. Auf einer Ebene unterhalb dieser allgemeinen Ebene der Entitäten lassen sich weitere definieren, z.B. kann die Entität Sache/Sachverhalt weiter aufgefächert werden in Entitäten wie Lebewesen, Ort usw. Diese weitere Auffächerung ist notwendig, um den Unterschied zwischen Typ III und IV zu kennzeichnen: Dichterin (Typ III) und Lyriker (Typ IV) haben zwar gemeinsam, dass sie wie ihre Basen Sachen bezeichnen, dass also ihre kategorielle Bedeutung auf der obersten, der relativ allgemeinen Ebene nicht verändert wird; sie unterscheiden sich aber insofern, als Dichterin ebenso wie Dichter auch auf einer feiner differenzierten Ebene zur gleichen Entität, nämlich zur Entität Lebewesen gehört, während Lyriker der Entität Lebewesen, Lyrik aber der Entität Literaturgattung angehört. Zwischen der Basis Lyrik und dem Derivat Lyriker findet also auf einer unteren, einer differenzierteren Ebene eine kategorielle Bedeutungsveränderung statt.

Es besteht folgende Kreuzklassifikation:

Die Affixe der Typen I-IV sind nun wie folgt zu beschreiben:

  • Typ I: Affixe mit dem Merkmal (+-), die nur transponieren, d.h. einen Wortartwechsel bewirken (+), ohne dass mit diesem Wortartwechsel eine kategorielle Bedeutungsveränderung verbunden ist (-). Derivate mit transponierenden Affixen sind z.B. Schönheit und Bergung: Schönheit ist eine Eigenschaft, Bergung eine Tätigkeit.
  • Typ II: Affixe mit den Merkmalen (++), die durch eine morphologische Basis determiniert werden. Dabei ändern sie die Wortart der Basis (+); Basis und Derivat gehören verschiedenen Entitäten an (+). Derivate mit determiniertem Affix sind z.B. Naivling 'Person, und zwar eine naive' und vergolden 'etwas hinzufügen, und zwar Gold'. Die hier postulierte starke semantische Eigenständigkeit einiger Affixe ist in der Forschungsliteratur nach wie vor umstritten (vgl. ausführlich Donalies 1999a). Dies mag u.v.a. daran liegen, dass Wortstrukturen üblicherweise in Paraphrasen beschrieben werden, z.B. das Kompositum Königsmantel als 'Mantel eines Königs'. Strukturen mit determinierten Affixen lassen sich nicht analog beschreiben, weil Affixe als nicht wortfähig definiert werden, also als in Texten nicht frei vorkommend. Daher klingen erklärende Paraphrasen ungrammatisch, z.B. Naivling '-ling, der naiv ist'.
  • Typ III: Affixe mit dem Merkmal (--), die weder transponieren (-), noch die Basis entitätisch verändern (-), sondern lediglich die Basis determinieren, d.h. semantisch näher bestimmen, die Bedeutung modifizieren und nuancieren. Derivate mit determinierendem Affix sind z.B. gelblich und Dichterin: gelblich ist eine bestimmte Art gelb, eine Dichterin ein (weiblicher) Dichter. Zu Typ III ist auch die Negation zu stellen: Bei der Negation (z.B. bei schön -> unschön) verändert sich die Wortart nicht; Negationsaffixe modifizieren die Basis, es verändert sich also eigentlich auch entitätisch nichts. Allerdings zeigt die Paraphrasierung sofort eine störende Uneleganz: gelblich ist gelb, aber unschön ist eben gerade nicht schön. Für die Negation könnte daher ein eigener Sondertyp angesetzt werden.Weil es aber bei Übersichtstabellen ums Prinzip und weniger ums Detail geht, wird hier auf eine solche Detaillierung verzichtet. Und auch in einer weiteren Hinsicht soll der Typ III hier nicht weiter ausdetailliert werden: Bei Typ III findet kein Wortartwechsel statt, allerdings ändern sich mitunter andere grammatische Merkmale wie das Genus, z.B. bei der Dichter, die Dichterin oder der Hase, das Häschen.
  • Typ IV: Affixe mit den Merkmalen (-+), die wie die Affixe des Typs II von der morphologischen Basis determiniert werden: Ein Lyriker ist eine durch -er bezeichnete Person, die etwas mit Lyrik zu tun hat. Dabei ändern sie nicht die Wortart der Basis (-); Basis und Derivat gehören aber verschiedenen Unterarten von Entitäten an (+).

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