Zeitliche Interpretation von Indikativformen in Indirektheitskontexten
Der Konjunktiv in Indirektheitskontexten wird stets verlagernd interpretiert. Wird dagegen in potentiellen Indirektheitskontexten Indikativ verwendet, sind die temporalen Verhältnisse weniger klar. Häufig geben sie erst einen Hinweis darauf, ob ein Direktheits- oder Indirektheitskontext vorliegt.
Prinzip der kontextabhängigen zeitlichen Interpretation in Indirektheitskontexten
Der Indikativ ist in der
Regel verlagernd.
In indikativischer indirekter Rede sowie
bei Gedankenpräsentation findet in der Regel eine dem konjunktivischen
Gebrauch entsprechende Verlagerung auf die referierte Zeit als Bezugszeit
statt. Unterbleibt die Verlagerung, kann dies als Indiz für den Wechsel in
einen Behauptungs- oder Faktizitätskontext gelten.
Bezugszeit = Referierte Zeit (indirekte Rede):
[Ludwig Thoma, Lausbubengeschichten 41; zit. nach Kaufmann 1976: 35]
Bezugszeit = Referierte Zeit (Gedankenpräsentation)
Verlagerung auf die referierte Zeit tritt besonders häufig bei Rede-/Gedankenwiedergabe in Form uneingeleiteter Verbzweitsätze auf. Diese Form wiederum, die weniger starke syntaktische Integration anzeigt als Subjunktorsätze mit dass, ist charakteristisch für gesprochene Sprache und eine ihr entsprechende literarische Stilprägung.
Bezugszeit = Referatzeit (indirekte Rede)
[Spiegel 20/1970, 161/3]
Bezugszeit = Referatzeit (Gedankenpräsentation)
In Erzähltexten im Präteritum wird häufig die Referatzeit als allgemeiner Bezugsrahmen beibehalten:
['denken und wollen gleichzeitig']
['sagen (Uhrzeitanzeige) und Uhrzeit gleichzeitig']
['überlegen und riechen gleichzeitig']
Doppelter Zeitbezug indikativischer indirekter Rede kann eine Quelle von Missverständnissen sein:
- verlagernd
- nicht verlagernd, Bezugszeit für 'dunkel werden'= Referatzeit
Die zweite Interpretation ist ausgeschlossen, wenn bekannt ist, dass das Gesamtereignis mehr als einen Tag zurückliegt.
Offenbar kann keine schematische Zeitenfolge angesetzt werden, bei der bei Fortsetzung einer konjunktivisch begonnenen indirekten Rede durch einen indikativischen Nebensatz automatisch die Sprechzeit als Bezugszeit gewählt werden muss.
Umgekehrt heißt das: Nicht jede indikativische Fortsetzung einer konjunktivisch begonnenen Redewiedergabe führt zum Wechsel in die Behauptungsperspektive.
Das Problem möglicher Missverständnisse taucht allerdings häufig gar nicht erst auf, etwa dann nicht, wenn allgemeingültige Feststellungen getroffen werden, für deren Zeitbezug verlagernde und nicht-verlagernde Sehweise irrelevant ist
oder wenn eine Proposition sowohl bezüglich des aktualen als auch bezüglich des verlagerten Bezugspunktes Gültigkeit hat:
Normierung des Gebrauchs in dem Sinne, dass bei referatkennzeichnendem Verb im Präteritum der Indikativ Präsens nur für das gebraucht werden sollte, weas nach Auffassung des Sprechers zeitlos gültig ist, erweist sich in Anbetracht der Sprachpraxis als unrealistisch und wenig hilfreich, denn beim Ausweichen auf Indikativ Präteritum entstehen vergleichbare Missverständnisse.