Toter als tot? — Was kann gesteigert werden?
Wer tot ist, könnte toter nicht sein. Eine Steigerung ist bei diesem Zustand sachlich
ausgeschlossen. Doch heißt das auch, dass die Bildung der Komparativform
toter (auch: töter) als ungrammatisch gelten kann?
Gewiss nicht, denn, wäre dies so, dann müsste schon die einleitende Feststellung als
fehlerhaft gelten. Und auch die etablierte Wendung mehr tot als lebendig wäre untragbar. Tatsächlich ist die Steigerung toter völlig regulär gebildet und deshalb so wenig ungrammatisch wie etwa ein sachlich unzutreffender Satz wie Dieses Quadrat ist rund.
Im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) finden sich immerhin mehr als ein halbes Tausend Beispiele für Steigerungen wie toter/töter als bzw. toteste(r/n) und töteste(r/n) (Stand Februar 2024). Die Aufschlüsselung dieser Belege offenbart eine häufigere Verwendung von Komparativ- gegenüber Superlativformen und eine Präferenz für die Vermeidung des Umlauts:
Prinzipiell kann zu jedem Adjektiv, das nicht bereits in einer Steigerungsform vorliegt,
ein Komparativ gebildet werden. Wenn dies bei Adjektiven, die nicht-steigerungsfähige
Eigenschaften bezeichnen, selten geschieht, dann aus dem einfachen Grund, dass im
Allgemeinen kaum Bedarf an entsprechenden Feststellungen besteht. In keinem Fall kann dies
jedoch als Indiz dafür gelten, dass bei entsprechenden Adjektiven die Bildung von
Steigerungsformen aus grammatischen Gründen unzulässig ist, denn damit würde das Symptom zur
Ursache erklärt. Dies gilt umso mehr bei Adjektiven, die Eigenschaften bezeichnen, über
deren Steigerungsfähigkeit die Meinungen auseinander gehen, wie dies etwa bei Farben der
Fall ist.
Grenzen setzt der Steigerung als grammatischem Verfahren allein die Zugehörigkeit zu
bestimmten Wortarten: Steigerungsfähig in grammatischem Sinn sind Adjektive als Attribute und Prädikativkomplemente sowie einige wenige Adverbien:
Adjektive als Attribute
Mehr als die Hälfte der Bewohner lebt seit weniger als zehn Jahren hier. Sie sind also bereits in ein "quirliges Quartier" gezogen und nicht in die toteste Ecke von West-Berlin.
[Die Welt, 10.08.2021, S. 21]
Der erhabenste Ort aber, bei allen
theatralischen Bemühungen, ist das Frankfurter Hochhaus. Der Frankfurter Wolkenkratzer ist
der virile Selbstdarsteller schlechthin.
[Frankfurter Rundschau, 11.09.1998, S. 9]
Denn während ihm die US-Behörden ständig seine
Monopolstellung und Verstöße gegen die Verbraucherinteressen unterstellen, weht ihm aus
London ein wesentlich freundlicherer Wind entgegen.
[COMPUTER ZEITUNG, 04.12.1997, S. 7]
Unter Umständen drohten dann nämlich Superdome-Pläne,
uferlose Preiserhöhungen und noch geschmacklosere
Merchandising-Artikel.
[Frankfurter Rundschau, 08.08.1998, S. 30]
Adjektive als Prädikativkomplemente
Der 'Erbprinz' oder der 'Elefant' wäre
angenehmer gewesen.
[Thomas Mann: Meine Goethereise, (Vortrag
1932), In: Gesammelte Werke in zwölf Bänden mit einem Ergänzungsband, Bd. 13. - Frankfurt
a.M.: S. Fischer Verlag, 1974, S. 71]
Hü-hüpf und hinauf und dann bis ans Zeltdach geschaukelt -
nur fliegen ist schöner.
[die tageszeitung, 07.06.1991, S.
27]
Schnaps und Most waren billiger als
Wein.
[Vorarlberger Nachrichten, 15.04.2000, S. A12]
Einige Adverbien
Als Richtschnur gelte hier, dass umso "konservativer", also
umso risikoärmer veranlagt werden sollte, je nötiger und je bälder man das
Ersparte voraussichtlich wieder braucht.
[Vorarlberger Nachrichten, 28.10.1999, S.
D1]
Trotzdem wäre mir wohler, wir könnten den
Schützen, nachdem das klargestellt ist, sagen: Schwamm drüber.
[Die Zeit,
22.08.1997, Nr. 35, S. 3]
Gerne wüßte ich den "Honorarbetrag", gerner noch
wüßte ich den Sinn.
[Die Zeit, 18.07.1997, Nr. 30, S. 41]
Im Gegensatz dazu wird bei den erwachsenen Zuschauern das
Erste Programm öfter gesehen als das Zweite.
[die tageszeitung,
27.01.1989, S. 13]
Was ist nicht steigerungsfähig?
Nicht steigerungsfähig sind hingegen Wörter aller anderen Wortarten, obwohl sich, sachlich betrachtet,
auch darunter manches findet, das zur Charakterisierung von Ereignissen und Sachlagen
verwendet wird, die ein Mehr und Minder kennen: Erfolg, etwa, kann mehr oder weniger groß
sein, ein Unglück mehr oder weniger schrecklich, doch die sprachlichen Mittel, mit denen
hier Abstufungen vorgenommen werden, sind nicht morphologischer Art wie bei Adjektiven. Um
etwa verschiedene Stufen der Intensität von Angst zu unterscheiden, kann man zu dem Nomen
Angst so genannte Attribute
stellen, etwa so:
Ich war 15 Jahre alt und hatte
schreckliche Angst.
[Frankfurter Rundschau, 14.01.1999, S.
2]
Vor Feuer und Dunkelheit hat er
höllische Angst und geht alleine nicht auf die Straße.
[die
tageszeitung, 23.11.1994, S. 18]
Wir hatten Angst wie ein «Chüngeli»
vor einer Schlange.
[St. Galler Tagblatt, 24.08.1999, Wie ein
Chüngeli vor der Schlange]
Eine Angst, die lähmen kann,
zum Widerstand wird oder in die Flucht treibt - über jede noch offene Grenze.
[die
tageszeitung, 09.08.1989, S. 8]
Fachliteratur
Fachliteratur zum Thema
Komparation