Jeder von uns kennt den Buchstaben e: klein, rund und mit einer charakteristischen Öffnung in der Mitte. Doch tatsächlich ist die Form des e nicht starr festgelegt. Einzig für den Gedankenstrich gibt das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung eine klare Form vor. Für Buchstaben hingegen existieren keine solchen festen Vorschriften. Die Variabilität könnte also theoretisch sehr groß sein.
Doch obwohl es Raum für Variationen gibt, sieht das e in den meisten Schriftarten relativ ähnlich aus. Diese typischen Formen variieren selten innerhalb eines Textes. Einmal eine Form gewählt, bleibt man dieser durch die Wahl der Schriftart treu. Eine Mischung von verschiedenen Schriftarten in einem Text ist eher unüblich.
Linguistinnen und Linguisten haben eine Methode entwickelt, die Formen von Buchstaben systematisch zu beschreiben. Sie unterteilen jeden Buchstaben in einen hervorgehobenen Hauptbestandteil, den sogenannten Kopf, und einen oder mehrere Nebenbestandteile, die Kodas genannt werden. Diese Merkmale eines Buchstabens sind in einem zweidimensionalen Raum angeordnet. Die meisten dieser Bestandteile befinden sich im sogenannten Mittelband, jedoch können auch Striche nach oben oder unten reichen. Den Kopf eines Buchstabens erkennt man daran, dass er entweder nach oben oder unten ragt oder den mittleren Bereich auf kürzestem Wege ausfüllt.
(Beispiele für eine Buchstabenzerlegung in Kopf und Koda aus Reinken 2022: 63)
Das typische e lässt sich folgendermaßen beschreiben: Es besteht aus einem Kopf und einer Koda. Der Kopf des e ist ein nach rechts gerichteter, vertikaler Bogen. Die Koda ist eine gerade, horizontale Linie. Kopf und Koda sind an einer oder zwei Stellen im Mittelband miteinander verbunden.
Die Form des e ist ganz typisch für diesen Buchstaben. Denn der Buchstabe e repräsentiert einen Vokal – und alle Vokalbuchstaben sind möglichst kompakt, d.h. ihre Köpfe erstrecken sich nicht in das Ober- oder Unterband.
In Druckschriften gibt es wenig Variation bei der Form des e. Doch wie verhält es sich bei Handschriften? Tatsächlich finden sich hier unterschiedliche e-Formen – teils sogar innerhalb einer einzigen Handschrift. Im Wort Wellenlängen zum Beispiel können unterschiedliche Zeichen für das erste und zweite e verwendet werden.
Eine Untersuchung von 100 Abituraufsätzen aus den Fächern Deutsch, Geschichte und Biologie, die in den Jahren 2003, 2005 und 2013 geschrieben wurden, hat verschiedene e-Formen aufgezeigt:
Interessant ist, dass die verschiedenen e-Formen in unterschiedlichen Kontexten innerhalb eines Wortes auftauchen. Häufig steht das reduzierte e (e3) für den Schwa-Laut, der in unbetonten Silben vorkommt, wie beispielsweise in der zweiten Silbe von nennen, gleiche oder Werdegang. Dies lässt vermuten, dass die unterschiedlichen e-Formen Hinweise auf die Betonungsstruktur eines Wortes geben können. Ob diese Unterschiede jedoch den kognitiven Leseprozess beeinflussen oder gar unterstützen, ist noch unerforscht.
Die Variabilität von Buchstabenformen zeigt sich auch bei Satzzeichen. In den handschriftlichen Abituraufsätzen wurden drei verschiedene Kommaformen identifiziert: gerade, konvexe und konkave Kommas. Auffällig ist, dass dieselben Personen oft unterschiedliche Kommaformen verwenden.
Überraschenderweise zeigen drei der analysierten Texte eine Korrelation zwischen der Kommaform und der Satzstruktur.
Wer mehr darüber erfahren möchte, findet in den folgenden Quellen mehr Informationen: