Winke-winke, winke-winke, mit den Händen, mit
den Augen, mit dem Mund!
Winke-winke, winke-winke, denn zum Winken gibt es
immer einen Grund.
B. Balz (1950)
Man sagt zwar sinken – sank – gesunken und singen – sang – gesungen. Was sagt man aber bei winken?
Das Partizip Perfekt von winken begegnet uns täglich in zwei verschiedenen Formen: einmal als gewinkt und dann wieder als gewunken. Die Partizip II-Form gewunken ist eine interessante Form, denn ihre Entstehungsgeschichte passt nicht zu der vermeintlich allgemeinen Regel, nach der starke, aus dem Althochdeutschen stammende Konjugationsformen im Laufe der Sprachgeschichte allmählich schwachen Konjugationsformen weichen. Die starken Präteritum-(Imperfekt-) und Partizip II-Formen ball und gibellan von bellan (jetzt bellen) zum Beispiel existieren im heutigen Deutsch nicht mehr, jetzt verwendet man nur noch bellte und gebellt. Die Geschichte von winken verläuft aber ganz anders. Es ist ursprünglich im Althochdeutschen ein schwaches Verb. Vielleicht unter dem Einfluss vieler starker Verben wie finden – fand – gefunden haben sich im Mittelhochdeutschen in verschiedenen Dialekten vor allem im süddeutschen Sprachraum parallel zu den schwachen Formen auch starke Formen herausgebildet (Präteritum: wunk, wonk oder wank, Partizip II gewunken). Die starken Präteritumformen haben es aber nie zum literarischen Ruhm gebracht und sind inzwischen wieder verschwunden. Geblieben ist das Partizip II gewunken, das seit einem Jahrhundert auch in der Standardsprache allmählich die ursprüngliche schwache Form gewinkt verdrängt.
Die Verdrängung von starken Formen durch schwache Formen wird in Backte oder buk, haute oder hieb? — Schwache oder starke Flexion erklärt.
Winken ist weder ein Verb mit Mischformen wie mahlen (mahlte - gemahlen), bei dem das Präteritum schwach (mahlte) und das Partizip II (gemahlen) als einzige Form stark gebildet ist, noch ein Verb mit Doppelformen wie senden, wenden oder auch bewegen, bei dem zwischen schwachen Formen (bewegte – bewegt) und starken (bewog – bewogen) häufig Bedeutungsunterschiede bestehen (vgl. Etwas bewegte sich hinter dem Fenster gegenüber Etwas bewog ihn dazu, hinter den Vorhang zu schauen). Gewunken ist ein „waschechtes“ zweites Partizip II, was mit der oben erwähnten besonderen Geschichte des Verbs winken zu tun hat. Bei Verben mit zwei Partizipien II handelt es sich in der Regel um ehemals starke Verben, die zu den schwachen übergegangen sind: Die ehemals reduplizierendenden Verben falten, salzen, schalten und spalten gehören ebenso dazu wie glimmen und scheinen. Winken ist ein eigener Fall: Im Althochdeutschen folgte es der schwachen Flexion, jedoch sind in der mittelhochdeutschen Schriftsprache bereits starke wie auch schwach gebildete Präteritumformen belegt. Die starke Form wank wurde hauptsächlich mit der Bedeutung‚ sich seitwärts bewegen, wanken, schwanken’, die in der Gegenwartssprache dem schwachen Verb wanken zukommt, verwendet, also weniger mit der Bedeutung‚ Geste, Bewegung eines menschlichen Körperteils’. In der gegenwärtigen Form hat winken etwas von diesem Doppelcharakter beibehalten: Zwar kennzeichen die Präteritumformen mit unverändertem Stammvokal und Endung auf -te dieses Verb als schwach gebildet, andererseits zeigt das intransitive Verb lautliche Ähnlichkeiten mit einer bestimmten Gruppe starker Verben (Ableitungsklasse IIIa, auf deren Stammvokal /i / eine Nasalverbindung wie /nd, ng, nk/ folgt. Man sagt binden – gebunden, finden – gefunden, singen – gesungen oder stinken – gestunken, also liegt es nicht entfernt, analog zu diesem Muster auch gewunken zu sagen.
Dem Verdrängungsvorgang wird in der Dudengrammatik (1998, S. 144) z.B. wie folgt Rechnung getragen: "Das unregelmäßige 2. Partizip gewunken dringt heute, obwohl es hochsprachlich nicht als korrekt gilt, über das mundartliche hinaus." (In der Ausgabe von 2005 steht gewunken schon kommentarlos neben dem als Hauptform gekennzeichneten gewinkt. (2005, S. 502))
Goethe oder Thomas Mann verwenden noch gewinkt:
In einigen der Textkorpora des Instituts für Deutsche Sprache (MK1, MK2, Limas), die vorwiegend Texte aus den fünfziger und sechziger Jahren beinhalten, gibt es kaum Belege für gewunken, aber in den Korpora, die Texte seit 1980 umfassen, kommt gewunken deutlich häufiger vor als gewinkt: 180 Belege für gewinkt gegenüber 314 für gewunken. Der Trend wird bestätigt durch die Belege aus dem Korpus Neuakquisitionen: 51 Belege fürgewunken gegenüber nur 37 für gewinkt. Eine Google-Suche (Stand April 2007) ergibt ein ähnliches Bild: 32.200 Treffer für gewinkt gegenüber 79.900 für gewunken.
Häufigkeit starker und schwacher Partizip II-Formen von winken |
gewinkt | gewunken | -gewinkt | -gewunken | |
Cosmas | 217 | 365 | 1153 | 2033 |
32.200 | 79.900 |
Stand: April 2007 |
Die starke Form wird in der Gegenwartssprache häufiger benutzt als die schwache. Es besteht aber zwischen beiden Formen weder ein Unterschied in der Bedeutung noch im Stil oder in den Kontexten, in denen sie verwendet werden.
Soweit der Siegeszug einer starken Form, ein Siegeszug, den man durch zwei Zitate illustrieren kann: Eduard Engel (1918) einerseits: "Von winken gibt es in Süddeutschland ein, dort ernst gemeintes, gewunken; in Norddeutschland wird es nur bewußt drollig gebraucht" (aus: Gutes Deutsch. Ein Führer durch falsch und richtig, S. 14) und der folgenden Meinung aus dem Internet andererseits: "Da, wo ich herkomme (vielleicht spielt das ja eine Rolle), in Hamm/Westfalen, werden Kinder von ihren Eltern berichtigt, wenn sie „gewinkt“ statt „gewunken“ sagen. Ich habe das unzählige Male erlebt, und zwar in durchaus nicht „bildungsfernen“ Familien." (aus: Schrift und Rede, 23.02.2007). Dass dieser Sprachbenutzer nicht allein mit seiner Meinung steht, merkt man, wenn man die Diskussionen über gewinkt/gewunken liest, die in Internetforen heftig geführt werden.
82 Prozent aller Ergebnisse der obigen Suchanfrage in den Korpora des IDS waren Formen mit Präverb. Das Partizip II gewinkt erscheint also weitaus häufiger mit einem Präverb als ohne. Die Auswahl an verschiedenen Präverben ist mit über 25 nicht gering aber einige wenige, wie ab-, durch- und zugewinkt, werden besonders häufig verwendet.
Die fünf häufigsten Partizip II Verbindungen mit -gewinkt
Verbindung | Prozent aller Verbindungen |
abgewinkt | 57,8 |
durchgewinkt | 8,9 |
zugewinkt | 8,7 |
herausgewinkt | 1,5 |
herangewinkt | 0,9 |
Weitere Partizip II-Verbindungen mit –gewinkt
sind:
angewinkt, ausgewinkt, eingewinkt, entgegengewinkt,
heraufgewinkt, herbeigewinkt, hereingewinkt, hergewinkt, herübergewinkt,
heruntergewinkt, hinausgewinkt, hindurchgewinkt, hinterhergewinkt, mitgewinkt,
nachgewinkt, rausgewinkt, rübergewinkt, runtergewinkt, vorbeigewinkt, weitergewinkt,
zurückgewinkt.
Mit -gewunken gibt es über 30 verschiedene Verbindungen.
Die fünf häufigsten Partizip II Verbindungen mit –gewunken
Verbindung | Prozent aller Verbindungen |
abgewunken | 71,9 |
durchgewunken | 14,8 |
zugewunken | 4,3 |
herausgewunken | 1,7 |
vorbeigewunken | 0,6 |
Weitere Verbindungen sind:
abgewunken, abgwunken, angewunken, aufgewunken, durchgewunken, eingewunken,
g'wunken, heimgewunken, herangewunken, herausgewunken, herbeigewunken,
hereingewunken, herumgewunken, heruntergewunken, hinausgewunken, hineingewunken,
hinterhergewunken, hinübergewunken, hochgewunken, nachgewunken, rangewunken,
rausgewunken, reingewunken, rübergewunken, runtergewunken, vorbeigewunken,
weggewunken, weitergewunken, zruckgwunken, zugewunken, zurückgewunken,
zusammengewunken.
Was die Bedeutungen und Verwendungsweisen dieser Verbindungen angeht, unterscheiden sich schwache und starke Formen nicht. Am Eingang der Disko hat uns also der Türsteher einfach durchgewinkt/durchgewunken und danach haben wir getanzt, bis wir abgewinkt/abgewunken haben. Zum Abschied haben wir uns dann zugewinkt/zugewunken.
Verbindungen mit -gewinkt:
Doch bisher hatten
alle, die gefragt wurden, abgewinkt.
[Berliner Zeitung,
20.05.1999, S. 3]
Parteichef Peter Wagner hatte bereits vor Monaten
abgewinkt.
[Berliner Zeitung, 26.02.1998, S.
26]
[...] alle Fahrzeuglenker, die kein Salzburger Kennzeichen am Auto hatten,
wurden gemäß der "Schlechtwetterverordnung" an den Einfallstraßen der Stadt
abgewinkt.
[Salzburger Nachrichten, 22.07.1993]
Im
großen Durcheinander wurden die Palästinenser schnell durchgewinkt.
[Der Spiegel, 21.02.1994, Nr. 8, S. 118]
Gestern hat der Bundesrat
die Reform des Dosenpfands durchgewinkt.
[die tageszeitung,
18.12.2004, S. 14]
„Früher haben mir die 20-Jährigen
zugewinkt, jetzt winken mir die 70-Jährigen zu.“
[Neue
Kronen-Zeitung, 05.03.2000, S. 63]
Verbindungen mit
-gewunken:
Bislang haben alle Bezirke
abgewunken, die einen neuen Standort zur Verfügung stellen sollten.
[die tageszeitung, 07.06.1989, S. 15]
Die letzte verbliebene Wunschkandidatin
Birgit Breuel hatte endgültig abgewunken.
[die tageszeitung,
21.05.1993, S. 11]
Auf der Rückfahrt werde ich am Herzbergplatz
abgewunken.
[die tageszeitung, 04.01.1990, S. 24]
Doch die DDR-Grenzer seien freundlich gewesen und hätten sie
durchgewunken.
[die tageszeitung, 08.11.1989, S. 5]
Die Politik hat das Projekt längst durchgewunken.
[die
tageszeitung, 05.03.2002, S. 21]
Manchmal hat sie ihm auch nur fröhlich
zugewunken und "Huhuuu" gerufen.
[Berliner Zeitung,
14.03.2002, S. 31]
Die weiter oben zitierte Anmerkung in der Duden-Grammatik von 1998 ist inzwischen schon überholt: Der Beleglage zufolge hat sich gewunken jetzt in der Standardsprache etabliert und wird in überregionalen Zeitungen ohne stilistische Unterschiede im Wechsel mit gewinkt verwendet. (Dieser Tatsache wird wahrscheinlich durch die kommentarlose Angabe in der Duden-Grammatik von 2005 Rechnung getragen.) Ob man allerdings in einem Schriftstück an einen eher konservativen Adressaten doch noch lieber gewinkt statt gewunken verwenden sollte, mag jeder für sich entscheiden, aber einer Verteufelung von gewunken sollte zumindest das Lebewohl zugewunken werden.