In einer Diskussion über deutsche Rechtschreibung in einem Internetforum findet sich folgender Beitrag:
Ein anderer Forumsnutzer antwortet prompt:
Ein dritter fügt hinzu:
Wer hat nun Recht? Ist die Form frägt im Deutschen grammatikalisch korrekt?
Eine Recherche im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) liefert eindeutige Ergebnisse:
fragt | 848.686 Belege |
frägt | 1.157 Belege |
(Tabelle 1: Recherche vom 19. November 2024)
Die Variante fragt macht 99,8% aller konjugierten Formen des Verbs fragen in der 3. Person Singular Indikativ aus, während frägt gerade mal in 0,2% aller Texte Verwendung findet. Betrachtet man die Belege für frägt genauer, fällt auf, dass viele davon in Zeitungsartikeln aus Österreich, seltener auch der Schweiz verwendet werden, aus Internetforen stammen oder im Zusammenhang mit der Wiedergabe von gesprochener Sprache stehen.
Zeitungsbelege aus Norddeutschland:
Zeitungsbelege aus Süddeutschland:
Zeitungsbelege aus Österreich bzw. der Schweiz:
Dazu muss man zunächst einmal generell die Konjugation von fragen betrachten. Die Verben werden im Deutschen in zwei Gruppen unterschieden: schwache Verben und starke Verben. Während die schwachen Verben regelmäßig konjugiert werden, weisen die starken Verben in einigen Formen einen Wechsel des Stammvokals, den sog. Ablaut, auf. Wer genaueres über diesen Wechsel in den einzelnen Formen wissen möchte, kann in der Systematischen Grammatik weiterlesen. Bei starken Verben mit dem Stammvokal a, o oder au tritt in der 2. und 3. Pers. Sg. Ind. Präsens der Umlaut ein. Das Schema ist folgendes:
Numerus/Genus | fallen | laufen | stoßen | tragen |
1. Pers. Sg. | ich falle | ich laufe | ich stoße | ich trage |
2. Pers. Sg. | du fällst | du läufst | du stößt | du trägst |
3. Pers. Sg. | er fällt | er läuft | er stößt | er trägt |
Ausnahmen: schaffen, erschaffen – keine
Änderung des Stammvokals
Der Umlaut tritt bei keinem schwachen Verb ein, auch nicht bei Verben mit dem Stammvokal a, o oder au. Es heißt also nicht *du käufst und *er käuft, sondern du kaufst und er kauft oder *du fässt und *er fässt, sondern du fasst und er fasst. Die beiden Varianten der 3. Pers. Sg. Präsens von fragen, er fragt bzw. er frägt, sind also Formen, die nach der schwachen bzw. nach der starken Konjugation gebildet wurden.
Wir müssen in der deutschen Sprachgeschichte einige Jahrhunderte zurückgehen: Im Althochdeutschen gibt es ein schwaches Verb frâgêm und auch im Mittelhochdeutschen findet sich nur ein schwaches Verb vrâgen (vgl. Grimm’sches Wörterbuch). Bis ins 17. Jahrhundert hinein sind nur schwach-flektierende Formen belegt. Für das 18. Jahrhundert belegt das Grimm’sche Wörterbuch die ersten starken Formen des Verbs fragen mit umgelautetem Präsens. Die meisten älteren Wörterbücher (z. B. Adelung, Campe, Sanders) verzeichnen nun die starke Konjugation im Präsens neben der schwachen, vertreten aber die Ansicht, dass die starken Formen aus der niederdeutschen Volkssprache stammen und führen dies auf eine Hyperkorrektur zurück. In Bezug auf das 19. Jahrhundert erwähnen dann fast alle Nachschlagewerke die starken Formen im Präsens, der schwachen Form wird jedoch immer Vorzug eingeräumt. Erst im 20. Jahrhundert sei die starke Form wieder auf dem Rückzug und werde als landschaftliche oder unkorrekte Variante ausgewiesen. (vgl. Theobald 1992, S. 227-230)
Eine Recherche im historischen DeReKo-Archiv HIST stützt dies:
fragt | Anteil | frägt | Anteil | |
Archiv HIST 1700-1750 | 77 | 100% | 0 | 0% |
Archiv HIST 1750-1800 | 577 | 88,4% | 76 | 11,6% |
Archiv HIST 1800-1850 | 1128 | 85,9% | 184 | 14,1% |
Archiv HIST 1850-1900 | 955 | 93,1% | 72 | 6,9% |
Archiv HIST 1900-1950 | 413 | 97,6% | 10 | 2,4% |
(Tabelle 2: Recherche vom 03.11.09)
Während fragen in den Quellen aus der Zeit vor 1750 noch ausschließlich schwach konjugiert wird, nimmt die starke Konjugation ab 1750 deutlich zu und erreicht ihren Höhepunkt zwischen 1800 und 1850 mit 14,1% Anteil an allen Formen von fragen in der 3.Pers. Sg. Ind. Erst 100 Jahre später schwindet frägt langsam.
Der erste Beleg für frägt im Archiv HIST findet sich im Jahr 1757 bei Kant:
Auch Schiller und Stifter verwenden frägt:
Bei zwei Belegen fällt der Zusammenhang mit der Widergabe von gesprochener Sprache auf: So läßt Kant im ersten Beleg Augustinus sprechen, und bei Stifters Zitat handelt es sich um ein Gespräch zwischen zwei Personen.
Das Grimm’sche Wörterbuch belegt bei Goethe sogar beide Varianten in ein und demselben Text:
Bei einer Suche nach der nicht umgelauteten Form fragt im Archiv HIST fällt auf, dass viele Autoren sowohl fragt als auch frägt verwenden, u.a. Goethe, Schiller, Eichendorff, Fontane, Droste-Hülshoff oder Thomas Mann. Eine genauere Untersuchung der Belege für fragt und frägt scheint die Theorie der Grammatiker aus dem 18. Jahrhundert zu bestätigen, die davon ausgehen, dass die starken Formen aus der niederdeutschen Volkssprache stammen. Dazu unterscheiden wir die Belege nach ihrer Zugehörigkeit zum oberdeutschen, mitteldeutschen und niederdeutschen Sprachraum, ausgehend vom Druckort einer Zeitung oder dem Geburtsort eines Schriftstellers. Es ergibt sich folgende Verteilung:
Sprachraum | Belege für frägt | Belege für fragt | Anteil von frägt |
Oberdeutsch | 133 | 715 | 16% |
Mitteldeutsch | 81 | 458 | 15% |
Norddeutsch | 99 | 348 | 22% |
(Tabelle 3: Regionale Verteilung, Recherchen vom 03.11.09)
Flankierend gibt eine kleine Umfrage unter 33 Studenten verschiedener Fakultäten an der Universität Heidelberg einen Eindruck davon, dass auch heute noch die unterschiedlichsten Varianten von fragt regional in Gebrauch sind (siehe Tabelle 4). Die Frage, inwieweit die Form frägt oder eine andere Variante von fragt bekannt und in Verwendung sei, liefert oft Antworten wie "ich habe auch schon er frägt gesagt, aber eigentlich ist das ja falsch". Lediglich zwei Befragte behaupten, nur die nicht umgelautete Form fragt zu benutzen.
Region bzw. Dialekt (wörtlich nach Selbsteinschätzung) | Personen | benutzte Variante von fragt (eigene Schreibung) |
Schweiz | 3 | frägt |
Österreich | 2 | frägt |
Alemannisch/Badisch | 6 | frogt, frägt |
Schwäbisch | 4 | frogt, frägt |
Pfälzisch | 3 | frocht |
Hessisch | 3 | frägt, frächt, fräscht |
Fränkisch | 5 | frägt/froagt, frächt/froacht |
Saarlouis | 1 | frot/frät |
Sächsisch | 2 | fracht |
Plattdeutsch | 2 | fraat/froot, fracht/fröcht |
keine Dialektangabe | 2 | - |
(Tabelle 4: Umfrageergebnisse 2009)
Die große Anzahl regionaler Varianten legt nahe, dass frägt auch heute noch eine Form sein kann, die konstruiert wird, um sich der Standardsprache anzunähern. Sprecher des Deutschen, die keinen Dialekt zu verwenden glauben, benutzen diese Form bezeichnenderweise eher nicht. Für genauere Aussagen und Interpretationen müssten hier allerdings weitere Untersuchungen folgen.
Das Verb fragen wird standardsprachlich schwach flektiert und daher lautet die entsprechende Form von fragen in der 3. Pers. Sg. Indikativ fragt. Es existieren allerdings regional diverse Varianten wie frägt oder frogt, die in der gesprochenen Sprache nach wie vor Verwendung finden. Diese scheinen als umgangssprachlich eingeschätzt zu werden und fallen insofern auf.