In einer Diskussion über deutsche Rechtschreibung in einem Internetforum findet sich folgender Beitrag:
Ein anderer Forumsnutzer antwortet prompt:
Ein dritter fügt hinzu:
Wer hat nun Recht? Ist die Form frägt im Deutschen grammatikalisch korrekt?
Eine Recherche im Archiv der geschriebenen Sprache des IDS liefert eindeutige Ergebnisse:
fragt | 135.425 Belege |
frägt | 298 Belege |
(Tabelle 1: Recherche vom 03. November 2009)
Die Variante fragt macht 99,8% aller konjugierten Formen des Verbs fragen in der 3. Pers. Sg. Ind. aus, während frägt gerade mal in 0,2% aller Texte Verwendung findet. Betrachtet man die Belege für frägt genauer, fällt auf, dass viele davon in Zeitungsartikeln aus Österreich (179 Belege), seltener auch der Schweiz (49 Belege) verwendet werden oder im Zusammenhang mit der Wiedergabe von gesprochener Sprache stehen.
Zeitungsbelege aus Norddeutschland:
"So blöd wie Du frägt keener." Jochen, der
Melker aus dem Oderbruch, macht keinen Hehl daraus, wie sehr ihm der Mann hinter der Kamera auf die
Nerven fallen kann.
[Berliner Zeitung, 14.02.2002, Ressort: Feuilleton; Zum letzten Mal
Jochen (S. 14)]
Doch nach solchen konkreten Angaben frägt das
LKA gar nicht. Die Ausländerbeamten sollen vielmehr melden, wen sie zur "Begehung politisch
motivierter Straftaten" für fähig wähnen.
[die tageszeitung, 16.02.1991, S.4;
Ausländerbeamte als Hilfsschnüffler?]
Zeitungsbelege aus Süddeutschland:
"Sollen wir nicht bürgernah sein?", frägt sich
der Bürgerdienstleiter, der seinen Bürgern nicht einmal eine Toilette zur Verfügung stellen kann.
[Mannheimer Morgen, 21.11.2000, Ressort: Umlandseite(n); Wird das Areal von "Möbel Unger"
verkauft?]
Der Dichter hat einen Tutor eingeführt und dessen Fragen kursiv
hervorgehoben – er beläßt die Fragen im Gedicht, das selbst zu dem Subjekt werden soll, nach dem
er frägt. Doch gelingt diese Verbindung?
[Frankfurter
Allgemeine, 19.05.2003]
Zeitungsbelege aus Österreich bzw. der Schweiz:
Frägt man Elmar Altvater nach den Folgen der
Globalisierung, wird schnell klar: Der renommierte deutsche Politikwissenschafter gehört der
zweiten Gruppe an.
[Salzburger Nachrichten, 30.10.1997, Ressort:
Gesundheit/Umwelt/Wissenschaft; "Globalisierung zerstört die Natur"]
So frägt man sich mit Blick auf die eben
ausgebrochene Regierungskrise, warum Regierungsrat Pedrazzini seinen ominösen Brief per Fax zuerst
den Medien zugespielt hat, erst einen Tag später den Behördenmitgliedern.
[St. Galler
Tagblatt, 09.01.1998, Ressort: TB-AKT (Abk.); Hauptsache – auffallen]
Dazu muss man zunächst einmal generell die Konjugation von fragen betrachten. Die Verben werden im Deutschen in zwei Gruppen unterschieden: schwache Verben und starke Verben. Während die schwachen Verben regelmäßig konjugiert werden, weisen die starken Verben in einigen Formen einen Wechsel des Stammvokals, den sog. Ablaut, auf. Wer genaueres über diesen Wechsel in den einzelnen Formen wissen möchte, kann in der Systematischen Grammatik weiterlesen. Bei starken Verben mit dem Stammvokal a, o oder au tritt in der 2. und 3. Pers. Sg. Ind. Präsens der Umlaut ein. Das Schema ist folgendes:
Numerus/Genus | fallen | laufen | stoßen | tragen |
1. Pers. Sg. | ich falle | ich laufe | ich stoße | ich trage |
2. Pers. Sg. | du fällst | du läufst | du stößt | du trägst |
3. Pers. Sg. | er fällt | er läuft | er stößt | er trägt |
Ausnahmen: schaffen, erschaffen – keine
Änderung des Stammvokals
Der Umlaut tritt bei keinem schwachen Verb ein, auch nicht bei Verben mit dem Stammvokal a, o oder au. Es heißt also nicht *du käufst und *er käuft, sondern du kaufst und er kauft oder *du fässt und *er fässt, sondern du fasst und er fasst. Die beiden Varianten der 3. Pers. Sg. Präsens von fragen, er fragt bzw. er frägt, sind also Formen, die nach der schwachen bzw. nach der starken Konjugation gebildet wurden.
Wir müssen in der deutschen Sprachgeschichte einige Jahrhunderte zurückgehen: Im Althochdeutschen gibt es ein schwaches Verb frâgêm und auch im Mittelhochdeutschen findet sich nur ein schwaches Verb vrâgen (vgl. Grimm’sches Wörterbuch). Bis ins 17. Jahrhundert hinein sind nur schwach-flektierende Formen belegt. Für das 18. Jahrhundert belegt das Grimm’sche Wörterbuch die ersten starken Formen des Verbs fragen mit umgelautetem Präsens. Die meisten älteren Wörterbücher (z. B. Adelung, Campe, Sanders) verzeichnen nun die starke Konjugation im Präsens neben der schwachen, vertreten aber die Ansicht, dass die starken Formen aus der niederdeutschen Volkssprache stammen und führen dies auf eine Hyperkorrektur zurück. In Bezug auf das 19. Jahrhundert erwähnen dann fast alle Nachschlagewerke die starken Formen im Präsens, der schwachen Form wird jedoch immer Vorzug eingeräumt. Erst im 20. Jahrhundert sei die starke Form wieder auf dem Rückzug und werde als landschaftliche oder unkorrekte Variante ausgewiesen. (vgl. Theobald 1992, S. 227-230)
Eine Recherche im historischen Archiv HIST des IDS stützt dies:
fragt | Anteil | frägt | Anteil | |
Archiv HIST 1700-1750 | 77 | 100% | 0 | 0% |
Archiv HIST 1750-1800 | 577 | 88,4% | 76 | 11,6% |
Archiv HIST 1800-1850 | 1128 | 85,9% | 184 | 14,1% |
Archiv HIST 1850-1900 | 955 | 93,1% | 72 | 6,9% |
Archiv HIST 1900-1950 | 413 | 97,6% | 10 | 2,4% |
(Tabelle 2: Recherche vom 03.11.09)
Während fragen in den Quellen aus der Zeit vor 1750 noch ausschließlich schwach konjugiert wird, nimmt die starke Konjugation ab 1750 deutlich zu und erreicht ihren Höhepunkt zwischen 1800 und 1850 mit 14,1% Anteil an allen Formen von fragen in der 3.Pers. Sg. Ind. Erst 100 Jahre später schwindet frägt langsam.
Der erste Beleg für frägt im Archiv HIST findet sich im Jahr 1757 bei Kant:
Wie kann ich denn davon anfangen? Augustinus sagte: Ich weiß wohl, was die
Zeit sei, aber wenn mich jemand frägt, weiß ichs nicht.
[Kant: Vorkritische Schriften II 1757-1777, In: Kant's
gesammelte Schriften. Erste Abtheilung: Werke. Bd. II. - Berlin, 1969 (S. 283)]
Auch Schiller und Stifter verwenden frägt:
"Wer seid Ihr?" frägt der Richter mit ziemlich
brutalem Ton.
[Schiller, Friedrich: Der Verbrecher aus verlorener Ehre,
Erstdruck: 1786 - Berlin: DIRECTMEDIA Publishing GmbH, 2000, S. 13-35 (S. 33)]
"Das weiß der Schelm, darum frägt er mich
schon darnach, und fürchtet den Fremden nicht, der bei mir ist." In der Tat, das Tierchen blieb
ruhig in seinem Neste und ließ sich durch unser Reden und durch unsere Augen nicht beirren.
[Stifter, Adalbert: Der Nachsommer, Entstanden: zwischen 1847 und 1857 -
Berlin: DIRECTMEDIA Publishing GmbH, 2000, S. 3-860 (S. 163)]
Bei zwei Belegen fällt der Zusammenhang mit der Widergabe von gesprochener Sprache auf: So läßt Kant im ersten Beleg Augustinus sprechen, und bei Stifters Zitat handelt es sich um ein Gespräch zwischen zwei Personen.
Das Grimm’sche Wörterbuch belegt bei Goethe sogar beide Varianten in ein und demselben Text:
Da kam der Sohn ganz überquer
Gestolpert über Sterne her
Und fragt (so), was zu befehlen.
Der Vater
frägt ihn, wo er stickt?
[Goethe: Der ewige
Jude. In: ders. Poetische Werke, Band 8, 1999.]
Bei einer Suche nach der nicht umgelauteten Form fragt im Archiv HIST fiel auf, dass viele Autoren sowohl fragt als auch frägt verwenden, u.a. Goethe, Schiller, Eichendorff, Fontane, Droste-Hülshoff oder Thomas Mann. Eine genauere Untersuchung der Belege für fragt und frägt scheint die Theorie der Grammatiker aus dem 18. Jahrhundert zu bestätigen, die davon ausgehen, dass die starken Formen aus der niederdeutschen Volkssprache stammen. Dazu wurden die Belege nach ihrer Zugehörigkeit zum oberdeutschen, mitteldeutschen und niederdeutschen Sprachraum unterschieden, ausgehend vom Druckort einer Zeitung oder dem Geburtsort eines Schriftstellers. Dabei ergab sich folgende Verteilung:
Sprachraum | Belege für frägt | Belege für fragt | Anteil von frägt |
Oberdeutsch | 133 | 715 | 16% |
Mitteldeutsch | 81 | 458 | 15% |
Norddeutsch | 99 | 348 | 22% |
(Tabelle 3: Regionale Verteilung, Recherchen vom 03.11.09)
Eine kleine Umfrage unter 33 Studenten verschiedener Fakultäten an der Universität Heidelberg gibt einen Eindruck davon, dass auch heute noch die unterschiedlichsten Varianten von fragt regional in Gebrauch sind (siehe Tabelle 4). Die Frage, inwieweit die Form frägt oder eine andere Variante von fragt bekannt und in Verwendung sei, ergibt oft Antworten wie "ich habe auch schon er frägt gesagt, aber eigentlich ist das ja falsch". Lediglich zwei Befragte behaupten, nur die nicht umgelautete Form fragt zu benutzen.
Region bzw. Dialekt (wörtlich nach Selbsteinschätzung) | Personen | benutzte Variante von fragt (eigene Schreibung) |
Schweiz | 3 | frägt |
Österreich | 2 | frägt |
Alemannisch/Badisch | 6 | frogt, frägt |
Schwäbisch | 4 | frogt, frägt |
Pfälzisch | 3 | frocht |
Hessisch | 3 | frägt, frächt, fräscht |
Fränkisch | 5 | frägt/froagt, frächt/froacht |
Saarlouis | 1 | frot/frät |
Sächsisch | 2 | fracht |
Plattdeutsch | 2 | fraat/froot, fracht/fröcht |
keine Dialektangabe | 2 | - |
(Tabelle 4: Umfrageergebnisse)
Die große Anzahl regionaler Varianten legt nahe, dass frägt auch heute noch eine Form sein kann, die konstruiert wird, um sich der Standardsprache anzunähern. Sprecher des Deutschen, die keinen Dialekt zu verwenden glauben, benutzen diese Form bezeichnenderweise nicht. Für genauere Aussagen und Interpretationen müssten hier allerdings weitere Untersuchungen angestellt werden.
Das Verb fragen wird standardsprachlich schwach flektiert und daher lautet die entsprechende Form von fragen in der 3. Pers. Sg. Indikativ fragt. Es existieren allerdings regional diverse Varianten wie frägt oder frogt, die in der gesprochenen Sprache nach wie vor häufig Verwendung finden. Diese werden von vielen als umgangssprachlich eingeschätzt und fallen insofern auf.