Ich helfe dir das Päckchen (zu) tragen, dann brauchst du nicht (zu) warten — Verben mit einem Infinitiv mit oder ohne zu

Nichts ist unmöglich, so ein bekannter Werbespruch aus der Automobilbranche. Auch in der deutschen Sprache ist gelegentlich vieles möglich. So zum Beispiel das Auftreten der Verben brauchen und helfen vor oder nach Infinitivkonstruktionen mit oder ohne zu.

Wer das für Fantasterei hält, braucht bloß an eine nächste Landtagswahl zu denken. (die tageszeitung, 21.09.2005, S. 5)
Man brauche nur an die Virusepidemien auf Kreuzfahrtschiffen denken, die in den vergangenen Jahren selbst auf Luxusschiffen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen aufgetreten seien. (Frankfurter Allgemeine, 05.09.2005; "Seuchengefahr eher gering")
Die letzte Szene rechts außen stellt die 5. Kreuzwegstation dar: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz zu tragen. (Wikipedia, 2017, http://de.wikipedia.org/wiki/St-Martin_(Vic))
An der Südseite werden dargestellt: Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen. (Wikipedia, 2017, http://de.wikipedia.org/wiki/St._Stephanus_(Hainhofen))

brauchen mit zu

Der eine sagte: "Sie brauchen nicht zu denken, dass wir Neonazis sind, ich bin bloß gegen Ausländer." (die tageszeitung, 02.05.2005, S. 4)
Man braucht nur zu gewinnen, dann herrscht Friede, Freude, Eierkuchen. (Berliner Zeitung, 30.01.1999, S. 40)

brauchen ohne zu

Man braucht nicht denken, dass die Liga so schlecht ist. (Mannheimer Morgen, 31.03.2005; "Die spielen auch elf gegen elf")
"Die Ausgangsposition ist günstig", so Zola, 31, "wir brauchen ja nur gewinnen!" (Die Presse, 14.11.1997; Riesenzwergs Rückkehr an Stätte seines Triumphs)

helfen mit zu

Denn die Eindringlinge helfen, das Klima im Bau zu verbessern. (Frankfurter Allgemeine, 12.11.1997; Afrikanische Käfer schwanken zwischen Single- und Gruppenleben)
Das gleiche gilt für THG, das half, sehr schnell Muskeln aufzubauen. (Frankfurter Allgemeine, 21.05.2005; Kelli White: "Ich war ein Versuchskaninchen")

helfen ohne zu

Die Wände haben ein wenig an Volumen zugelegt und helfen die Akustik verbessern. (Frankfurter Allgemeine, 20.09.1997; Rettung, nicht ganz ohne Schrammen)
Langlauf im Winter, Wandern oder Joggen zu anderen Zeiten - das hilft Kondition aufbauen und Kräfte regenerieren. (Hamburger Morgenpost, 03.01.2006, S. 17)

Leider ist die Freiheit nicht unbegrenzt. Es gibt nicht viele Verben, die sowohl zusammen mit einem Infinitiv mit zu als auch mit einem Infinitiv ohne zu auftreten können. Die meisten mit einem Infinitiv verbundenen Verben treten ausschließlich mit zu-Infinitiven auf:

Das Kind hat aufgehört zu schreien. Er brennt darauf, Rache zu nehmen. Sie denkt daran, früher in Rente zu gehen. Es hat begonnen zu regnen. Ich würde dir nie erlauben, so spät nach Hause zu kommen.

Ausschließlich mit Infinitiven ohne zu lassen sich hingegen bekanntermaßen Modalverben, werden sowie einige weitere Verben verbinden:

Er kann gut lesen. Er soll kommen. Er wird kommen. Bleiben Sie stehen! Gehst du schwimmen? Ich lasse ihn in Ruhe arbeiten. Wir hörten sie schon von Weitem kommen.

Und letztlich gibt es einige Verben, die mit beiden Infinitivformen verbunden werden können, zum Beispiel: brauchen, helfen, lernen und lehren.

Infinitivkonstruktionen nach brauchen

Aus der Schule kennen viele noch den Satz "Wer brauchen ohne zu gebraucht, braucht brauchen gar nicht zu gebrauchen!" Der Kampf für das zu hat also eine Geschichte. Gustav Wustmann wetterte schon 1908 in seinem Buch "Allerhand Sprachdummheiten" (Leipzig 1908, 4. Aufl./1. Auflage 1891) gegen die Verwendung von gebrauchen ohne zu, die er "Gassendeutsch" nannte. Aber warum sollte brauchen nicht so verwendet werden wie das Modalverb müssen, das eine ganz ähnliche Bedeutung hat: Du musst nicht kommen. Du brauchst nicht kommen? In der Dudengrammatik steht ja: "In die Reihe der Modalverben tritt in der Gegenwartssprache auch das Verb brauchen, das vor allem in mündlicher Rede häufig ohne zu verwendet wird." (S. 626, §1100). Und Modalverben werden bekanntlich mit einem Infinitiv ohne zu verbunden.

Goethe verwendete brauchen immer mit zu. In Thomas Manns Werk finden sich immerhin schon zwei Belege für den Gebrauch von brauchen ohne zu, etwa hier:

So ist er gereinigt und braucht sich nicht einmal freischwören von Schuld. (T. Mann: Joseph und seine Brüder, 1. Buchausgaben 1933-1943, In: Gesammelte Werke in zwölf Bänden mit einem Ergänzungsband, Bd. 4/5. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag, 1960, S. 570)

Im heutigen Sprachgebrauch findet man beide Varianten. Die Variante ohne zu tritt durchaus nicht nur in der mündlichen Alltagsrede oder in umgangssprachlichen Briefen auf, sondern auch in angesehenen überregionalen Zeitungen (siehe den einleitenden Beleg aus der FAZ).

Die Verwendung eines Infinitivs mit oder ohne zu in Verbindung mit brauchen gilt auch, wenn der Infinitiv vorangestellt ist [Infinitiv + brauchen]:

Vielleicht hätte er nur zu fragen brauchen, und das Schiff wäre Jahre lang im Orbit dieses Planeten geblieben. (Lange, Helge: Via Astra. 2003, S. 189)
Man hätte gar nicht erst fragen brauchen, in Prenzlau gibt es selbstverständlich keine Probleme mit dem Asylbewerberheim. (Berliner Zeitung, 14.08.2000, S. 3)

Die Verwendung als unmittelbare Wortfolge mit zu kommt allerdings im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) ein wenig häufiger vor (ermittelt am 1. Dezember 2024 mit KorAP):

zu sagen brauchen172 Belege
sagen brauchen161 Belege
zu lesen brauchen81 Belege
lesen brauchen47 Belege
Zusammenfassend kann man feststellen, dass brauchen mit oder auch ohne zu verwendet wird, die Konstruktion mit zu aber tendenziell leicht präferiert scheint.

Infinitivkonstruktionen nach helfen

Auch das Verb helfen kann mit einem Infinitiv mit zu oder ohne zu verbunden werden. In Grammatiken (z. B. "Der kleine Duden - Deutsche Grammatik 1997, S.111) wird dazu kommentiert, dass umfangreichere Infinitivkonstruktionen eher mit zu und kurze Infinitivkonstruktionen eher ohne zu gebildet werden. Wieder anhand von DeReKo-Recherchen versuchen wir, diese Aussage etwas genauer zu fassen. Dabei unterscheiden wir zwei Fälle: helfen + Infinitiv sowie Infinitiv + helfen.

helfen + Infinitiv

Infinitivkonstruktionen ohne zu finden sich häufig dann, wenn keine Erweiterung nach dem Verb helfen steht, also z.B. jemand hilft tragen, jemand hilft jemandem tragen oder etwas hilft schützen. Belege für eine dieser Konstruktionen mit zu sind sehr selten.

Ein sehr vollbusiges und sehr junges Mädchen erschien, besternt, ließ sich nicht abweisen und half tragen. (Klemperer, Victor: Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten, Bd. 2, Tagebücher 1942-1945, Berlin: Aufbau-Verlag, 1995, S. 467-634)
Willi hatte sich etwas erholt und half mir tragen. (Ripperger, Irene: Rückblicke. Von der Seele geschrieben. Föritz: Amicus, 2005, S. 389)
Wissen hilft schützen. (Galler Tagblatt, 30.06.1998; In vielen tausend Jahren gewachsen)

Kommt aber eine Bezeichnung für das, was getragen oder geschützt wird, hinzu, werden Konstruktionen mit zu bevorzugt: jemand hilft, etwas zu tragen oder jemand hilft jemandem, etwas zu tragen. Dieser Befund entspricht also der Darstellung der Dudengrammatik.

Der Badmeister half ihnen, den Rollstuhlfahrer ins Wasser zu tragen. (St. Galler Tagblatt, 10.09.1997)

Anders fällt die Tendenz allerdings aus, wenn helfen nach einem Modalverb wie sollen, wollen oder müssen oder nach einem Hilfsverb oder in einem Nebensatz steht (..., dass jemand jemandem hilft, etwas zu tun). In solchen Fällen wird ganz überwiegend die Infinitivkonstruktion mit zu bevorzugt, und zwar unabhängig davon, wie umfangreich oder wenig umfangreich sie ist:

"Sie müssen uns helfen zu verkaufen", verlangte von Halem von den Journalisten. (die tageszeitung, 04.10.1994, S. 20)
Ich will helfen, zu retten, was zu retten ist. (die tageszeitung, 12.12.1991, S. 22)
Die Antworten sollen helfen, Schwerpunkte bei der Vergabe des Geldes zu setzen. (Berliner Zeitung, 03.08.2005, S. 21)
Es ist eine große Verantwortung, aber Allah wird uns helfen sie zu tragen. (dpa, 30.01.2006; Die «Mutter der Märtyrer» zieht für die Hamas ins Parlament ein)
Wir wünschen mit heißen Herzen, daß dieses Buch helfe zu retten und zu schützen, wofür wir gearbeitet haben. (Grzimek, Bernhard; Grzimek, Michael: Serengeti darf nicht sterben, Erstv. 1959. 1967, S. 7)

Nur extrem selten finden sich Sätze wie:

Die Bergmannsleuchten sollen helfen, die Bedenken der Grünen ob der ökologischen Verträglichkeit der Deponie aus dem Weg räumen. (die tageszeitung, 02.07.1988, S.5)

Keine Belege finden wir für die Verwendung einer Infinitivkonstruktion ohne zu nach helfen in einem Nebensatz, also für Sätze wie Ich wünsche, dass du mir hilfst das Päckchen tragen.

Infinitiv + helfen

Wenn der Infinitiv vorangestellt ist, kommt meist die Konstruktion ohne zu vor und zwar unabhängig von ihrem Umfang.

Lippenpomade soll trockene und rissige Lippen verhindern helfen. (Ilja Lorek; Schwarzenberger; Zwobot; u.a.: Pomade, In: Wikipedia, http://de.wikipedia.org, 2005)
"Er hat mir die Taschen tragen geholfen und mich in seinem Auto mit zur Post genommen", sagte sie. (Berliner Zeitung, 14.05.2004, S. 17)
Der Herr Pichler sei krank und schwach, ich soll tragen helfen. (Kleine Zeitung, 19.02.1997; "Er lag mit dem Gesicht nach unten direkt beim Abfluß")

Die Folge verhindern hilft/half/helfen/... finden wir in DeReKo 1.361-mal, die Folge zu verhindern hilft/half/helfen/... hingegen nur 320-mal. 41 Beispiele gibt es für zu tragen helfen, gegenüber 309 Belegen für tragen helfen.

Dabei hatte gerade die anfänglich harte Position der Nato und das kompromißlose Auftreten der US-amerikanischen Truppen Zwischenfälle solcher Art zu verhindern geholfen. (die tageszeitung, 03.02.1996, S. 9)
Er war zwar stets ein Rebell, ist aber zugleich ein fröhlicher Christ, der alles Leid ertrug und dabei immer noch anderen zu tragen half. (Die Zeit, 19.05.1995, S. 10)

Infinitivkonstruktionen nach lehren, lernen

Gemäß Duden gilt auch für Infinitivkonstruktionen nach lehren und lernen, dass sie eher ohne zu gebildet werden, wenn sie kurz sind, und mit zu, wenn sie erweitert sind. Wie bei den Untersuchungen zum Verb helfen können wir diese Empfehlung ein wenig präzisieren. Grundsätzlich lassen sich auch hier zwei Fälle unterscheiden: lehren/lernen + Infinitiv sowie Infinitiv + lehren/lernen.

lehren/lernen + Infinitiv

Wenn die Infinitivkonstruktion nach dem Verb steht, dann wird sie meist mit zu gebildet, es sei denn, sie ist kurz (nicht durch ein Akkusativobjekt erweitert) — dann findet man auch häufiger Konstruktionen ohne zu. Das sind aber nur Tendenzen!

South Park und ähnliche Serien lehrten Minderjährige, Gewalt zu bewundern, glaubt Deborah Prothrow, Harvard-Professorin für Gewaltprävention. (Salzburger Nachrichten, 22.01.2000, Vier echt böse Jungs)
Unter dem Schild der UNO fand er seine eigentliche Berufung: Er lernte Minen zu räumen. (die tageszeitung, 07.01.2004, S. 5)
Das Programm lehrte zu sehen, weil es die bestehende Gesellschaft zur Grundlage aller Reformen nahm. (die tageszeitung, 28.08.1999, S. 1-2)
Die Schüler lernten zu tanzen, singen oder trommeln. (St. Galler Tagblatt, 18.06.1999; «horizons» eröffnete Horizonte)

Wir finden nämlich auch:

Die deutschen Besatzer lehrten ihn den Faschismus fürchten. (Frankfurter Allgemeine, 31.07.2003)
Trotz seiner Behinderung lernte er vier Sprachen reden und schreiben und entwickelte sich zu einem bekannten Physiker. (die tageszeitung, 07.12.1993, S. 19)
Auf dem Manga-Schwerpunkt der Messe lehrt er zeichnen. (Berliner Zeitung, 16.03.2005, S. 30)
"Das häßliche Entlein" lernt tanzen. (Mannheimer Morgen, 07.06.1999)

Aber aufpassen: Wenn lehren oder lernen nach einem Modalverb oder einem Hilfsverb stehen oder in einem Nebensatz verwendet werden, wird die nachfolgende Infinitivkonstruktion mit zu gebildet. Und dies unabhängig von ihrem Umfang.

"Wir müssen alle lernen zu teilen", so sagt er das. (Berliner Zeitung, 31.03.2005, S. 3)
"Wir müssen lernen, uns gegenseitig zu respektieren. (die tageszeitung, 19.05.1990, S. 2)
Man muß die Leute einbinden und lehren, etwas zu machen. (die tageszeitung, 06.11.1998, S. 19)
Dazu gehört natürlich auch, daß man sich bekannt macht und daß man lernt sich zu verkaufen. (die tageszeitung, 23.07.1988, S. 26)
Adorno hatte vor allem gelehrt, Musik als fasslichen Entwurf einer künstlerisch-gesellschaftlichen Utopie zu begreifen. (die tageszeitung, 10.01.2003, S. 15)
Sie hat hier wieder gelernt, in den Himmel zu schauen ohne die Angst dort Flugzeuge zu sehen, die sie bombardieren. (Berliner Zeitung, 23.02.2005, S. 27)

Infinitiv + lehren/lernen

Wenn die Infinitivkonstruktion vor dem Verb steht, dann wird sie, unabhängig davon wie umfangreich sie ist, häufig ohne zu gebildet.

Das Stück gibt das nicht her: Es ist die Not, die Chlodwig beten lehrt. (Berliner Zeitung, 19.07.2005, S. 24)
Als weiteres Biopic kommt dann auch - hoffentlich - der große Oscar-Favorit "Wenn Träume fliegen lernen" in unsere Kino. (Berliner Zeitung, 03.01.2005, S. 11)
Seit dies der Psychoanalyse einst so nachhaltig gelang, fordern viele zeitgenössische Forschungsperspektiven Autorität ein, indem sie uns Shakespeare auf je andere Weise sehen lehren wollen. (Frankfurter Allgemeine, 19.07.2001; Schwachgemuter Schurke?)
Lesen lernen wird schwergemacht. (die tageszeitung, 14.07.1995, S. 24)

Wir finden aber auch:

Es seien vielmehr die Erwachsenen, die sie zu hassen lehrten. (Frankfurter Allgemeine, 24.11.1999)
Laras Eltern sind gehörlos. Einzig das Kind, das zu sprechen gelernt hat, ist ihre Nahtstelle zur tosenden Welt. (Frankfurter Allgemeine, 02.01.1997)
Und ich bin ganz sicher, sie werden auch jedes andere Land in der EU zu lieben lernen. (dpa, 11.03.2006; EU hält Tür für Staaten des westlichen Balkans offen)

Weiterführendes

Zu den Verben, bei denen zwei Infinitivkonstruktionen (eine als Subjekt, die andere in einer anderen Funktion) zusammen auftreten können, wie z. B. heißen und bedeuten, siehe: Alles verstehen heißt alles verzeihen oder Alles zu verstehen heißt alles zu verzeihen? — Infinitivkonstruktionen mit und ohne zu.

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Jacqueline Kubczak
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