Vertiefung: Hintergrund/Vordergrund vs. Thema/Rhema

Die Begriffe "Thema" und "Rhema" werden in der französischen Germanistik nicht immer bzw. nicht völlig deckungsgleich mit der GDS verwendet, abweichend auch von der in der GDS benutzten Opposition "Hintergrund/Vordergrund".

Darstellung in der GDS:

In der GDS beziehen sich "Thema" und "Rhema" auf den Redeinhalt; das Begriffspaar hat argumentativ-referenziellen Status (siehe Definitionen GDS, S. 510 ff.).
In der GDS stellt die Opposition "Hintergrund/Vordergrund" einer Konfiguration von Äußerungsteilen, die ein "Grundwissen" darstellen (Hintergrund), die jeweils fokussierten Äußerungsteile gegenüber, welche die relevanten Informationen als neues oder "korrigiertes Wissen" enthalten (Vordergrund). Wesentliches Kriterium ist dabei die Stärke des Akzents. Die Äußerungsteile müssen keine zusammenhängenden Sektionen bilden. Die thematischen (Hintergrund-)Teile können für ein längeres Textstück gelten (etwa mittels Anaphorika), also von Satz zu Satz weiter wirken (siehe Ausführungen GDS, S. 231 ff.):

(1) Der Stadtteil Neukölln ist ein Problemviertel. Er hat sich zu einem der größten türkisch bewohnten Gebiete der Hauptstadt entwickelt. Dort gibt es in den Schulen häufig Zwischenfälle, die auf ethnische Konflikte zurückzuführen sind.

In der französischen Germanistik geläufige Auffassungen:

Zwei Grundtendenzen sind zu unterscheiden. Nach der einen, allgemeiner gehaltenen und relativ häufig anzutreffenden Auffassung ist die Thema/Rhema-Opposition durchaus der Vordergrund/Hintergrund-Opposition vergleichbar. Informationstheoretische Ansätze fließen mit ein. Das Rhema rückt in die Nähe dessen, was man traditionell unter "Prädikat" versteht. "Rhematisierung" ist von "Fokussierung" nicht immer deutlich zu unterscheiden. Eine Äußerung, die nicht unbedingt satzförmig sein muss, wird gegliedert in eine thematische Sektion, welche die Elemente aufreiht, von denen die Rede sein soll, und eine rhematische Sektion, welche eine um das Verb als Zentrum gruppierte Aussage über die thematischen Teile enthält. Thema wäre also das Gegebene, Vorgestellte, Rhema die (nicht immer) neue Information. Die rhematischen Teile sind fokussiert und gestuft akzentuiert. Häufig liefert das Rhema eines Satzes das Thema des Folgesatzes:

(2) [Th:] Der Stadtteil Neukölln [Rh:] wird hauptsächlich von Türken bewohnt. [Th:] Die Türken [Rh1:] leben hier meist schon in der dritten Generation [Rh2:] und sind sehr gut integriert. [Th:] Integration [Rh:] war immer schon ein Hauptanliegen des Berliner Senats.

Auch Beibehaltung desselben Themas über mehrere Sätze hinweg ist möglich.

Die Thema/Rhema-Gliederung ist auch in den Einzelsyntagmen des Satzes (etwa in der Relation der spezifizierenden Erweiterung zum Kopf) oder im Verhältnis der Teilsätze zueinander angelegt:

(3) [Rh:] total verwahrloste [Th:] Kinder ; [Th:] der freundliche Herr [Rh:] von nebenan ; [Rh:] Klavier [Th:] spielen

(4) [Th:] Er ist misstrauisch , [Rh:] weil er uns nicht kennt. / [Th:] Da er uns nicht kennt , [Rh:] ist er misstrauisch.

Die andere Auffassung sieht die Opposition Thema/Rhema formaler, wissenschaftlich konsequenter, aber auch enger. Sie orientiert sich an der von Jean-Marie Zemb entwickelten Theorie. Danach ist die Thema/Rhema-Opposition dem Bereich der Logik zuzuordnen, ist also der sprachlichen Ebene vorgelagert. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass die Einheiten des Themas parataktisch nebeneinander stehen ("assemblage"), während das Rhema eine hierarchische, um das Verb zentrierte Struktur aufweist: Das Thema "bezeichnet", das Rhema "bedeutet", ist also der eigentlich sinnstiftende Teil.

Auch hier unterteilt sich die Äußerung (frz.: proposition) in eine thematische ("ce dont on parle") und eine rhematische Sektion ("ce qu'on en dit"). Es können allerdings Teile des Rhemas auf fokussierter Position am Satzanfang stehen (eine in der Pressesprache sehr beliebte Figur):

(5) Ausgewählt werden die Bewerber mit den besten Strategien für Zukunftsmärkte. [Internet-Beleg: Stefan von Borstel, Welt.online, 28. August 2007]

(6) Neu gebaut wurde in dieser Stadt auch das Rathaus.

(7) Ideen haben wir genug. [ Internet-Beleg: Stefan von Borstel, Welt.online, 28. August 2007]

Außerhalb der Zweigliederung stehen genau die Einheiten, welche nach deutscher Darstellung "sich auf den ganzen Satz beziehen", nach französischer die Äußerung als solche werten (modalisateurs, appréciatifs), wie auch die pauschale Negation. Sie erfüllen, laut Zemb, die Funktion des prédicateur, der als Bindeglied zwischen Thema und Rhema die (frz.) proposition überhaupt erst zustande kommen lässt. Daraus ergibt sich, dass der 'prédicateur' die Grenze zwischen thematischer und rhematischer Sektion sichtbar machen kann. Dies allerdings unter der Voraussetzung, dass die (frz.) proposition in ihrer nicht aktualisierten Form in Nebensatzwortstellung, also als Verbletztsatz linearisiert ist ('ordre de base').
Diese Sachlage wiederum ermöglicht eine Art Negator-Test (der auch von Zemb zur Veranschaulichung herangezogen wird). Er besteht darin, den pauschalen Negator, der ja auch zu den 'prédicateurs' gehört, an der "richtigen Stelle" in eine als Verbletztsatz linearisierte proposition einzusetzen. Der Negator trennt dann nicht nur das (rechts stehende) Rhema deutlich von den (links stehenden) thematischen Elementen, sondern bestätigt auch ex negativo die Aussagefunktion des Rhemas. Er signalisiert nämlich, dass der rhematische Aussageteil für den thematischen Teil nicht zutrifft, oder anders formuliert, dass dem Rhema für dieses Thema der Wahrheitswert Null zukommt:

(8) In den Schulen dieses Viertels passieren ständig ethnisch motivierte Zwischenfälle. =
(dass) [Th:] in den Schulen dieses Vierteln nicht [Rh:] ständig ethnisch motivierte Zwischenfälle passieren.

Dass die auf fokussierter Anfangsposition stehenden Elemente, wie in (5), (6) und (7), rhematisch sind, ergibt sich daraus, dass diese Elemente in der nicht aktualisierten Form des Satzes (also bei Endstellung des Verbs) in der rhematischen Sektion, rechts vom pauschalen Negator, erscheinen. Dabei kann ein Satz sich, wie in (5a), in seiner Gesamtheit als rhematisch erweisen:

(5a) (dass) nicht [Rh:] die Bewerber mit den besten Strategien für Zukunftsmärkte ausgewählt werden.

(6') (dass) [Th:] in dieser Stadt nicht [Rh:] auch das Rathaus neu gebaut wurde.

(7') (dass) [Th:] wir nicht [Rh:] genug Ideen haben.

Oft kann der Negator-Test zu verschiedenen Ergebnissen führen, da bestimmte Teile eines Satzes im Thema oder im Rhema stehen können (Anhaltspunkte liefern Kontrollfragen und Akzentstruktur). Dies zeigt, dass die Thema/Rhema-Opposition auch von Ko- und Kontext, also letztlich von der Sprecherintention gesteuert wird:

(9) Viele dieser Familien konnten letztes Jahr den Urlaub mit ihren Kindern verbringen. =
(dass) viele dieser Familien letztes Jahr nicht den Urlaub mit ihren Kindern verbringen konnten.
(dass) viele dieser Familien letztes Jahr den Urlaub nicht mit ihren Kindern verbringen konnten.

(5b) (dass) nicht die Bewerber mit den besten Strategien für Zukunftsmärkte ausgewählt werden. =
(dass) die Bewerber mit den besten Strategien für Zukunftsmärkte nicht ausgewählt werden.

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