Vertiefungstext: Syntaktisches Wort, Wortform oder Lexem?

Wenn man in der Alltagssprache leichtfertig von Wörtern sprechen kann, muss in der linguistischen Terminologie etwas differenziert werden. Wort, wie es alltagssprachlich verwendet wird, kommt streng genommen in der Linguistik nicht vor. Es wird unterschieden in syntaktisches Wort, Wortform und Lexem. Wenn wir im Weiteren von Wort oder von Wörtern sprechen, meinen wir es jedoch - der Vereinfachung halber - im alltagssprachlichen Sinne.

Syntaktische Wörter sind alle möglichen Wörter, die tatsächlich in Sätzen vorkommen. D. h. jedes konkret vorkommende Wort eines Satzes der schriftlichen oder mündlichen Kommunikation ist ein syntaktisches Wort.

Der Satz
(1) Er verkaufte immer Zeitungen vom Vortag.
ist demnach aus sechs syntaktischen Wörtern aufgebaut.

In der linguistischen Beschreibung können syntaktische Wörter als Paar notiert werden. Dabei werden das syntaktische Wort und die entsprechenden Kategorien angegeben, durch die das syntaktische Wort in der konkreten Verwendungsweise kategorisiert wird.

Formal:
<syntaktisches Wort, {Kategorien}>

Die syntaktischen Wörter Zeitungen und verkaufte aus Satz
(1) Er verkaufte immer Zeitungen vom Vortag.
werden dann wie folgt notiert:

<Zeitungen, {Akk, Pl, FEM}>
<verkaufte, {3.Pers, Sg, Ind, Akt, Prät}>

Kommen formgleiche syntaktische Wörter zweimal in einem Satz vor, handelt es sich um zwei syntaktische Wörter. Dabei nehmen diese in der Regel auch unterschiedliche syntaktische Funktionen ein.

Der Satz
(2) Zeitungen von heute schreiben über Zeitungen von gestern.
beinhaltet zwei syntaktische Wörter Zeitungen, die allerdings auch unterschiedlich kategorisiert werden müssen:

<Zeitungen, {Nom, Pl, FEM}> und <Zeitungen, {Akk, Pl, FEM}>

Selbst bei einer identischen Kategorienzuschreibung muss von zwei syntaktischen Wörtern ausgegangen werden wie in

(3) Eine Zeitung ist eine Zeitung.

<Zeitung, {Nom, Sg, FEM}> und <Zeitung, {Nom, Sg, FEM}>

Obwohl beide syntaktischen Wörter Zeitung im Nominativ Singular vorkommen, handelt es sich um zwei syntaktische Wörter.

Formgleich strukturierte syntaktische Wörter besitzen nur eine Wortform, obwohl sie - wie man oben sehen konnte - unterschiedliche Funktionen im syntaktischen Zusammenhang einnehmen können.

Es handelt sich also sowohl in Beispielsatz (2) als auch in Beispielsatz (3) um je zwei syntaktische Wörter Zeitung aber um jeweils nur eine Wortform Zeitung.
Alle syntaktischen Wörter unterschiedlicher syntaktischer Funktion, aber identischer Form, besitzen also nur eine Wortform.

So z. B. die Wortform verkaufte in:

(4) Er verkaufte immer Zeitungen vom Vortag.
(5) Die verkaufte Braut las Zeitungen.
(6) Der verkaufte Traum wurde in den Zeitungen angeboten.

Alle potenziell möglichen Wortformen bilden zusammen ein Wortparadigma.
Wortparadigmen werden wie folgt notiert:

ZeitungWP: {Zeitung, Zeitungen}
TraumWP: {Traum, Traum(e)s, Träume, Träumen}
verkaufenWP: {verkaufe, verkaufst, verkauft, ... verkaufte, verkauftest, ...}
inWP: {in}

Wortparadigmen unflektierbarer Wortarten wie in unserem Beispiel die Präposition in können logischerweise nur eine Wortform enthalten.

Das Lexem ist eine abstrakte Größe, die im Sprachzusammenhang ausdrucksseitig nicht realisiert ist. Die Bedeutung des Lexems ist die Summe der Bedeutungen aller Wortformen eines Wortparadigmas.
In Wörterbüchern werden Lexeme beschrieben. In der Lexikografie gibt es Konventionen für die Formen der Lemmata/Wörterbuchstichwörter eines Lexikonartikels. Nomina-Lemmata werden als Nominativ Singular realisiert; bei Verb-Lemmata verwenden die Lexikografen den jeweiligen Infinitiv. In Wörterbüchern zur lateinischen Sprache wird z. B. bei Verben die 1. Person Singular Indikativ Aktiv Präsens verwendet.

Wort
Wortform

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