Die Pseudomotivierung

Die sogenannte Pseudomotivierung, auch Volksetymologie oder sekundäre Motivation (zu weiteren Termini vgl. Heike Olschansky, Volksetymologie, Tübingen: Max Niemeyer, 1996. S. 108-114), wird in der Forschungsliteratur meist als gesonderte Wortbildungsart postuliert.

Bei der Pseudomotivierung werden nicht mehr durchsichtige Wortbildungsprodukte umgedeutet und dabei auch ausdruckseitig verändert. So wurde z.B. Sintflut, weil sin 'immer, überall' unverständlich geworden war, umgedeutet zu Sündflut 'Flut zur Vernichtung der menschlichen Sünden'. So auch Maulwurf aus ursprünglich mhd. moltwerfe 'Erde Werfender', Würgeengel aus ursprünglich frühnhd. wargengel zu warg 'wildes, rohes Wesen' oder anberaumen aus ursprünglich mhd. anberamen zu ram 'Ziel', Lachmöwe zu ursprünglich Lake 'See' (vgl. englisch lake).

Wie der Terminus Pseudo(!)motivierung verrät, gehen Linguisten davon aus, dass Sprecherschreiber aus Unwissen motivieren, dass Sprecherschreiber sich über die wahre Etymologie der nicht mehr durchsichtigen Wörter täuschen. Allerdings sagen Linguisten nicht, wie sie feststellen, dass z.B. der vermeintlich pseudomotivierende Sprecherschreiber, der Sündflut geprägt hat, ein irrender Dilettant und kein kreativer Könner war. Ebensowenig sagen Linguisten, wie sie feststellen, dass z.B. der neumotivierende Sprecherschreiber, der Morgenland 'Land, wie es morgen sein wird' geprägt hat, ein kreativer Könner und kein irrender Dilettant war. Die Grenzen, die Linguisten zwischen Pseudo- und Neumotivierung ziehen, sind also höchst fragwürdig. Und natürlich ächtet der tendenziöse Terminus Pseudomotivierung auch kreativ-naive Könner wie Kinder, die während ihrer Spracherwerbsphasen viele interessante Hypothesen über Wortbedeutungen aufstellen: Stern/Stern (1928: 419ff) belegen von Fünfjährigen z.B. Makkahonig für Makkaroni, Sammelsiertrommel für Botanisiertrommel und Mannbrüllaffe für Mandrillaffe.

Weil also weder die sprecherschreiberliche Absicht, der vermeintliche Irrtum definitiv nachzuweisen ist, noch einer überstrengenden und unterarmenden Wortbildungskritik Vorschub geleistet werden soll, wird die sogenannte Pseudomotivierung hier als wortbildende Neumotivierung aufgefasst und bezeichnet.

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Autor(en)
Elke Donalies
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