System und Norm in der Wortbildung

System wird hier definiert als strukturierte Menge von Regeln. In der Forschungsliteratur unterschieden werden meist Subsysteme wie das Lautsystem, das Wortsystem, die Deklination u.ä. Auch zur Bildung von Wörtern und deren Interpretation wird ein System beachtet, das Regeln angibt.

  • Systemwidrig ist im Deutschen u.a. die Präfigierung von Verben mit un-, z.B. ich *unfreute mich über seine Launen.
  • Das legendäre, in der Werbung kreierte Adjektiv unkaputtbar (z.B. eine unkaputtbare Colaflasche) ist vom System her ebenfalls nicht erlaubt: Bildungen mit dem Suffix -bar werden nicht aus Adjektiven (wie kaputt) abgeleitet, sondern aus Verben (z.B. verwendbar).

Entspricht ein Wortbildungsprodukt dem System, gilt es als wohlgeformt.

Norm wird hier definiert als das traditionell Übliche, das Unauffällige, das Akzeptable. "Akzeptabilität ist Ausdruck der Erwartungshaltung des Rezipienten, und sie ist in der Fähigkeit des Textproduzenten angelegt, den Rezipienten akzeptabilitätsbereit und akzeptabilitätsfähig zu machen" (Fleischer/Barz 1995: 79).

  • So können z.B. akkusativregierte Verben mit dem Suffix -bar abgeleitet werden (z.B. das Wetter ist nicht beeinflussbar, das Buch ist ganz brauchbar, der Brief ist kaum entzifferbar, Heuschrecken sind essbar, Liebe ist lebbar), es gibt aber Lücken: Vom System her angebotene Bildungen wie fragbar, versteckbar, versuchbar sind auffällig. Zum Teil wird die Bildung solcher Adjektive blockiert, z.B. fragbar, weil es bereits fraglich und erfragbar gibt. Zur Blockierung vgl.Das Blockierungsargument in der Wortbildung. Zum Teil kann die Vermeidung aber auch nicht erklärt werden. Der Norm nicht entsprechende Wortbildungsprodukte können durchaus wohlgeformt sein, also systemgerecht; sie fallen aber auf.

Mitunter kann zwischen nicht system- und nicht normgerechten Wortbildungsprodukten kaum unterschieden werden: So weist z.B. Eisenberg (1998: 235) auf die Verwendungsbeschränkung mancher Konfixe hin: "Anthrop dient nicht als Derivationsbasis, es gibt u.W. weder anthropisch noch Anthropik, Anthropiker, Anthropität usw. [...] Es ist schwer zu sagen, ob die gerade gebildeten Einheiten nicht wohlgeformt sind oder ob es sie eher zufällig nicht gibt. Möglicherweise gibt es sie sogar in abgelegenen Fachwortschätzen. Kategoriale Beschränkungen irgendwelcher Art sind jedenfalls nicht zu sehen."

System und Norm sind unabdingbar, damit Sprache überhaupt funktioniert. Aber weil Sprache sich bewegen muss, muss es auch Verstöße gegen Bestehendes geben. Verstöße gegen Wortbildungssystem oder -norm werden aber von konservativen Menschen häufig streng geahndet. Besonders Kindern und Ausländern sieht man wenig nach: "Was wir Dichtern zugestehen, lassen wir nicht für alle gelten. Ausländer in Bezeichnungsnot bilden oft neue Wörter. Sie nehmen sich übliche Wörter zum Vorbild und denken sich, warum nicht auch so: Ich bin ein Faulschreiber. (ein Ägypter) Ich studiere mit der Hoffe, davon mehr Erfahre zu bekommen (ein Inder). Solche Bildungen entsprechen unseren Wortbildungsregeln. Nur sind sie verblüffend neu, und weil wir annehmen, der Ausländer könne nicht richtig Deutsch, finden wir sie verdächtig. Sicherlich sind sie manchmal überflüssig, aber oft auch anregend, manchmal sogar treffend und schön" (Heringer 1989: 195f).

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