Problematische Fälle der Komplementklassifizierung

  1. Das es in es regnet gilt nicht als Komplement, weil kein echtes Paradigma vorliegt, d.h. es gibt kein in diesem Kontext austauschbares Element (*Der liebe Gott regnet.). Es wird oft als "formales Subjekt" bezeichnet. Es dient lediglich zur Kennzeichnung des Verbstellungs- und damit Satzmodustyps.
  2. Die Anapher es kann Leitform für nominativische und akkusativische NPs sein. Zur Kontrolle kann man auf die kasusdifferenzierte maskuline Anapher ausweichen.
  3. Ein Paradigma kann mehrere Leitformen haben:
Niemand saß auf der Bank. (=> darauf)
Niemand saß neben Gundula. (=> neben ihr)
Niemand saß in der Höhle. (=> darin)

Hier kann man auf eine abstraktere Leitform ausweichen, die die drei obigen enthält, nämlich dort.

Bei direktionalen Adverbialkomplementen sind Leitformen mit Präpositionen oft ausgeschlossen. Dorthin ist dann die bessere Form.

Die Gruppe fuhr zunächst nach Rüdesheim. (=> dorthin/*danach)
Dort sind wir gleich an den Rhein gegangen. (=>dorthin/*daran)

Bei Verben wie bestehen (aus), sich freuen (auf) muss die verbspezifische Präposition in der Leitform vorkommen. Es gibt hier keine abstrakte Leitform wie dort bei den Adverbialia. Es gibt also so viele Leitformen wie verbspezifische Präpositionen. Diese kommen entsprechend der Semantik der jeweiligen NP in zwei Varianten vor:

Präposition + Pronomen (auf ihn): Er hatte sich zu früh auf den Kanzler gefreut. da(r) + Präposition (darüber): Er hatte sich zu früh auf den Ministerposten gefreut.

Zwei weitere Beispielpaare:

Er hatte sich zu früh auf den Kanzler gefreut. (Leitform: auf ihn)
Er hatte sich zu früh auf den Ministerposten gefreut. (Leitform: darüber)
Wer hat Angst vor Virginia Wolfe? (Leitform: vor ihr) Wer hat Angst vor Gewittern? (Leitform: davor)

Auch für Prädikativkomplemente gibt es mehrere Leitformen:

Hasso ist ein Mischlingshund (Leitform: es)
Hasso ist nicht rasserein. (Leitform: es, so)
Hasso entpuppte sich als großes Problem für seinen Besitzer. (Leitform: als solches)
Er wollte ihn zum Wachhund machen. (Leitform: dazu)

Die Beteiligung des Prädikativkomplements an der Prädikation kann durch eine Situierungsrelation überlagert werden, so dass neben der Prädikativleitform es immer auch die der jeweiligen Adverbialklasse möglich ist.

Hasso ist nicht im Körbchen. (Leitform: dort, es)
Hasso ist aus dem Tierheim. (Leitform: dorther, es)
Der Ärger ist nur wegen dieses Köters. (Leitform: deswegen)

Da die Adverbial-Leitform spezifischer ist, hat sie in der Regel die Präferenz vor es. Bei es und einem Negationswort ändert sich die Wortstellung: Hasso ist es nicht.)

  1. Einen Sonderstatus hat das AcI-Komplement, weil es immer eine Proposition (eine Satzkernbedeutung) ausdrückt. Nun gibt es aber analog zu den oben diskutierten Pro-Formen keine Pro-Proposition. Deshalb findet sich auch keine rundum akzeptable Leitform. In manchen Fällen sind geschehen, der Fall sein, tun sinnvolle Ersatzformen:

Lasset uns beten. (Leitform: es tun, es geschehen)
Sie hatten von dem Schatz nur reden hören. (Leitform:?es geschehen)
Ich hab' noch einen Koffer in Berlin stehen. (Leitform:??)

  1. Noch problematischer sind in dieser Hinsicht Leitformen für "Komplemente" von Verben, die ausschließlich Infinitivkonstruktionen regieren, wie belieben, vermögen. Eine Substitution durch eine NP oder eine Pronominalphrase ist deshalb nicht möglich. Wir sprechen deshalb von der peripheren Kategorie "Verbativkomplement", weil sie eine Art Übergangsphänomen zur Verbalkomplexbildung darstellt.

Siehe auch: Komplementklassifizierung

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