Existenzquantifizierende Nominalphrasen

In den Sätzen Ein Kater sitzt. und Ein Kater liegt. wird zweimal die Nominalphrase ein Kater verwendet. Im Unterschied zu einer definiten Deskription, d. h. einer Nominalphrase mit definitem Artikel, haben wir es hier mit einer Nominalphrase mit indefinitem Artikel zu tun. Diese wird daher manchmal auch als "indefinite Deskription" bezeichnet, ein Sprachgebrauch, der sich jedoch nicht als angemessen erweist, wie die folgende Diskussion zeigen wird.

In der hier dargestellte Situation bezieht sich jedes Vorkommen dieser Nominalphrasenen auf ein anderes Tier:

Da eine der Eigenschaften von Tiger ist zu liegen und eine der Eigenschaften von Miù zu sitzen, ist jeder der beiden Sätze - bezogen auf die Situation - wahr.

In einem ersten Ansatz, die Semantik von Nominalphrasen zu erfassen, ließe sich annehmen, dass ihre Bedeutung im Wesentlichen darin bestünde, eine Verweisfunktion auf ein bestimmtes außersprachliches Objekt herzustellen, wobei diese Verweisfunktion bei Eigennamen rein auftrete, bei komplexeren Nominalphrasenen noch deskriptive Bedeutungsanteile dazu kämen. Im obigen Beispiel zeigt sich nun, dass ein Kater gerade nicht auf ein einziges Objekt referiert, sondern dass je nach Vorkommen der Nominalphrase einmal auf den einen, dann auf den anderen Kater verwiesen wird. Diese wechselnde Referenz funktioniert ganz anders als die je nach Kontext wechselnde Referenz von definiten Deskriptionen. Wenn in einer Situation mehrere Objekte als Bezug einer definiten Deskription möglich sind, kommt überhaupt kein Bezug zustande, während hier auf ein beliebiges in Frage kommendes Objekt referiert wird. Ein Objekt kommt aber dann als mögliches Referenzobjekt in Frage, wenn es den deskriptiven Anteil der Nominalphrase erfüllt, hier also, wenn es ein Kater ist.

Könnte es nun sein, dass ein Kater überhaupt keinen Bezug auf bestimmte Objekte hat, sondern sich auf ein "unbestimmtes Katerobjekt" bezieht, also "unbestimmte Referenz" hat? Die oben erwähnte Bezeichnung "indefinite Deskription" für eine Nominalphrase mit indefinitem Artikel deutet schon darauf hin, dass eine solche Auffassung durchaus vertreten wurde, und so schreiben z. B. Helbig und Buscha: "Der unbestimmte Artikel signalisiert vor allem die Indeterminiertheit der bezeichneten Objekte der Realität: diese Objekte werden unbestimmt gelassen und nicht näher identifiziert." (Helbig/Buscha 1984, S. 333) Dagegen spricht aber folgendes:

  1. Das unbestimmte Katerobjekt dürfte keine konkreten Eigenschaften haben, weil von ihm sonst gleichzeitig gesagt werden müsste, es liege und es sitze. Da dies nicht sein kann, müsste es sich also in einer Art "Unhaltung" befinden. Hätte es dann aber überhaupt einen Körper, der ja immer irgend eine Haltung einnimmt? Diese Überlegung lässt sich fortsetzen bis das Katerobjekt überhaupt keine Eigenschaften mehr hat außer: ein Kater zu sein. Was ein Kater ohne Pfoten, Augen, Schwanz usw. sein soll, ist allerdings völlig unklar.(Vgl. David Lewis (1970): General Semantics. In: Synthese 22, S. 18-67.)
  2. Der Satz Ein Kater springt in die Luft. ist bezogen auf die folgende Situation falsch, dagegen ist Ein Kater sitzt. wahr. Das ergibt sich offensichtlich daraus, dass kein Kater in die Luft springt und ein Kater sitzt. Das heißt aber nichts anderes, als dass die Nominalphrase ein Kater nicht auf ein unbestimmtes Katerobjekt referiert, sondern dass ihm sukzessive alle tatsächlichen Katerobjekte in der gegebenen Situation zugeordnet werden, und jeweils geprüft wird, ob eines dieser Objekte die Eigenschaft in die Luft zu springen hat oder, im zweiten Fall, die Eigenschaft zu sitzen.
Wie im Fall der definiten Deskription, also einer Nominalphrase mit definitem Artikel, haben wir hier eine Existenzbedingung, jedoch gibt es keine Eindeutigkeitsbedingung. Da in der Prädikatenlogik Ausdrücke, die eine solche Existenzbedingung ausdrücken, "Existenzquantoren" heißen, werden solche Nominalphrasen auch als "existenzquantifizierende Nominalphrasen" bezeichnet.

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Autor(en)
Helmut Frosch
Bearbeiter
Roman Schneider
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