Eine einheitliche Semantik der Nominalphrase

Die in der Vertiefung Negativ existenzquantifizierende Nominalphrasen gezeigte Schwierigkeit, dass das in dem Artikel kein enthaltene Negationselement zwar einerseits syntaktisch zu einer entsprechenden Nominalphrase gehört - es ist sogar im Wort kein enthalten -, andererseits aber semantisch Skopus über den ganzen Satz hat, lässt sich überwinden, wenn die ursprüngliche Annahme, dass Nominalphrasen direkt auf Objekte referieren, aufgegeben wird.

Wir nahmen an, dass die Nominalphrase der Katerauf das einzige im Kontext vorhandene Objekt verweist, das ein Kater ist. Dann gilt: Falls dieses Objekt schläft, ist der Satz Der Kater schläft. (bezogen auf die Situation) wahr. Um den Satz auf Wahrheit zu evaluieren, muss man also überprüfen, ob der Kater die Eigenschaft hat zu schlafen, das ist gleichbedeutend mit: Ist unter der Menge der Eigenschaften des Katers auch die zu schlafen?

Diese Überlegung führt nun zur Lösung des Problems. Wir ordnen der Nominalphrase der Kater nicht direkt das einzige in der Situation vorhandene Katerobjekt zu, sondern alle Eigenschaften, die dieses Objekt hat. Dazu gehören: ein Kater zu sein, eine bestimmte Farbe und Größe zu haben usw., aber eben auch zu schlafen. David Lewis nennt eine solche Menge von Eigenschaften, die einer Nominalphrase zugeordnet werden, einen Charakter. (David Lewis (1970): General Semantics. In: Synthese, 22. S. 18-67.) Dieser Terminus ist recht gut gewählt, wenn man daran denkt, dass unter dem Charakter eines Menschen so etwas wie die Menge seiner Eigenschaften verstanden wird; der hier eingeführten Fachterminus ist lediglich insofern allgemeiner als der umgangssprachliche als er alle Eigenschaften mit einschließt, also länger dauernde ebenso wie kurzfristige.

Wir fragen jetzt nicht mehr: Hat das Objekt, das der Nominalphrase der Kater zugeordnet ist, die Eigenschaft zu schlafen, sondern, ist die Eigenschaft zu schlafen eine von denen, die der Nominalphrase zugeordnet sind? Der Satz Der Kater schläft. ist nach dieser Uminterpretation genau dann wahr, wenn die dem Prädikat zugeordnete Eigenschaft ein Element des der Subjektsnominalphrase zugeordneten Charakters ist:

Skopus der Negation

Im Fall der negativ existentquantifizierenden Nominalphrase (kein Kater) enthält der Charakter all die Eigenschaften, die kein Kater hat, z. B. abstrakt oder rosa zu sein. Da auch hier wieder auf die Situation zu relativieren ist, gehört im folgenden Kontext dazu auch die Eigenschaft, in die Luft zu springen, der Satz Kein Kater springt in die Luft. ist also wahr:

Damit ist das in Einheit Negativ existenzquantifizierende Nominalphrasen geschilderte Problem, dass die Negation semantischen Skopus über den ganzen Satz hat, jedoch syntaktisch zur Nominalphrase gehört, gelöst: In der ursprünglichen Formulierung waren wir gezwungen, semantischen Skopus über den ganzen Satz anzunehmen, weil festgestellt wurde, dass jedes der im Kontext vorhandenen Katerobjekte eine bestimmte Eigenschaft - nämlich die dem Prädikat zugeordnete - nicht hat. Es musste also gleichzeitig auf die Nominalphrase und das Prädikat Bezug genommen werden. Nach der jetzt eingeführten Analyse wird die Negation in die Nominalphrase inkorporiert, indem ihr gerade die Eigenschaften zugeordnet werden, die kein Katerobjekt hat.

Beide Vorgehensweisen sind jedoch insofern gleichwertig als sie genau dieselben Wahrheitsbedingungen für den Satz liefern: Kein Kater springt in die Luft. ist genau dann wahr, wenn die Eigenschaft, in die Luft zu springen, nur solchen Objekten zukommt, die nicht die Eigenschaft haben, ein Kater zu sein.

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Autor(en)
Helmut Frosch
Bearbeiter
Roman Schneider
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