Was Geltungsspezifikationen von Propositionsspezifikationen unterscheidet

Mit Blick auf die grammatische Tradition scheinen sich die Operationen, die in GRAMMIS als Geltungsspezifikationen klassifiziert werden, von Propositionsspezifikationen nicht wesentlich zu unterscheiden. Man ist geneigt, in den verschiedenen Klassen von Geltungsspezifikationen einfach weitere Dimensionen der Spezifikation von Propositionen zu sehen. Tatsächlich stellen viele Grammatiken Kausal- und Finalbestimmungen auf eine Ebene mit Zeit- und Ortsbestimmungen. Eine solche Gleichbehandlung setzt jedoch voraus, dass beide Typen von Operationen dieselben Operanden haben. Nach unserer Analyse der Struktur von Dikta ist dies nicht der Fall.

Propositionsspezifikationen operieren auf Sachverhaltsentwürfe, die mit ihrer Basisproposition gegeben sind. Als Basisproposition für eine Propositionsspezifikation kommen dabei nur Propositionen in Frage, die entweder elementar sind oder an Modifikationen nur Propositionsspezifikationen umfassen. Geltungsspezifikationen hingegen lassen Sachverhaltsentwürfe unverändert: Durch eine Kausal- oder Finalspezifikation wird ein solcher Entwurf in keiner Weise spezifischer. Der zusätzlich aufgeführte Grund oder Zweck gilt - je nach Wissensstatus des Diktums - dem SoSein oder So-Sein-Sollen dessen, was mit der Proposition entworfen wird. Nur, dass etwas so und so ist oder sein soll, kann einen Grund oder Zweck haben, nicht das bloße So des Sachverhaltsentwurfs. Das heißt: Geltungsspezifikationen operieren auf den einer Proposition zugedachten Wissensstatus.

Propositionsspezifikationen jeglicher Art können sich nur innerhalb des Skopus einer Geltungsspezifikation befinden. Zur Unterscheidung beider Klassen von Operationen reicht dies allerdings nicht aus, denn neben Propositionsspezifikationen können im Skopus von Geltungsspezifikationen auch andere Geltungsspezifikationen auftreten. Das ist so, weil über Geltungsspezifikationen auch neue Propositionen gebildet werden können, die beispielsweise den Sachverhalt entwerfen, dass ein bestimmter Sachverhalt aus einem bestimmten Grund besteht.

Propositionsspezifikationen und Geltungsspezifikationen lassen sich über das Negationskriterium klar unterscheiden: Während Propositionsspezifikationen keine Negation in ihrem Skopus haben können, ist dies bei allen Klassen von Geltungsspezifikationen problemlos möglich:

* In Berlin ist es der Fall, dass die Zeitung nicht erscheint.

Wer diesen Satz ganz ohne ironischen Unterton für durchaus akzeptabel hält, sollte bedenken, dass Tatsachen ohne räumliche Beschränkung gelten müssen. Doch selbst wenn man auch räumlich beschränkt geltende Tatsachen anehmen wollte, würde dies nicht gegen die hier getroffene Unterscheidung sprechen, denn während es einen klar fassbaren Unterschied macht, ob sich eine Kausalspezifikation im Skopus einer Negation befindet oder diese im Skopus der Kausalspezifikation, würde sich eine Skopusumkehr bei Negation und Propositionsspezifikation nicht auf die Geltungsbedingungen des Diktums auswirken.

Weil die Drucker streiken, erscheint in Berlin die Zeitung nicht.

Geltungsspezifikationen, die neue Propositionen bilden, könnte man mit einigem Recht auch als Propositionsspezifikationen bezeichnen. Um mit einer solchen Bezeichnung nicht die offenkundigen Unterschiede zwischen den Funktionen von Geltungsspezifikationen und Propositionsspezifikationen zu verwischen, müsste man eine neue Bezeichnungskonvention einführen, etwa genuine Propositionsspezifikation versus kontextabhängige Propositionsspezifikation. Um die damit verbundene Komplikation der Terminologie zu vermeiden, identifizieren wir die verschiedenen Formen der Spezifikation über die Funktionen, die sie im einfachen Fall erfüllen, also dort, wo keine Iteration grundsätzlich gleichartiger Operationen vorliegt.

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