Keine Zeit zu schlafen haben und Keine Zeit zum Schlafen haben — Klein geschriebenes Verb oder groß geschriebenes Nomen?

Ob wir keine Zeit zu schlafen oder keine Zeit zum Schlafen haben, ist vordergründig eine Frage der Schreibung. Wer nur über das Schlafen spricht, muss sich keine Gedanken machen. Hintergründig ist die Frage eine Frage der Wortartenunterscheidung: Im ersten Fall nämlich handelt es sich um ein Verb, auch Tätigkeitswort genannt; im zweiten Fall handelt es sich um ein Nomen, auch Substantiv oder Hauptwort genannt.

Das Verb schlafen

Das Verb schlafen steht in unserem Beispiel im Infinitiv. Dabei bettet zu die Einheit zu schlafen in den übergeordneten Satz ein:

Keine Zeit haben.
Keine Zeit zu schlafen haben.
Keine Zeit haben mal ein bisschen weniger zu schlafen.

Verben werden grundsätzlich klein geschrieben: Er schläft nicht, natürlich mit Ausnahme aller Verben am Satzanfang: Schlafen konnte er nicht.

Das Nomen Schlafen

Das Nomen Schlafen steht in unserem Beispiel im Dativ. Denn die Präpositionzu verlangt den Dativ:

Keine Zeit haben zu was?
Keine Zeit zum Schlafen haben.

Nomina werden im Deutschen grundsätzlich groß geschrieben.

Woran erkennen wir, dass Wörter wie Schlafen Nomina sind?

Wir erkennen es vor allem an Eigenheiten, die die Gestalt des Wortes und seine Einbindung in Sätze betreffen:

  • Zum Beispiel werden ausschließlich Nomina von einem bestimmten oder unbestimmten Artikel begleitet: Wir sagen zum Beispiel die Lady und ein Telefon. Ebenso sagen wir das Schlafen und ein Schlafen:
Tag und Nacht verbringt Aphex Twin, der Popstar unter den Warp-Technikern, im Heimstudio, um seine Kompositionen auszubrüten. In Interviews erklärt der scheue Wunderknabe gern, daß er sich das Schlafen abgewöhnt habe.
[Der Spiegel, 22.08.1994, S. 168]
In Saudi-Arabien soll das Fotografieren in der Öffentlichkeit demnächst offiziell erlaubt sein.
[Frankfurter Allgemeine, 07.07.2005, o.S.]
Seit Monaten gibt es meinerseits immer wieder Beanstandungen, dass die Kinder aus der 10. Etage bevorzugt nach 22 Uhr ihren Spiel- und Energietrieb freien Lauf lassen, mit Rennen, Toben und anderen störenden Dingen, so dass an ein Schlafen nicht zu denken ist.
[Frankfurter Rundschau, 17.08.1999, S. 22]
Das Fahren zu mancher Tageszeit ist im Stau mehr ein Stehen.
[Frankfurter Allgemeine, 15.03.1999]
  • Auch Adjektive begleiten typischerweise Nomina:
Diese zum Hofgarten gelegenen Einzelzimmer erlauben ein ruhiges Schlafen bei geöffnetem Fenster.
[www.berlin.citysam.de]
Welcher Künstler wird der Anforderung des beweglichsten, unberechenbarsten Elementes gerecht, findet die gültige Form für stetig höhlendes Rinnen, für explosives Bersten in abertausend funkelnde Tropfen, für sanftes Ruhen in sich, glatt, dunkel?
[Salzburger Nachrichten, 31.10.1997, o.S.]
  • Außerdem werden Nomina nomentypisch flektiert: Die Flexion ist die selbe wie bei allen Nomina auf -en, etwa: der Wagen, den Wagen, des Wagens, dem Wagen. Ungewöhnlich ist an Nomina wie Schlafen allerdings, dass sie keinen Plural haben, aber auch keine Singulariatantum sind. Zudem sind sie von ihrer Bedeutung her kaum von Verben zu unterscheiden. Bezeichnet wird ja jeweils ein Tun. Vgl. vertiefend: Konversion aus Infinitiven.
Nominativdas Schlafen
Akkusativdas Schlafen
Genitivdes Schlafens
Dativdem Schlafen

Was hat das Nomen Schlafen mit dem Verb schlafen zu tun?

Das Nomen Schlafen leitet sich vom Verb schlafen ab. Es ist ein Konvertat zu schlafen. Konvertate sind die Ergebnisse der Konversion. Konversion ist ein Verfahren der Wortbildung, bei dem ein Wort einer bestimmten Wortart in ein Wort einer anderen Wortart überführt wird. So wird aus dem Nomen Fisch das Verb fisch(en) 'Fische fangen' konvertiert. Oder aus dem Verb koch(en) das Nomen Koch 'einer, der kocht'.

Im Deutschen ist die Konversion von Nomina aus Infinitiven besonders gut ausgebaut. Die Infinitivkonversion ist sogar das einzige Wortbildungsverfahren, das ganz und gar unbeschränkt ist: Wir können aus allen Verbinfinitiven Nomina bilden. Die Nomina sind immer Neutra: das Schlafen, das Laufen, das Begehen, das Mitdenken, das Einordnen.

Eine ähnliche Frage findet sich bei: Sprich deutsch mit mir! und Sprich Deutsch mit mir! - Klein geschriebenes Adjektiv oder groß geschriebenes Nomen?

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Autor(en)
Elke Donalies
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