Vielleicht werden Sie sich bei diesem Zitat gefragt haben, ob es nicht eigentlich Worte auf die Goldwaage legen heißen müsse. In diesem Falle wäre die Verwendung von Worte tatsächlich angemessen, dies zeigt auch die Verteilung im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo, Stand Dezember 2024): Varianten der Redewendung mit Wörter kommen nur 27-mal, solche mit Worte schon 410-mal vor. Woran liegt das? Gibt es vielleicht einen Bedeutungsunterschied?
Hier sollen Pluralvarianten vorgestellt werden, bei denen gleichzeitig auch Bedeutungsvarianten vorliegen. Alle gleichbedeutenden Pluralvarianten oder Pluralformen im Allgemeinen werden an anderer Stelle erläutert: Pizze, Pizzas oder Pizzen? — Plural bei Fremdwörtern und Männer, Frauen, Autos, Elche, Becher — Verschiedene Formen der Pluralbildung. Maßangaben, in denen Singulare stehen, wo Plurale zu erwarten sind, werden an dieser Stelle beschrieben: Ein Zentner Kartoffel oder ein Zentner Kartoffeln? — Messangaben und Pluralbildung.
Das Wort hat zwei verschiedene Plurale: Worte und Wörter. Mit der Pluralform Wörter bezieht man sich auf einzelne Wörter, wie sie beispielsweise in einem Wörterbuch stehen.
Demgegenüber bezeichnet die Pluralform Worte zusammenhängende Gruppen von Wörtern, ganze Wortgruppen und zusammenhängende Gedanken.
Daher sprechen wir auch von Wörterbüchern und nicht von Wortebüchern, von Passwörtern und nicht von Passworten, andererseits geben wir Ehrenworte und keine Ehrenwörter und legen eben Worte, jedoch keine Wörter auf die Goldwaage. Bezüglich dieser Unterscheidung scheint es dennoch häufig Unsicherheiten zu geben; es kommt ab und an zu unerwarteten Verwendungen:
In Leserbriefen, Foren und auf Internetseiten melden sich Sprachbeobachter verschiedener Meinungen zu Wort: Zum einen gibt es solche, die einen Unterschied zwischen Worten und Wörtern nicht kennen oder nicht kennen wollen, zum anderen solche, die denen absolut konträr gegenüberstehen und so genannte "Wörter"-Vernichter kritisieren, die angeblich nur noch von Worten sprechen und Begriffe wie Codeworte, Passworte und Fremdworte unter das Volk bringen, obwohl in all diesen Fällen die Pluralform -wörter passend wäre. So pauschal lässt sich die Unterscheidung jedoch nicht handhaben.
Ein kritischer Fall zeigt sich beispielsweise beim Plural von Stichwort: Es gibt hier beide Pluralformen und je nach Kontext müsste eine der beiden stehen, auch wenn dies nicht immer so gehandhabt wird. Stichwörter gehören beispielsweise in die Liste eines Wörterbuches, Stichworte hingegen notiert man sich, bevor man eine Rede hält. Es gibt aber auch mindestens einen Fall, bei dem die formulierte Regel nicht greift: So heißt es Sprichwörter anstatt Sprichworte, obwohl es sich dabei ja um ganze Redewendungen handelt.
Es ist fraglich, ob bei der Verwendungsweise von -wörter und -worten vielleicht ein Zusammenfall der beiden Bedeutungen im Gange ist, d.h. ob sich beide Plurale zu (stilistischen) Varianten entwickeln. Jedenfalls können bei Wort leicht Unsicherheiten darüber auftreten, welcher Plural angemessen ist. Bei anderen Fällen mit zwei Pluralen ist man sich vielleicht sicherer, was damit zusammenhängen könnte, das jeweils eine Variante weniger gebräuchlich ist. Beispiele:
Singular | 1. Pluralform | 2. Pluralform |
Ding, das | Dinge = nicht weiter konkretisierte Gegenstände oder Sachverhalte | Dinger = (salopp) best. Dinge, deren genaue Bezeichnung man nicht nennen kann oder will |
Tuch, das | Tücher = Stück Stoff | Tuche = (fachsprachl.) Segeltuch; Stoff als Material |
Land, das | Länder = Staat / mehrere einzelne, klar voneinander abgegrenzte Gebiete, die man gegebenenfalls zählen kann | Lande = (veraltet/scherzhaft) mehrere, zwar prinzipiell verschiedene, aber untereinander zusammenhängende und eine größere Einheit bildende Gegenden |
Mann, der | Männer = mehrere einzelne Individuen | Mannen = (veraltet/scherzhaft) Lehns-, Gefolgsleute / mehrere aufgrund einer Aufgabe zusammengehörende, eine Gruppe bildende Personen, wobei die Bedeutung des einzelnen Individuums in den Hintergrund tritt |
Ein ähnlicher Fall scheint bei den Wörtern Denkmal, General und Grabmal vorzuliegen: Denkmäler steht der Form Denkmale gegenüber, Generäle der Form Generale, so auch Grabmäler gegenüber Grabmale. Auch scheint es Unterschiede zwischen Kräne und Krane (zugehörig zum Singular der Kran) und zwischen die Wasser und die Wässer (zugehörig zum Singular das Wasser) zu geben. Sie bestehen wohl darin, dass eines der Wörter fachsprachlich oder im gehobenen Sprachgebrauch verwendet wird.
Bei dieser zweiten Gruppe handelt es sich um die im Volksmund genannten "Teekesselchen". Diese sind gleichlautende Wörter, die allerdings schon im Singular zwei oder mehrere verschiedene Bedeutungen aufweisen. Sie lassen sich nun noch einmal aufspalten in die Gruppe derer, die mit gleichem Artikelwort gebildet werden, also das gleiche grammatische Geschlecht (Genus) haben, und derer, die verschiedene Artikel besitzen.
Eines der Paradebeispiele beim Kinderspiel "Teekesselchen" ist die Bank: Obwohl hier das Artikelwort übereinstimmt, handelt es sich inhaltlich im heutigen Sprachgebrauch jedoch um zwei völlig verschiedene Dinge (Homonymie). Schon im Singular sind sowohl die Bedeutungen 'Sitzmöbel, Handwerkstisch' als auch 'Geldinstitut, Sammelstelle' angelegt, im ersten Falle lautet der Plural Bänke (Parkbänke, Werkbänke, etc.) und im zweiten Banken (Postbanken, Datenbanken, Blutbanken etc.).
Hier lassen sich noch weitere Beispiele aufführen:
Singular | 1. Plural | 2. Plural |
Bau, der | Baue = Höhlen als Unterschlupf bestimmter Säugetiere; ausgebaute Stollen, Gruben | Bauten = Gebäude, Bauwerke |
Dorn, der | Dorne = dornartige Metallstücke/ Werkzeugteile (Technik) | Dornen = spitze Pflanzenteile |
Druck, der | Drucke = das Drucken, gedruckte Werke | Drücke = wirkende Kräfte |
Gesicht, das | Gesichter = Vorderseiten menschlicher Köpfe | Gesichte = Visionen |
Korn, das | Körner = Getreidefrüchte | Korne = Teile eines Gewehrs |
Mutter, die | Mütter = Elternteile | Muttern = Schrauben |
Strauß, der | Sträuße = Blumengebinde; (geh. veraltet) Kämpfe, Streitereien | Strauße = Vertreter einer Vogelart |
Nun gibt es noch Wörter, die sich schon äußerlich dadurch voneinander abgrenzen, dass sie einen anderen Artikel besitzen. Hier kommt es auch zu unterschiedlichen Bedeutungen. Zu diesem Phänomen, nämlich zu den Bedeutungsunterschieden bei Genusvarianz, gibt es auch noch einen weiteren Artikel: Der Moment und das Moment - Bedeutungsunterschiede bei Genusvarianz.
Band beispielsweise kann sogar drei verschiedene Bedeutungen haben: Das Band kann etwas sein, das - grob beschrieben - um Dinge gebunden wird und den Plural Bänder (Haarbänder, Videobänder, Messbänder, Maßbänder etc.) hat, das Band kann allerdings auch eine Bindung, eine enge Beziehung zwischen Menschen bezeichnen, wobei dann die Pluralform Bande gebraucht wird (Familienbande, zarte Bande). Der Band jedoch bezeichnet ein Buch, mehrere Bücher bezeichnet man dann als Bände (Bildbände).
Diese Gruppe weist noch eine Vielzahl von weiteren Wörtern auf. Allerdings scheint Band mit seinen drei verschiedenen Pluralformen eine Ausnahme darzustellen:
Singular | Plural | Singular | Plural |
Bund, der | Bünde = Einfassungen an Röcken bzw. an Hosen (mit Stoffstreifen); Vereinigungen | Bund, das | Bunde = zu einem Bündel Zusammengebundenes |
Flur, der | Flure = Gänge, Dielen | Flur, die | Fluren = Landschaften |
Gehalt, der | Gehalte = Inhalte, Anteile | Gehalt, das | Gehälter = Löhne |
Kiefer, der | Kiefer = Schädelknochen | Kiefer, die | Kiefern = Nadelbäume |
Leiter, der | Leiter = Manager; Stoffe, dieEnergie leiten | Leiter, die | Leitern = Geräte mit Sprossen oder Stufen zum Hoch- bzw. Hinuntersteigen |
Mangel, der | Mängel = Fehlerhaftigkeit | Mangel, die | Mangeln = Geräte zum Glätten von Wäsche (Wäschemangel) |
Marsch, der | Märsche = Musikstücke; das Marschieren | Marsch, die | Marschen = Landschaften |
Schild, der | Schilde = Schutzschilde, Wappenschilde | Schild, das | Schilder = Verkehrsschilder |
Steuer, die | Steuern = Finanzielle Abgaben an den Staat | Steuer, das | Steuer = Vorrichtungen zum Lenken |
Tor, der | Toren = Törichte, unkluge Menschen | Tor, das | Tore = Große Türen; Tore beim Sport |
Einen interessanten Fall stellt das Wort Strahl dar, wie es auch in Komposita, wie Lichtstrahl, Wasserstrahl, Sonnenstrahl, Lampenstrahl oder Röntgenstrahl, vorkommen kann. Moderne Wörterbücher verweisen meist nur auf eine Pluralform: die Strahlen.
Allerdings werden einige Sprecher des Deutschen vielleicht aufhorchen und meinen, es gäbe doch auch den Plural Strahle. Für Strahle finden sich in DeReKo zwar nur wenige direkte Belege, aber viele für Komposita auf -strahle (wenn auch weniger als für den Plural Strahlen).
Hier liegt wohl wieder ein inhaltlicher Unterschied vor: Wasserstrahle beispielsweise sind zählbar, weswegen möglicherweise die Pluralform Strahle genutzt wird. Sonnen- oder Röntgenstrahlen sind dagegen nicht zählbar, und hier scheint die Pluralform auf -strahlen gebräuchlich. Ein weiterer inhaltlicher Unterschied besteht hierin: Wasser ist materiell, es besteht aus Teilchen, während Sonnen- und Röntgenstrahlen Energiewellen sind.
Obige "Strahlentheorie" hört sich zwar sehr schön an, in der Realität wird sie allerdings nicht konsequent angewandt. Oft ist die Anzahl der Plurale auf -en sehr viel höher, wenn die Zusammensetzungen mit -ung besonders häufig sind, doch scheint auch hier kein grundsätzlicher Zusammenhang zu bestehen. Es gibt auch viele Belege für Lichtstrahle oder Lampenstrahle auf der einen Seite und Wasserstrahlen auf der anderen Seite.
Insgesamt lässt sich wohl festhalten, dass zumindest die Pluralform Strahlen nie falsch ist und immer verwendet werden kann.
Wörter bezeichnen üblicherweise die klassischen Zeicheneinheiten der Sprache, wie sie in Listen, Wörterbüchern oder als Elemente von Texten auftreten, Worte mehrere zusammenhängende Wörter, Reden oder Redeteile (z.B. ermutigende Worte).
Die so genannten "Teekesselchen", die schon im Singular verschiedenen Dinge bezeichnen, haben oft verschiedene Plurale, etwa Bau - Baue/Bauten. Bei Strahl kann der Plural variieren.
Verwendete Literatur: Wegener 2004