Anfang diesen Jahres oder Ende dieses Jahres? — Genitiv Singular beim Demonstrativ-Artikel

Noch um 1970 wäre die Antwort auf diese Frage ganz eindeutig gewesen, jedenfalls, wenn man sich an das gehalten hätte, was publiziert vorlag:

Die Preise für Autoreifen sollen in den nächsten Tagen je nach Reifengröße um zwei bis sieben Prozent gesenkt werden. Grund : der Absatz sank in den ersten vier Monaten dieses Jahres um 30 Prozent.
[Bildzeitung, 19.06.1967, S. 2]
Das Abkommen, das von 1966 bis 1970 Gültigkeit hat, sieht, wie gemeldet, einen Handelsumsatz von 60 Milliarden Mark vor, das heißt 43 Prozent mehr, als in dem Ende dieses Jahres auslaufenden langfristigen Vertrag umgesetzt worden war.
[Frankfurter Allgemeine, 08.12.1965, S. 4]
Am Mittwoch beschlossen die Deutsche Postgewerkschaft und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, die Lohntarife und Gehaltstarife im öffentlichen Dienst zum 31. März dieses Jahres zu kündigen.
[Die Welt, 20.01.1966, S. 1]

Es musste heißen dieses Jahres. Für diese Form finden sich in den Textkorpora des Instituts für Deutsche Sprache Belege in großer Zahl, für die Form diesen Jahres hingegen bis Ende der sechziger Jahre kein einziger.

Wie ist der Sprachgebrauch heute?

Heute findet man - neben dem immer noch überwiegenden diesesJahres - zunehmend oft auch diesen Jahres in Zeitungen und hört dies selbst in seriösen Meldungen in Funk und Fernsehen:

Das Modell mit den beiden 2.0 GHz PowerPC G5-Prozessoren wird – plangemäß – noch Ende diesen Monats in ersten Stückzahlen geliefert.
[www.apple.com/de/pr/pr-infos2003/august/g5avail.html]
Es ist etwas Positives anzumerken, nach meiner persönlichen Ansicht, gegenüber dem Mai, Juni diesen Jahres.
[Währungskrise des Dollars , ARD, Bayr. Rundfunk, 16.8.1971]
Er habe unzählige anonyme Briefe diesen Inhalts erhalten, erklärte er.
[Züricher Tagesanzeiger, 03.04.1999, S. 17]
Ein Fahrzeug diesen Typs war laut Zeugenangaben vom Tatort ohne Licht und mit hoher Geschwindigkeit davongebraust.
[Berliner Zeitung, 28.01.1998, S. 10]

Man trifft darauf so häufig, dass wohl nur noch Puristen und selbst ernannte Sprachpfleger sich daran stoßen, um dann darauf zu verweisen, dass hier doch wohl eine Genitivform vorliege, die dieses zu lauten habe. Schließlich sage man ja auch nicht der Vater diesen Kindes oder die Tür diesen Hauses. Und zumindest darin liegt die Kritik ganz richtig: Selbst bei Recherchen in riesigen Textkorpora finden sich nur verschwindend wenige Verwendungen von diesen als Genitivform in Verbindung mit anderen Nomina als eben Jahres, Jahrhunderts, Monats, Tages, Inhalts, Typs.

diesendiesesNomen
7946Tages
0295Wochenendes
01226Abends
571265290Jahres
1766Jahrzehnts
137234Jahrhunderts
0499Jahrtausends
1107Jahrgangs
1062026Monats
162Semesters
012Quartals
0223Zeitraums
0159Vorgangs
0332Amtes
0132Kindes
01098Mannes
03574Landes
11496Buch(e)s
29937Typs
1896Inhalts
0619Spiel(e)s

Man könnte es sich leicht machen, die Form dieses zur Norm erklären und den Gebrauch von diesen im diesem Zusammenhang einfach als fehlerhaft abtun. Immerhin kommt diesen in Verbindung mit Jahres im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) gerade mal einmal vor, wenn zwischen beiden noch ein Adjektiv steht:

Sollte sich die Finanzlücke so aber innerhalb diesen halben Jahres nicht schließen lassen, müsste der Lehrbetrieb sogar bis April 2010 ausgesetzt werden.
[ taz, 20.12.2008, S. 15]

Entsprechende Suchen im World Wide Web gestalten sich übrigens schwierig, weil dabei keine Abstandsoperatoren eingesetzt werden können. Bei exemplarischen Suchen zeigte sich, dass Kombinationen vom Typ "diesen + Adjektiv + Nomen", wo sie überhaupt auftreten – etwa bei diesen halben Jahres und diesen schönen Jahres sehr viel seltener (etwa 1:10) auftreten als entsprechende Sequenzen mit dieses.

Genauere Betrachtungen

Wenn man die Ergebnisse der Korpusuntersuchungen ernst nimmt, wird man sich mit einer solchen Einschätzung nicht zufrieden geben. Sie wäre vielleicht angebracht, wenn der weit überwiegenden Verwendung der Form dieses stets gleichermaßen einige wenige Verwendungen von diesen gegenüber stünden. Wie sich zeigt, tritt die vermeintliche Normabweichung jedoch nur in Verbindung mit bestimmten Nomina auf, bei diesen allerdings bemerkenswert häufig. Zieht man neben Recherchen in den eher bildungssprachlich geprägten Textkorpora des Instituts für Deutsche Sprache auch noch Internetrecherchen heran, wird dies noch weitaus deutlicher. Für diesesJahres und diesen Jahres ergibt sich in etwa eine Gleichverteilung - jeweils etwa 2.000.000, während etwa 187.000 Verwendungen dieses Hauses nur 88 Verwendungen von diesen Hauses gegenüber stehen (Google-Recherche am 6. 12. 2005). Auch wenn man berücksichtigt, dass solche Recherchen in vielerlei Hinsicht fehlerbehaftet sind, bleibt der Unterschied unverkennbar.

Wodurch könnte das verstärkte Auftreten von diesen in Verbindung mit Jahres, Inhalts und Typs zu erklären sein? Bevor man hier Mutmaßungen anstellt, sollte man genauer betrachten, in welchen Verbindungen diese Wörter auch sonst häufig auftreten, denn dabei könnten sich Übereinstimmungen zeigen, die man aus der systematischen Perspektive des Grammatikers nicht vermutet hätte. Dabei zeigt sich, dass diese Nomina weit häufiger als andere in Verbindung mit auf -en endenden Adjektiven, jedoch ohne vorangehenden Artikel auftreten, so etwa:

ein HausneuerenTyps
ein HausgleichenTyps
ein HausähnlichenTyps
ein HaussowjetischenTyps
ein HausklassischenTyps
ein BriefbemerkenswertenInhalts
ein BriefgleichenInhalts
ein BrieffolgendenInhalts
ein BriefgleichlautendenInhalts
ein BriefgegenteiligenInhalts

Zu Typs finden sich unter insgesamt 7185 Belegen 1486 Belege dieser Art, zu Inhalts unter insgesamt 2457 Belegen 695 Belege.

Die häufigsten Kombinationen mit Jahres, das zum Zeitpunkt der Suche insgesamt 293.514 mal in den Korpora des Instituts für Deutsche Sprache zu finden war:

vergangenenJahres 25.290
nächstenJahres 14.281
kommendenJahres 6.502
letztenJahres 12.682

Speziell bei Jahres kommt noch hinzu, dass vergangenen, nächsten, kommenden, letzten mit diesen sehr gut in einem inhaltlichen Zusammenhang gesehen werden können:

vergangenendiesennächsten
letztendiesenkommenden

Dieser inhaltliche Zusammenhang kann sich durchaus dahingehend auswirken, dass anstelle des von Traditionalisten bevorzugten dieses zunehmend diesen gebraucht wird.

Soweit die Bestandsaufnahme, doch wie soll oder sollte man damit umgehen? Soll man beide Formen gleichermaßen akzeptieren oder den Gebrauch von diesen auch in dieser Verbindung als fehlerhaft zurückweisen? Worauf könnte sich eine Zurückweisung stützen? Sicher nicht darauf, dass die Form diesen nicht akzeptiert wird, denn sie wird faktisch von sehr vielen akzeptiert. Ebenso wenig darauf, dass hier eine Regel des Deutschen verletzt würde, denn, was hier als Regel des Deutschen gelten kann, steht ja gerade in Frage. Verletzt wird allenfalls, was sich Grammatiker in ihrem Bemühen um eine systematische Erfassung des Sprachgebrauchs zurechtgelegt haben, doch mit welchem Recht sollte der formale Zusammenhang, den sie sehen, Vorrang haben vor dem eher sachlichen Zusammenhang, den Sprachteilhaber sehen, die diesen verwenden, wo jene dieses erwarten?

Fazit

Aus sprachtheoretischer Sicht lässt sich die eingangs gestellte Frage nicht eindeutig beantworten. Wer sich damit nicht zufriedengeben will, mag eine praktische Entscheidung treffen: Kritik zieht man sich allenfalls zu, wenn man diesen verwendet. Die Form dieses wird in Verbindung mit jedem Nomen im Genitiv überall und jederzeit fraglos akzeptiert.

Weiterführendes

Ausführlichere Informationen zur Flexion (Beugung) von Artikelwörtern wie dies- sind zu finden unter:

Fachliteratur zu diesem Gebiet

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Autor(en)
Bruno Strecker
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